Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2016, Az. 3 StR 440/16

3. Strafsenat | REWIS RS 2016, 917

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Gegenstand

Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe: Anrechnung von in Brasilien verbrachter Haftzeit wegen funktionaler Verfahrenseinheit bei Betäubungsmitteldelikten


Tenor

Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 4. August 2016 wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s transportierte die Angeklagte in der [X.] von August 2008 bis zum 29. September 2009 in vier Fällen Kokain in einer Menge von jeweils mindestens einem Kilogramm auf dem Luftwege von [X.] nach [X.], wo sie die zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmten Drogen noch vor ihrer Einreise in die [X.] übergab. Am 11. April 2010 begab sich die Angeklagte nach [X.], wo sie rund 2,5 kg Kokain zum Weitertransport nach [X.] übernahm. Die Drogen wurden indes am 20. April 2010 bei der Kontrolle am [X.] vor ihrem Rückflug von der [X.] Polizei entdeckt. Wegen dieser letzten Tat wurde die Angeklagte in [X.] zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten sowie einer Geldstrafe verurteilt. Von der Freiheitsstrafe verbüßte sie drei Jahre im geschlossenen und sieben Monate im sogenannten halboffenen Vollzug, bevor ihr im April 2016 die Ausreise gelang. Die Tat von April 2010 ist im Ermittlungsverfahren Gegenstand des Haftbefehls des [X.] vom 12. April 2010 gewesen. In ihrer Abschlussverfügung hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren insoweit gemäß § 154 Abs. 1 [X.] eingestellt und sodann wegen der vier im [X.]raum von August 2008 bis zum 29. September 2009 durchgeführten [X.] erhoben. Im Hinblick auf die in [X.] vollstreckte Freiheitsstrafe hat die [X.] im Rahmen der Strafzumessung einen Härteausgleich vorgenommen; eine Entscheidung über den Maßstab, in dem der in [X.] erlittene Freiheitsentzug auf die von ihr verhängte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist, hat sie nicht getroffen.

3

2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 [X.]). Der vom [X.] beantragten Zurückverweisung der Sache zur Entscheidung über den Maßstab, in dem die in [X.] erlittene Haft auf die Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist, bedarf es nicht.

4

a) Allerdings ist die in [X.] erlittene Auslandshaft gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB auf die von der [X.] erkannte Freiheitsstrafe anzurechnen. Hiernach wird auf eine inländische Strafe eine im Ausland vollstreckte Strafhaft angerechnet, wenn der Angeklagte im Ausland wegen derselben Tat bestraft worden ist. Dies ist entgegen der Auffassung des [X.]s nicht nur der Fall, wenn das ausländische und das inländische Urteil dieselbe Tat im Sinne des prozessualen Tatbegriffs gemäß § 264 [X.] betreffen (vgl. [X.], Urteile vom 22. Dezember 1987 - 1 [X.], [X.]St 35, 172, 177; vom 7. Februar 1990 - 2 [X.], [X.], 231, 232). Nach der ratio legis des § 51 Abs. 3 Satz 1 [X.] ist eine erweiternde Auslegung geboten. Durch die Regelung soll zunächst verhindert werden, dass der Täter durch eine Doppelverurteilung, zu der es kommt, weil ein früher ergangenes Strafurteil im Ausland nicht zum Strafklageverbrauch im Inland geführt hat, schlechter gestellt wird, als wäre er für die Tat (im prozessualen Sinne) nur einmal im inländischen Verfahren verurteilt worden. Andererseits soll der Angeklagte durch die Anrechnung der ausländischen Strafvollstreckung aber auch nicht besser stehen, als er gestanden hätte, wenn das gesamte Tatgeschehen im Inland abgeurteilt worden wäre. Dem lässt sich der [X.] entnehmen, den Täter allgemein so zu stellen, als habe der gesamte Freiheitsentzug im Inland stattgefunden. Dies bedingt die Auslegung des § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB nach dem Vorbild des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB, der - in Ausgestaltung des [X.] (vgl. [X.], StGB, 2. Aufl., § 51 Rn. 1) - die Anrechnung früher im Inland erlittener Freiheitsentziehung regelt. Danach setzt die Anrechnung (nur) voraus, dass der Täter den Freiheitsentzug aus Anlass einer Tat erlitten hat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist (sog. Grundsatz der Verfahrenseinheit). Für die Annahme eines einheitlichen - über § 264 [X.] hinausgehenden - Tatbegriffs in § 51 Abs. 1 und Abs. 3 StGB spricht zudem der Verweis in Absatz 3 Satz 2 auf Absatz 1 der Vorschrift; für eine ungleiche Behandlung von im Ausland vollstreckten Freiheitsstrafen gegenüber sonstigen ausländischen Freiheitsentziehungen, die keine Strafvollstreckung darstellen, besteht kein sachlicher Grund ([X.], Urteil vom 5. November 2014 - 1 [X.], [X.]R StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5 mwN). Die nach alledem für eine Tatidentität im Sinne des § 51 Abs. 3 Satz 1 StGB ausreichende funktionale Verfahrenseinheit ([X.], Beschluss vom 26. Juni 1997 - StB 30/96, [X.]St 43, 112, 115 ff.) liegt etwa dann vor, wenn die der ausländischen Strafvollstreckung zugrunde liegende Tat - wie hier - Gegenstand eines im inländischen Ermittlungsverfahren erlassenen Haftbefehls gewesen und das Verfahren insoweit später gemäß § 154 [X.] eingestellt worden ist ([X.], Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 [X.], [X.]St 35, 172, 178; Beschluss vom 26. Juni 1997 - StB 30/96, [X.]St 43, 112, 120).

