Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.12.2010, Az. 4 B 49/10

4. Senat | REWIS RS 2010, 537

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Gegenstand

Revision bei mangelhafter Wiedergabe des tatsächlichen Vorbringens


Gründe

I.

1

Das Oberverwaltungsgericht hat dem Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Erteilung einer [X.]augenehmigung für ein [X.] im Außenbereich abgesprochen, weil das Vorhaben dem Gartenbaubetrieb des [X.] nicht diene. Der Kläger könne den Wohnbedarf für sich und seine Familie im Erdgeschoss des vorhandenen Wohnhauses P.weg 4 decken. Ihm stehe nach § 7 eines mit seinen im Obergeschoss lebenden Eltern geschlossenen Vertrages ein Recht auf dauernde Nutzung der bisher genutzten Räume im Erdgeschoss zu. Der Kläger nutze derzeit sowohl den Wohntrakt als auch die als Lager bezeichneten Räume im Erdgeschoss. Er habe im Ortstermin erklärt, dass im westlichen [X.] eine betriebliche Nutzung (Abstellraum, Kühlhaus) stattfinde und in einem weiteren Trakt sechs Monate im Jahr Saisonarbeitskräfte wohnten. [X.]ei den gemäß den Angaben des [X.] aus einem Schlafzimmer, einer Küche, einem Wohnraum und einem [X.]adezimmer bestehenden weiteren Trakt handele es sich offenkundig um den [X.] zu Wohnzwecken umgenutzten östlichen Teil des Erdgeschosses. Dem entsprechend enthalte der Vertrag einen Nebensatz, wonach die "bisher genutzten Räume" sämtliche Räume im Erdgeschoss seien. Die vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vertretene Auslegung der vertraglichen Vereinbarung im Sinne einer [X.]eschränkung auf den westlichen Teil des Erdgeschosses verkürze die "bisherige (eigene) Nutzung" auf eine solche im engeren Sinne, welche die Unterbringung von Saisonarbeitskräften als Nutzungsform unberücksichtigt lasse. Für ein solches Verständnis spreche weder der Wortlaut der Vereinbarung noch der vom Kläger mitgeteilte [X.] der Eltern, für den das Obergeschoss ausreichend sei. Soweit die Unterbringung von Saisonarbeitern in einigen Erdgeschossräumen ein ganzjähriges Wohnen des [X.] und seiner Familie in tatsächlicher Hinsicht ausschließe, habe er es in der Hand, die Arbeitskräfte auf ein Wohnen in der Ortslage zu verweisen und Zugriff auf die Räumlichkeiten zu nehmen. Auf der Gesamtgrundfläche des Erdgeschosses von ca. 193 qm könne der Wohnbedarf der vierköpfigen Familie des [X.] gedeckt werden.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision richtet sich die [X.]eschwerde des [X.].

II.

3

Die [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

4

1. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen der geltend gemachten Verfahrensmängel zuzulassen.

5

a) Der Kläger greift die Feststellung des [X.] als unzutreffend an, er habe im Ortstermin erklärt, dass im westlichen [X.] eine betriebliche Nutzung (Abstellraum, Kühlhaus) stattfinde und in einem weiteren Trakt sechs Monate im Jahr Saisonarbeitskräfte wohnten ([X.]). Tatsächlich seien die Saisonarbeiter im westlichen [X.] untergebracht und gehörten die übrigen Erdgeschossräume zum Wohnbereich seiner Eltern. Der Kläger bewertet die Unterstellung von Erklärungen, die er nicht abgegeben habe, als Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

