Bundesverwaltungsgericht, EuGH-Vorlage vom 10.01.2012, Az. 7 C 20/11

7. Senat | REWIS RS 2012, 10317

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Gegenstand

Vorlage zur Vorabentscheidung; Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz; Umsetzung der Richtlinie 2003/35/EG (juris: EGRL 35/2003); Fehler der Umweltverträglichkeitsprüfung


Tenor

Das Verfahren vor dem [X.] wird ausgesetzt.

Der [X.] wird um Klärung folgender Fragen im Wege der Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV gebeten:

1. Ist Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/[X.] und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der [X.] und 96/61/[X.] in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet gewesen sind, die zur Umsetzung von Art. 10a der Richtlinie 85/337/[X.] ergangenen Vorschriften des nationalen Rechts auch für solche behördlichen Genehmigungsverfahren für anwendbar zu erklären, die zwar vor dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden waren, in denen die Genehmigungen aber erst nach diesem Zeitpunkt erteilt wurden?

2. Falls die Frage 1 zu bejahen ist:

Ist Art. 10a der Richtlinie 85/337/[X.] des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten in der durch die Richtlinie 2003/35/[X.] und des Rates vom 26. Mai 2003 geänderten Fassung dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet gewesen sind, die Anwendbarkeit der im Hinblick auf die Anfechtung der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit einer Entscheidung zur Umsetzung von Art. 10a der Richtlinie 85/337/[X.] ergangenen Vorschriften des nationalen Rechts auch auf den Fall einer zwar durchgeführten, aber fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung zu erstrecken?

3. Falls die Frage 2 zu bejahen ist:

Ist Art. 10a der Richtlinie 85/337/[X.] in den Fällen, in denen das Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats entsprechend Art. 10a Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 85/337/[X.] vom Grundsatz her bestimmt, dass für die Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit der Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren von der Geltendmachung einer Rechtsverletzung abhängt, dahin auszulegen,

a) dass eine gerichtliche Anfechtung der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten, nur dann Erfolg haben und zur Aufhebung der Entscheidung führen kann, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den Verfahrensfehler anders ausgefallen wäre, und wenn durch den Verfahrensfehler zudem zugleich eine dem Kläger zustehende materielle Rechtsposition betroffen ist oder

b) dass im Rahmen der gerichtlichen Anfechtung der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit Verfahrensfehler bei Entscheidungen, für die die Bestimmungen der Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten, in weiterem Umfang beachtlich sein müssen?

Wenn die vorgenannte Frage im Sinne von b) zu beantworten ist:

Welche inhaltlichen Anforderungen sind an Verfahrensfehler zu stellen, damit diese bei der gerichtlichen Anfechtung der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit der Entscheidung zugunsten eines Klägers Berücksichtigung finden können?

Gründe

I.

1

Die Kläger wenden sich gegen einen wasserrechtlichen Planfeststellungsbeschluss des beklagten [X.], der die Errichtung der [X.]/[X.]/[X.] zum Gegenstand hat. Die geplante Hochwasserrückhaltung hat eine Fläche von ca. 327 ha und soll in einem früheren Überschwemmungsgebiet des [X.] gebaut werden. Das Vorhaben beinhaltet die Errichtung eines Rückhalteraums, der aus zwei getrennten Teilen besteht. Der ungesteuerte Teil ([X.] ca. 1,2 Mio. m3) soll in Abhängigkeit von den [X.] regelmäßig überschwemmt und an die natürliche Dynamik des [X.] angeschlossen werden. Der gesteuerte Teil des Rückhalteraums ([X.] ca. 7,8 Mio. m3) soll bei extremen Hochwasserereignissen geflutet werden, um Überflutungen in den unterliegenden Siedlungs-, Gewerbe- und Infrastrukturflächen der Rheinniederung zu verhindern. Im Zusammenhang mit der Errichtung der [X.] sind zahlreiche bauliche Maßnahmen geplant.

2

Von der Planung betroffen sind in erster Linie landwirtschaftlich genutzte Grundstücke und Waldflächen. Der ungesteuerte Teil der Rückhaltung liegt in dem im Mai 2004 gemeldeten FFH-Gebiet "Rheinniederung [X.]". In der Nähe des Vorhabens befinden sich ein weiteres FFH-Gebiet sowie zwei [X.] Vogelschutzgebiete.

3

Die Klägerin zu 1 ist eine Gemeinde. Die geplanten [X.] erfassen ca. 12 % ihres Gemeindegebiets. Auch mehrere in ihrem Eigentum stehende Grundstücke befinden sich im Bereich des planfestgestellten Vorhabens.

