Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.07.2021, Az. IX ZR 195/20

9. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 3848

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Gegenstand

Insolvenzanfechtung: Ausschüttung eines Gewinnvortrags an den Alleingesellschafter einer GmbH als Rückzahlung einer wirtschaftlich einem Darlehen entsprechenden Forderung; Auszahlungsverbot bei Unterbilanz


Leitsatz

1. Beschließt der Alleingesellschafter einer GmbH, einen festgestellten Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen, kann der aus einem später gefassten, auf Ausschüttung des Gewinnvortrags gerichteten Gewinnverwendungsbeschluss folgende Zahlungsanspruch eine wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung darstellen.

2. Eine Behandlung als wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung scheidet aus, wenn bereits zum Zeitpunkt des ersten, auf einen Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung gerichteten Gesellschafterbeschlusses eine Gewinnausschüttung nicht vorgenommen werden durfte, weil und soweit die Auszahlung zu diesem Zeitpunkt eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft hätte.

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 15. September 2020 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 31. März 2010 über das Vermögen der [X.] (nachfolgend: Schuldnerin) am 1. Juni 2010 eröffneten Insolvenzverfahren. Die Beklagte war die alleinige Gesellschafterin der Schuldnerin.

2

In der Gesellschafterversammlung der Schuldnerin am 28. September 2009 beschloss die Beklagte nach Feststellung des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2008, den im Geschäftsjahr 2008 erwirtschafteten Jahresüberschuss in Höhe von 246.178,14 € auf neue Rechnung vorzutragen. Mit weiterem Gesellschafterbeschluss vom 1. Dezember 2009 beschloss die Beklagte für das Geschäftsjahr 2008 einen Gewinn in Höhe von 200.000 € auszuschütten. Am 9. Dezember 2009 überwies die Schuldnerin der Beklagten einen Betrag von 200.000 €.

3

Der auf Zahlung von 200.000 € gerichteten Klage ist in den Vorinstanzen stattgegeben worden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 200.000 € aus § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. Der Gewinn des Geschäftsjahrs 2008 sei durch den Gewinnvortrag vorübergehend bei der [X.] verblieben und in den verteilungsfähigen Gewinn übergegangen; die Beklagte habe es als Alleingesellschafterin aber jederzeit in der Hand gehabt, eine Gewinnverteilung tatsächlich durchzuführen. Mit der Ausschüttung des [X.] an die Beklagte sei eine Forderung aus einer Rechtshandlung zurückgewährt worden, die einem [X.]erdarlehen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] wirtschaftlich entspreche. Im Fall eines [X.] einer GmbH sei der sachliche Anwendungsbereich des § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] eröffnet, wenn der [X.]er der [X.] durch einen Gewinnvortrag auf neue Rechnung liquide Mittel zur Verfügung stelle. Bei der gebotenen rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise habe dies für die [X.] dieselben Folgen wie eine Auszahlung des Gewinns an den [X.]er verbunden mit einer anschließenden vorübergehenden Zurverfügungstellung des ausgezahlten Betrags an die [X.]. Zwar entstehe der Gewinnanspruch des [X.]ers erst mit dem [X.]. Der Alleingesellschafter könne aber jederzeit seinen Ausschüttungswillen durchsetzen, so dass durch geschickte Beschlussfassung das Anfechtungsrisiko des § 135 [X.] umgangen werden könne. Dies habe der Gesetzgeber des am 1. November 2008 in [X.] getretenen [X.] des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. Oktober 2008 ([X.]) nicht gewollt.

II.

6

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Die Gewinnausschüttung an die Beklagte in Höhe von 200.000 € unterliegt als Rückführung einer einem Darlehen wirtschaftlich entsprechenden Forderung gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] der Anfechtung.