5

b) Der vom [X.] beantragten Zurückverweisung der Sache zur Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab hinsichtlich der in [X.] erlittenen Strafhaft bedarf es nicht. Die dort vollstreckte Strafe ist gemäß § 51 StGB bereits kraft Gesetzes auf die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen. Konstitutive Wirkung kommt im Rahmen des § 51 StGB allein der Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab gemäß Abs. 4 Satz 2 der Vorschrift zu ([X.], Beschluss vom 2. November 2000 - 4 StR 471/00, [X.]R StGB § 51 Abs. 1 Anrechnung 2 mwN; Urteil vom 5. November 2014 - 1 [X.], [X.]R StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5). Deren Unterbleiben beschwert die Angeklagte im Hinblick auf die durch das [X.] verhängte Rechtsfolge nicht, da der Umfang der von ihr in [X.] verbüßten Strafhaft auch bei Zugrundelegung des Mindestanrechnungsmaßstabs von 1:1 (vgl. [X.], Urteil vom 5. November 2014 - 1 [X.], [X.]R StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 5) die vom [X.] erkannte Gesamtfreiheitsstrafe übersteigt; diese ist daher als bereits vollständig verbüßt zu werten. Sollten im Vollstreckungsverfahren aus anderen Gründen Zweifel über die Berechnung der gegenständlichen Freiheitsstrafe entstehen, wird die Vollstreckungsbehörde im Rahmen des [X.] eine gerichtliche Entscheidung über den Anrechnungsmaßstab gemäß § 39 Abs. 5 Satz 3 StVollstrO i.V.m. § 458 Abs. 1, § 462 [X.] herbeiführen können (vgl. [X.], [X.], 7. Aufl., § 458 Rn. 7; [X.]/Stöckel, 44. EL, § 458 Rn. 6; [X.]/Graalmann-Scheerer, [X.], 26. Aufl., § 458 Rn. 3; SK-[X.]/[X.], 4. Aufl., § 458 Rn. 6).

6

3. Da die Zurückverweisung der Sache zur Entscheidung über die Bestimmung des Anrechnungsmaßstabs der in [X.] erlittenen Strafhaft - wie dargelegt - nicht veranlasst ist, steht der sich ausschließlich auf die unterbliebene Entscheidung nach § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB beziehende Aufhebungsantrag des [X.] einer Entscheidung des Senats im [X.] nach § 349 Abs. 2 [X.] nicht entgegen.

Becker     

       

Gericke     

       

Spaniol

       

Tiemann     

       

Berg     

       

Meta

3 StR 440/16

13.12.2016

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kleve, 4. August 2016, Az: 110 KLs 17/16

§ 27 StGB, § 51 Abs 3 S 1 StGB, § 52 Abs 3 StGB, § 52 Abs 4 StGB, § 264 StPO, § 29 BtMG, §§ 29ff BtMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.12.2016, Az. 3 StR 440/16 (REWIS RS 2016, 917)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 917

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Referenzen
Wird zitiert von

4 StR 580/19

3 StR 473/20

Zitiert

1 StR 299/14

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