4

Die Klägerin zu 2 ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Obst und Gemüse anbaut. Die beiden Gesellschafter sind u.a. Eigentümer und Pächter von innerhalb der geplanten Rückhaltung gelegenen Flächen. Von dem planfestgestellten Vorhaben sind außerdem zahlreiche weitere in ihrem Eigentum stehende oder von ihnen gepachtete Flächen betroffen, die für die Herstellung von Deichen in Anspruch genommen werden sollen.

5

Der Kläger zu 3 ist Eigentümer eines nahe der geplanten Hochwasserrückhaltung liegenden Wohngrundstücks und mehrerer - ebenfalls in der Nähe des geplanten Vorhabens liegender - Grundstücke in einem Naherholungsgebiet, die für einen [X.]ampingplatz genutzt werden.

6

Mit Schreiben vom 31. Januar 2002 beantragte der Träger des Vorhabens (die Regionalstelle Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Bodenschutz - Neubaugruppe Hochwasserschutz [X.] - der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd des beklagten [X.]) bei der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd als Oberer Wasserbehörde die Feststellung des Plans für den Bau der Hochwasserrückhaltung.

7

Der Plan wurde mit Beschluss der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd vom 20. Juni 2006 festgestellt.

8

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen.

9

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung gegen das Urteil des [X.] zurückgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Das zwischenzeitlich in [X.] getretene [X.], das die Richtlinie 2003/35/[X.] umsetze, führe nicht dazu, dass die Kläger Mängel der Umweltverträglichkeitsprüfung gerichtlich geltend machen könnten. Nach der Übergangsvorschrift des § 5 [X.] finde das Gesetz nur auf solche Verfahren Anwendung, die nach dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden seien. [X.] Bedenken gegen diese Übergangsvorschrift bestünden nicht. Stehe mithin bereits § 5 [X.] der Anwendung dieses Gesetzes entgegen, könne dahinstehen, ob sich aus § 4 Abs. 1 [X.] überhaupt ein Anspruch auf Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses ergeben könne. Falls § 4 Abs. 1 [X.] anwendbar wäre, bestünden Bedenken, ob der nach dessen Wortlaut geregelte "Totalausfall" einer Umweltverträglichkeitsprüfung auch den von den Klägern geltend gemachten Fehlertyp des "Defizits" einer Umweltverträglichkeitsprüfung umfasse. Selbst wenn dies der Fall wäre, spräche vieles dafür, dass ein Anspruch der Kläger an dem in der Rechtsprechung des [X.] aufgestellten [X.] scheitern würde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Kläger. Sie machen insbesondere geltend, das [X.] setze die unionsrechtlichen Vorgaben nur unzureichend um. Bei einer richtigen Umsetzung könnten die Kläger bei Fehlern der Umweltverträglichkeitsprüfung eine Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses verlangen. Deshalb hätte das Oberverwaltungsgericht nicht offenlassen dürfen, ob solche Fehler vorliegen.

Der Beklagte verteidigt das Berufungsurteil.

II.

Die maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts finden sich

- in der Richtlinie 2003/35/[X.] des [X.]n Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der [X.] und 96/61/[X.] des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu den Gerichten (ABl [X.] Nr. L 156 S. 17 vom 25. Juni 2003; im [X.] abgekürzt: Richtlinie 2003/35/[X.]) und

- in der Richtlinie 85/337/[X.] des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten ([X.] vom 5. Juli 1985; im [X.] abgekürzt: Richtlinie 85/337/[X.]).

Die maßgeblichen Vorschriften des nationalen Rechts finden sich im Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der [X.]-Richtlinie 2003/35/[X.] ([X.], UmwRG) vom 7. Dezember 2006 ([X.] 2816).

Von Bedeutung sind ferner

- das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (im [X.] abgekürzt: [X.]) in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. Februar 2010 ([X.] ) und

- die [X.]ordnung (im [X.] abgekürzt: VwGO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. März 1991 ([X.] 686).

III

1. Für die unter 1 gestellte Frage ist einschlägige Vorschrift des Unionsrechts Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2003/35/[X.]. Dieser lautet:

Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in [X.], die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis zum 25. Juni 2005 nachzukommen.

2. Die insoweit einschlägige Vorschrift des nationalen Rechts ist § 5 Halbs. 1 UmwRG, der wie folgt lautet:

Dieses Gesetz gilt für Verfahren nach § 1 Abs. 1 Satz 1, die nach dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden sind oder hätten eingeleitet werden müssen.

