Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.09.2012, Az. 4 AZR 689/10

4. Senat | REWIS RS 2012, 2821

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Gegenstand

Tarifauslegung - Wach- und Sicherheitsgewerbe - Höhe des Stundenlohns - Protokollnotiz als normative Regelung


Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 30. September 2010 - 11 [X.]/10 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über [X.] für die Monate Juli bis November 2009.

2

Die Klägerin ist Mitglied der [X.] ([X.]) und seit dem 1. April 2009 aufgrund des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12. März 2009 bei der [X.] in [X.] als [X.] beschäftigt. In dem Arbeitsvertrag heißt es ua.:

        

„...   

        

3. Entgelt

        

Das Entgelt richtet sich nach dem zur [X.] gültigen bundeseinheitlichen Lohntarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe. …“

3

Ebenfalls am 12. März 2009 trafen die Parteien eine „[X.] zum Arbeitsvertrag“. Hierin heißt es ua.:

        

„[X.]     

        

Es gilt der bundeseinheitliche Tarifvertrag für [X.] ([X.]), wenn dieser allgemeinverbindlich erklärt ist.

        

Liegt eine Allgemeinverbindlichkeit auf Bundesebene nicht vor, so gelten die jeweils länderspezifischen Lohnregelungen für [X.] und verwandte Tätigkeiten in den Ländertarifverträgen, in welchen die Arbeiten ausgeführt werden, wenn diese allgemein-verbindlich erklärt sind.

        

I[X.]     

        

Liegt eine Allgemeinverbindlichkeit für [X.] und verwandte Tätigkeiten weder auf Bundes- noch auf Länderebene vor, so gilt abweichend vom jeweils eingreifenden Tarifvertrag, welcher im Übrigen gilt, folgendes:

        

1.    

        

Es ist ein [X.] von 9,- € brutto vereinbart.

        

2.    

        

Der Nachtzuschlag beträgt von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr 25 % auf den [X.]. Die übrigen Zuschläge richten sich jeweils nach den tariflichen Regelungen für [X.] des Einsatzortes oder - sind diese nicht vorhanden - nach den länderspezifischen Zulagenregelungen für den allgemeinen [X.].

        

3.    

        

Die Arbeitgeberin gewährt eine Sonderzahlung in Form einer Aufwandsentschädigung als Anwesenheitsprämie derart, dass pro 8 Stundenschicht im Falle einer Einsatzwechseltätigkeit nach § 4 Abs. 5 Ziffer 5 EStG ein steuerfreies Entgelt für Verpflegungsmehraufwendungen von 6,00 € pro Schicht geleistet wird.

        

...     

        

II[X.]   

        

Diese Vereinbarung gilt rückwirkend ab dem 01.03.2009 und ist bis zum 30.06.2009 befristet. Mit Auslaufen der Befristung gelten die zu diesem [X.]punkt bestehenden tariflichen Vereinbarungen, wenn nicht zuvor eine Verlängerung dieser Vereinbarung schriftlich erfolgt.

        

IV.     

        

Sollten einzelne dieser Vereinbarungen unwirksam oder nichtig sein, so entfällt die Vereinbarung insgesamt und es gilt der jeweilig einschlägige Ländertarifvertrag als vereinbart.

        

V.    

        

Sollte während der Laufzeit dieser Vereinbarung eine Allgemeinverbindlichkeit für [X.] und verwandte Tätigkeiten erklärt werden, so wird die Arbeitgeberin hierüber unverzüglich nach Kenntniserlangung informieren.“

4

Die Beklagte, die bis zum 31. Dezember 2008 Mitglied des [X.] [X.] ([X.]) war, rechnete das Arbeitsverhältnis nicht nur in den Monaten April bis Juni 2009 auf der Grundlage eines Stundenlohnes von 9,00 Euro brutto ab, sondern auch in der darauffolgenden [X.].

5

Am 11. September 2009 schlossen die Beklagte und der bei ihr bestehende Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung zum Arbeitsvertrag“, in der es ua. heißt:

        

„...   

        

I[X.]     

        

Liegt eine Allgemeinverbindlichkeit für [X.] und verwandte Tätigkeiten weder auf Bundes- noch auf Länderebene vor, so gilt abweichend vom jeweils eingreifenden Tarifvertrag, welcher im Übrigen gilt, folgendes:

        

1.    