7

1. Die Vorschriften in § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] unterwerfen neben Forderungen auf Rückgewähr eines [X.]erdarlehens auch Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, dem insolvenzrechtlichen Nachrang und damit der Insolvenzanfechtung. Die Generalklausel der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit soll die Rechtsprechung in den Stand setzen, sämtliche nicht ausdrücklich vom Wortlaut des Gesetzes erfasste, jedoch einem [X.]erdarlehen vergleichbare Sachverhalte entsprechend zu beurteilen ([X.], Urteil vom 27. Juni 2019 - [X.], [X.]Z 222, 283 Rn. 22). Für eine Forderung, die einem Darlehen wirtschaftlich entspricht, ist eine Rechtshandlung erforderlich, die in gleicher Weise wie ein Darlehen Finanzierungsfunktion hat. Entscheidend ist, dass der [X.] wie bei einem Darlehen zeitweise ein Kapitalwert zur Nutzung überlassen wird ([X.], Urteil vom 22. Oktober 2020 - [X.], [X.], 2409 Rn. 11 f, 16). Der Nachrang beruht auf der Bereitschaft des [X.]ers, der [X.] auf Zeit Mittel zur Finanzierung zur Verfügung zu stellen. Dies richtet sich nicht nach der rechtlichen Form etwaiger Geldgeschäfte zwischen [X.] und [X.]er, sondern nach der wirtschaftlichen Funktion des Geschäfts ([X.], Urteil vom 27. Juni 2019, aaO Rn. 23 mwN).

8

2. Nach diesen Maßstäben unterliegt die Auszahlung eines Gewinns an den Alleingesellschafter einer GmbH als Rückzahlung einer wirtschaftlich einem Darlehen entsprechenden Forderung der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.], wenn der nunmehr ausgeschüttete Gewinn zuvor aufgrund einer Finanzierungsentscheidung des [X.]ers auf neue Rechnung vorgetragen worden war.

9

a) Der Senat hat bereits entschieden, dass eine darlehensgleiche Forderung vorliegt, wenn durch einen [X.] ein Anspruch des [X.]ers auf Ausschüttung des Gewinns der [X.] begründet und die Gewinnforderung nicht zeitnah ausgeschüttet, sondern über einen längeren Zeitraum auf einem Kapitalkonto des Kommanditisten stehen gelassen wird ([X.], Urteil vom 17. Dezember 2020 - [X.], [X.], 93 Rn. 13 mwN). Denn ungeachtet des Entstehungsgrunds entsprechen einem Darlehen alle aus sonstigem Rechtsgrund herrührenden Forderungen, die der [X.] rechtlich oder rein faktisch gestundet werden, weil eine Stundung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Darlehensgewährung bewirkt ([X.], Urteil vom 17. Dezember 2020, aaO Rn. 12).

b) Die in der Literatur und obergerichtlichen Rechtsprechung streitige Frage, ob auch die Ausschüttung eines [X.] an einen [X.]er als Befriedigung einer darlehensgleichen Forderung zu qualifizieren ist und damit der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] unterliegt, hat der Senat zuletzt offengelassen ([X.], Urteil vom 17. Dezember 2020, aaO Rn. 30).

aa) Nach einer verbreiteten Auffassung kann die Ausschüttung an den [X.]er bei Auflösung eines [X.] mangels wirtschaftlicher Vergleichbarkeit nicht als Rückgewähr einer darlehensgleichen Forderung angesehen werden. Die Bestimmungen der § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] seien nur auf die Überlassung von Fremdkapital, nicht auf die Überlassung von Eigenkapital anwendbar. Erst mit dem Beschluss der [X.]er, den Gewinn auszuschütten, entstehe eine unentziehbare Forderung des einzelnen [X.]ers, die in der Bilanz der [X.] als Fremdkapital ausgewiesen werden könne. Bis dahin sei der Gewinnvortrag ein Bilanzposten des Eigenkapitals der [X.], das durch zukünftige Verluste der [X.] aufgezehrt werden könne. Eine analoge Anwendung der § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] scheitere am Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke; aus den Erwägungen des Gesetzgebers bei der Einführung des [X.] des GmbH-Rechts und zur Vermeidung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008 erschließe sich, dass die Insolvenzanfechtung nach § 135 [X.] auf die [X.]erfremdfinanzierung habe beschränkt werden sollen. Zudem bestehe kein Bedarf für eine analoge Anwendung der § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.], da der Eigenkapitalschutz durch die speziellen Vorschriften der §§ 30, 31 GmbHG, die Haftung der Geschäftsführer nach § 64 GmbHG aF beziehungsweise § 15b [X.] nF sowie die Grundsätze über den existenzvernichtenden Eingriff gewährleistet sei (vgl. [X.], [X.], 452, 453 f; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 19. Aufl., § 39 Rn. 53; Graf-Schlicker/Neußner, [X.], 5. Aufl., § 135 Rn. 9 f; Rowedder/[X.]-Leithoff/[X.], GmbHG, 6. Aufl., [X.]. § 30 Rn. 86; [X.]/[X.]/[X.], GmbHG, 22. Aufl., [X.]. § 64 Rn. 83a; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], GmbHG, 3. Aufl., § 29 Rn. 190; Menkel, [X.] 2014, 982, 983 f; [X.]/[X.], GmbHR 2016, 962, 963; Priester, GmbHR 2017, 1245 ff; [X.], [X.] 2017, 51 ff; [X.], [X.], 455 f; [X.]/[X.], [X.] 2017, 1957).

