Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.11.2016, Az. 2 StR 556/15

2. Strafsenat | REWIS RS 2016, 3042

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Gegenstand

Ablehnung eines Beweisantrages: Unerreichbarkeit eines Zeugen bei bloßer Benennung anhand seines Spitznamens und Nichterscheinens des ermittelten Zeugen in der Hauptverhandlung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 6. Mai 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2

Die Revision des Angeklagten rügt zu Recht, das [X.] habe einen Beweisantrag rechtsfehlerhaft wegen Unerreichbarkeit eines Zeugen abgelehnt. Ihr liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:

3

1. In der Hauptverhandlung vom 7. April 2015 stellte der Verteidiger des Angeklagten [X.]einen Beweisantrag, der sich aus einer Vielzahl von unter Beweis gestellten Behauptungen zusammensetzte und unmittelbar auf das Tatgeschehen auf einem Parkplatz bezog, auf dem sich neben dem Angeklagten „mehrere andere Personen“, die nur teilweise mit vollständigem Namen bekannt seien, aufhielten. Im Beweisantrag selbst war zunächst nur ein Zeuge namentlich aufgeführt. Später wurden drei weitere als Zeugen in Betracht kommende Personen benannt, darunter ein „M.   “ (Nachname nicht bekannt), [X.], [X.] , genannt „P.   “.

4

Der Vorsitzende erklärte nach Einholung einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft, dass die zum Beweisantrag genannten Zeugen zum [X.] geladen würden. Zudem bat er die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, den genauen Namen des Zeugen „M.  “, [X.]in [X.] ausfindig zu machen und dem Gericht mitzuteilen. Noch am gleichen Tag richtete die Staatsanwaltschaft ein Ersuchen an das [X.], das die Personalien des Zeugen ausfindig machen sollte. Am darauf folgenden Hauptverhandlungstag, dem 10. April 2015, wurden - mit Ausnahme des „M.   “ - die als Zeugen im Beweisantrag aufgeführten Personen in der Hauptverhandlung vernommen. Der noch am 8. April 2015 geladene Zeuge [X.], der der „[X.] sein solle, erschien nicht. Ein Zustellungsnachweis der Ladung ist der Akte nicht zu entnehmen.

5

Am 13. April 2015 forderte der Vorsitzende eine Einwohnermeldeamtsanfrage bzgl. „[X.]   , [X.], alternative Schreibweisen [X.]  , [X.]   , [X.]  “ bzw. „[X.]  “ an. Diese ergaben keinen „Treffer“, da keine Person gefunden werden konnte, auf welche die Anfragedaten eindeutig zutreffen. Mit Vermerk vom 14. April hielt eine Mitarbeiterin der Geschäftsstelle fest, mit einer Frau [X.]telefoniert zu haben. Diese habe ihr mitgeteilt, [X.]  sei bei ihr in der [X.]in [X.]gemeldet und wohnhaft. Ihr sei mitgeteilt worden, [X.]solle am 29. April 2015 als Zeuge geladen werden; sie sei gebeten worden, dies ihm mitzuteilen.

6

Der am 15. April 2015 zugestellten Ladung leistete der Zeuge keine Folge. Daraufhin wurde - wobei die Verhängung von Ordnungsgeld vorbehalten blieb - die Vorführung des [X.]zum nächsten Hauptverhandlungstag am 6. Mai 2015 angeordnet. An diesem Tag wurden zwei Vermerke von Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle verlesen. Daraus ergab sich aufgrund einer Nachfrage bei der Datenstation der Polizei, dass in der [X.]lediglich „[X.]  “ gemeldet sei, einen [X.]  gebe es in [X.]  und [X.]nicht. [X.]sei dort wohnhaft, das habe dessen Lebensgefährtin, Frau [X.]  , auf telefonische Nachfrage bestätigt. Eine schriftliche Auskunft der „[X.]  “ vom 6. Mai 2015 bestätigte dies. Die Verfahrensbeteiligten erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme, die Verteidiger erklärten dabei, dass die Vorführung des [X.]erneut versucht werden solle.

7

Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung wies die [X.] den auf den Zeugen „M.  “ bezogenen Beweisantrag zurück. Dieser sei unerreichbar. Nach vagen Angaben verschiedener Prozessbeteiligter solle dieser M.   mit Nachnamen [X.](phon.) heißen. Eine Person diesen Namens sei aber weder in [X.]noch in [X.]gemeldet. Gemeldet sei unter der Adresse „[X.].   “ in [X.] lediglich eine S.   [X.]und ein [X.]  . Letzterer sei zum Termin am 29. April 2015 geladen worden, aber nicht erschienen. Zum heutigen [X.] habe er nicht polizeilich vorgeführt werden können; weder er noch Frau [X.]seien am frühen Morgen anwesend gewesen. Frau [X.]habe unter der bekannten Telefonnummer in den letzten Tagen nicht erreicht werden können. Sie habe trotz Nachricht auf der Mailbox auch nicht zurückgerufen. Unter diesen Umständen sei von einer Unerreichbarkeit des „M.   “ auszugehen. Es sei schon unwahrscheinlich, dass es sich bei dem ausfindig gemachten [X.]überhaupt um den benannten „M.   “ handele, da dessen Nachname ja [X.]lauten solle. Weitere Anstrengungen des Gerichts, den Zeugen [X.]in absehbarer Zeit herbeizuschaffen, seien nicht erfolgversprechend und unter Berücksichtigung der Bedeutung des Beweismittels für die Wahrheitsfindung, der zur Sachaufklärung bereits aufgewendeten Bemühungen sowie des Beschleunigungsgrundsatzes nicht geboten, zumal die [X.] die anderen drei benannten Zeugen bereits vernommen habe.