        

Es ist ein [X.] von 9,00 € brutto vereinbart.

        

2.    

        

...     

        

II[X.]   

        

Diese Vereinbarung gilt ab dem 11.09.2009 auf unbestimmte [X.].“

6

Die Klägerin verlangte mit Schreiben vom 13. Oktober 2009 von der [X.] vergeblich die Zahlung der Differenz zwischen der gezahlten Vergütung für die Monate Juni bis August 2009 zu der Vergütung, die sich auf der Basis eines [X.]es von 11,32 Euro ergibt.

7

Mit ihrer der [X.] am 7. Dezember 2009 zugestellten Klage hat sie diesen Anspruch zunächst weiterverfolgt. In einer der [X.] am 10. Februar 2010 zugestellten [X.] hat sie sodann die Vergütungsdifferenzen für die Monate September bis November 2009 geltend gemacht und den Antrag betreffend Juni 2009 zurückgenommen.

8

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der ihr nach dem Arbeitsvertrag iVm. den einschlägigen Tarifverträgen zustehende [X.] habe seit dem 1. Juli 2009 11,32 Euro betragen. Dies sei in dem ab dem 1. Juli 2009 auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Lohntarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in [X.] vom 11. Mai 2009 ([X.]) in der hierzu vereinbarten Protokollnotiz für [X.] so vorgesehen, da diese im Ergebnis auf den entsprechenden Lohntarifvertrag vom 11. Mai 2006 ([X.]) verweise, in dem die Lohngruppe der [X.] mit 11,32 Euro [X.] vereinbart sei. Hilfsweise hat sie sich auf den [X.] vom 1. November 2007 für [X.] ([X.]) im Bereich [X.] Fahrbetriebe/Transportsysteme für die [X.] (TV [X.] Bund 2007-2) berufen, in dem ein [X.] von 11,00 Euro geregelt sei.

9

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an sie

        

1. einen Betrag in Höhe von 577,42 € brutto, hilfsweise 497,78 € brutto (Vergütungsdifferenz 7/09),

        

2. einen Betrag in Höhe von 526,96 € brutto, hilfsweise 454,28 € brutto (Entgeltdifferenz 8/09),

        

3. einen Betrag in Höhe von 530,23 € brutto, hilfsweise 457,09 € brutto (Entgeltdifferenz 9/09),

        

4. einen Betrag in Höhe von 512,14 € brutto, hilfsweise 441,50 € brutto (Entgeltdifferenz 10/09),

        

5. einen Betrag in Höhe von 394,40 € brutto, hilfsweise 340,00 € brutto ([X.])

        

jeweils nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die Protokollnotiz zum [X.], auf die sich die Klägerin letztlich berufe, keinen eigenen materiellen Regelungsgehalt habe. Deshalb sei es bei den Regelungen der [X.] zum Arbeitsvertrag der Klägerin geblieben. Durch die stillschweigende Entgegennahme der Vergütung habe die Klägerin auch in die Verlängerung der [X.] eingewilligt. Dies entspreche im Übrigen auch der Betriebsvereinbarung. Für den Fall, dass der Klägerin ein höherer Stundenlohn zustehen solle, müsse insgesamt neu abgerechnet werden, da der Klägerin dann die von der [X.] gezahlte Aufwandsentschädigung als Anwesenheitsprämie nicht zustehe und ihr auch nur ein geringerer Nachtzuschlag zu zahlen sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Mit der vom [X.] gewählten Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden. Ob und ggf. in welcher Höhe die Klage begründet ist, kann der Senat auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des [X.]s nicht abschließend entscheiden.

I. Entgegen der Auffassung des [X.]s betrug der der Klägerin von der Beklagten im Streitzeitraum grundsätzlich zu zahlende Stundengrundlohn 11,32 Euro. Das ergibt sich aus der arbeitsvertraglichen Vereinbarung der Parteien iVm. der Protokollnotiz zum [X.] 2009.

