Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2011, Az. VII ZB 35/11

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 96

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[X.]UNDESGERICHTSHOF

[X.]ESCHLUSS

VII Z[X.] 35/11

vom
22. Dezember 2011
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]GHZ:
nein
[X.]GHR:
ja
ZPO §§ 174 Abs. 1, 4, 286 A, [X.], 520 Abs. 2 Satz 1
a)
Für die gemäß §
522 Abs.
1 Satz
1 ZPO von Amts wegen zu treffenden [X.], ob die [X.]erufungsbegründungsfrist eingehalten ist, gelten die Regeln des [X.]. Das gilt auch für den zulässigen Gegenbeweis der Unrichtigkeit einer
Datumsangabe in einem [X.] über die Zustellung der voll-streckbaren Ausfertigung eines erstinstanzlichen Urteils.
b)
Trägt der [X.]erufungsführer unter entsprechender eidesstattlicher Versicherung [X.] Anwalts vor, die Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils sei diesem erst ei-nen Tag nach dem im [X.] durch handschriftlich eingefügtes Da-tum bezeichneten Tag zugestellt worden, muss das [X.]erufungsgericht auch ohne einen ausdrücklichen [X.]eweisantritt des [X.]erufungsführers in aller Regel den Anwalt als Zeugen hierzu vernehmen, wenn es die eidesstattliche Versicherung nicht für ausreichend erachtet (im [X.] an [X.]GH, [X.]eschluss vom 11.
November
2009 -
XII
Z[X.]
174/08, NJW-RR 2010, 217).
[X.]GH, [X.]eschluss vom 22. Dezember 2011 -
VII Z[X.] 35/11 -
LG [X.]erlin

KG [X.]erlin

-
2
-
Der VII.
Zivilsenat des [X.]undesgerichtshofs hat am 22. Dezember 2011 durch den Vorsitzenden [X.] Prof.
Dr.
[X.], den [X.] Dr.
Kuffer, die [X.]in [X.], den [X.] [X.] und den [X.] Prof.
[X.]
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der [X.]eschluss des 27.
Zivilsenats des Kammergerichts vom 6.
April
2011 aufgeho-ben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das [X.]erufungsgericht zu-rückverwiesen.

Gründe:
I.
Die Kläger nehmen die [X.]eklagte auf Schadensersatz für angeblich man-gelhafte ausgeführte Sanierungsarbeiten in Anspruch.
Das [X.] hat die Klage mit einem am 8.
Januar 2009 verkündeten Urteil abgewiesen. Der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger hat mit einem handschriftlich auf den 18.
Januar
2008 datierten [X.] bestätigt, eine Ausfertigung dieses Urteils persönlich zugestellt erhalten zu haben. Mit Schriftsatz vom 12.
Februar
2009 haben die Kläger [X.]erufung einge-1
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-
legt, die sie mit einem am 19.
März
2009 per Telefax beim [X.]erufungsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet haben. Das [X.]erufungsgericht hat die [X.]e-rufung mit [X.]eschluss vom 6.
April
2011 wegen der Versäumung der [X.]erufungs-begründungfrist als unzulässig verworfen und ein Wiedereinsetzungsgesuch der Kläger zurückgewiesen. Nach dem Inhalt des von dem [X.] der Kläger ausgestellten [X.]ses sei davon auszugehen, dass diesem die erstinstanzliche Entscheidung -
unter Korrektur der im [X.] offensichtlich irrtümlich fehlerhaft angegebenen Jahreszahl
-
am 18.
Januar
2009 zugestellt worden sei. Den ihnen obliegenden Gegenbe-weis einer Zustellung des Urteils erst
am 19.
Januar
2009 hätten die Kläger nicht erbracht. Ihnen sei auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil nicht glaubhaft gemacht sei, dass die Fristversäumung nicht von ihnen oder ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet worden sei.

II.
1. Die gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, §
522 Abs.
1 Satz
4 ZPO statt-hafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des [X.] erfordert (§
574 Abs.
2 Nr.
2 Alt.
2 ZPO). Die auf der unzutreffenden Annahme einer [X.] Einreichung der [X.]erufungsbegründung beruhende Verwerfung ihrer [X.]erufung als unzulässig verletzt die Kläger in ihren Verfahrensgrundrechten auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art.
103 Abs.
1 GG und auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art.
2 Abs.
1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. [X.]VerfG, NJW 1989, 1147; NJW-RR 2002, 1004).
3
-
4
-
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das [X.]erufungsgericht [X.] das Rechtsmittel nicht wegen der Versäumung der [X.]erufungsbegründungs-frist als unzulässig verwerfen dürfen (§
522 Abs.
1 Satz
1 ZPO).
a) Die [X.]erufungsbegründungsfrist beginnt gemäß
§
520 Abs.
2 Satz
1 ZPO mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, die hier gemäß §
174 Abs.
1 ZPO gegen [X.] an den Prozessbevoll-mächtigten des [X.]eklagten erfolgt ist. Das [X.] erbringt als öf-fentliche Urkunde (§
418 ZPO) [X.]eweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung ([X.]VerfG, NJW 2001, 1563, 1564, m.w.[X.]; [X.]GH, Urteil vom 24.
April
2001

