Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.05.2023, Az. 20 F 4/23

Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO | REWIS RS 2023, 3922

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Gegenstand

Pflicht zur Ermessensausübung bei Sperrerklärung


Leitsatz

Eine Ergänzung von Ermessenserwägungen ist bei einer Sperrerklärung nur zulässig, wenn zuvor überhaupt Ermessenserwägungen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO angestellt worden sind.

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird der Beschluss des 13. Senats des [X.] vom 20. Februar 2023 aufgehoben.

Die Sperrerklärung des [X.], Bau und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern vom 11. August 2017 in der Fassung der Sperrerklärung vom 17. Oktober 2017 ist rechtswidrig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.

Gründe

I

1

Gegenstand des dem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahrens ist das Begehren des [X.], Auskunft über die zu seiner Person bei einer [X.]verfassungsschutzbehörde gespeicherten [X.]aten zu erhalten.

2

1. Nachdem der Kläger bei dem Beklagten als [X.]verfassungsschutzbehörde Auskunft über die zu seiner Person dort gespeicherten [X.]aten beantragt hatte, teilte dieser ihm im Juni 2017 mit, von ihm seien personenbezogene [X.]aten erfasst, weil Anhaltspunkte den Verdacht rechtfertigten, er verfolge Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Neben der Kenntnis von seinen biografischen [X.]aten und einem Lichtbild sowie seiner Teilnahme am ... würden - gestützt auf § 26 Abs. 2 Nr. 3 LVerfSchG [X.] (LVerfSchG [X.]) - weitere Informationen nicht mitgeteilt werden. In dem von dem Kläger dagegen betriebenen Klageverfahren beantragte er Akteneinsicht.

3

2. Nachdem das Verwaltungsgericht den Beklagten aufgefordert hatte, sämtliche Verwaltungsvorgänge vorzulegen, erklärte dieser als oberste [X.]behörde unter dem 11. August 2017 zum einen, über die vorgelegten Unterlagen hinaus werde die Vorlage weiterer Verwaltungsvorgänge gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verweigert ([X.]); zum anderen werde in der Sache beantragt, die Klage abzuweisen, weil weitere Auskünfte nach § 26 Abs. 2 Nr. 3 LVerfSchG [X.] ermessensgerecht abgelehnt worden seien.

4

a) Soweit es die [X.] betrifft, ist ausgeführt, einige der im Verwaltungsvorgang erfassten Erkenntnisse seien als Verschlusssache eingestuft. [X.]as Bekanntwerden der Akteninhalte würde dem Wohl des [X.] Nachteile bereiten, weil es geeignet sei, die künftige Arbeit des [X.]es zu erschweren. [X.]ie Bekanntgabe dieser Unterlagen würde Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation und auf die Arbeitsweise und Methodik des [X.]es ermöglichen. Gleichzeitig würden das Umfeld und die Arbeitsweise derjenigen Personen bekannt werden, die Informationen beschafft und zusammengetragen hätten. [X.]adurch könne auf deren Identität geschlossen und deren Gesundheit, Leben oder die Freiheit von Menschen gefährdet werden. [X.]erartige Vorgangsinhalte unterlägen gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht der Verpflichtung zur Herausgabe.

5

b) In der Klageerwiderung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Teilauskunftsverweigerung werde auf § 26 Abs. 2 Nr. 3 LVerfSchG [X.] gestützt. [X.]ie Gefährdung von Personen reduziere die Ausübung behördlichen Ermessens auf nahezu Null, sodass die Belange des Auskunftsanspruchsinhabers regelmäßig zurücktreten müssten. Bei einer Gefährdung von Personen sei kaum eine Fallgestaltung denkbar, in der die Belange des Auskunftsanspruchsinhabers überwögen. Von daher müsse das Interesse des [X.] an einer dem Art. 19 Abs. 4 GG gerecht werdenden Prozessführung hinter dem Geheimhaltungsinteresse zurücktreten.