6

Der geltend gemachte Verfahrensmangel ist nicht dargelegt. Die Rüge angeblich unrichtiger tatsächlicher Feststellungen des angefochtenen Urteils zum Vorbringen eines [X.] und deren Würdigung durch das [X.]erufungsgericht richten sich gegen dessen Rechtsfindung, nicht gegen das prozessuale Verfahren. Etwaige Unrichtigkeiten oder Lücken bei der Wiedergabe des tatsächlichen Vorbringens des [X.] können ohne Rücksicht darauf, in welchem Teil des [X.]erufungsurteils sie sich befinden (Urteil vom 21. September 2000 - [X.]VerwG 2 [X.] 5.99 - [X.] 237.1 Art. 86 [X.] Nr. 10 S. 4 f.), nicht als Verfahrensmangel geltend gemacht werden, sondern nur durch einen fristgebundenen Antrag auf [X.]erichtigung oder Ergänzung des Urteils nach Maßgabe der §§ 119, 120 VwGO; sie können deswegen auch nicht zur Zulassung der Revision wegen eines [X.] führen (stRspr; vgl. [X.]eschlüsse vom 9. Juni 1970 - [X.]VerwG 6 [X.] 22.69 - [X.] 310 § 132 VwGO Nr. 62, vom 21. Dezember 1973 - [X.]VerwG 6 [X.][X.] 172.73 - [X.] 448.0 § 25 [X.] Nr. 67, vom 16. November 1992 - [X.]VerwG 11 [X.] 65.92 - [X.] 310 § 158 VwGO Nr. 6 und vom 14. April 1999 - [X.]VerwG 2 [X.] 1.98 - juris Rn. 5).

7

b) Auch die [X.], das Oberverwaltungsgericht habe seine Hinweis- und Erörterungspflicht (§ 86 Abs. 3, § 104 Abs. 1 VwGO), den Anspruch des [X.] auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO) und die Pflicht zur Klärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt, verhelfen der [X.]eschwerde nicht zum Erfolg.

8

Der Senat ist an die vorinstanzliche Feststellung gebunden, der Kläger habe im Ortstermin erklärt, dass im westlichen [X.] eine betriebliche Nutzung (Abstellraum, Kühlhaus) stattfinde und in einem weiteren Trakt sechs Monate im Jahr Saisonarbeitskräfte wohnten. Ob die [X.]indung entfiele, wenn der Inhalt des [X.]erufungsurteils dem Inhalt des Protokolls über die Ortsbesichtigung widerspräche - bei einem Widerspruch zwischen [X.] und Sitzungsprotokoll geht letzteres gemäß § 314 Satz 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO vor und nimmt dem Tatbestand insoweit die [X.]eweiskraft (Urteil vom 6. Oktober 1982 - [X.]VerwG 7 [X.] 17.80 - [X.] 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 26) -, kann offen bleiben. Denn ein Widerspruch liegt nicht vor. Im Protokoll über die Ortsbesichtigung heißt es, soweit es vorliegend darauf ankommt: "Im westlichen Erdgeschoss liegt der frühere '[X.]inderaum'. Dieser wird seit Jahren als Abstellraum genutzt. [X.] ist das Kühlhaus (für Frühlings- und Sommerblumen und Gemüse). Außerdem bewohnen zwei Saisonarbeitskräfte sechs Monate im Jahr einen weiteren Trakt im Erdgeschoss, bestehend aus einem Schlafzimmer mit Küche, einem Wohnraum und einem [X.]adezimmer." Davon abweichende Feststellungen enthält das [X.]erufungsurteil nicht. Protokoll und Urteil unterscheiden sich nur insoweit, als das Protokoll die Erkenntnisquelle nicht nennt. Im Übrigen ist für den Senat nicht ernstlich zweifelhaft, dass die tatrichterlichen Feststellungen im Protokoll auf eine entsprechende Darstellung des [X.] zurückgehen. Es liegt fern, dass die Information von jemand anderem am Ortstermin [X.]eteiligten stammt. Hätte ein anderer als der Kläger Auskunft erteilt, hätte er in der [X.]eschwerdebegründung benannt werden können; denn der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter haben am Ortstermin teilgenommen. Für die inhaltliche Richtigkeit des Protokolls spricht, dass der Kläger nach Erhalt keine Einwände erhoben hat.