VI
ZR
258/00, NJW 2001, 2722, m.w.[X.]; Urteil vom 18.
Januar
2006

VIII
ZR
114/05, [X.], 1206; [X.]eschluss vom 17.
April
2007

VIII
Z[X.]
100/05, veröffentlicht bei juris).

b) Nach dem Inhalt des [X.]ses ist die Zustellung des landgerichtlichen Urteils
am 18.
Januar
2008 bewirkt worden. Dieses Zustel-lungsdatum ist ersichtlich falsch. Das Urteil ist am 8.
Januar
2009 verkündet worden; eine Ausfertigung
kann folglich erst danach zwecks Zustellung an den Prozessbevollmächtigten der Kläger versandt worden sein.
c) Das [X.]erufungsgericht hat in Ansehung dieser Zusammenhänge (nur) die Jahresangabe im handschriftlich auf dem [X.] vermerkten Datum als Schreibfehler behandelt und es nach obigen Grundsätzen als bewie-sen angesehen, dass die [X.] dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 18.
Januar
2009 zugestellt wurde.
Diese Erwägungen halten der Überprüfung nicht stand.
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aa) Gemäß §
522 Abs.
1 Satz
1 ZPO ist von Amts wegen zu prüfen, ob die [X.]erufungsbegründungsfrist eingehalten ist. Die hierfür erforderlichen Fest-stellungen trifft das Gericht im Wege des [X.], für den neben den übli-chen [X.]eweismitteln, insbesondere dem Ergebnis von Zeugenvernehmungen, auch eidesstattliche Versicherungen zu berücksichtigen sind. Allerdings bleibt es auch im Rahmen des [X.] dabei, dass der dem Rechtsmittelführer obliegende [X.]eweis für die rechtzeitige Einlegung des Rechtsmittels zur vollen, den Anforderungen des §
286 ZPO genügenden Überzeugung des Gerichts geführt sein muss ([X.]GH, Urteil vom 24.
April
2001 -
VI
ZR
258/00, NJW 2001, 2722; Urteil vom 18.
Juni
2002 -
VI
ZR
448/01, [X.], 3027; [X.]eschluss vom 10.
Januar
2006 -
VI
Z[X.]
61/05, [X.], 568; [X.]eschluss vom 21.
Februar
2007 -
XII
Z[X.]
37/06, veröffentlicht bei juris).
[X.]ei Anwendung dieser Grundsätze erscheint es bereits fraglich, ob die Datumsangabe auf dem [X.] geeignet ist, [X.]eweis dafür zu [X.], dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger
die [X.] am 18.
Januar
2009 entgegengenommen hat. Dieses Zustellungsdatum ergibt sich nicht aus der Urkunde. Soweit das [X.]erufungsgericht davon ausgeht, dass ledig-lich die Jahreszahl in der Datumsangabe irrtümlich falsch, Monat und Tag hin-gegen zutreffend angegeben seien, beruhen diese Erwägungen auf [X.] zu tatsächlichen Vorgängen, die nicht durch die im [X.] dokumentierte Datumsangabe belegt sind. Ob sie deshalb auch nicht von der [X.]eweiskraft der Urkunde umfasst sind (§
418 ZPO), kann im Ergebnis dahin-stehen. Denn das [X.]erufungsgericht hätte mit Rücksicht auf den [X.], durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemachten Sachvortrag der Kläger, ihr Prozessbevollmächtigter
habe die [X.] erst am 19.
Januar
2009 zur Kenntnis genommen, ohnehin weitere Sachaufklärung be-treiben müssen.
9
10
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6
-
bb) Zur Widerlegung des aus einem [X.] ersichtlichen [X.] ist der Freibeweis der Unrichtigkeit der im [X.] enthaltenen Angaben zulässig. Dieser Gegenbeweis setzt allerdings voraus, dass die [X.]eweiswirkung des §
174 ZPO vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Datumsangaben im [X.] richtig sein können; hingegen ist der Gegenbeweis nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist ([X.]GH, Urteil vom 18.
Januar
2006