§ 1 Abs. 1 Satz 1 UmwRG lautet, soweit er hier von Interesse ist:

Dieses Gesetz findet Anwendung für Rechtsbehelfe gegen

1. Entscheidungen im Sinne von § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung über die Zulässigkeit von Vorhaben, für die nach

a) dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung ... eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen kann.

Die einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung lauten wie folgt:

Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein unselbstständiger Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren, die der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben dienen (§ 2 Abs. 1 Satz 1 [X.]) und

Entscheidungen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 sind 1. ... Planfeststellungsbeschluss ... (§ 2 Abs. 3 [X.]).

Die Entscheidung im Revisionsverfahren hängt von der Antwort auf die gestellten Fragen ab.

Allein auf der Grundlage des nationalen Rechts ist die Revision der Kläger schon deswegen zurückzuweisen, weil das [X.] für das vorliegende Verfahren (noch) nicht anwendbar ist:

Die Auslegung von § 5 UmwRG nach dessen Wortlaut ergibt eindeutig, dass das Gesetz nicht anwendbar ist für Verwaltungsverfahren, die bis zum 25. Juni 2005 eingeleitet worden sind. Dies gilt auch dann, wenn eine behördliche Entscheidung erst später ergangen ist und folglich Überprüfungsverfahren vor Gerichten, in denen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung angefochten wird, erst einige Jahre nach Ablauf der in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/35/[X.] gesetzten Frist eingeleitet worden sind.

Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. In der Gesetzesbegründung (BTDrucks 16/2495 S. 14) heißt es:

"Für Zulassungsentscheidungen, die vor dem 25. Juni 2005 bereits erteilt worden sind, oder deren laufende Verwaltungsverfahren am genannten Stichtag noch nicht abgeschlossen sind, richtet sich der Rechtsschutz ausschließlich nach den Bestimmungen der [X.]ordnung ..."

Eine andere Auslegung von § 5 UmwRG ist dem [X.] deshalb verwehrt.

Fraglich ist dagegen, ob das nationale Recht mit dem Unionsrecht übereinstimmt. Aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des [X.]n Gerichtshofs lässt sich diese Frage nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit beantworten. Daran vermögen auch die Ausführungen in dessen Urteilen vom 18. Juni 1998 (- [X.]. [X.]-81/96, [X.] - [X.]. 1998, [X.] Rn. 23 und 24) und vom 7. Januar 2004 (- [X.]. [X.], [X.] - NVwZ 2004, 593 <595>) nichts zu ändern; denn die dort zur Zulässigkeit von [X.] gemachten Ausführungen lassen sich nicht ohne Weiteres auf die vorliegende Fallkonstellation übertragen: Wäre das [X.] auch für Verwaltungsverfahren anwendbar, die bis zum 25. Juni 2005 eingeleitet worden sind, wenn eine behördliche Entscheidung erst nach diesem Tag ergangen ist, würde dies weder behördliche noch gerichtliche Verfahren verzögern. Für das Verwaltungsverfahren begründet das [X.] ohnehin keine neuen Anforderungen. Auf das gerichtliche Verfahren wäre von Anfang an das [X.] anwendbar, so dass auch dieses auf Grund der Übergangsregelung nicht verzögert werden könnte.

Falls die Frage 1 zu bejahen ist, könnte deshalb die Revision nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, dass [X.] sei für das vorliegende Verfahren nicht anwendbar. Vielmehr würden sich dann die Fragen 2 und ggf. 3 stellen, deren Beantwortung - wie unten näher ausgeführt wird - der Revision zum Erfolg verhelfen könnte.

IV

1. Für die unter 2 gestellte Frage ist einschlägige Vorschrift des Unionsrechts Art. 10a Satz 1 der Richtlinie 85/337/[X.] in der durch die Richtlinie 2003/35/[X.] geänderten Fassung. Dieser lautet - soweit hier von Bedeutung -:

Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die

a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ

b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das [X.] bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,

Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht ... haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen ... anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten.

Die hier einschlägige Vorschrift des nationalen Rechts ist § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG, der folgenden Wortlaut hat:

Die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 kann verlangt werden, wenn eine nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung ...

1. erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung oder

2. erforderliche Vorprüfung des Einzelfalls über die UVP-Pflichtigkeit

nicht durchgeführt worden und nicht nachgeholt worden ist.

Erheblich ist weiter die Vorschrift des § 4 Abs. 3 UmwRG, der wie folgt lautet:

Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend für Rechtsbehelfe von Beteiligten nach § 61 Nr. 1 und 2 der [X.]ordnung.

§ 61 VwGO hat folgenden Wortlaut:

Fähig am Verfahren beteiligt zu sein, sind

1. natürliche und juristische Personen,

2. Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann, ...