6

3. Unter dem 18. August 2017 forderte das Verwaltungsgericht den Beklagten erneut auf, ihm sämtliche Verwaltungsvorgänge vorzulegen; dabei sei in abstrakter Art und Weise darzulegen, was sich hinter den geschwärzten Aktenbestandteilen verberge, denn nur so könne das Gericht entscheiden, ob es eines weiteren Zwischenverfahrens zur Offenlegung von Aktenbestandteilen bedürfe. [X.]ie Vorlage des [X.] und des hierzu verfassten Vermerks würden den Anforderungen des § 99 VwGO jedenfalls nicht genügen.

7

4. Unter dem 17. Oktober 2017 erklärte der Beklagte, es würden sämtliche Verwaltungsvorgänge vorgelegt, soweit nicht deren Vorlage nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verweigert worden sei. Aufgrund der elektronischen Aktenführung würden nicht die Originale, sondern Ausdrucke der elektronischen [X.]okumente aus dem elektronischen [X.]okumentenmanagementsystem vorgelegt, das die herkömmliche Akte ersetze (§ 13 Abs. 2 LVerfSchG [X.]). [X.]er beschränkten Offenlegung von Aktenbestandteilen sei voranzustellen, dass die Vorlage der Verwaltungsvorgänge nicht dazu führen dürfe, dass dadurch die in § 26 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 und 3 LVerfSchG [X.] bestimmten Grundsätze durch das Akteneinsichtsrecht des [X.] unterlaufen würden. Für eine solche rechtliche Bewertung spreche auch § 26 Abs. 4 LVerfSchG [X.]. Auch er diene der Vermeidung einer Ausforschung über den Umweg einer quasi modifizierten Auskunftserteilung.

8

[X.]er vorgelegte Verwaltungsvorgang untergliedere sich in die Abschnitte "1. Offene [X.]okumente" und "2. Interne [X.]okumente". [X.]ie internen [X.]okumente seien unter Berücksichtigung der ursprünglichen [X.] teilweise geschwärzt worden. In die Kategorie A fielen Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Signaturen, in die Kategorie B Verfügungen, in die Kategorie [X.] namentliche Hinweise auf Sachbearbeiter, [X.]urchwahlnummern und in die Kategorie [X.] schutzwürdige Belange [X.]ritter (Quellenbezeichnungen, Namen anderer Personen). Vollständig entnommen und nicht vorgelegt würden [X.]okumente wegen der Gefährdung von Informationsquellen nach § 26 Abs. 2 Nr. 3 LVerfSchG [X.]. Zu den [X.]okumenten der Kategorie A (interne [X.]okumente) sei anzumerken, dass eine relevante Beschneidung der Sachverhaltsaufklärung nicht ersichtlich sei. Zur [X.]okumentenkategorie B ist ausgeführt, der Kläger möge ein Interesse daran haben, dass Verfügungen und damit Arbeitsanweisungen oder Beschaffungsaufträge offengelegt würden. Es sei jedoch weniger schützenswert, da demgegenüber der [X.] seinen verfassungsmäßigen Auftrag nicht mehr erfüllen könne. Zu [X.]okumenten der Kategorie [X.] heißt es, beim Vorliegen schutzwürdiger Belange [X.]ritter sei die Gewichtung zu deren Gunsten erfolgt, weil kein vorrangiges Aufklärungsinteresse oder ein schützenswertes Individualinteresse des [X.] an der entsprechenden Auskunft feststellbar sei. Zu den [X.]okumenten aus Maßnahmen nach § 10 Abs. 1 LVerfSchG [X.] heißt es zudem, über den gesetzlich definierten Auskunftsanspruch hinaus bestehe kein Anspruch des [X.], über den Umweg der Akteneinsicht faktisch eine Übersicht darüber zu erhalten, welche nachrichtendienstlichen Einzelmaßnahmen ihn beträfen. Polizeiliche Mitteilungen im Rahmen des § 24 LVerfSchG [X.] unterlägen dem [X.] VS-Nf[X.]. Im Übrigen würde eine Offenlegung von polizeilichen [X.]okumenten gegen deren erklärten Willen aller Voraussicht nach dazu führen, dass die Polizei künftig von der Weitergabe solcher [X.]okumente an den [X.] absehe. [X.]em Kläger stehe es offen, sich direkt an die Polizei zu wenden. Auch insoweit komme wieder das Argument einer zu vermeidenden Umgehung durch die Vorlage der Verwaltungsvorgänge zum Tragen.