1. Grundlage des Lohnanspruchs der Klägerin ist der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag vom 12. März 2009 in der Fassung der [X.] vom selben Tag. Auf einen unmittelbar und zwingend geltenden Tarifvertrag kann sich die Klägerin nicht berufen, da die Beklagte seit dem 1. Januar 2009 nicht mehr tarifgebunden war.

2. Der Arbeitsvertrag der Parteien verweist zwar in Ziff. I auf vorrangige Tarifregelungen. Diese sollten auf das Arbeitsverhältnis der Parteien jedoch nur Anwendung finden, wenn sie - jeweils auf Bundes- oder Länderebene - für allgemeinverbindlich erklärt worden sind. Einen solchen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gab es für den Tätigkeitsbereich der Klägerin als [X.] jedoch nicht.

a) Auf der [X.] war am 15. März 2007 der [X.] ([X.]) im Bereich [X.] Fahrbetriebe/Transportsysteme für die [X.] (TV [X.] Bund 2007-1) geschlossen worden. In ihm war der [X.] auf 11,00 Euro festgesetzt worden. Die Tarifvertragsparteien hoben den TV [X.] Bund 2007-1 einvernehmlich zum 31. Oktober 2007 auf. Zugleich schlossen sie mit Wirkung ab 1. November 2007 den neuen, weitgehend und insbesondere hinsichtlich der Stundengrundlohnregelung für [X.] mit 11,00 Euro identischen [X.] (TV [X.] Bund 2007-2). Dieser enthielt in der Protokollnotiz - 2 - ein Sonderkündigungsrecht der Tarifvertragsparteien mit Ausschluss der Nachwirkung des Tarifvertrages für den Fall, dass eine Allgemeinverbindlicherklärung abgelehnt werden würde. Vom Kündigungsdatum an sollten danach die landestariflichen Regelungen mit Stand vom 1. März 2007 wieder gelten. Nachdem am 20. Februar 2009 die Allgemeinverbindlicherklärung des TV [X.] Bund 2007-2 endgültig abgelehnt worden war, erklärte der Arbeitgeberverband am 27. Februar 2009 die außerordentliche Kündigung des TV [X.] Bund 2007-2.

b) In [X.] waren auf Landesebene im Wach- und Sicherheitsgewerbe für die Jahre 2006, 2007, 2008 und 2009 jeweils [X.] geschlossen worden, die jedenfalls hinsichtlich der Regelungen für [X.] nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden waren.

3. Damit war für den Zeitraum vom 1. April 2009 bis zum 30. Juni 2009 die in Ziff. II Nr. 1 der [X.] zum Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über einen Stundengrundlohn von 9,00 Euro maßgebend.

4. Im Streitzeitraum ab dem 1. Juli 2009 galten nach Ziff. III Satz 2 derselben Vereinbarung „die zu diesem Zeitpunkt bestehenden tariflichen Vereinbarungen“. Aus einer Gesamtschau der häufig wechselnden und aufeinander Bezug nehmenden tariflichen Regelungen ergibt sich die tarifliche Geltung eines Stundengrundlohnes für [X.] - wie die Klägerin - in Höhe von 11,32 Euro.

a) Für [X.] sind in den [X.]n in [X.] folgende Regelungen getroffen worden:

aa) Bis zum 30. April 2007 galt der [X.] 2006. Ziff. 2 dieses Tarifvertrages lautet auszugsweise:

        

„2.     

Löhne 

        

2.0.   

Die Mindestlöhne betragen

        

A.    

        

€ ab   

                          

01.06.2006

        

...     

                 
        

2.0.9.

Wachmann als [X.]

                 

Stunden-Grundlohn

11,32 

        

...“   

        

bb) Für den Zeitraum ab dem 1. Mai 2007 vereinbarten die Tarifvertragsparteien den [X.] für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in [X.] vom 9. März 2007 ([X.] 2007). In diesem war die Tätigkeit von Wachpersonal als [X.] nicht mehr geregelt. In dem Lohngruppenverzeichnis findet sich bei der Lohngruppe [X.] „entfällt“. In einer „Protokollnotiz [X.] zum [X.]“ (PN [X.] 2007) vereinbarten die Tarifvertragsparteien Folgendes:

        

„Zwischen den Tarifvertragsparteien besteht dahingehend Einigkeit, dass bei Nichtzustandekommen eines bundesweiten Tarifvertrages für Mitarbeiter als [X.] oder bei Ablehnung der Allgemeinverbindlicherklärung eines bundesweiten Tarifvertrages für Mitarbeiter als [X.] die Lohngruppe [X.] in den [X.] [X.] wieder aufgenommen wird.