9

Wenn die Nutzung der einzelnen Erdgeschossräume vom Kläger im Ortstermin selbst beschrieben worden ist, brauchte die mit der [X.]eweisaufnahme beauftragte Richterin das Gebäudeinnere nicht zusätzlich zu besichtigen. Das Oberverwaltungsgericht musste in der mündlichen Verhandlung auch nicht zu erkennen geben, dass es der [X.]ehauptung, der Wohntrakt im Erdgeschoss gehöre zur elterlichen Wohnung, nicht folgen und § 7 des Vertrages zwischen dem Kläger und seinen Eltern nicht in dem Sinne auslegen werde, dass sich das Nutzungsrecht des [X.] auf den westlichen Teil des Erdgeschosses beschränke und nicht den Wohntrakt im östlichen Teil erfasse. Die Gerichte haben nicht allgemein die Pflicht, die [X.]eteiligten in der mündlichen Verhandlung auf ihre Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des [X.] hinzuweisen; denn die tatsächliche und rechtliche Würdigung ergibt sich regelmäßig erst aufgrund der abschließenden [X.]eratung (vgl. u.a. Urteil vom 13. Mai 1976 - [X.]VerwG 2 [X.] 26.74 - [X.] 237.4 § 35 Hmb[X.]G Nr. 1; [X.]eschluss vom 26. Juni 1998 - [X.]VerwG 4 [X.] 19.98 - ; [X.]VerfG, [X.] vom 10. April 1987 - 1 [X.]vR 883/86 - D[X.] 1987, 2287). Unzulässig sind nur Überraschungsentscheidungen, die auf Gesichtspunkte gestützt werden, mit denen die [X.]eteiligten nicht rechnen konnten ([X.]eschluss vom 8. August 1994 - [X.]VerwG 6 [X.] 87.93 - [X.] 421.0 Prüfungswesen Nr. 335). Das ist hier nicht der Fall. Die Frage, was unter den "bisher genutzten Räumen" im Sinne des § 7 des Vertrages zu verstehen ist, ist in der [X.]erufungsverhandlung angesprochen worden, hat doch der Kläger seine Meinung dazu zu Protokoll gegeben.

2. Die Revision ist ferner nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr der Kläger beimisst. Die Frage,

inwieweit offenkundige Tatsachen ausdrücklich zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden müssen, um sie für die gerichtliche Entscheidung verwerten zu können, wenn die Tatsachen den [X.]eteiligten einerseits nicht mit Sicherheit gegenwärtig sind und sie hiervon auch wissen, dass sie für die Entscheidung erheblich sein können, und andererseits nicht feststeht, dass die [X.]eteiligten keine hinreichende Gelegenheit hatten, auch ohne einen Hinweis auf die fraglichen Tatsachen hierzu Stellung zu nehmen,

würde sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung auf Tatsachen gestützt, die aus der Sphäre des [X.] stammen und die er selbst mitgeteilt hat. Es fehlt also schon an Tatsachen, die dem Kläger "nicht mit Sicherheit gegenwärtig" waren. Der Einwand der Kläger, er habe nicht damit rechnen müssen, dass das Oberverwaltungsgericht davon ausgehe, bei dem aus einem Schlafzimmer, einer Küche, einem Wohnraum und einem [X.]adezimmer bestehenden Trakt handele es sich um den [X.] zu Wohnzwecken umgenutzten östlichen Teil des Erdgeschosses, findet im Sachverhalt keine Stütze. Der Kläger behauptet selbst nicht, dass der Erdgeschossbereich in mehr Trakte aufgeteilt ist als in einen betrieblich genutzten im westlichen und einen zu [X.] genutzten im östlichen Teil. Der Kläger nutzt die Grundsatzrüge, um den Sachverhaltsfeststellungen und der Rechtsanwendung des [X.] seine abweichende Sicht der Dinge entgegenzustellen. Mit seiner auf die Umstände des Einzelfalls zugeschnittenen Kritik am [X.]erufungsurteil lässt sich die grundsätzliche [X.]edeutung der Rechtssache indes nicht darlegen.

Von einer weiteren [X.]egründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.

Meta

4 B 49/10

09.12.2010

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 2. September 2010, Az: 10 A 2805/08, Urteil

§ 119 VwGO, § 120 VwGO, § 132 Abs 2 Nr 3 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 09.12.2010, Az. 4 B 49/10 (REWIS RS 2010, 537)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 537

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