9

5. Nachdem der Kläger beim Verwaltungsgericht im [X.]ezember 2017 angeregt hatte, die Entscheidungserheblichkeit der vorenthaltenen Aktenbestandteile festzustellen, führte der Berichterstatter unter dem 29. März 2018 aus, nach Ansicht der Kammer dürfte im vorliegenden Fall vor einem Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO kein Beweisbeschluss erforderlich sein. [X.]er Beklagte mache nämlich materiell-rechtliche Geheimhaltungsgründe geltend.

6. Unter dem 30. April 2018 beantragte der Kläger, die Sache dem Oberverwaltungsgericht vorzulegen und von ihm feststellen zu lassen, dass die Verweigerung der vollständigen Aktenvorlage rechtswidrig sei.

7. Im Rahmen des vorliegenden Zwischenverfahrens erklärte der Beklagte mit Schriftsatz vom 29. Mai 2020, das fachgesetzlich bestehende Ermessen nach § 26 Abs. 1 und 2 LVerfSchG [X.] sowie das Ermessen der prozessrechtlichen Spezialnorm des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO sei von ihm erkannt und für jedes einzelne [X.]okument ausgeübt worden. [X.]er bisherige Vortrag unterstreiche, dass umfassende Ermessenserwägungen stattgefunden hätten. Im Rahmen der Abwägung seien neben den Gründen des Geheimschutzes nicht nur das öffentliche Interesse an der von Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung durch das Gericht, sondern auch das private Interesse des [X.] an der [X.]urchsetzung seines Auskunftsanspruchs berücksichtigt worden. Soweit in früheren Schriftsätzen vorgetragen worden sei, dass es sich bei den Unterlagen um Verschlusssachen handle, deren Bekanntgabe dem Wohl des [X.] widerspreche, sei damit nicht erklärt worden, dass die Einstufung als solche bereits die Aktenvorlageverweigerung begründe. Es sei "klarzustellen", dass der Einstufung eines [X.]okuments als Verschlusssache ebenso wie der Aufhebung einer Verschlusssacheneinstufung eine eigenständige Beurteilung anhand der Einstufungskriterien vorangehe. Im Rahmen der Aktenvorlage an das Hauptsachegericht habe der Beklagte seinen "Beurteilungsspielraum" auch dahingehend ausgeübt, ob die Verschlusssacheneinstufung aufgehoben werden könne und die entsprechenden Unterlagen mit Teilschwärzungen vorgelegt werden könnten. [X.]ie in der Verschlusssachenanweisung [X.]s festgelegten Voraussetzungen seien dieselben, die § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO für die Abgabe einer [X.] benenne. Insoweit sei das Beibehalten einer Verschlusssacheneinstufung gleichbedeutend mit der Weigerung der Aktenvorlage im Rahmen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

8. Nachdem das Oberverwaltungsgericht den Beklagten unter dem 17. August 2022 und 20. [X.]ezember 2022 gebeten hatte, die [X.]aten im Original vorzulegen, sie "aufzubereiten" und dabei darzustellen, warum der Beklagte davon ausgehe, dass die Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorlägen, hat dieser mit Schriftsatz vom 24. Januar 2023 unter anderem erklärt, aufgrund der elektronischen Aktenführung würden die [X.]aten nicht im Original, sondern als Ausdrucke von elektronischen [X.]okumenten vorgelegt. Spätestens "im Rahmen der (ergänzten) [X.] vom 17. Oktober 2017" sei zu den in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO genannten Voraussetzungen bereits vorgetragen worden. [X.]er Beklagte habe sein Ermessen auch fehlerfrei ausgeübt. Im Verfahren nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO dürften Ermessenserwägungen "ergänzt" werden, wenn die Gründe bereits bei der Abgabe der [X.] vorlägen und der Betroffene dadurch nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt werde. Im vorliegenden Fall seien die materiellen Gründe für die [X.] deckungsgleich mit den Gründen für die Abwägung, dem Kläger die mit dem Auskunftsantrag geforderten [X.]aten nicht zukommen zu lassen. [X.]er Kläger hat darauf unter dem 3. Februar 2023 erwidert.

