Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.07.2020, Az. V R 26/19

5. Senat | REWIS RS 2020, 3339

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Gegenstand

Vorsteuervergütung im Insolvenzeröffnungsverfahren


Leitsatz

§ 55 Abs. 4 InsO ist nur auf Masseverbindlichkeiten, nicht aber auch auf Vergütungsansprüche zugunsten der Masse anzuwenden.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 12.06.2019 - 5 K 166/19 U wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen werden nicht erstattet.

Tatbestand

I.

1

Das zuständige Amtsgericht (AG) bestellte den Kläger und Revisionskläger (Kläger) mit Beschluss vom 16.08.2017 gemäß §§ 21, 22 der Insolvenzordnung ([X.]) zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der [X.] ([X.]) und ordnete an, dass Verfügungen nur mit Zustimmung des [X.] wirksam sein sollten (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2  2. Alternative [X.]). Schuldnern der [X.] ([X.]) wurde verboten, an die [X.] zu zahlen. Der Kläger wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen der [X.] einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen. Die Drittschuldner wurden aufgefordert, nur noch unter Beachtung dieser Anordnung zu leisten (§ 23 Abs. 1 Satz 3 [X.]).

2

Mit Beschluss des [X.] wurde wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

3

Der Kläger übermittelte am 10.11.2017 Umsatzsteuervoranmeldungen für den Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung (August, September und Oktober 2017) betreffend den Unternehmensteil der Insolvenzmasse an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--).

4

Danach lagen für den Zeitraum August bis Oktober 2017 insgesamt steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 30.769 € mit einer Umsatzsteuer in Höhe von 5.846,11 € sowie abziehbare Vorsteuerbeträge in Höhe von 82.840,59 € vor, so dass zugunsten der Masse ein Vergütungsanspruch in Höhe von 76.994,28 € festzusetzen sei.

5

Demgegenüber ging das [X.] im [X.] an eine Umsatzsteuersonderprüfung davon aus, dass die angemeldeten Vorsteuerbeträge in Höhe von 82.840,59 € nicht bei der Insolvenzmasse steuerlich zu berücksichtigen, sondern dem vorinsolvenzrechtlichen Vermögensteil zuzurechnen seien. Das [X.] lehnte mit [X.] vom 24.01.2018 die beantragte Festsetzung der Umsatzsteuer für die Voranmeldungszeiträume August bis Oktober 2017 unter der [X.] ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

6

Nach dem in Entscheidungen der Finanzgerichte ([X.]) 2019, 1405 veröffentlichten Urteil des Finanzgerichts ([X.]) waren die dem Grunde nach unstreitigen Vergütungsansprüche nicht unter der [X.] festzusetzen. Für die Aufteilung in einen vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil und die Insolvenzmasse komme es auf den Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an. Abweichendes ergebe sich nicht aus § 55 Abs. 4 [X.], der sich nur auf Verbindlichkeiten, nicht aber auch auf Forderungen der Masse beziehe. Die Vorschrift solle nur Nachteile des Fiskus ausgleichen, nicht aber Verbindlichkeiten und Forderungen gleichbehandeln. Auf Fragen zur Aufrechnung komme es im Festsetzungsverfahren nicht an. Im Übrigen bestünden im Streitfall auch keine Insolvenzforderungen, mit denen gegen hier vorliegende Vergütungsansprüche aufgerechnet werden könnte.

7

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Das [X.]-Urteil verstoße gegen § 55 Abs. 4 [X.]. Mit der Insolvenzeröffnung werde das Unternehmen in verschiedene Unternehmensteile aufgespalten. Gleiches gelte für das Eröffnungsverfahren bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt. Für den Begriff der Verbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 4 [X.] komme es auf das an, was der Insolvenzverwalter vereinnahme und verausgabe. Die Vorschrift beziehe sich auf "Ansprüche" und damit auf alle unselbständigen Besteuerungsgrundlagen, so dass der sich hieraus ergebende Saldo --unabhängig von seinem [X.] unter diese Vorschrift falle. § 55 Abs. 4 [X.] erfasse ebenso wie § 55 Abs. 1 [X.] im eröffneten Verfahren auch [X.]. Nach seinem Gesetzeszweck solle § 55 Abs. 4 [X.] eine "Anreicherung" der Insolvenzmasse im Umfang vereinnahmter Umsatzsteuer verhindern. Aus diesem Gesetzeszweck folge nicht, dass [X.] dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil zuzuordnen seien. Auf die Rechtsprechung des [X.] ([X.]) zur Aufrechnung komme es aufgrund der vorrangigen Zusammenfassung von § 55 Abs. 1 und Abs. 4 [X.] nicht an. Den für das Eröffnungsverfahren abzugebenden Voranmeldungen komme eine [X.] zu und sie seien daher unter der [X.] zu erfassen.