bb) Nach anderer Auffassung liegt eine darlehensgleiche Forderung vor, wenn die [X.]er durch einen Gewinnvortrag auf neue Rechnung der [X.] liquide Mittel zur Verfügung stellen. Durch den Gewinnvortrag auf neue Rechnung verbleibe der Gewinn bis zum nächsten [X.] vorübergehend bei der [X.]. Auch wenn der Gewinnanspruch des [X.]ers sich erst mit dem auf Ausschüttung gerichteten [X.] zu einem der Höhe nach bestimmbaren Gläubigerrecht verfestige, sei er schon vorher als mitgliedsrechtlicher Anspruch gemäß § 29 GmbHG begründet. Außerdem bestehe ein Wertungswiderspruch im Hinblick darauf, dass im Insolvenzfall [X.]erdarlehen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.]) gegenüber dem Eigenkapital (§ 199 [X.]) privilegiert würden, aber im [X.] die Rückführung von zurückgezahlten [X.]erdarlehen zur Masse leichter möglich sei als die Rückführung von Eigenkapitalausschüttungen (vgl. [X.]/Hirte, [X.], 15. Aufl., § 39 Rn. 38; MünchKomm-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 39 Rn. 73; HK-[X.]/[X.], 10. Aufl., § 135 Rn. 29; [X.] in [X.]/[X.]/Lübbe, GmbHG, 3. Aufl., [X.]. § 30 Rn. 58; [X.]/Bitter, GmbHG, 12. Aufl., [X.]. § 64 Rn. 231 ff; ders., [X.], 146, 153 f; [X.], [X.], 165, 167 f; [X.], [X.] 2009, 474, 492 f; ders., [X.], 1255 ff; [X.], Z[X.] 2014, 1544, 1546 f; [X.], [X.], 545, 549; ausdrücklich beschränkt auf den Alleingesellschafter einer GmbH bzw. den Mehrheitsgesellschafter: [X.], Z[X.] 2013, 2168, 2169 f; [X.], [X.], 1795 f; [X.], [X.], 2126, 2129 f).

cc) Der Senat entscheidet die streitige Frage dahingehend, dass die Ausschüttung eines [X.] an den Alleingesellschafter einer GmbH als Rückgewähr einer darlehensgleichen Forderung der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] unterliegt. Indem sich der [X.]er bei der Fassung des [X.]es entscheidet, den Jahresgewinn nicht auszuschütten, sondern auf neue Rechnung vorzutragen, trifft er - wie bei der Gewährung eines Darlehens - eine Finanzierungsentscheidung zugunsten der [X.].

(1) Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 GmbHG haben die [X.]er Anspruch auf den Jahresüberschuss zuzüglich eines [X.] und abzüglich eines Verlustvortrags, soweit der sich ergebende Betrag nicht nach Gesetz oder [X.]svertrag, durch Beschluss nach § 29 Abs. 2 GmbHG oder als zusätzlicher Aufwand auf Grund des Beschlusses über die Verwendung des Ergebnisses von der Verteilung unter die [X.]er ausgeschlossen ist. Gemäß § 29 Abs. 2 GmbHG können [X.]er im [X.] einen Betrag als Gewinn auf das nächste Geschäftsjahr vortragen. Der Gewinnvortrag steht mit dem Ergebnis des nächsten Geschäftsjahrs im Rahmen des neuen [X.]es wieder zur Disposition der [X.]er, ohne dass es der vorherigen Auflösung durch [X.]erbeschluss bedarf. Aber auch schon zuvor kann - sofern gesellschaftsvertraglich nichts anderes bestimmt ist - jederzeit durch einen Änderungsbeschluss eine Auflösung des [X.] und Ausschüttung des Betrags an die [X.]er bewirkt werden.