9. Mit Beschluss vom 20. Februar 2023 hat das Oberverwaltungsgericht den Antrag abgelehnt. [X.]er Antrag des [X.], die Rechtswidrigkeit der [X.] des Beklagten vom 17. Oktober 2017 feststellen zu lassen, sei unbegründet. [X.]ie Verfügung des Berichterstatters des [X.] vom 29. März 2018 stelle eine ausreichende Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit bezüglich der Aktenvorlage dar. [X.]ie [X.] sei auch rechtmäßig. [X.]er Beklagte habe sich zu Recht "in der Sache auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO berufen" und sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Er habe insbesondere erkannt, dass die Gründe, die eine [X.] rechtfertigen könnten, von denjenigen zu unterscheiden seien, die er im Verfahren der Hauptsache zur Verweigerung der Aktenvorlage angeführt habe.

10. Mit seiner am 9. März 2023 eingelegten Beschwerde wendet sich der Kläger gegen den Beschluss des [X.].

II

[X.]ie zulässige Beschwerde hat Erfolg. [X.]ie [X.] des Beklagten ist rechtswidrig, sodass der Beschluss des [X.] aufzuheben ist.

1. [X.]abei geht der Senat davon aus, dass das Verwaltungsgericht die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen in noch ordnungsgemäßer Form bejaht hat (BVerwG, Beschluss vom 5. April 2023 - 20 F 17.22 - Rn. 14 m. w. N.). Es erscheint zweifelhaft, kann aber dahingestellt bleiben, ob der Beklagte die Relevanz einer Einstufung von Akten als [X.] im Verfahren nach § 99 VwGO richtig erkannt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 2017 - 20 F 12.16 - juris Rn. 10) und er dem Oberverwaltungsgericht die Vorlage der [X.] unter Hinweis auf § 13 Abs. 2 LVerfSchG [X.] verweigern durfte.

2. Jedenfalls entspricht die [X.] zum einen bereits nicht den an sie zu stellenden formellen Anforderungen (a); zum anderen fehlt es an einer zeitgerechten Ermessensausübung (b).

a) Gegenstand des vorliegenden Zwischenverfahrens ist die von der obersten [X.]behörde unter dem 11. August 2017 abgegebene Erklärung, die Vorlage der vollständigen Verwaltungsunterlagen zu verweigern (Seite 1 - 2). [X.]arin ist eine als [X.] zu wertende Aussage enthalten, die mit der Klageerwiderung zum Hauptsacheverfahren (Seite 2 - 4) verbunden ist. [X.]ie vom Oberverwaltungsgericht als [X.] angesehene Erklärung des Beklagten vom 17. Oktober 2017 fußt auf ihr, was sich auch aus dessen Aussage im Schriftsatz vom 24. Januar 2023 ableitet, spätestens "im Rahmen der (ergänzten) [X.] vom 17. Oktober 2017" sei zu den Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorgetragen worden. Selbst bei Einbeziehung der Ergänzung vom 17. Oktober 2017 wird die [X.] jedoch nicht den rechtlichen [X.]arlegungs- und Begründungsanforderungen gerecht.

aa) Grundsätzlich muss eine [X.] eine differenzierende Zuordnung der Geheimhaltungsgründe zu den jeweiligen Aktenbestandteilen enthalten (BVerwG, Beschlüsse vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 12, vom 25. Juni 2010 - 20 F 1.10 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 59 Rn. 11, vom 18. April 2012 - 20 F 7.11 - NVwZ 2012, 1488 Rn. 5, vom 13. Februar 2014 - 20 F 11.13 - juris Rn. 11 und vom 21. Januar 2019 - 20 F 9.17 - juris Rn. 12 f.). Sie muss hinreichend deutlich erkennen lassen, auf welche Weigerungsgründe die oberste Aufsichtsbehörde sie stützt (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 20 F 11.13 - juris Rn. 11). Eine konkrete Zuordnung von [X.] durch die oberste Aufsichtsbehörde ist von zentraler Bedeutung, weil der [X.] ausschließlich prüft, ob die von ihr in der [X.] behaupteten Gründe tatsächlich vorliegen; erst durch die [X.]arlegung der konkreten Gründe wird somit effektiver Rechtsschutz ermöglicht (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 12). Eine differenzierende Aufbereitung der Unterlagen - unter Angabe von Blattzahlen, gegebenenfalls auch der Bezifferung von Absätzen oder der Gliederungspunkte eines [X.]okuments - erweist sich nur ausnahmsweise dann als entbehrlich, wenn der Umfang der Unterlagen überschaubar ist und sich bei [X.]urchsicht der Akte die Zuordnung der Geheimhaltungsgründe ohne Weiteres erschließt (BVerwG, Beschluss vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 8 m. w. N.).