8

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des [X.] und die Verweigerung der Zustimmung des [X.] vom 24.01.2018 zu den am 10.11.2017 übermittelten Umsatzsteuervoranmeldungen für August 2017 über … €, September 2017 über … € und Oktober 2017 über … € in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.12.2018 aufzuheben und das [X.] zu verpflichten, diesen Voranmeldungen zuzustimmen.

9

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

§ 55 Abs. 4 [X.] sei nicht auf [X.] anzuwenden. Die Vorschrift erfasse bereits nach ihrem Wortlaut nur Verbindlichkeiten. Die Vorschrift solle lediglich Nachteile zu Lasten des Fiskus ausgleichen. § 55 Abs. 4 [X.] sei nicht teleologisch zu erweitern. Erstattungsansprüche gehörten nach § 35 Abs. 1 [X.] zur Masse. Alle Absätze des § 55 [X.] erfassten nur Verbindlichkeiten. Im Übrigen fehle es am Rechtsschutzinteresse für die begehrte Erstattung in die Masse. Denn die [X.] seien bereits vollständig bei der unter der ersten Steuernummer durchgeführten Umsatzsteuerjahresveranlagung 2017 mit [X.] vom 13.03.2018 berücksichtigt worden. Den sich hieraus ergebenden Erstattungsanspruch, der höher gewesen sei als die erklärten [X.], habe das [X.] vollständig auf das für die Abwicklung des Insolvenzverfahrens eingerichtete Konto erstattet, nicht aber mit anderen Insolvenzforderungen aufgerechnet. Damit habe das [X.] dem Klagebegehren bereits in vollem Umfang entsprochen. Dies sei nur unter der ersten Steuernummer erfolgt. Zudem handele es sich auch um eine unzulässige Rechtsausübung, wenn der Kläger das, was er erhalte, zurückzugewähren habe.

Die Beigeladene hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). § 55 Abs. 4 [X.] enthält keine Regelung zur Vergütung von [X.]. Soweit der Kläger eine auf das Kalenderjahr bezogene Steuerberechnung für den Massebereich des § 55 [X.] unter Einbeziehung der im Insolvenzeröffnungsverfahren entstandenen Vorsteuerüberhänge erstrebt, ist hierüber nicht im Verfahren über die Voranmeldungszeiträume des Insolvenzeröffnungsverfahren, sondern nur im Verfahren über einen den Massebereich des § 55 [X.] betreffenden Jahresbescheid zu entscheiden.

1. § 55 Abs. 4 [X.] ist nur auf Masseverbindlichkeiten, nicht aber auch auf Vergütungsansprüche zugunsten der Masse anzuwenden.

a) Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 55 Abs. 4 [X.] als Masseverbindlichkeiten.

b) Im Rahmen von § 55 Abs. 4 [X.] sind auch Vorsteuerbeträge abzuziehen, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind und die daher im Rahmen der Steuerberechnung für die § 55 Abs. 4 [X.] unterliegenden Voranmeldungszeiträume masseverbindlichkeitsmindernd wirken (vgl. zu den Einzelheiten Senatsurteil vom 24.09.2014 - V R 48/13, [X.], 460, [X.], 506).

Hieraus folgt, wie das [X.] zutreffend entschieden hat, nichts anderes für den Fall eines Vorsteuerüberhangs, der für die § 55 Abs. 4 [X.] unterliegenden Voranmeldungszeiträume zu einem Vergütungsanspruch führt. Maßgeblich ist hierfür der auf Verbindlichkeiten eingeschränkte Wortlaut des § 55 Abs. 4 [X.]. Danach werden nur Verbindlichkeiten den Masseverbindlichkeiten zugewiesen. Diese Beschränkung auf den Steueranspruch steht --entgegen der Auffassung des [X.]-- einer Erstreckung der Vorschrift auf andere Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i.S. von § 37 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]), wie etwa dem Steuervergütungsanspruch, entgegen (MünchKomm[X.]/ Hefermehl, 4. Aufl., § 55, Rz 240; kritisch [X.] in [X.], Insolvenzordnung, 19. Aufl., § 55 Rz 46, jeweils m.w.N.).