Der [X.]er überlässt der [X.] beim Vortrag des Gewinns auf neue Rechnung, wie bei einem Darlehen, vorübergehend Kapital und verschafft ihr temporär Liquidität. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise macht es beim Alleingesellschafter einer GmbH keinen Unterschied, ob ein von der [X.] erwirtschafteter Gewinn zunächst an den [X.]er ausgeschüttet und anschließend wieder als [X.]erdarlehen zur Verfügung gestellt wird oder der Gewinn gemäß § 29 Abs. 2 GmbHG auf neue Rechnung vorgetragen wird. Erst recht macht es keinen Unterschied, ob der erwirtschaftete Gewinn nach Fassung eines [X.] stehengelassen wird (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 17. Dezember 2020 - [X.], [X.], 93 Rn. 13) oder erst auf neue Rechnung vorgetragen wird und ein Ausschüttungsbeschluss später gefasst wird. Stets stehen die Mittel der [X.] zum Wirtschaften oder zur Vornahme von Investitionen zur Verfügung. Der [X.]er entscheidet sich in allen diesen Fällen dafür, der [X.] eine Finanzierungsquelle für die weitere Geschäftstätigkeit zu überlassen, die ihm mittelbar über seine Stellung als [X.]er zugutekommt (vgl. [X.], Urteil vom 27. Juni 2019 - [X.], [X.]Z 222, 283 Rn. 25).

Die in dem Beschluss nach § 29 Abs. 2 GmbHG liegende Finanzierungsentscheidung des [X.]ers fällt in den Anwendungsbereich der § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. Die vom Gesetzgeber gewählte Form einer Generalklausel soll die Erfassung gerade jener Sachverhalte ermöglichen, welche einer Darlehensgewährung durch einen [X.]er wirtschaftlich entsprechen und daher im Interesse des Gläubigerschutzes den gleichen Rechtsfolgen unterworfen werden müssen ([X.], Urteil vom 27. Juni 2019, aaO Rn. 22). Bei ihrer Auslegung ist Vorsorge dagegen zu treffen, dass der [X.]er das mit einer Darlehensgewährung verbundene Risiko auf die Gemeinschaft der [X.]sgläubiger abwälzt ([X.], Urteil vom 21. Februar 2013 - [X.], [X.]Z 196, 220 Rn. 12). Die Rechtsfolgen des § 135 Abs. 1 Nr. 2 [X.] dürfen nicht durch die Wahl einer bestimmten rechtlichen Konstruktion unterlaufen werden ([X.], Urteil vom 21. Februar 2013, aaO Rn. 31). Der Alleingesellschafter einer GmbH kann aber jederzeit eine von ihm gewünschte Gewinnverteilung beschließen oder abändern und durch die Vornahme eines [X.] und dessen späterer Ausschüttung das Risiko einer Insolvenzanfechtung wegen Rückzahlung eines [X.]erdarlehens umgehen.

(2) Aus dem Umstand, dass ein selbständiger Gewinnauszahlungsanspruch des [X.]ers erst mit der Feststellung des Jahresabschlusses und der Fassung des auf Ausschüttung gerichteten [X.]es entsteht, folgt nichts Gegenteiliges. Der Auszahlungsanspruch der Beklagten ergibt sich aus dem Ausschüttungsbeschluss vom 1. Dezember 2009. Dieser Anspruch ist darlehensgleich, weil ihm der [X.] vom 28. September 2009 vorausging und die Beklagte mit diesem Beschluss eine Finanzierungsentscheidung zugunsten der [X.] traf.