Falls die Frage 1 zu bejahen ist, hängt die Entscheidung im Revisionsverfahren von der Antwort auf die Frage 2 ab:

Nach dem nationalen Recht ist § 4 Abs. 1 UmwRG zwar entsprechend anwendbar für die Rechtsbehelfe von natürlichen und juristischen Personen (§ 4 Abs. 3 UmwRG i.V.m. § 61 Nr. 1 VwGO). Dies würde der Revision aber nicht zum Erfolg verhelfen, weil die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist; denn gemäß § 4 Abs. 1 UmwRG kann die Aufhebung einer Entscheidung - vorbehaltlich der Ausführungen unter Ziffer V zur dritten Frage (vgl. Rn. 39 ff.) - nur verlangt werden, wenn die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung überhaupt nicht durchgeführt worden ist.

Könnte ein Aufhebungsanspruch dagegen auch bei einer fehlerhaften Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen, hätte die Revision der Kläger Erfolg. Das angefochtene Urteil des [X.] wäre aufzuheben und die Sache wäre an dieses zurückzuverweisen. Das Oberverwaltungsgericht müsste dann prüfen, ob die Umweltverträglichkeitsprüfung an einem entscheidungserheblichen Fehler leidet, wie die Kläger behaupten, was aber im gerichtlichen Verfahren bisher nicht geprüft worden ist.

Die Bestimmung des § 4 Abs. 1 UmwRG ist nach ihrem Wortlaut eindeutig. Der Wortlaut entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Im (ursprünglichen) Gesetzentwurf der Bundesregierung war - "zur vollständigen Umsetzung der [X.], insbesondere von Artikel 10a" (BTDrucks 16/2495 S. 13) - noch eine weitergehende Beachtlichkeit von Verfahrensfehlern in diesem Sinne vorgesehen. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG in der Fassung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung sollte die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UmwRG verlangt werden können, wenn wesentliche Verfahrensvorschriften verletzt worden sind und der Verfahrensfehler nicht geheilt werden kann (BTDrucks 16/2495 S. 6). Die fehlende Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. die fehlende Vorprüfung im Einzelfall wurde dabei in § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG lediglich als "Regelbeispiel" für die Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften genannt. Dies wurde von der Bundesregierung zu Umsetzung des Art. 10a [X.] vor dem Hintergrund der "[X.]"-Entscheidung des [X.]n Gerichtshofs (Urteil vom 7. Januar 2004 - [X.]. [X.] - NVwZ 2004, 593) als zwingend notwendig erachtet (BTDrucks 16/2495 S. 6, 13/14). Im weiteren Verlauf ist dann aber der Gesetzgeber dem Vorschlag der Bundesregierung bewusst nicht gefolgt, sondern hat den Aufhebungsanspruch gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG ausdrücklich auf den Fall der nicht durchgeführten Umweltverträglichkeitsprüfung beschränkt.

Angesichts dessen ist dem [X.] eine andere Auslegung von § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG verwehrt.

Ob § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG - hiernach - zur Umsetzung von Art. 10a [X.] genügt, ist fraglich. Nach dieser Bestimmung stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren haben, "um die ... verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen ... anzufechten". Die Bundesregierung hielt deshalb - wie dargelegt - zunächst zur vollständigen Umsetzung des Art. 10a [X.] eine weitergehende Regelung für erforderlich.

Es mag zwar einiges dafür sprechen, die Frage 2 zu bejahen und damit anzunehmen, dass § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 85/337/[X.] in der durch die Richtlinie 2003/35/[X.] geänderten Fassung nur unzureichend umsetzt. Die aufgeworfene Frage lässt sich aber - nach der Überzeugung des Senats - aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des [X.]n Gerichtshofs nicht mit der gebotenen Klarheit beantworten.

Dies gilt auch nach dessen Urteil vom 12. Mai 2011 ([X.]. [X.]/09). Darin wird - gemäß dem Wortlaut der Richtlinie - zwischen den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit, die Zugang zu einem gerichtlichen Überprüfungsverfahren haben (die also ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ eine Rechtsverletzung geltend machen), und der Anfechtung der materiellrechtlichen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen unterschieden. Die Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 1 UmwRG setzt allein das zweitgenannte Tatbestandsmerkmal der Richtlinie um.