VIII
ZR
114/05, [X.], 1206; Urteil vom 18.
Juni
2002 -
VI
ZR
448/01, [X.], 3027). Deshalb reicht der [X.]eweiswert einer lediglich auf Glaubhaft-machung ausgerichteten eidesstattlichen Versicherung zum Nachweis eines anderen [X.] als im [X.] angegeben regelmäßig nicht aus.
Allerdings muss das Gericht dann auf die Vernehmung der in [X.]e-tracht kommenden [X.]eweispersonen als Zeugen oder auf andere [X.]eweismittel zurückgreifen ([X.]GH, [X.]eschluss vom 10.
Januar
2006 -
VI
Z[X.]
61/05, [X.], 568; [X.]eschluss vom 21.
Februar
2007 -
XII
Z[X.]
37/06, veröffentlicht bei juris).
(1)
In diesem Zusammenhang hat das [X.]erufungsgericht übersehen, dass es nach der Rechtsprechung des [X.]undesgerichtshofs gehalten war, in der [X.] an Eides statt auch ein Angebot zur Vernehmung des Anwalts als Zeugen zu sehen und ihn entsprechend zu vernehmen ([X.]GH, [X.]e-schluss vom 11.
November
2009 -
XII
Z[X.]
174/08, NJW-RR 2010, 217, m.w.[X.]; [X.]eschluss vom 8.
Mai
2007 -
VI
Z[X.]
80/06, [X.], 3069). Jedenfalls hätte es die Kläger gemäß §
139 Abs.
2 ZPO darauf hinweisen müssen, dass die ei-desstattliche Versicherung zum [X.]eweis der Unrichtigkeit der Datumsangabe im [X.] nicht ausreicht und ihnen Gelegenheit geben müssen, tauglichen [X.]eweis anzutreten (vgl. [X.]GH, [X.]eschluss vom 21.
Februar
2007 11
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XII
Z[X.]
37/06, veröffentlicht bei juris, m.w.[X.]). [X.]eides hat das [X.]erufungsgericht unterlassen und damit den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör verletzt.
(2)
Die demnach verfahrensfehlerhafte Vorgehensweise des [X.]erufungs-gerichts lässt sich nicht damit
rechtfertigen, die eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten der Kläger beziehe sich nur auf Indiztatsachen, die eine Entgegennahme der [X.] bereits am 18.
Januar
2009 nicht auszuschließen vermöchten. Dieses Verständnis wird dem Vorbringen der Klä-ger, dessen Richtigkeit ihr Anwalt an Eides statt versichert hat, nicht gerecht. Ihr Sachvortrag enthält auch die [X.]ehauptung, das Schriftstück sei von ihrem An-walt entgegen der Angaben im [X.] erst am 19.
Januar
2009 entgegengenommen worden; die von ihnen in diesem Zusammenhang ange-führten Indiztatsachen dienen erkennbar dazu, gerade diese [X.]ehauptung plau-sibel erscheinen zu lassen. Dass sie allein nach Auffassung des [X.]erufungsge-richts nicht ausreichen, um das sich aus dem
[X.] ergebende Zustellungsdatum zu widerlegen, durfte es nicht dazu veranlassen, [X.] nach Hinweis und entsprechendem [X.]eweisantritt, auf die Vernehmung des Anwalts als Zeugen zu verzichten.
3. Da nicht vollständig ausgeschlossen werden kann, dass der [X.] [X.]eschluss auf diesem Verfahrensfehler beruht, ist die Sache zur weiteren Aufklärung an das [X.]erufungsgericht zurückzuverweisen.
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4. Auch soweit das [X.]erufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag der Kläger zurückgewiesen hat, war der [X.]eschluss aufzuheben. Über das [X.] darf erst dann entschieden werden, wenn geklärt ist, ob die [X.]erufungsbegründung rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist. Diese Klärung steht noch aus.

[X.]

Kuffer

[X.]

[X.]

[X.]
Vorinstanzen:
LG [X.]erlin, Entscheidung vom 08.01.2009 -
23 [X.]/07 -

KG [X.]erlin, Entscheidung vom 06.04.2011 -
27 [X.] -

15

Meta

VII ZB 35/11

22.12.2011

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 22.12.2011, Az. VII ZB 35/11 (REWIS RS 2011, 96)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 96

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

1 AZR 764/14

Zitiert

VII ZB 35/11

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