Zwar trifft es zu, dass der Gewinnauszahlungsanspruch des [X.]ers einer GmbH erst mit und durch einen auf Ausschüttung des Gewinns gerichteten [X.] entsteht. Erst ab diesem Zeitpunkt wird der [X.] als selbständiger schuldrechtlicher Anspruch dem Vermögen des [X.]ers zugeordnet und kann ihm auch durch Mehrheitsbeschluss nicht mehr gegen seinen Willen entzogen werden ([X.], Urteil vom 14. September 1998 - [X.], [X.]Z 139, 299, 302 f). Vor der Fassung eines auf Gewinnausschüttung gerichteten Verwendungsbeschlusses ist damit kein dem einzelnen [X.]er zuzuordnendes Fremdkapital vorhanden, welches der [X.]er der [X.] überlassen und als Verbindlichkeit der [X.] in der Bilanz verbucht werden könnte (§ 266 Abs. 3 C. HGB). Bei dem Gewinnvortrag handelt es sich bilanziell um Eigenkapital der [X.] (§ 266 Abs. 3 A. IV HGB). Er kann durch spätere Verluste der [X.] wieder aufgezehrt werden und steht dann für eine Ausschüttung an die [X.]er nicht mehr zur Verfügung. Sowohl bei dem als Eigenkapital zu verbuchenden Gewinnvortrag als auch bei dem als Fremdkapital zu verbuchenden (noch nicht ausgezahlten) Gewinnauszahlungsanspruch des [X.]ers handelt es sich aber jeweils um Positionen auf der Passivseite der Bilanz. Beiden Bilanzpositionen ist gemein, dass sie die Finanzierungsquellen der [X.] ausweisen (vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.]/Thiele, Bilanzrecht, 2015, § 266 HGB Rn. 22.3).

Die Regelungen in § 135 Abs. 1 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] setzen die Überlassung von Fremdkapital weder ihrem Wortlaut noch ihrem Sinn und Zweck nach voraus. So liegt zwar regelmäßig eine darlehensgleiche Forderung vor, wenn der [X.]er der [X.] aus seinem Vermögen vorübergehend einen Geldbetrag zur Verfügung stellt und sich [X.]er und [X.] von vornherein darüber einig waren, dass die [X.] das Geld zurückzuzahlen habe ([X.], Urteil vom 27. Juni 2019 - [X.], [X.]Z 222, 283 Rn. 30); in einem derartigen Fall ist der Rückforderungsanspruch des [X.]ers bilanziell als Fremdkapital zu verbuchen. Dies schließt aber nicht aus, dass die vorübergehende Überlassung von [X.] wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehen kann. Entscheidend ist, dass der [X.]er seiner [X.] einen ohne seine Handlung sonst im Vermögen der [X.] nicht vorhandenen Geldbetrag verschafft oder belassen hat und die [X.] hierdurch über zusätzliche finanzielle Mittel verfügt ([X.], Urteil vom 27. Juni 2019, aaO). Als darlehensgleich kann eine Forderung daher auch zu beurteilen sein, wenn der [X.]er einen fälligen Anspruch darlehensfremder Art nicht gegen die [X.] geltend macht, insbesondere im Fall einer rechtlichen oder faktischen Stundung ([X.], Urteil vom 22. Oktober 2020 - [X.], [X.], 2409 Rn. 12 mwN).

Dem entspricht der Fall bei der Entscheidung des [X.] einer GmbH, nach Feststellung des Jahresabschlusses den erzielten Gewinn nicht sogleich auszuschütten, sondern auf neue Rechnung vorzutragen. Denn mit dem Ablauf des Geschäftsjahrs wird bereits ein mitgliedschaftlicher Anspruch des [X.]ers auf Feststellung des Jahresabschlusses und Fassung eines [X.]es begründet. Aufgrund des Gewinnstammrechts ist der Gewinnanspruch des [X.]ers dem Grunde nach gemäß § 29 GmbHG bereits dann angelegt, wenn die [X.] Gewinne erzielt hat und der [X.]er nach den gesetzlichen und gesellschaftsvertraglichen Verteilungsregeln daran teilhat. Sieht er gleichwohl von einer Ausschüttung ab und trägt den Gewinn auf neue Rechnung vor, überlässt er der [X.] finanzielle Mittel zur weiteren Nutzung und verbessert so die finanzielle Leistungsfähigkeit der [X.]. Denn der tragende Grund der Nachrangigkeit im Insolvenzfall liegt darin, dass der [X.]er mit seiner Finanzierungsentscheidung die Kapitalausstattung der eigenen [X.] verbessert hat (vgl. [X.], Urteil vom 27. Juni 2019 - [X.], [X.]Z 222, 283 Rn. 24).

(3) Der rechtlichen Einordnung der Forderung der Beklagten aufgrund des [X.] vom 1. Dezember 2009 als wirtschaftlich einem [X.]erdarlehen entsprechende Forderung stehen keine anderen Gründe entgegen.