bb) In der [X.] vom 11. August 2017 heißt es jedoch lediglich, die Vorlage der Verwaltungsvorgänge werde gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO verweigert, weil die Erkenntnisse als Verschlusssache eingestuft seien und das Bekanntwerden der Akteninhalte dem Wohl des [X.] deshalb Nachteile bereiten würde, weil dies geeignet sei, die künftige Arbeit des [X.]es zu erschweren. Gleichzeitig könnte auf die Identität von Personen geschlossen und deren Leben oder Freiheit gefährdet werden. Es fehlt damit an einer differenzierenden Zuordnung der drei Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu den einzelnen Aktenbestandteilen. Auf eine entsprechende Zuordnung ist auch nicht etwa deshalb zu verzichten, weil der Aktenumfang überschaubar wäre. Ausweislich des dem Verwaltungsgericht vorgelegten Verwaltungsvorgangs sind dort die Seiten 10 - 73 sowie die Seiten 74 - 85 "entnommen (worden) gemäß § 26 Abs. 2 LVerfSchG [X.]", ferner die Seite 000002, sodass neben den Schwärzungen - auf den Seiten 000004 - 000006, 000008 - 000009 - bei insgesamt 77 fehlenden Seiten Zuordnungen zu den einzelnen [X.] fehlen. Hinzu tritt, dass die im Originalvorgang vorgenommene Paginierung nicht durchgehend der des Verwaltungsvorgangs entspricht, der dem Verwaltungsgericht übermittelt worden ist. [X.]ass im Teil 2 des Originalvorgangs enthaltene Inhaltsverzeichnis entspricht zudem nicht dem als Beiakte Nr. 2 dem Verwaltungsgericht übermittelten Inhaltsverzeichnis.

cc) Etwas anderes folgt auch nicht aus der ergänzenden [X.] vom 17. Oktober 2017, weil sie sich ausschließlich zu den fachgesetzlichen [X.] nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LVerfSchG [X.] verhält. [X.]er Schriftsatz des Beklagten vom 2. März 2018 ist vom Beklagten selbst nicht als Ergänzung der [X.] betrachtet worden und verhält sich im Übrigen - soweit er § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO erwähnt - ausschließlich (unter 3.) zur Frage, inwieweit im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse gezogen werden könne.

dd) [X.]ass der Beklagte nach Einleitung des Zwischenverfahrens mit Schriftsatz vom 24. Januar 2023 den Versuch unternommen hat, die Versagungsgründe konkret zuzuordnen, ändert daran ebenfalls nichts. [X.]abei kann offenbleiben, ob auch die [X.]arlegungen dort die Gründe hinreichend konkret belegen; jedenfalls ist die Einbeziehung der dortigen Ausführungen in das fachgerichtliche Verfahren unzulässig. [X.]enn ebenso wie die Ergänzung eines in der [X.] noch nicht angeführten [X.] durch schriftsätzliche Erklärungen unzulässig ist (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2021 - 20 F 9.20 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 96 Rn. 32), verbietet sich erst recht die erstmalige Zuordnung konkreter Verweigerungsgründe zu den Auslassungen oder Schwärzungen durch erläuternde Schriftsätze außerhalb der [X.].

b) Anders als vom Oberverwaltungsgericht angenommen, hat der Beklagte nicht bereits in der (ergänzten) [X.] eine Ermessensentscheidung getroffen.