2. Abweichendes ergibt sich auch nicht aus einer vom Kläger angenommenen Zuordnungswirkung im [X.]. Denn Voranmeldungen kommt für die Jahressteuerfestsetzung keine materiell-rechtliche Bindungswirkung zu.

a) Der Vorauszahlungsbescheid ist zu keinerlei materiellen Bestandskraft in dem Sinne fähig, dass er mit gegenüber dem Jahressteuerbescheid durchsetzungsfähiger Verbindlichkeit über das Bestehen einer Umsatzsteuer(vorauszahlungs)schuld entscheidet (BFH-Urteil vom 15.06.1999 - VII R 3/97, [X.], 14, [X.], 46). Denn vorläufige Bescheide werden materiell nicht bestandskräftig. Nur der endgültige Jahressteuerbescheid ist uneingeschränkt anfechtbar, auch wenn er einen vorläufigen Bescheid nur bestätigt (vgl. BFH-Urteil vom 13.11.1975 - IV R 61/75, [X.], 1, [X.] 1977, 126). Dementsprechend geht z.B. auch eine Änderung eines Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids nach dem wirksamen Ergehen des [X.] über den Besteuerungszeitraum des Kalenderjahres ins Leere (Senatsurteil vom 29.11.1984 - V R 146/83, [X.], 101, [X.] 1985, 370).

b) Diese unmittelbar das Steuerfestsetzungsverfahren betreffende Rechtsprechung ist auch bei der Zuordnung von [X.] zum Insolvenzbereich des § 38 [X.] und zum Massebereich des § 55 [X.] zu beachten. Daher ist für das Jahr der Insolvenzeröffnung nicht nur über das Bestehen und den Umfang des Steueranspruchs, sondern auch über seine insolvenzrechtliche Einordnung abschließend erst bei der [X.] und der insolvenzrechtlichen Durchsetzung des [X.] zu entscheiden. Dabei ist der Teil der Jahressteuer, die Insolvenzforderung ist, zur Insolvenztabelle anzumelden (§§ 174 ff. [X.]), während der Teil der Jahressteuer, die zu einer Masseverbindlichkeit nach § 55 [X.] führt, durch Steuerbescheid festzusetzen ist (vgl. zur Aufteilung in "Umsatzsteuerjahresinsolvenzforderung" und "[X.]" auch Senatsurteil vom 27.09.2018 - V R 45/16, [X.], 214, [X.] 2019, 356). Hierfür entfaltet die Sachbehandlung im [X.] und die rein arbeitstechnische Erfassung unter unterschiedlichen Steuernummern für die Bereiche der §§ 38, 55 [X.] keinerlei Bindungswirkung.

Dabei verneint der erkennende Senat die vom Kläger geschilderte Gefahr einer Doppelerfassung oder einer fehlerhaften Nichtberücksichtigung einzelner Besteuerungsgrundlagen, so dass auch dies nicht für die vom Kläger angenommene Zuordnungswirkung des [X.]s spricht. Denn dem Tabelleneintrag der Umsatzsteuerjahresinsolvenzforderung kommt nur die Wirkung eines nach § 130 [X.] änderbaren Feststellungsbescheids zu (Senatsurteil vom 24.11.2011 - V R 13/11, [X.], 137, [X.] 2012, 298). Daher kann eine fehlerhafte Doppelerfassung einzelner Besteuerungsgrundlagen in den Bereichen der §§ 38, 55 [X.] ebenso wie eine unzutreffende Nichtberücksichtigung nachträglich durch eine Änderung der für den [X.] ergangenen Steuerfestsetzung wie auch durch eine Änderung des Tabelleneintrags korrigiert werden.

c) Über die vom Kläger letztlich angestrebte Klärung, "ob ein nach der Saldierung gem. § 16 Abs. 2 Satz 1 [des Umsatzsteuergesetzes (UStG)] verbleibendes Vorsteuerguthaben aus dem Zeitraum der vorläufigen Verwaltung in die erste Voranmeldung nach Eröffnung vortragsfähig und mit Umsatzsteuern aus Lieferungen und Leistungen nach Insolvenzeröffnung saldierungsfähig ist" ([X.]/[X.], Insolvenzordnung, 15. Aufl., § 55 Rz 119), kann somit nicht im Streitfall, der das [X.] betrifft, sondern nur im Rahmen einer den Massebereich des § 55 [X.] betreffenden Jahressteuerfestsetzung entschieden werden.

3. Auf die Überlegungen des [X.] zur Auszahlung der Vergütungsansprüche unter der Insolvenzsteuernummer ohne Aufrechnung mit anderen Insolvenzforderungen kommt es nicht an.

4. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen waren nicht zu erstatten, da sie weder [X.] gestellt, noch das Verfahren mit eigenen Beiträgen gefördert hat (§ 139 Abs. 4 [X.]O).

Meta

V R 26/19

23.07.2020

Bundesfinanzhof 5. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 12. Juni 2019, Az: 5 K 166/19 U, Urteil

§ 1 Abs 1 Nr 1 UStG 2005, § 55 Abs 4 InsO, § 38 InsO, § 16 Abs 2 S 1 UStG 2005, UStG VZ 2017

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 23.07.2020, Az. V R 26/19 (REWIS RS 2020, 3339)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3339

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