(a) Bei der Forderung handelt es sich nicht um eine erzwungene Stundung. Insbesondere hat keine der Parteien geltend gemacht, dass einer Ausschüttung des Gewinns bereits im Zeitpunkt des Beschlusses vom 28. September 2009 die Regelungen der §§ 30, 31 GmbHG entgegengestanden hätten.

Der Gewinnauszahlungsanspruch des [X.]ers findet in §§ 30, 31 GmbHG seine Grenze. Erleidet die [X.] nach dem Bilanzstichtag, aber vor der Beschlussfassung über die Ergebnisverwendung Verluste, so dass ein nach dem festgestellten Jahresabschluss ausschüttungsfähiger Gewinn im Zeitpunkt des Verwendungsbeschlusses ganz oder teilweise nur noch unter Verstoß gegen § 30 Abs. 1 GmbHG ausgeschüttet werden könnte, ist der auf vollständige Ausschüttung des nach dem Jahresabschluss ausschüttungsfähigen Gewinns gerichtete [X.] gleichwohl wirksam. Jedoch ist die Ausschüttung an die [X.]er wegen §§ 30, 31 GmbHG so lange und so weit gehemmt, bis eine Ausschüttung wieder möglich ist, ohne das Stammkapital anzutasten (vgl. [X.]/Verse, GmbHG, 12. Aufl., § 29 Rn. 50; MünchKomm-GmbHG/Ekkenga, 3. Aufl., § 29 Rn. 162, 112; [X.]/[X.]/[X.], GmbHG, 22. Aufl., § 29 Rn. 56; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], GmbHG, 3. Aufl., § 30 Rn. 118; vgl. auch [X.], Urteil vom 29. September 1977 - [X.], [X.]Z 69, 274, 281; Urteil vom 29. Mai 2000 - [X.], [X.]Z 144, 336, 340).

Kann eine Gewinnausschüttung trotz eines entsprechenden [X.]es wegen §§ 30, 31 GmbHG nicht vorgenommen werden, ist dies mit einer erzwungenen Stundung des Gewinnauszahlungsanspruchs des [X.]ers vergleichbar. Der [X.]er trifft in diesem Fall keine freiwillige Entscheidung, der [X.] das Kapital weiter zu belassen; er ist vielmehr wegen §§ 30, 31 GmbHG daran gehindert, eine Auszahlung an sich durchzusetzen. Dann stellt das Stehenlassen des Gewinnauszahlungsanspruchs keine Rechtshandlung dar, die einem [X.]erdarlehen wirtschaftlich entspricht.

Lässt der [X.]er hingegen seine nach Fassung eines [X.]es entstandene Forderung gegen die [X.] auf Auszahlung stehen, obwohl eine Auszahlung ohne Verstoß gegen §§ 30, 31 GmbHG vorgenommen werden könnte, kann eine Umwandlung des Gewinnauszahlungsanspruchs in ein Darlehen im Sinne des § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] vorliegen. Der [X.]er hätte in diesem Fall auch die Auszahlung verlangen und den Betrag anschließend der [X.] als echtes Darlehen wieder zur Verfügung stellen können (vgl. [X.], Urteil vom 29. September 1977 - [X.], [X.]Z 69, 274, 281 zur Rückzahlung der Pflichteinlage; vom 17. Dezember 2020 - [X.], [X.], 93 Rn. 13).

Entsprechendes gilt, wenn der Alleingesellschafter einer GmbH einen Beschluss nach § 29 Abs. 2 GmbHG fasst, den Gewinn auf neue Rechnung vorzutragen. Auch hier fehlt es an einer Rechtshandlung, die einem Darlehen wirtschaftlich entspricht, wenn der [X.]er - hätte er die Ausschüttung des Betrags beschlossen - an der Auszahlung wegen §§ 30, 31 GmbHG gehindert gewesen wäre.

