Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.09.2019, Az. 1 StR 240/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2019, 3552

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Gegenstand

Umsatzsteuerhinterziehung: Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 11. Januar 2019 aufgehoben

a) in den Fällen 1. bis 6. der Urteilsgründe (Umsatzsteuerjahreserklärung 2007, Umsatzsteuervoranmeldungen Februar bis Juni 2008) mit den Feststellungen,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in elf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten verurteilt und angeordnet, dass die Strafe [X.] [X.] von sechs Monaten als vollstreckt gilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

3

1. Der Angeklagte war im Tatzeitraum Geschäftsführer der Komplementärin der von ihm betriebenen [X.] (im Folgenden: S.      ) in [X.], deren Unternehmensgegenstand der Metall- und Schrotthandel war, und gab für diese Firma die Umsatzsteuererklärungen ab.

4

In der am 23. Dezember 2008 abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung 2007, in den in der [X.] vom 6. Juni bis 19. November 2008 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate Februar bis September 2008 sowie in den am 12. Oktober 2009 bzw. 11. Dezember 2009 abgegebenen Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate August und Oktober 2009 machte der Angeklagte [X.] als Vorsteuern geltend, die auf von der S.      ausgestellten Gutschriften bzw. Rechnungen der Firmen [X.],                  D.     , [X.], [X.]und [X.] über Schrottlieferungen an die S.      ausgewiesen waren. Tatsächlich lagen diesen Rechnungen bzw. Gutschriften keine Lieferungen der jeweils als Rechnungsaussteller bzw. als Gutschriftenempfänger fungierenden Firmen zu Grunde. Vielmehr dienten die Rechnungen bzw. Gutschriften ausschließlich dazu, die wahren Lieferanten der Schrottlieferungen, welche die S.      tatsächlich erhalten hatte, zu verschleiern. Da es sich somit um Scheinrechnungen und -gutschriften handelte, waren die Vorsteuerabzüge nicht berechtigt. Im gesamten Tatzeitraum verkürzte der Angeklagte zugunsten der S.      2,66 Millionen Euro an Umsatzsteuern, indem er die Umsatzsteuerzahllasten verringerte.

5

2. Das [X.] geht davon aus, dass der Angeklagte spätestens ab Juni 2008 und damit bei der Abgabe der jeweiligen verfahrensgegenständlichen Steueranmeldungen wusste, dass er sich mit den Rechnungen und Gutschriften gegenüber den Steuerbehörden ungerechtfertigte Vorsteuerabzüge verschaffte.

II.

6

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet. Das Urteil hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung teilweise nicht stand.

7

1. In Bezug auf die Fälle 1. bis 6. der Urteilsgründe (Umsatzsteuerjahreserklärung 2007 und Umsatzsteuervoranmeldungen Februar bis Juni 2008) geht das [X.] hinsichtlich der Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG von einem falschen Maßstab aus, so dass der Schuldspruch insoweit keinen Bestand haben kann.

8

a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt dabei voraus, dass der Unternehmer eine nach §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Für die Frage, ob die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug vorliegen, kommt es nicht auf den [X.]punkt der Abgabe der Steueranmeldung, in welcher der Vorsteuerabzug vorgenommen wird, sondern auf den [X.]punkt der Ausführung der Lieferung oder sonstigen Leistung an. Der Vorsteuerabzug ist nur dann nicht berechtigt, wenn der Erklärende selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er an einem Umsatz beteiligt ist, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen ist, und er deshalb als Beteiligter dieser Hinterziehung anzusehen ist ([X.], Urteile vom 6. Juli 2006, Rechtssachen [X.]/04 und [X.]/04 [X.] und Recolta Recyclingʺ, [X.], 1274 Rn. 53, 55 f. und vom 18. Dezember 2014, Rechtssachen [X.]/13 u.a. [X.], [X.], 544 Rn. 50, 62). Eine einmal bestehende Berechtigung zum Vorsteuerabzug fällt nicht deshalb nachträglich weg, weil der Unternehmer später von Umständen Kenntnis erlangt, die einem Vorsteuerabzug entgegengestanden hätten, wenn er sie bereits bei Erhalt der Rechnungen bzw. Gutschriften gekannt hätte (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. September 2015 - 1 StR 239/15 Rn. 12 f.; vom 29. Januar 2015 - 1 [X.] Rn. 15 und vom 1. Oktober 2013 - 1 [X.], [X.]R UStG § 15 Vorsteuerabzug 5 Rn. 13 mwN).

