Bundesgerichtshof, Anerkenntnisurteil vom 06.05.2014, Az. X ZR 11/14

10. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 5854

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ANWALTSZWANG ANERKENNTNIS ANERKENNTNISURTEIL POSTULATIONSFÄHIGKEIT

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Gegenstand

Anerkenntnis in der Revisionsinstanz durch den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten


Leitsatz

Der Revisionsbeklagte kann den gegen ihn geltend gemachten Anspruch, jedenfalls solange der Kläger seine Revision noch nicht begründet hat, durch Erklärung seines zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten anerkennen.

Tenor

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das am 18. Dezember 2013 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des [X.] aufgehoben und das am 13. Juni 2013 verkündete Urteil des [X.] abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. November 2012 sowie 155,30 € vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. März 2013 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Gründe

1

I. Die Klägerin verlangt aus eigenem und von drei Mitreisenden abgetretenem Recht Ausgleichszahlungen nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. [X.] ([X.]) Nr. 261/2004 des [X.] und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung ([X.]) Nr. 295/91 ([X.]. [X.] vom 17. Februar 2004, [X.] ff.) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Anwaltskosten.

2

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten im zweiten Rechtszug haben mit Schriftsatz vom 27. März 2014 die von der Klägerin mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision weiterverfolgten Ansprüche innerhalb der noch laufenden Frist zur Begründung der Revision anerkannt. Die Klägerin hat Erlass eines [X.] beantragt.

3

II. Die Beklagte ist dem Anerkenntnis gemäß zu verurteilen.

4

Das Anerkenntnis ist ungeachtet dessen wirksam, dass die Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht beim [X.] zugelassen sind.

5

Die Erklärung eines Anerkenntnisses unterliegt als [X.] dem Anwaltszwang (§ 78 Abs. 1 ZPO). Vor den Gerichten des höheren Rechtszugs kann eine dem Anwaltszwang unterliegende [X.] grundsätzlich wirksam nur von einem Rechtsanwalt vorgenommen werden, der bei dem Gericht zugelassen ist, dem gegenüber die [X.] zu erklären ist. Wenn der Rechtsstreit in der Rechtsmittelinstanz anhängig ist, können daher grundsätzlich auch die [X.]en, die sich an das Rechtsmittelgericht richten, nur von einem beim Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt vorgenommen werden. Dieser Grundsatz kann jedoch nicht starr durchgeführt werden. Er muss dort Ausnahmen erleiden, wo prozessökonomische Erwägungen dies nahelegen und der mit der Bestimmung des § 78 ZPO verfolgte Zweck dadurch nicht in Frage gestellt wird ([X.], Beschluss vom 10. Juli 1954 - [X.]/53, [X.]Z 14, 210, 211). Der [X.] hat es deshalb für zulässig angesehen, dass der Kläger und Revisionsbeklagte die Klage durch seinen zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten zurücknimmt. Im Falle einer Klagerücknahme müsse sich der [X.] mit der Sache selbst überhaupt nicht befassen und auch keine für die Fortführung des Revisionsverfahrens bedeutsame [X.] vornehmen. Es sei deshalb kein zwingender Grund dafür ersichtlich, die Befugnis des beim Berufungsgericht zugelassenen Anwalts zur Klagerücknahme, die er kraft der ihm gemäß § 81 ZPO zustehenden Vollmacht bis zur Einlegung der Revision erklären könne, mit dem Augenblick enden zu lassen, in dem die beklagte Gegenpartei Revision eingelegt habe ([X.], Beschluss vom 10. Juli 1954 - [X.]/53, [X.]Z 14, 210, 211). Ebenso hat der [X.] entschieden, dass die Aufnahme eines beim [X.] durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder durch Tod einer [X.] unterbrochenen Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde durch den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des [X.] wirksam erklärt werden könne, da hierdurch lediglich der vor der Unterbrechung bestehende Verfahrensstand hergestellt werde und daher der Revisionsbeklagte, ohne Rechtsnachteile zu erleiden, mit der Bestellung eines beim [X.] zugelassenen Anwalts bis zur Entscheidung über die Zulassung der Revision zuwarten könne ([X.], Beschluss vom 2. November 2011 - [X.], NJW-RR 2012, 8; entsprechend zum früheren Verfahren über die Annahme der Revision: Beschluss vom 8. Februar 2001 - [X.], [X.]Z 146, 372, 373 = NJW 2001, 1581).

