Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2023, Az. VII ZR 212/22

7. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6890

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Gegenstand

Bauprozessrecht: Gehörsverletzung durch Übergehen von - in einer Anlage positionsgenau präzisiertem - Parteivorbringen


Tenor

Der Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben.

Der Beschluss des 19. Zivilsenats des [X.] vom 18. Oktober 2022 wird gemäß § 544 Abs. 9 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.

Der Rechtsstreit wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 140.556,19 €

Gründe

I.

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückzahlung von abschlagsweise geleisteten Zahlungen, die Beklagte verlangt widerklagend die Zahlung ihr angeblich noch zustehenden Restwerklohns.

2

Die Klägerin beauftragte die Beklagte mit Schreiben vom 22. September 2010 mit der Erbringung von [X.] und Isolierarbeiten an den technischen Anlagen des Bauvorhabens "C.      C.           Verwaltungsgebäude K.      ". Die Klägerin beauftragte die Streithelferin mit der Fachplanung, die ihrerseits die [X.] als Subunternehmerin beauftragte. Die Beklagte führte [X.] und Isolierarbeiten in streitigem Umfang aus, im Verlaufe des Bauvorhabens kam es zu Leistungsänderungen und Massenmehrungen, die zwischen den Parteien streitig sind. Die Klägerin leistete Abschlagszahlungen in Höhe von 529.029,86 € brutto.

3

Die Klägerin nahm die Leistungen der Beklagten am 17. März 2014 ab, wobei im Abnahmeprotokoll Teilleistungen wegen gerügter Mängel von der Abnahme ausgenommen wurden. Die Beklagte legte unter dem 30. April 2014 ihre Schlussrechnung. Die Klägerin ließ die Schlussrechnung der Beklagten durch die [X.] prüfen und gelangte zu der Auffassung, dass eine Überzahlung vorliege.

4

Die Klägerin hat die Beklagte auf Rückzahlung von 156.306,76 € nebst Zinsen in Anspruch genommen. [X.] hat die Beklagte weiteren Werklohn in Höhe von 227.360,82 € nebst Zinsen gefordert. Das [X.] hat nach durchgeführter Beweisaufnahme, insbesondere der Einholung eines Sachverständigengutachtens, der Klage in Höhe von 15.750,57 € nebst Zinsen unter Klageabweisung im Übrigen stattgegeben; die Widerklage hat das [X.] abgewiesen. Im Rahmen der wechselseitig eingelegten Berufungen hat das Berufungsgericht einen an beide Parteien gerichteten Hinweis auf ein beabsichtigtes Vorgehen nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt, woraufhin die Beklagte ihre Berufung zurückgenommen hat. Mit Beschluss vom 18. Oktober 2022 hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen und die Beklagte hinsichtlich der von ihr eingelegten Berufung für verlustig erklärt.

5

Die Klägerin verfolgt ihren restlichen Anspruch im Rahmen der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision weiter.

II.

6

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Der angefochtene Beschluss beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

7

1. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt, dass die Berufung der Klägerin unbegründet sei,

8

9

2. Mit dieser Begründung verletzt das Berufungsgericht, wie die

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt im Streitfall eine Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs vor.

aa) Die Klägerin hat im Rahmen der Berufungsbegründung vom 14. Juni 2021 konkret und unter Bezugnahme auf einzelne Positionen dazu vorgetragen, dass die vom [X.] vorgenommene Würdigung, die teilweise auf die Sachverständigenbegutachtung und teilweise auf die Schlussrechnungsprüfung der Klägerin abstelle, zu falschen Ergebnissen führe. Der Sachverständige habe bei einigen - die gleiche Leistung betreffenden - Positionen sämtliche Massen dem Titel 1 des Leistungsverzeichnisses zugeordnet und nicht - wie erforderlich - auf dessen Titel 1 und Titel 2 aufgeteilt. Diese Unterteilung trage dem Umstand Rechnung, dass es sich um unterschiedliche Gebäude handele. Es sei deshalb fehlerhaft, zugunsten der Beklagten die Angaben des Sachverständigen für den Titel 1 zugrunde zu legen und zusätzlich die Angaben der Klägerin aus ihrer Schlussrechnungsprüfung in dem Titel 2, weil dies eine doppelte Berücksichtigung zur Folge habe. Zur Verdeutlichung ihres Vorbringens hat die Klägerin eine Aufstellung der verschiedenen aus ihrer Sicht betroffenen Positionen, aufgeschlüsselt nach verschiedenen Gewerken, in der Anlage [X.] zum [X.] beigefügt und eine doppelte Berechnung in Höhe von 109.107,18 € geltend gemacht.

bb) Indem das Berufungsgericht diesen Vortrag dahingehend gewürdigt hat, damit werde lediglich eine theoretische Möglichkeit aufgezeigt, ohne dass Anhaltspunkte dafür beständen, dass sich diese konkret realisiert hätte, und Vortrag zu konkret betroffenen Positionen vermisst hat, hat es Vorbringen der Klägerin zu einer zentralen Frage des Rechtsstreits nicht berücksichtigt. Die Begründung des Berufungsgerichts lässt nur den Schluss zu, dass es insoweit allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Klägerin erfasst hat. Mit ihrem durch die Darstellung in der Anlage [X.] positionsgenau präzisierten Vorbringen hat die Klägerin die aus ihrer Sicht gegebene fehlerhafte Würdigung aufgrund einer Kombination der Ergebnisse der Sachverständigenbegutachtung und der klägerischen Schlussrechnungsprüfung konkret im Einzelfall gerügt.

c) Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht unter Berücksichtigung des genannten Vorbringens der Klägerin zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

3. Der angefochtene Beschluss ist danach aufzuheben, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist, und der Rechtsstreit ist im Umfang der Aufhebung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 9 ZPO).

[X.]     

      

[X.]     

      

Graßnack

      

Borris     

      

Brenneisen     

      

Meta

VII ZR 212/22

27.09.2023

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 18. Oktober 2022, Az: 19 U 60/21

Art 103 Abs 1 GG, § 544 Abs 9 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 27.09.2023, Az. VII ZR 212/22 (REWIS RS 2023, 6890)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6890

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