9

b) Das [X.] geht in Bezug auf die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug von einem falschen Maßstab aus, indem es hinsichtlich der Berechtigung zum Vorsteuerabzug nicht auf die Ausführung der Lieferungen, sondern auf den [X.]punkt der Abgabe der jeweiligen Steuererklärungen abstellt. Es nimmt damit an, dass der Angeklagte „spätestens ab Beginn des Monats Juni 2008, mithin vor Abgabe der jeweiligen Erklärungen“ ([X.]) wusste, dass er zu einem Vorsteuerabzug hinsichtlich der Rechnungen der Firmen, bei denen keine tatsächlichen Lieferungen zu Grunde lagen, nicht berechtigt war.

Da das [X.] im Übrigen keine tragfähigen Feststellungen zu den zugrundeliegenden Leistungszeitpunkten und dem Vorstellungsbild des Angeklagten bei den jeweiligen Lieferungen getroffen hat, kann der Senat auch selbst keine näheren Überprüfungen zur Berechtigung zum Vorsteuerabzug vornehmen. Hinzu kommt, dass die Feststellungen des [X.]s zum [X.]punkt der Kenntnisnahme des Angeklagten vom Umstand, dass den ausgestellten Rechnungen und Gutschriften keine tatsächlichen Lieferungen zu Grunde lagen, teilweise auch widersprüchlich sind. So wird einerseits festgestellt, dass der Angeklagte beim Kauf eines Geländewagens von dem für die Firma [X.] auftretenden, inzwischen verstorbenen [X.]bereits am 27. März 2008 erkannte, dass [X.] der Lieferungen, welche den Rechnungen dieser Firma zu Grunde lagen, nicht diese Firma selbst war ([X.], 19). Gleichzeitig weist das [X.] darauf hin, dass dem Angeklagten „spätestens nach einer gewissen [X.]“ hier hätte bewusst sein müssen ([X.]), dass es sich bei [X.]nicht um eine vertretungsberechtigte Person der Firma [X.] handelte. Andererseits führt das [X.] im Rahmen seiner Beweiswürdigung aus, dass der Angeklagte beim Leistungsbezug durch die übrigen Firmen erst ab Juni 2008 wusste, dass es sich um Scheinfirmen ohne operatives Geschäft handelte.

Der Senat kann auf Grund dieser Ausführungen des [X.]s nicht ausschließen, dass weitere Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten bei den jeweiligen Lieferungen getroffen werden können, die auch in Bezug auf die Fälle 1. bis 6. der Urteilsgründe eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung durch unberechtigte Geltendmachung von [X.] noch rechtfertigen könnten ([X.], Urteil vom 26. Juli 2012 - 1 [X.], [X.], 477 Rn. 78 mwN).

c) Ob eine Vorsteuerabzugsberechtigung gegeben ist oder nicht, ist bereits eine Frage des objektiven Tatbestandes der Steuerhinterziehung. Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen zu den Fällen 1. bis 6. der Urteilsgründe können schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil - wie oben aufgeführt - (auch) die Ausführungen zum objektiven Tatgeschehen widersprüchlich sind.

2. Die teilweise Aufhebung der Schuldsprüche zieht auch die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.

3. Die Kompensationsentscheidung auf Grund rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung bleibt von der Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs unberührt (vgl. [X.], Beschluss vom 13. März 2019 - 1 StR 50/19 Rn. 10 mwN). Dem neuen Tatrichter obliegt es, im Falle neuerlicher Verzögerungen über eine weitergehende Kompensation zu entscheiden.

Raum     

        

Cirener     

        

[X.]

        

Bär     

        

Leplow     

        

Meta

1 StR 240/19

17.09.2019

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Düsseldorf, 11. Januar 2019, Az: 10 KLs 4/14

§ 14 UStG, § 14a UStG, § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 UStG, § 370 AO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.09.2019, Az. 1 StR 240/19 (REWIS RS 2019, 3552)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 3552

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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