6

Zwar unterscheidet sich das Anerkenntnis nach § 307 Satz 1 ZPO von diesen [X.]en dadurch, dass es den prozessualen Anspruch betrifft und auf den Erlass eines [X.] gerichtet ist. Es beendet das Verfahren nicht unmittelbar mit der Folge, dass dem Gericht wie bei einer Klagerücknahme, die Möglichkeit zu entscheiden, genommen ist. Das Gericht ist lediglich davon enthoben, den ihm ursprünglich vorgelegten Streitstoff zu überprüfen ([X.], Urteil vom 8. Oktober 1953 - [X.]/51, [X.]Z 10, 333, 335). Das Anerkenntnis ist damit von seiner Rechtsnatur her vielmehr mit dem sein prozessuales Gegenstück bildenden Verzicht gemäß § 306 ZPO vergleichbar (vgl. [X.]/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., Vor §§ 306, 307 Rn. 1). Insoweit hat der [X.] zwar entschieden, dass die von den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers zum [X.] abgegebene Verzichtserklärung als prozessual unwirksam anzusehen ist ([X.], Urteil vom 16. Juni 1987 - [X.], NJW 1988, 210). Diese Entscheidung steht indessen der Annahme eines wirksam erklärten Anerkenntnisses im Streitfall nicht entgegen.

7

Jedenfalls dann, wenn das Anerkenntnis - wie im Streitfall - zu einem Zeitpunkt erklärt wird, in dem der Kläger seine Revision noch nicht begründet und gemäß § 555 Abs. 3 ZPO Antrag auf Erlass eines [X.] gestellt hat, sprechen prozessökonomische Erwägungen dafür, die Erklärung durch die zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der beklagten [X.] als ausreichend und wirksam anzusehen.

8

Der Zweck des qualifizierten [X.] nach § 78 Abs. 1 Satz 3 ZPO, eine geordnete Rechtspflege durch spezialisierte Anwälte mit besonderer Erfahrung und Kompetenz sicherzustellen (vgl. [X.], Beschluss vom 4. März 2002 - [X.] 1/01, [X.]Z 150, 70, 81), erfordert in diesem Fall nicht die Bestellung eines beim [X.] zugelassenen Anwalts. Zwar kann hierfür nicht in erster Linie ausschlaggebend sein, dass das Anerkenntnis ohne Überprüfung des ursprünglich vorgelegten Streitstoffs ergeht. Denn dies gilt gleichermaßen für das Verzichtsurteil. Während jedoch ein Verzichtsurteil nach § 306 ZPO nur auf Grund eines "bei der mündlichen Verhandlung" erklärten Verzichts ergehen kann, bedarf es für den Erlass eines [X.] keiner mündlichen Verhandlung (§ 307 Satz 2 ZPO). Das Anerkenntnis kann, was die Form angeht, auch durch Schriftsatz und in zeitlicher Hinsicht ab Rechtshängigkeit bis zum rechtskräftigen Abschluss in jeder Lage des Verfahrens und damit insbesondere auch während laufender Rechtsmittelbegründungsfrist erklärt werden ([X.], Urteil vom 4. März 2010 - [X.], NJW-RR 2010, 783 Rn. 2; Beschluss vom 18. Juli 2013 - [X.], NJW-RR 2013, 1827 Rn. 8). Der Gesetzgeber wollte im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung und -erleichterung den Erlass eines [X.] generell unabhängig von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ermöglichen ([X.]. 378/03 S. 8 f.; BT-Drucks. 15/3482 [X.]7). Die Regelung zum Verzichtsurteil hat er demgegenüber unangetastet gelassen. War es aber die Intention des Gesetzgebers insbesondere den Erlass eines Anerkenntnisses zu erleichtern, sollte dies nicht unnötig dadurch erschwert werden, dass von der beklagten [X.], die den geltend gemachten Anspruch unmittelbar nach Einlegung der Revision durch die Klägerseite anerkennen will, verlangt wird, lediglich für die Erklärung des Anerkenntnisses einen beim [X.] zugelassenen Rechtsanwalt zu bestellen, obwohl sich dieser nach dem Willen der [X.] mit der Sache selbst überhaupt nicht mehr befassen soll. Auch soweit der Anwaltszwang dem Schutz der [X.] vor Rechtsverlusten durch eine unsachgemäße Prozessführung dient, ist hier nicht die Bestellung eines beim [X.] zugelassenen Anwalts geboten. Da die Klägerin ihre Revision noch nicht begründet hat, stünde einem beim [X.] zugelassenen Anwalt im derzeitigen Stadium des Verfahrens auch keine andere Beurteilungsgrundlage zur Verfügung als dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten, der im Übrigen auf der Grundlage derselben Erkenntnisse das Anerkenntnis bis zur Einlegung der Revision durch die Klägerin ohne weiteres hätte erklären können.

9

III. [X.] beruht auf § 91 ZPO.

Meier-Beck                       Gröning                             Schuster

                    Deichfuß                      Kober-Dehm

Meta

X ZR 11/14

06.05.2014

Bundesgerichtshof 10. Zivilsenat

Anerkenntnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Darmstadt, 18. Dezember 2013, Az: 7 S 120/13, Urteil

§ 78 Abs 1 ZPO, § 307 ZPO, § 555 Abs 3 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Anerkenntnisurteil vom 06.05.2014, Az. X ZR 11/14 (REWIS RS 2014, 5854)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5854

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