aa) [X.]ie oberste Aufsichtsbehörde ist im Rahmen einer Prüfung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gefordert, in besonderer Weise die rechtsschutzverkürzende Wirkung der Verweigerung der Aktenvorlage für den Betroffenen zu beachten. [X.]arin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Regelung. [X.]ementsprechend steht ihr selbst in den Fällen ein Ermessen zu, in denen das [X.] es der Fachbehörde nicht einräumt (BVerwG, Beschluss vom 7. April 2020 - 20 F 2.19 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 89 Rn. 31 m. w. N.). Eine darauf bezogene Ermessensentscheidung ist der - insoweit allein maßgeblichen - [X.] indes nicht entnehmbar, selbst wenn der klageerwidernde Teil des Schriftsatzes, in den sie eingebettet wurde, zu ihrer Auslegung mit herangezogen wird (BVerwG, Beschluss vom 5. April 2023 - 20 F 17.22 - Rn. 17 ff.).

bb) [X.]ie [X.] verweist in ihren Ausführungen zur Klageerwiderung ausschließlich auf die Regelungen des [X.]verfassungsschutzgesetzes. [X.]asselbe gilt für die ergänzenden Ausführungen in der ergänzenden Erklärung vom 17. Oktober 2017. [X.]er Beklagte erwähnt zwar im Zusammenhang mit dem [X.]okumententyp [X.] ein vorrangiges Aufklärungsinteresse oder ein schützenswertes Individualinteresse des [X.] oder im Zusammenhang mit dem [X.]okumententyp B ein (weniger) schützenswertes Interesse des [X.] an der Offenlegung; zugleich nimmt er jedoch bezogen auf den [X.]okumententyp A an, dass eine relevante Beschneidung der Sachverhaltsaufklärung nicht ersichtlich sei. [X.]ie rechtlichen Interessen des [X.] stellt er indes allein wegen der fachgesetzlichen Verweigerungsgründe zurück, ohne - wie von § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gefordert - zu erwägen, die streitigen Informationen gleichwohl (teilweise) freizugeben.

[X.]eutlich wird der Ermessensnichtgebrauch durch die - im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 10 Abs. 1 LVerfSchG [X.] anzutreffende - Begründung, über den (fach-)gesetzlich definierten Auskunftsanspruch hinaus bestehe kein Anspruch des [X.], über den Umweg der Einsicht in den Verwaltungsvorgang faktisch eine Übersicht darüber zu halten, von welchen nachrichtendienstlichen Einzelmaßnahmen er betroffen gewesen sei. [X.]amit hat der Beklagte den [X.]harakter des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO als im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen prozessrechtliche Spezialnorm verkannt, die eine Informationsfreigabe auch jenseits fachgesetzlicher Verweigerungsgründe eröffnet (BVerwG, Beschlüsse vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 6 und vom 5. April 2023 - 20 F 17.22 - Rn. 19).

cc) [X.]ass der Beklagte im Schriftsatz vom 29. Mai 2020 erklärt hat, nicht nur das fachgesetzlich, sondern auch das nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO bestehende Ermessen erkannt zu haben, ändert daran nichts. [X.]as Gleiche gilt für seine darin nachträglich angestellten Ermessenserwägungen. Zwar ist eine Ergänzung von Ermessenserwägungen bei § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wie sonst nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht möglich, wenn die neuen Gründe schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2021 - 20 F 9.20 - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 96 Rn. 32 m. w. N.). [X.]a der Beklagte in seiner (ergänzten) [X.] jedoch überhaupt keine Ermessenserwägungen nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO angestellt hat, fehlt es den Ausführungen im Schriftsatz vom 29. Mai 2020 an einem lediglich ergänzenden [X.]harakter. [X.]er vollständige [X.] führt zu einer nicht durch Nachschieben von Gründen heilbaren Rechtswidrigkeit der [X.] (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2007 - 1 [X.] 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 30 und Beschluss vom 26. August 2020 - 20 [X.] - [X.] 310 § 99 VwGO Nr. 90 Rn. 19).

3. [X.]ie Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Meta

20 F 4/23

19.05.2023

Bundesverwaltungsgericht Fachsenat für Entscheidungen nach § 99 Abs 2 VwGO

Beschluss

Sachgebiet: F

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 20. Februar 2023, Az: 13 P 380/18, Beschluss

Art 19 Abs 4 GG, § 154 Abs 1 VwGO, § 99 Abs 1 S 2 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.05.2023, Az. 20 F 4/23 (REWIS RS 2023, 3922)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 3922

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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