Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.01.2015, Az. IX ZR 198/13

IX. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 17455

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

IX ZR 198/13

Verkündet am:

8. Januar 2015

Preuß

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 133 Abs. 1
Weiß der Gläubiger bei Durchsetzung eines Anspruchs auf Rückzahlung einer Anla-ge, dass der Schuldner ein Schneeballsystem betreibt, liegt darin ein
wesentliches Beweisanzeichen für seine Kenntnis von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners.

[X.], Urteil vom 8. Januar 2015 -
IX ZR 198/13 -
OLG [X.]

LG [X.]

-
2
-
Der IX.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Januar 2015
durch [X.] [X.], den
Rich-ter
Vill, die Richterin [X.], [X.] Pape und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] in [X.] vom 24. Juli 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 19. Juni 2006 am 1.
September 2006 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der W.

AG (fortan: Schuldnerin). Die Schuld-nerin war im Jahre 1926 als Wohnungsbaugesellschaft gegründet worden. Seit
1999
hatte sie
in großem Umfang [X.].
Die Rechtsvorgängerin des Beklagten erwarb
Anleihen in Höhe von 50.000
DM, die am 1. Dezember 2005 zur Rückzahlung fällig waren. Die Schuldnerin zahlte zunächst nicht. Anfang Januar zahlte sie
einen Betrag von
617,57

uf die Zinsforderung. Der Beklagte beauftragte am 1. Februar 2006 1
-
3
-
einen Anwalt. Dieser mahnte die Rückzahlung mit Schreiben vom 7. Februar 2006 an.
Am 15. Februar 2006 zahlte die Schuldnerin
weitere 25.564,59

; am 5.
April zahl.

Der Kläger verlangt die Rückgewähr der beiden
letztgenannten [X.]. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zu-gelassenen Revision will der Kläger weiterhin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung

,05

Zinsen erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur [X.] an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Zahlung vom 5. April 2006 in Höhe von
1.430,05

[X.] anfechtbar, weil der Beklagte nach dem eigenen Vorbringen des [X.] keine Kenntnis von der [X.] der Schuldnerin gehabt habe. Eine Kenntnis seiner anwaltlichen Be-vollmächtigten, die er sich nach § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen müsse, sei nicht zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Die subjektiven Vorausset-zungen eines beide Zahlungen umfassenden
Rückgewähranspruchs
aus §
133 Abs.
1, § 143 Abs. 1 [X.] seien aus den zu § 130 Abs. 1 [X.] ausgeführten Gründen ebenfalls nicht erfüllt.
2
3
4
-
4
-

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Nach §
130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] ist eine in den letzten drei Monaten vor dem [X.] vorgenommene Rechtshandlung, die eine kongruente Sicherung oder Befriedigung gewährt, dann anfechtbar, wenn der Schuldner zur [X.] der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit kannte. Die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 [X.] greift demgegenüber be-reits dann ein, wenn der [X.] wusste, dass die [X.] drohte und dass die Rechtshandlung des Schuldners
die Gläubiger be-nachteiligte. Anders als in § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 [X.] wird weder die Zah-lungsunfähigkeit des Schuldners noch eine Kenntnis des [X.]s hiervon vorausgesetzt. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte und seine Bevollmächtigten hätten am 15. Februar 2006 und am 5. April 2006 keine positive Kenntnis von Umständen gehabt, die einen sicheren Schluss auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zuließen, schließt nicht aus, dass ihnen Umstände bekannt waren, aus denen eine drohende Zahlungsunfähigkeit und eine Benachteiligung der Gläubiger
folgten.

III.

Das angefochtene Urteil erweist sich
auch nicht aus anderen Gründen als richtig
(§ 561 ZPO).
Der Kläger hat die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 133 Abs. 1, § 143 Abs. 1 [X.] schlüssig dargelegt.

5
6
-
5
-

1. Die Zahlungen, welche die Schuldnerin am 15. Februar 2006 und am 5.
April 2006 an den Beklagten geleistet hat, stellen Rechtshandlungen dar, welche die Gläubiger benachteiligt haben. Eine Gläubigerbenachteiligung

129 [X.])
ist gegeben, wenn entweder die [X.] vermehrt oder die [X.] verkürzt und dadurch der Zugriff auf das Vermögen des Schuldners vereitelt, erschwert oder verzögert worden ist, wenn sich also die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die fragliche Handlung
bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten. Diese Vo-raussetzung ist unproblematisch erfüllt.

2. Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachverhalt hat die Schuldnerin die Zahlungen mit einem vom Beklagten erkannten Gläubiger-benachteiligungsvorsatz erbracht.

a) Bei den subjektiven Tatbestandsmerkmalen
der Vorsatzanfechtung handelt es sich um innere Tatsachen, welche oft nicht unmittelbar nachgewie-sen, sondern nur mittelbar aus objektiven Tatsachen hergeleitet werden [X.]. Den für eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit sprechenden [X.] kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu.
Sind beide Teile über die
Zahlungsunfähigkeit unterrichtet, kann von einem Benachteiligungs-vorsatz des Schuldners und dessen Kenntnis beim Gläubiger ausgegangen werden, weil der Schuldner in einem solche Fall
weiß, nicht sämtliche Gläubiger befriedigen zu können, und dem Gläubiger bekannt ist, dass infolge der ihm erbrachten Leistung die Befriedigungsmöglichkeit anderer Gläubiger vereitelt oder zumindest erschwert wird ([X.], Urteil vom
19. September 2013 -
IX
ZR 4/13, [X.], 2074 Rn. 14). Auch die nur drohende Zahlungsunfähigkeit

18 Abs. 2 [X.])
stellt nach der Rechtsprechung des Senats ein starkes [X.] für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners dar, wenn sie 7
8
9
-
6
-
diesem bei der Vornahme der Rechtshandlung bekannt war. In diesen Fällen handelt der Schuldner nur dann nicht mit Benachteiligungsvorsatz, wenn er auf Grund konkreter Umstände, etwa der sicheren Aussicht, demnächst Kredit zu erhalten oder Forderungen realisieren zu können, mit einer baldigen Überwin-dung der Krise rechnen kann. Droht die Zahlungsunfähigkeit, bedarf es konkre-ter Umstände, die nahe legen, dass die Krise noch abgewendet werden kann ([X.], Urteil vom 5. Dezember 2013 -
IX [X.], [X.], 259 Rn. 9). Diese Grundsätze gelten nach gefestigter Senatsrechtsprechung auch dann, wenn eine kongruente Leistung angefochten wird ([X.], Urteil vom 5. Dezember 2013, aaO; Beschluss vom 6. Februar 2014 -
IX ZR 221/11, Z[X.] 2014, 496 Rn. 3).

b) Im [X.]punkt der angefochtenen Zahlungen war die Schuldnerin ([X.]) drohend zahlungsunfähig. Die Schuldnerin war
als
Wohnungsbauge-sellschaft gegründet worden und verfügte über Immobilien und Unternehmens-beteiligungen.
Nach dem vom Kläger vorgelegten Gutachten der H.

GmbH stellt die
etwa
im Jahre
1999 begonnene Emission von [X.]
jedoch einen erheblichen Teil ihrer ge-schäftlichen Aktivitäten dar.
Verwendungszweck der zu Zinssätzen von 5,25
v.H. bis 7
v.H. jährlich, also recht hoch verzinsten Anleihen war die Förde-rung des Geschäftszwecks der Anleihen.
Bereits bei der erstmaligen Fälligkeit einer Anleihe wurde zur Aufbringung des [X.] eine neue [X.] aufgenommen. Weder die Zinsen noch die Rückzahlungen konnten also aus dem
sonstigen Geschäftsbetrieb der Schuldnerin erwirtschaftet werden; sie wurden vielmehr vom Geld der neu geworbenen Anleger bezahlt.
Die Rückzah-lung fälliger [X.] wurde durch die Aufnahme neuer Anleihen in den Monaten zuvor vorbereitet.
Dem genannten Gutachten zufolge überstieg bis einschließlich 2004 die Summe der neu aufgenommenen 10
-
7
-
Anleihen die zur Rückzahlung fälligen Anleihen. Bis zum 1. Oktober 2005 traten
zeitweilig
Liquiditätslücken auf, die jedoch innerhalb von drei Wochen
durch Neuemission von [X.] geschlossen werden
konnten.
Von diesem [X.]punkt an gelang es der Schuldnerin nicht mehr
dauer-haft, die Liquiditätslücken durch Neuemissionen zu schließen. Vom [X.] 2005 war die Schuldnerin nicht mehr in der Lage, auch nur 90
v.[X.] fälligen Forderungen zu befriedigen. Anfang Januar 2006 teilte sie den Gläubigern mit, aufgrund technischer Probleme könnten Zahlungen vorerst nicht geleistet werden, und zahlte nur noch an diejenigen Gläubigern, die sich anwaltlich vertreten ließen oder mit Strafanzeigen und Medienkampagnen [X.]. Die am 11. Januar 2006 fälligen Anlagen wurden ebenfalls nicht zurückge-zahlt.

c)
Der
Beklagte, dem die Kenntnisse seiner Bevollmächtigten zugerech-net werden
(§ 166 Abs. 1 BGB), kannte die mindestens drohende [X.] der Schuldnerin.

aa) Die Bevollmächtigten des Beklagten haben 120 Anleger gegenüber der Schuldnerin vertreten.
Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Vortrag des [X.] war ihre
Kanzlei
derart organisiert, dass Rechtsanwalt

R.

in Verbraucherschutzorganisationen und in der Verbraucherzen-trale B.

einschlägige Mandate akquirierte, die dann von anderen [X.] der Kanzlei bearbeitet wurden.
Auf der Webseite der Kanzlei befand sich ein Artikel der [X.] vom 23.
Januar 2006,
in welchem unter Darlegung von Einzelheiten über den Zahlungsverzug der Schuldnerin berichtet und Rechtsanwalt

R.

mit der Äußerung zitiert wurde, die Anleger seien nicht darauf hingewiesen worden, dass die Gewinne aus der Ge-schäftstätigkeit der Schuldnerin zur Bedienung der Bonds nicht ausreichten und 11
12
-
8
-
die Liquidität nur durch den Vertrieb weiterer Bonds aufrechterhalten werden könne.