8

2. Die Ablehnung des Beweisbegehrens hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9

a) Bei dem Antrag des Angeklagten handelte es sich um einen Beweisantrag. Der als Zeuge benannte „M.  “ war durch die Angabe der genauen [X.] Anschrift, unter der nur eine Person mit diesem Vornamen gemeldet war, sowie durch die Angabe des [X.] hinreichend individualisiert (vgl. [X.], [X.], 7. Aufl., § 244, Rn. 79 mN z. Rspr.). Es fehlt auch nicht an der [X.] zwischen [X.] und Beweismittel. Nach dem Inhalt des Beweisantrags waren als Zeugen für den unter Beweis gestellten Sachverhalt ersichtlich jeweils nur Personen benannt, die vor Ort anwesend gewesen sein und das Geschehen insgesamt beobachtet haben sollten. Es liegt angesichts dessen auf der Hand, dass sie und damit auch der Zeuge „M.  “ zu den unter Beweis gestellten Tatsachen Angaben machen können.

b) Das [X.] durfte den Beweisantrag mit der gegebenen Begründung nicht zurückweisen. Der Zeuge „M.   “ war nicht unerreichbar.

Unerreichbar ist ein Zeuge, wenn alle Bemühungen des Gerichts, die der Bedeutung und dem Wert des Beweismittels entsprechen, zu dessen Beibringung erfolglos geblieben sind und keine begründete Aussicht besteht, es in absehbarer Zeit herbeizuschaffen (vgl. BGHR [X.] § 244 Abs. 3 Satz 2 Unerreichbarkeit 1 und 13; st. Rspr.).

Der Zeuge [X.]war aufgrund der Angaben im Beweisantrag des Angeklagten als das von diesem angegebene Beweismittel ermittelt worden. Dass es sich dabei auch aus der Sicht des Gerichts um die benannte [X.] handelt, ergibt sich ohne Weiteres daraus, dass die [X.] nach erfolgreicher Nachforschung, dass ein „M.   “ in der [X.] in [X.] gemeldet und aufhältig sei, auch Anstrengungen entfaltet hat, ihn unter dieser Adresse als Beweismittel für die Hauptverhandlung herbeizuschaffen. So hat sie ihn zum [X.] am 29. April 2015 geladen und hinsichtlich des [X.] am 6. Mai 2015 dessen Vorführung angeordnet. Dies wäre nicht verständlich, wäre das [X.] nicht selbst davon ausgegangen, der Zeuge [X.]wäre der „[X.], der zum Geschehen auf dem Parkplatz Angaben machen könne.

Dass der somit grundsätzlich ladungsfähige und damit erreichbare Zeuge der Ladung zur Hauptverhandlung am 29. Mai nicht gefolgt ist und seine Vorführung am 6. Mai 2015 nicht erfolgreich war, führt nicht dazu, ihn deshalb als „unerreichbar“ anzusehen. Zwar kann die definitive Weigerung eines Zeugen, zu erscheinen und auszusagen, die Annahme von Unerreichbarkeit rechtfertigen; allein einmaliges Nichterscheinen in der Hauptverhandlung wie hier aber lässt diesen Schluss nicht zu.

Die vom [X.] bis zu diesem Zeitpunkt unternommenen Anstrengungen, den Zeugen nach den erfolgreichen Nachforschungen zu seiner Wohnanschrift herbeizuschaffen, genügten - mit Blick auf den Wert und die Bedeutung des Beweismittels - auch nicht, um von der beantragten Beweiserhebung abzusehen. Nach dem Vorbringen im Beweisantrag handelte es sich um einen unmittelbaren Tatzeugen, dessen Angaben naheliegend von wesentlicher Bedeutung für die Aufklärung des Tatgeschehens sein können. Dies gilt auch dann uneingeschränkt, wenn man berücksichtigt, dass bereits andere als Tatzeugen benannte [X.]en vom Tatgericht vernommen worden sind.

Weitere Anstrengungen des [X.]s wären auch nicht von vornherein aussichtslos gewesen. Der Zeuge lebte offensichtlich in der Wohnung, ohne dass es einen Anhalt für ein mögliches Verschwinden gegeben hätte. Versuche der Polizei, ihn vor Ort aufzusuchen, gegebenenfalls eine weitere Vorführungsanordnung oder die Androhung von Maßnahmen zur Erzwingung des Zeugnisses hätten nicht von vornherein vergebliche Schritte sein können, die beantragte Beweiserhebung in einer überschaubaren Zeitspanne zu ermöglichen. Der voreilige Verzicht hierauf lässt besorgen, dass das [X.] die Bedeutung des Beweismittels unzutreffend eingeschätzt und damit vorschnell vom Vorliegen von Unerreichbarkeit ausgegangen ist.

Auf der fehlerhaften Ablehnung des Beweisantrags beruht das angefochtene Urteil. Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil anders ausgefallen wäre, hätte der Zeuge die in sein Wissen gestellten Angaben bestätigt.

Fischer     

Krehl     

Eschelbach

RinBGH [X.] ist aus rechtlichen     
Gründen an der Unterschrift
gehindert.

Fischer

Zeng     

Meta

2 StR 556/15

02.11.2016

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Aachen, 6. Mai 2015, Az: 66 KLs 33/14

§ 244 Abs 3 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.11.2016, Az. 2 StR 556/15 (REWIS RS 2016, 3042)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3042

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

1 StR 517/19

6 StR 219/22

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