Zu der Anfechtung der materiellen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit von Entscheidungen wird in dem Urteil lediglich ausgeführt: Es "ist festzustellen, dass Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 85/337 bestimmt, dass es möglich sein muss, Entscheidungen ... im Sinne dieses Artikels zum Gegenstand eines gerichtlichen Überprüfungsverfahrens zu machen, um die 'materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit ... anzufechten', ohne dass er in irgendeiner Weise die Gründe beschränkt, die zur Stützung eines entsprechenden Rechtsbehelfs vorgebracht werden können" (vgl. Rn. 37).

V

1. Für die unter 3 gestellte Frage ist einschlägige Vorschrift des Unionsrechts Art. 10a der Richtlinie 85/337/[X.] in der durch die Richtlinie 2003/35/[X.] geänderten Fassung. Die Vorschrift wird oben unter IV zitiert.

2. Die einschlägigen Rechtssätze des nationalen Rechts ergeben sich aus dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung und der hierzu ergangenen ständigen Rechtsprechung des [X.].

Nach dieser Rechtsprechung vermittelt das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung einem von einem [X.] Vorhaben Betroffenen ebenso wenig selbstständig durchsetzbare Verfahrenspositionen, wie dies Verfahrensvorschriften anderer Fachgesetze tun. Dass das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung besondere verfahrensrechtliche Anforderungen an die Ermittlung, Darstellung und Bewertung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens stellt, vermag daran nichts zu ändern. Die Richtlinie 85/337/[X.] - in ihrer ursprünglichen Fassung - enthält nach dieser Rechtsprechung keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der nationale Gesetzgeber verpflichtet gewesen wäre, privaten [X.] eine weitergehende Klagemöglichkeit zu eröffnen, als sie das nationale Recht allgemein bei der Verletzung von Verfahrensvorschriften eröffnet. Eine Rechtsverletzung eines von einem [X.] Vorhaben Betroffenen kann deshalb nur vorliegen, wenn der Verfahrensfehler kausal für das den Kläger belastende Ergebnis der Planfeststellung war. Es muss die konkrete Möglichkeit bestehen, dass die angefochtene Entscheidung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre ([X.], st[X.]pr; vgl. u.a. Urteile vom 8. Juni 1995 - BVerwG 4 [X.] 4.94 - BVerwGE 98, 339 <361 f.> = [X.] 407.4 § 17 [X.] Nr. 102, vom 25. Januar 1996 - BVerwG 4 [X.] 5.95 - BVerwGE 100, 238 <251 f.> = [X.] 407.4 § 17 [X.] Nr. 107 und vom 13. Dezember 2007 - BVerwG 4 [X.] 9.06 - BVerwGE 130, 83 <98> = [X.] 442.40 § 8 LuftVG Nr. 30).

Fraglich ist aber, ob die ständige Rechtsprechung des [X.] nach Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2003/35/[X.] fortbestehen kann.

Falls dies zu verneinen und die Frage 3 damit im Sinne von b) zu beantworten ist, stellt sich die weitere Frage, welche inhaltlichen Anforderungen an Verfahrensfehler zu stellen sind, damit diese bei der gerichtlichen Anfechtung der verfahrensrechtlichen Rechtmäßigkeit der Entscheidung zugunsten eines Klägers Berücksichtigung finden können (vgl. Frage 3, letzter Teil).

Die Entscheidung im Revisionsverfahren hängt auch von der Beantwortung der Frage 3 ab. Bei Bejahung der Fragen 1 und 2 steht zwar fest, dass das Urteil des [X.] aufzuheben und die Sache an dieses zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist. In seinem Urteil muss das [X.] dann aber dem Oberverwaltungsgericht - für die von diesem zu treffende abschließende Entscheidung über die vorliegenden Klagen - eine rechtliche Beurteilung vorgeben, die für dieses bindend ist (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO). In dieser rechtlichen Beurteilung wird anzugeben sein, ob an dem geschilderten [X.] nach der bisherigen Rechtsprechung des [X.] festzuhalten ist oder welche inhaltlichen Anforderungen sonst an Verfahrensfehler zu stellen sind, damit diese zugunsten der Kläger Berücksichtigung finden können.

Meta

7 C 20/11

10.01.2012

Bundesverwaltungsgericht 7. Senat

EuGH-Vorlage

Sachgebiet: C

vorgehend BVerwG, 19. Januar 2010, Az: 7 B 26/09, Beschluss

Art 6 Abs 1 EGRL 35/2003, Art 10a S 1 EWGRL 337/85, § 5 UmwRG, § 1 Abs 1 UmwRG, § 4 Abs 1 UmwRG, § 2 Abs 1 UVPG, § 2 Abs 3 UVPG, § 61 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, EuGH-Vorlage vom 10.01.2012, Az. 7 C 20/11 (REWIS RS 2012, 10317)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 10317

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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