[X.]) Der Kläger hat darüber hinaus
zwei
von Rechtsanwalt M.

R.

, dem für den Beklagten zuständigen Sachbearbeiter, stammende Schreiben vom 7. Februar 2006 und vom 8. Februar 2006 vorgelegt,
mit wel-chen dieser die Inhaberschuldverschreibungen anderer Mandanten mit der [X.] kündigte, die versprochenen Zinsen könnten nicht aus den Erträgen des Unternehmens gezahlt werden, sondern nur aus immer neu aufgelegten Anleihen. Wörtlich heißt es hier: "Auf diese Risiken, die aufgrund der vorsätzli-chen Geschäftspolitik der W.

von vornherein feststanden und die für den Anleger ein erhebliches Verlustrisiko bis zum Totalverlust seiner [X.] bedeuten können, ist nicht hinreichend aufgeklärt worden."
Kenntnisse aus anderen
Mandaten werden dem Mandanten im Hinblick auf die Verschwiegen-heitspflicht
des Anwalts
zwar grundsätzlich nicht zugerechnet. Anderes gilt [X.], wenn der Anwalt seine Kenntnisse nicht aus diesen anderen Mandaten bezogen hat, sondern aus allgemein zugänglichen Quellen. Hat der Anwalt die fraglichen Kenntnisse sogar auf seiner Internetseite oder gegenüber einer Zei-tung öffentlich bekanntgegeben, kann der Mandant einer Wissenszurechnung ebenfalls nicht mehr durch Hinweis auf die anwaltliche Schweigepflicht entge-gentreten (vgl. [X.], Urteil vom 10. Januar 2013 -
IX
ZR 13/12, [X.], 133; vom 10. Januar 2013 -
IX
ZR 28/12, [X.], 253; kritisch
etwa Fölsing, KSI
2013, 126). Die vom Kläger vorgelegten Schreiben lassen den Schluss [X.] zu, dass den Bevollmächtigten des Beklagten bereits im Februar 2006
das von der Schuldnerin betriebene "Schneeballsystem"
bekannt war.

[X.]) Wussten die Bevollmächtigten des Beklagten
Anfang Februar 2006, dass die Schuldnerin ein nur durch neue Anleihen zu finanzierendes "Schnee-13
14
-
9
-
ballsystem"
betrieb, kannten sie auch die der Schuldnerin
mindestens
drohende Zahlungsunfähigkeit. Ein derartiges Finanzierungsmodell ist nicht stabil. [X.] die neu eingeworbenen Gelder
nicht mehr
zur Begleichung der Zins-
und Rückzahlungsverpflichtungen, bricht es zusammen. Wer weiß, dass ein Schuldner seine Gläubiger nur befriedigen kann, wenn er Anleger in immer größerer Anzahl findet, weiß auch, dass dies früher oder später nicht mehr möglich sein wird. Im Rahmen eines derartigen Systems geleistete
Zahlungen
stammen jeweils
aus dem Geld der später geworbenen Anleger, deren Befrie-digung immer unsicherer wird. Der Schuldner, der so verfährt, handelt regelmä-ßig im Bewusstsein seiner mindestens drohenden Zahlungsunfähigkeit. Hatte der [X.] Kenntnis hiervon, liegt darin ein sicheres Beweisanzei-chen für die Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners.

IV.

Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist auf-zuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Sache nicht zur Endentscheidung reif ist, wird sie zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (§ 563 Abs. 1 ZPO), welches den Sachvortrag beider Parteien

15
-
10
-
unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung des Senats neu zu würdigen ha-ben wird.

Kayser
Vill
[X.]

Pape
Möhring

Vorinstanzen:
LG [X.], Entscheidung vom 01.03.2013 -
318 O 185/12 -

OLG [X.], Entscheidung vom 24.07.2013 -
4 U 39/13 -

Meta

IX ZR 198/13

08.01.2015

Bundesgerichtshof IX. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.01.2015, Az. IX ZR 198/13 (REWIS RS 2015, 17455)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 17455

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IX ZR 198/13 (Bundesgerichtshof)

Insolvenzanfechtung: Kenntnis von einem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei Rückzahlungen im Rahmen eines Schneeballsystems


IX ZR 28/12 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 61/14 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 13/12 (Bundesgerichtshof)


IX ZR 95/14 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IX ZR 198/13

IX ZR 93/11

IX ZR 221/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.