        

Die Lohngruppe wird dann mit 11,32 € Stundengrundlohn tarifiert.“

cc) Der zwischen den Tarifvertragsparteien für den Zeitraum vom 1. Mai 2008 bis zum 30. April 2009 geschlossene [X.] für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in [X.] ([X.] 2008) wies bei der Lohngruppe 2.0.9. ebenfalls den Vermerk „entfällt“ auf. Eine Protokollnotiz zu den [X.] wurde hier nicht vereinbart.

dd) Für den Zeitraum ab dem 1. Mai 2009, in den auch der Streitzeitraum fällt, vereinbarten die Tarifvertragsparteien in [X.] am 11. Mai 2009 den [X.] 2009. Für die Lohngruppe 2.0.9. war auch hier kein konkreter Stundengrundlohn geregelt worden. In der „Protokollnotiz [X.]“ zu diesem Tarifvertrag (PN [X.] 2009) heißt es:

        

„Die Tarifvertragsparteien vereinbaren, dass für die Tätigkeit von [X.] im Bereich [X.] Fahrbetriebe/Transportsysteme eine Lohngruppe im [X.] für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in [X.] vom 11.05.2009 aufgenommen werden soll, sobald sich die Tarifvertragsparteien auf eine Lohnhöhe geeinigt haben. Diese Lohngruppe entfällt jedoch mit Inkrafttreten eines bundesweiten Tarifvertrages für [X.] im Bereich [X.] Fahrbetriebe/Transportsysteme. Bis zur Einigung der Tarifvertragsparteien gelten die Regelungen, die sich aus der Protokollnotiz [X.] zum [X.] vom 9. März 2007, gültig mit Wirkung vom 1. Mai 2007, ergeben (s. Anlage).“

Der PN [X.] 2009 war als Anlage die PN [X.] 2007 beigefügt. Der [X.] 2009 ist teilweise für allgemeinverbindlich erklärt worden. Die PN [X.] 2009 ist von der Allgemeinverbindlicherklärung gemäß der Bekanntmachung vom 21. Oktober 2009 (BAnz. Nr. 174 vom 18. November 2009 S. 3930) jedoch ausdrücklich ausgenommen worden.

b) Aus diesen Regelungen ergibt sich im Wege der Auslegung, dass die Klägerin, die als [X.] beschäftigt ist, nach der PN [X.] 2009 iVm. der PN [X.] 2007 ab dem 1. Mai 2009 einen tariflichen Stundengrundlohn von 11,32 Euro beanspruchen konnte.

aa) Welche Kriterien für die Auslegung von Vereinbarungen zwischen Tarifvertragsparteien angewandt werden, richtet sich nach dem Charakter der Vereinbarung. Dies gilt auch für Protokollnotizen der Tarifvertragsparteien, die als Auslegungshilfe gemeint (zB bei [X.] 7. Dezember 1989 - 6 [X.] - [X.]E 63, 385) oder als - schuldrechtliche oder normative - Tarifnorm vereinbart worden sein können. Haben die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag mit Rechtsnormen vereinbart, sind diese nach der objektiven Methode auszulegen. Handelt es sich um einen rein schuldrechtlichen Tarifvertrag oder um einen nichttariflichen sonstigen Vertrag, ist er nach der subjektiven Methode wie ein Vertrag anhand der gesetzlichen Kriterien der §§ 133, 157 BGB auszulegen. Ist umstritten, ob es sich um einen Tarifvertrag oder um eine sonstige nichttarifliche Vereinbarung handelt, ist der Inhalt und damit die Charakterisierung anhand des zu ermittelnden Willens der Parteien festzustellen ( [X.] 15. April 2008 - 9 [X.]  - [X.] § 1 Altersteilzeit Nr. 38 = EzA [X.] § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 21). Die objektive Auslegung ist erst dann vorzunehmen, wenn feststeht, dass es sich um ein Normenwerk handelt ( [X.] 7. Juni 2006 - 4 [X.]  - Rn. 25, [X.] § 1 Nr. 37 = EzA [X.] § 1 Auslegung Nr. 43; 14. April 2004 -  4 [X.]  - [X.]E 110, 164, 171 ). Insoweit unterliegt der schuldrechtliche Teil eines Tarifvertrages anderen Auslegungskriterien als der normative Teil, denn im schuldrechtlichen Teil eines Tarifvertrages werden lediglich Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien geregelt. Normative Wirkung entfaltet er nicht. Ob die Tarifvertragsparteien einen Tarifvertrag mit Rechtsnormen abschließen oder eine andersartige schriftliche Vereinbarung treffen wollten, ist in Zweifelsfällen nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts ( §§ 133 , 157 BGB ) zu ermitteln ( [X.] 8. Dezember 2011 - 6 [X.] - Rn. 15; 15. April 2008 - 9 [X.]  - Rn. 19, aaO; 7. Juni 2006 -  4 [X.]  - aaO).

