Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.02.2012, Az. 5 StR 3/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2012, 9479

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5 StR 3/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

vom
7. Februar 2012
in der Strafsache
gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

-
2
-

Der 5. Strafsenat des [X.] hat am
7. Februar 2012
beschlossen:

Auf die Revision des
Angeklagten wird
das Urteil des [X.] vom 5. April 2011 gemäß
§ 349 Abs. 4
StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer des [X.].

[X.]e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten führt

wie auch vom [X.] beantragt

zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

1. Verfahrensgegenstand ist nach dem hierfür maßgeblichen [X.] vom 16. September 2010 die unverändert zur [X.] zugelassene Anklageschrift vom 29. Juli 2010. Diese umfasste 184 Sexualdelikte zum Nachteil der Tochter
des Angeklagten im Zeitraum vom 11. April 1998 bis 1. August 2005 und ferner 19 im Tatzeitraum Oktober
1998 bis März 2002 angelastete Missbrauchshandlungen (gegenseitiger Oralver-kehr) zum Nachteil des am 27. Oktober 1990 geborenen [X.]

B.

. Das [X.] hat seiner Verurteilung je zwei Fälle des 1
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3
-

Oralverkehrs in einem Gartenzelt (Fall
1:
Frühjahr 1999 bis 26. Juni 2001; Fall 5: 28. Juni 2001 bis 31. März 2002) und im Wohnzimmer des Angeklag-ten (Fall 2: Oktober 1998 bis 26. Juni 2001; Fall 4: 28. Juni 2001 bis 31.
März
2002) sowie einen Zungenkuss in den Sommerschulferien 2001 (Fall 3: 28. Juni bis 8. August 2001)

sämtlich Taten zum Nachteil des [X.]

zugrunde gelegt.

Den Freispruch hinsichtlich der sich auf die Tochter des Angeklagten beziehenden Vorwürfe hat das [X.] mit dem nicht ausschließbaren Vorliegen von Falschbelastungsmotiven
dieser Zeugin
begründet ([X.] S.
69
ff.). Hinsichtlich der den Nebenkläger

B.

betreffenden Fälle
hat daIndizien hat sich die Kammer davon überzeugt, dass die den Angeklagten belastenden Aussagen des Zeugen

B.

auf realem Erleben beruhen und hinreichend zuverlässig sind, um darauf eine Verurteilung in den unter Heranziehung des Zweifelssatzes festgestellten Mindestfällen zu stützen.
Da der Zeuge B.

den von ihm gefilmten Oralverkehr nicht mit hinreichender Sicherheit dem Anklagezeitraum zuordnen konnte und [X.] Beweismittel nicht zur Verfügung standen, blieb diese Handlung dabei außer Betracht, § 264 Abs. 1 StPO

([X.] S. 40).

2. Hierin liegt

im Gegensatz zur Auffassung des [X.]

eine Begründung von Freispruchsfällen
hinsichtlich des [X.].

. Diese beantwortet indes die naheliegende Frage nicht direkt, aus welchen Gründen das [X.] notwendigerweise weitergehenden

jedenfalls früheren

Angaben des [X.] nicht gefolgt ist. Dies führt in der Regel wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der erschöpfen-den Beweiswürdigung zur Aufhebung der Verurteilung (vgl. [X.], Urteil vom 16.
Februar
1993

5 [X.], NJW 1993, 2451; [X.], Beschluss vom 22.
April 1997

4 [X.], [X.]R StPO § 261 Beweiswürdigung 13; [X.], Beschluss vom 21. April 1999

5 [X.]). Hiervon wird eine Aus-nahme erwogen, falls dem Belastungszeugen lediglich
eine zeitliche Einord-3
4
-
4
-

nung der übrigen Tatvorwürfe nicht gelungen
ist
(vgl. [X.], Urteil vom 8.
Februar 2000

5 StR 461/99). Ob dies hier der Fall
sein kann, bleibt un-klar. Das
[X.] hat Taten in den Jahren 1998 und 1999 als möglich angenommen, obwohl hierfür sich widersprechende Angaben
des Nebenklä-gers vorlagen
([X.] S. 5, 17, 21).

3. Die Beweiswürdigung des [X.]s beruht darüber hinaus auf rechtsfehlerhaften Erwägungen (vgl. [X.], Urteil vom 16. November 2006

3 [X.], [X.], 384, 387, insoweit in [X.]St 51, 144 nicht abge-druckt).

a) Das [X.] hat hinsichtlich der Tatzeit März 2001 bis Ende März 2002 einer
von der Zeugin W.

nicht aber vom Nebenkläger

be-kundeten Rasur des Angeklagten in seinem
Intimbereich

wahrgenommen bei vier bis fünfmaligem Geschlechtsverkehr im Monat mit dem Angeklagten ([X.] S. 9, 19)

die Beweisbedeutung abgesprochen. Die Annahme,
es
wi-derspreche
der Lebenserfahrung, dass sich Zeugen nach mehreren Jahren an derartige Randdetails sowie deren zeitliche Einordnung noch lückenlos und absolut zuverlässig erinnern, ist indes
sachlich unvertretbar. Es gibt kei-nen Erfahrungssatz, dass sich Zeugen
nicht an lange zurückliegende [X.] erinnern (vgl. [X.], Beschluss vom 14. September 2004

4 [X.], [X.]R StPO §
244 Abs. 3 Satz 2 Ungeeignetheit 23). Dies gilt umso mehr,
als der erinnerte Umstand hier auch für weitere Intimpartne-rinnen des Angeklagten von Bedeutung war. So hatten
die Ehefrau des [X.] für einen Zeitraum davor ([X.] S. 8) und die Verlobte des Angeklag-ten ab 2005 ([X.] S. 9) ebenfalls bekundet, der Angeklagte habe seine
Schambehaarung rasiert.

b) Das [X.] hat
ferner
eine von anderen Zeugen geschilderte und als glaubhaft bewertete Abnormität des Penis des Angeklagten nicht in die Prüfung der Glaubhaftigkeit der Aussage des [X.] einbezogen (vgl. [X.], Urteil vom 4.
März 1960

4 StR 31/60, [X.]St 14, 162, 164). Das 5
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5
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[X.] hat hierzu festgestellt, dass der Angeklagte in den Jahren 1993 bis 1997 mit

S.

([X.] S.
30 f.) und danach mit dessen Bruder Se.

([X.] S. 33 ff.) Oralverkehr ausgeübt
hatte. Diesen Zeugen war aufgefallen, dass der Penis des Angeklagten

wegen einer von einem
Sachverständigen festgestellten
Vorhautverengung und Verkürzung des Vorhautbändchens

oder

e-sen ist.

c) Soweit das [X.] einen Aussagewechsel des [X.] (Zungenkuss anstatt Oralverkehr im Fall 3) durch eine von der Tochter des Angeklagten beeinflusste [X.] verursacht sieht
([X.] S. 27)

was im Übrigen schon wegen der vom [X.] betonten Bedeutung
des Oralverkehrs für die Aussagemotivation des [X.] bedenklich erscheint ,
hätten
die sich aus diesem Umstand ableitbaren Qualitätsmän-gel in der Aussage des [X.] für die Glaubhaftigkeit von dessen Aussage im Übrigen bedacht werden müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 12.
Juli 2006

5 [X.], [X.], 411;
[X.], Urteil vom 30. Ju-li
1999

1 [X.], [X.]St 45, 164, 170, 172).

4. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung.

[X.]Raum Brause

Schneider Bellay

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Meta

5 StR 3/12

07.02.2012

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.02.2012, Az. 5 StR 3/12 (REWIS RS 2012, 9479)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9479

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