Im Streitfall standen die Regelungen der §§ 30, 31 GmbHG nach dem unstreitigen Sachvortrag der Parteien einer Ausschüttung des Gewinns zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 28. September 2009 nicht entgegen. Auch die Beklagte, die sich gegen die Inanspruchnahme nach § 143 Abs. 1 Satz 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 [X.] verteidigt, hat nicht behauptet, dass eine Auszahlung am 28. September 2009 aufgrund der damaligen bilanziellen Situation der Schuldnerin eine Unterbilanz herbeigeführt oder vertieft hätte. Sie ist im Gegenteil auch der Behauptung des [X.], im Zeitpunkt der Auszahlung der 200.000 € am 9. Dezember 2009 habe eine Unterbilanz der [X.] bestanden, entschieden entgegengetreten. Schließlich ergeben sich weder aus dem zum 31. Dezember 2008 festgestellten Jahresabschluss noch aus dem [X.] vom 28. September 2009 Indizien, dass eine Unterbilanz bereits im September 2009 bestanden hat. Die Beklagte hat damit mit dem Beschluss vom 28. September 2009, den Gewinn des Geschäftsjahrs 2008 auf neue Rechnung vorzutragen, vergleichbar einer Darlehensgewährung eine Finanzierungsentscheidung zugunsten der Schuldnerin getroffen.

(b) Ebenso wenig steht der rechtlichen Einordnung als wirtschaftlich einem Darlehen entsprechende Forderung entgegen, dass zwischen den Parteien streitig und vom Berufungsgericht offengelassen worden ist, ob durch die Auszahlung am 9. Dezember 2009 eine Unterbilanz der [X.] herbeigeführt oder vertieft wurde. Die Frage, ob deswegen Ansprüche aus §§ 30, 31 GmbHG bestanden, kann vorliegend offenbleiben. Sind die Voraussetzungen für die Einordnung des Gewinnanspruchs als wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehende Forderung - wie im Streitfall - erfüllt, führt dies zur Anfechtbarkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. Selbst wenn die Auszahlung nur unter Verwendung des Stammkapitals möglich war, ändert dies nichts daran, dass die Forderung, auf die gezahlt wurde, eine nachrangige Insolvenzforderung nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 [X.] war und bleibt. Die Befriedigung ist daher anfechtbar. Ob und unter welchen Voraussetzungen in einem solchen Fall der lediglich wirtschaftlich einem Darlehen gleichstehenden Forderung daneben ein Anspruch auf Rückgewähr des ausgezahlten Betrags nach §§ 30, 31 GmbHG in Betracht kommt (vgl. für echte Fremdverbindlichkeiten: [X.], Urteil vom 29. September 1977 - [X.], [X.]Z 69, 274, 281 und jedenfalls insoweit auch § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG), kann dahinstehen. Würde ein solcher Anspruch aus §§ 30, 31 GmbHG bestehen, würde er neben den insolvenzrechtlichen [X.] treten und ihn keinesfalls ausschließen. Dies ergibt sich auch nicht aus § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG. Die Beklagte wäre deswegen in einem solchen Fall der Anspruchskonkurrenz - sofern und soweit ein Auszahlungsverbot erst zum Zeitpunkt der Ausschüttung am 9. Dezember 2009 bestanden haben sollte - zur Rückzahlung der Ausschüttung verpflichtet, sei es nach § 31 GmbHG, sei es aufgrund der erfolgreichen Anfechtung nach § 143 [X.].

(c) Die Entscheidung des [X.] vom 28. Januar 2020 ([X.], [X.]Z 224, 235) steht dem nicht entgegen. Die Entscheidung betrifft die Frage, ob eine Abfindungsforderung eines vor der Insolvenz der [X.] ausgeschiedenen [X.]ers als (nachrangige) Insolvenzforderung zur Tabelle festgestellt werden kann oder ob dem ihre kapitalerhaltungsrechtliche Bindung nach §§ 30, 31 GmbHG analog entgegensteht. Im Streitfall geht es hingegen um die Anfechtbarkeit einer vor Insolvenzeröffnung erfolgten Befriedigung einer Forderung eines [X.]ers aufgrund eines [X.].

Schoppmeyer     

      

Möhring     

      

Röhl   

      

Selbmann     

      

Harms     

      

Meta

IX ZR 195/20

22.07.2021

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Bamberg, 15. September 2020, Az: 5 U 75/20

§ 39 Abs 1 Nr 5 InsO, § 135 Abs 1 Nr 2 InsO, § 29 Abs 2 GmbHG, § 30 Abs 1 S 1 GmbHG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.07.2021, Az. IX ZR 195/20 (REWIS RS 2021, 3848)

Papier­fundstellen: WM2021,1704 MDR 2021, 1291-1292 NJW 2021, 3532 REWIS RS 2021, 3848

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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