bb) Die unter Anwendung dieser Kriterien erfolgte Auslegung ergibt, dass die PN [X.] 2009 eine normative Regelung ist. Als Bestandteil des [X.] 2009 enthält sie eine unmittelbare Regelung des Inhalts der tariflich gebundenen Arbeitsverhältnisse von [X.]. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut im Zusammenhang mit der Systematik und dem erkennbaren Zweck der Vereinbarung.

(1) Es ist zwar zutreffend, dass Satz 1 der PN [X.] 2009 eine schuldrechtliche Vereinbarung der Tarifvertragsparteien enthält, wonach sie beabsichtigen, die [X.] wieder in eine Lohngruppe des [X.] aufzunehmen, wenn sie sich über eine bestimmte Lohnhöhe geeinigt haben. Der anschließend erklärte Vorbehalt zugunsten einer Regelung in einem - möglichen - bundesweiten Tarifvertrag entspricht demjenigen, der bereits in der PN [X.] 2007 aufgenommen worden war, jedoch mangels dauerhaften Bestandes einer bundesweiten Regelung nicht eingriff. Zu dem Zeitpunkt der Einigung über die PN [X.] 2009 am 11. Mai 2009 war das Scheitern der bundesweiten Regelung den Tarifvertragsparteien in [X.] bereits bekannt. Nach der Ablehnung der Allgemeinverbindlicherklärung des TV [X.] Bund 2007-2 war dieser am 27. Februar 2009 außerordentlich gekündigt worden.

(2) Mit Satz 3 der PN [X.] 2009 haben die Tarifvertragsparteien jedoch eine unmittelbar geltende Regelung über den Zeitraum bis zu einer Einigung nach Satz 1 der PN [X.] 2009 getroffen, wonach bis dahin „die Regelungen“ „gelten“, die sich aus der PN [X.] 2007 ergeben.

(a) Dabei ergibt sich der Normsetzungswille der Tarifvertragsparteien bereits aus dem Wortlaut. Wenn Tarifvertragsparteien in einer tariflichen Vereinbarung im Indikativ festlegen, dass bestimmte „Regelungen“ „gelten“, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sie normativ wirkende Bestimmungen für die tarifunterworfenen Arbeitsverhältnisse schaffen wollen.

(b) Dem entspricht es, dass die PN [X.] 2009 ausdrücklich von der Allgemeinverbindlicherklärung der sonstigen Normen des [X.] 2009 ausgenommen worden ist. Nur schuldrechtlich wirkende Regelungen müssen von einer Allgemeinverbindlicherklärung nicht ausgenommen werden, da gemäß § 5 Abs. 4 [X.] lediglich die Wirkung von Rechtsnormen auf die nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse erstreckt wird.

(c) Dieses Ergebnis entspricht auch der Systematik der miteinander verschränkten Bundes- und [X.]. Im [X.] 2006 war für die Lohngruppe der [X.] noch ein Stundengrundlohn von 11,32 Euro festgesetzt. Der [X.] 2007 verwies hinsichtlich der [X.] dann auf den zur selben Zeit geschlossenen TV [X.] Bund 2007-1, der eine Regelung für [X.] enthielt. Im [X.] 2007 wurde die Möglichkeit eines Scheiterns der Bundesregelung nicht ausgeschlossen, insbesondere eine Ablehnung der beantragten Allgemeinverbindlicherklärung. Deshalb wurde gleichzeitig die Einigung der Tarifvertragsparteien in [X.] festgehalten, in diesem Fall des Scheiterns einer Bundesregelung die [X.] in den zukünftigen [X.] in einer eigenen Lohngruppe mit 11,32 Euro Stundengrundlohn wieder aufzunehmen. Der [X.] - nunmehr der TV [X.] Bund 2007-2 - scheiterte letztlich im Februar 2009 an der Ablehnung der Allgemeinverbindlicherklärung. Für diesen Fall war in einer Protokollnotiz des TV [X.] Bund 2007-2 die Regelung getroffen worden, dass bei Ausübung des Sonderkündigungsrechts einer der Tarifvertragsparteien - das dann auch vom Arbeitgeberverband wahrgenommen wurde -

        

„die auf den fachlichen Geltungsbereich bezogenen Regelungen der Tarifvertragsparteien der einzelnen Bundesländer, die am 1. März 2007 tarifvertraglich geregelt waren“ „wieder“ „gelten“

        

sollten.

Es kann dahinstehen, ob hierin eine konstitutive bundesweite Tarifregelung in der Form einer statischen Verweisung auf die [X.] für den fraglichen Zeitpunkt zu sehen ist. Wäre dies zutreffend, hätten ab dem 28. Februar 2009 wieder die Regelungen des [X.] 2006 gegolten, die den Stundengrundlohn mit 11,32 Euro festgelegt hatten. Dann entspräche die PN [X.] 2009 in [X.] der hierdurch festgelegten Tariflage und würde das durch die Verweisung gewonnene Ergebnis als eigenständige Landesregelung bis zu einer neuen Einigung der dortigen Tarifvertragsparteien normativ bestätigen. Wäre dies nicht zutreffend, läge ein tarifloser Zustand vor, der allein durch eine normative (Übergangs-)Regelung beseitigt werden konnte, die dann von den Tarifvertragsparteien des [X.] 2009 in der PN [X.] 2009 und der dortigen Inbezugnahme der PN [X.] 2007 einschließlich des darin vorgesehenen [X.] von 11,32 Euro getroffen worden ist.

(d) Dem steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass im letzten Satz der in Bezug genommenen PN [X.] 2007 nicht zwingend selbst eine normative Regelung zu sehen ist. Der Normsetzungswille der Tarifvertragsparteien kommt im Wortlaut der PN [X.] 2009 hinreichend deutlich zum Ausdruck. Hinsichtlich des Inhalts der beschlossenen Regelung nimmt er Bezug auf den im letzten Satz der PN [X.] 2007 zum Ausdruck gekommenen inhaltlich geplanten Normstand. Eine Anknüpfung an den möglicherweise schuldrechtlichen Charakter der Inhaltsbestimmung des letzten Satzes der PN [X.] 2007 ist angesichts der eigenen ausdrücklichen Wortwahl der PN [X.] 2009 („gelten die Regelungen“) und der oben beschriebenen Tariflage auf [X.] ausgeschlossen. Damit kommt es auf die Frage, ob der letzte Satz der PN [X.] 2007 tatsächlich lediglich schuldrechtlichen Charakter hat, wie die Beklagte annimmt, nicht mehr an.

c) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist diese durch die Bezugnahme auf die normative Rechtslage vereinbarte Vertragslage der Parteien seit dem 1. Juli 2009 wirksam. Es ist keine einvernehmliche „Verlängerung“ der ursprünglich bis zum 30. Juni 2009 befristeten Vergütungsvereinbarung über diesen Tag hinaus eingetreten. Die bloße Weiterzahlung des bisherigen [X.] von 9,00 Euro durch die Beklagte stellt kein rechtsgeschäftliches Angebot zum Abschluss einer [X.] hinsichtlich der bis dahin geltenden Befristung der Vergütungsregelung dar. Es mangelt überdies an jedem als rechtsgeschäftliche Annahme des Antrages auszulegenden Verhalten der Klägerin. Schweigen stellt nach § 147 BGB keine Willenserklärung dar. Nach der Rechtsprechung des [X.] kann ein dem Arbeitnehmer nachteiliges Änderungsangebot auch nur dann durch die bloße widerspruchslose Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angenommen werden, wenn die Vertragsänderung sich unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt, nicht dagegen, solange deren Folgen nicht hervortreten ([X.] 24. November 2004 - 10 [X.]/04 - zu II 3 c bb (2) der Gründe, [X.]E 113, 29; 18. März 2009 - 10 [X.] - Rn. 15, [X.]E 130, 21). Die Klägerin hat überdies bereits mit Schreiben vom 13. Oktober 2009 die vertraglich vorgesehene höhere Vergütung ua. bereits für den ersten Monat nach Ablauf der vereinbarten Befristung, nämlich den Juli 2009 geltend gemacht.

d) Die Beklagte beruft sich ferner auch vergeblich auf die Betriebsvereinbarung vom 11. September 2009, wonach ein Stundengrundlohn in Höhe von 9,00 Euro unbefristet gelten solle. Die Betriebsvereinbarung ist gemäß § 77 Abs. 3 [X.] unwirksam, was das [X.] übersehen hat. Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können danach nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Überdies könnte selbst eine wirksame Betriebsvereinbarung den arbeitsvertraglichen Anspruch auf einen höheren Stundengrundlohn nicht beschränken, da im Verhältnis von Arbeitsvertrag und Betriebsvereinbarung das Günstigkeitsprinzip gilt (vgl. dazu nur [X.]/[X.] 12. Aufl. § 77 [X.] Rn. 68 ff. mwN).

II. Ob die Klage begründet ist, kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des [X.]s nicht selbst abschließend entscheiden. Das [X.] hat zur Höhe des der Klägerin zustehenden Anspruchs - aus seiner Sicht konsequent - keine Feststellungen getroffen. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das [X.] auch darauf Bedacht zu nehmen haben, dass die von der Klägerin angestellte Berechnung lediglich hinsichtlich des [X.] gemäß Ziff. III Satz 2 der [X.] zum Arbeitsvertrag vom 12. März 2009 auf die tarifliche Lage abgestellt hat, bei der Einbeziehung der [X.] jedoch von dem höheren Zuschlag aus Ziff. II der [X.] ausgegangen ist. Zudem sind die weiteren Leistungen der Beklagten nach Ziff. II der [X.] nicht berücksichtigt worden. Diese stellen entgegen der Auffassung der Klägerin keine „freiwilligen Leistungen“ dar, sondern wurden von der Beklagten ausdrücklich zur Erfüllung der - vermeintlichen - Verpflichtung aus Ziff. II der [X.] erbracht. Ob und in welcher Höhe diese Leistungen auf die Erfüllung der Stundengrundlohnzahlungspflicht anzurechnen sind oder ob sie als rechtsgrundlos erbrachte Leistungen von der Beklagten im Wege einer zulässigen Aufrechnung in das Saldo eingebracht werden können, wird das [X.] ebenfalls zu entscheiden haben. Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Zuschläge wird diese zu einer Rechtsgrundlage und der Erfüllung von deren tatbestandlichen Voraussetzungen vorzutragen haben. Die von den Parteien bereits in den Instanzen angesprochenen Ausschlussfristen sind auf ihre Geltung und ihre Einhaltung zu überprüfen.

        

    Creutzfeldt    

        

    Winter    

        

    Rachor    

        

        

        

    Pieper    

        

    Hess    

                 

Meta

4 AZR 689/10

26.09.2012

Bundesarbeitsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Essen, 9. Februar 2010, Az: 2 Ca 4257/09, Urteil

§ 1 Abs 1 TVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.09.2012, Az. 4 AZR 689/10 (REWIS RS 2012, 2821)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2821


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 4 AZR 689/10

Bundesarbeitsgericht, 4 AZR 689/10, 26.09.2012.


Az. 2 Ca 4257/09

Arbeitsgericht Essen, 2 Ca 4257/09, 09.02.2010.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

8 Sa 505/20

4 Sa 1282/19

10 Sa 115/22

10 Sa 121/22

10 Sa 122/22

Zitiert

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