Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2012, Az. IV ZR 143/11

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 2028

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 143/11
vom

24. Oktober 2012

in dem Rechtsstreit

-
2
-

Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch die
Vorsitzende Richterin [X.], [X.], [X.], [X.] und die Richterin [X.]

am 24. Oktober 2012

beschlossen:

Der Senat beabsichtigt, die Revision des [X.] gegen das Urteil des 3.
Zivilsenats des [X.] vom 29.
Juni 2011 durch Beschluss nach §
552a ZPO zurückzuweisen.

Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bin-nen

vier Wochen.

Gründe:

[X.] Der Kläger, der bei der Beklagten seit 1986 eine private Kran-kenversicherung unterhielt, diese mit Schreiben vom 29.
Juni 2009 zum Jahresende kündigte und eine neue Krankenversicherung im [X.] bei einem anderen privaten Krankenversicherer abschloss, begehrt von der Beklagten die Auszahlung der angesparten Alterungsrückstellungen an den neuen Krankenversicherer.

1
-
3
-

Er vertritt die Auffassung, die Regelung des §
204 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2
Buchst.
b VVG, die eine solche Übertragung nur bei einem Wechsel in den Basistarif vorsehe, sei unter Berücksichtigung seiner Grundrechte aus Art.
2, 3 und 14 [X.] sowie
des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art.
20 Abs.
3 [X.] verfassungskonform dahin auszulegen,
dass ihm der [X.] auch beim Wechsel in den [X.] eines anderen Versicherers zustehe. Für eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu Versicherungsnehmern, die in den Basistarif wechselten, bestehe kein sachlicher Grund.

Hinsichtlich der ursprünglich ebenfalls begehrten Auszahlung der angesparten Alterungsrückstellungen im Rahmen der privaten Pflegever-sicherung haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erle-digt erklärt, nachdem die Beklagte den entsprechenden Betrag noch vor Klagezustellung an den neuen Versicherer überwiesen hat.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des [X.].

I[X.] Die Voraussetzungen für eine Zulassung liegen nicht vor; die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§
552a Satz
1 ZPO).

1. Der Rechtssache kommt insbesondere keine grundsätzliche Be-deutung i.S. von §
543 Abs.
2 Satz
1 Nr.
1 ZPO zu.

a) Dafür genügt es entgegen der Auffassung des Berufungsge-richts nicht, dass zu der Frage, ob die Regelung in §
204 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2
Buchst.
b VVG Grundrechte der in einen [X.] bei einem ande-2
3
4
5
6
7
-
4
-

ren Versicherer wechselnden Versicherungsnehmer verletzt, eine [X.] oder höchstrichterliche Entscheidung noch nicht vorliegt. Grundsätzliche Bedeutung ist nur gegeben,
wenn eine klärungsbedürfti-ge und klärungsfähige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abs-trakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist (Senatsbeschluss vom 10.
März 2010
IV ZR 333/07, NVwZ-RR 2010, 572; [X.], Beschlüsse vom 27.
März 2003
[X.]/02,
[X.]Z 154, 288, 291; vom 1.
Oktober 2002

[X.], [X.]Z 152, 181, 191 jeweils m.w.N.). [X.] ist eine Frage, wenn sie in der Rechtsprechung und/oder der Literatur und/oder den beteiligten Verkehrskreisen kontrovers diskutiert wird und die Rechtsprechung noch keine Klärung herbeigeführt hat (vgl. [X.],
[X.] vom 27.
März 2003 aaO; Senatsbeschluss vom 10.
Dezember 2003
IV ZR 319/02, [X.], 225 unter 2 a).

b) Dass diese Voraussetzungen erfüllt sein könnten, wird weder im Berufungsurteil noch in der Revisionsbegründung dargelegt
und ist auch sonst nicht erkennbar.

aa) Die nach der Einführung einer teilweisen Portabilität der Alte-rungsrückstellungen geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Grundrechte der betroffenen Versicherungsunternehmen hat das [X.] mit Urteil vom 10.
Juni 2009 [X.] ([X.] 123, 186, 252
ff.). Es hat zugleich die [X.] zweier privat krankenversicherter Einzelpersonen, die sich unter anderem auch gegen die Regelung des §
204 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 Buchst.
b VVG richteten ([X.] 123, 186, 231), bereits als unzulässig angesehen und dazu ausgeführt, dass eine Verletzung von Art.
14 [X.] 8
9
-
5
-

ausscheide, weil die angegriffene Vorschrift die Beschwerdeführer recht-lich ausschließlich begünstige, indem sie ihnen ein zusätzliches, [X.] Recht einräume ([X.] aaO).

bb) Des Weiteren spricht nichts dafür, dass sich die Frage nach der [X.]mäßigkeit der Bestimmung noch in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen könnte. Seine gegenteilige Behauptung hat das Berufungsgericht nicht näher begründet. Zu berücksichtigen
ist, dass die Vorschrift auch die Möglichkeit zur Kündigung der Krankenversiche-rung unter gleichzeitiger Mitnahme eines Teils der kalkulierten Alterungs-rückstellung bei gleichzeitigem Wechsel in den Basistarif eines anderen Versicherers nur für den sehr begrenzten Zeitraum von sechs Monaten, nämlich im ersten Halbjahr 2009, geschaffen hat. Dass sich in diesem Zeitraum zahlreiche Versicherte entschlossen haben, in den [X.] zu einem anderen Krankenversicherer zu wechseln, um
gestützt auf einen vermeintlichen [X.]verstoß wegen einer sachlich nicht gerecht-fertigten Differenzierung

gegen den eindeutigen Gesetzeswortlaut ei-nen Anspruch auf Mitnahme ihrer Alterungsrückstellungen geltend zu machen, ist nicht ersichtlich. Der vom Berufungsgericht selbst angeführte Umstand, dass es bislang nicht einmal eine andere obergerichtliche Ent-scheidung zu der Frage gibt, spricht ebenfalls gegen eine solche An-nahme. Für die Zukunft sind vergleichbare Fälle wegen der zeitlich be-fristeten Ausnahmeregelung ohnehin nicht mehr denkbar.

[X.]) Schließlich ist die Frage nicht klärungsbedürftig, weil sie im Hinblick auf Art.
14 [X.] durch die genannte Entscheidung des Bundes-verfassungsgerichts geklärt und der behauptete Verstoß gegen Art.
3 [X.] nicht entscheidungserheblich ist.

10
11
-
6
-

Müsste §
204 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 Buchst.
b VVG wegen Verstoßes gegen den Gleichheitssatz als verfassungswidrig angesehen werden, dürfte er

nach einer entsprechenden Feststellung durch das Bundesver-fassungsgericht

nicht mehr angewendet werden ([X.] NJW 1986, 2487, 2494 m.w.N.). Es bestünde dann
mangels entsprechender [X.]sgrundlage ebenfalls kein Anspruch des [X.] auf die begehrte Auszahlung der Alterungsrückstellungen. Es gäbe vielmehr keine Porta-bilität der kalkulierten Alterungsrückstellungen aus bestehenden Altver-trägen beim Wechsel zu einem anderen Versicherer. Dies entspräche der früheren Rechtslage unter Geltung des §
178
f [X.] (vgl. dazu Senatsurteil vom 21.
April 1999
[X.], [X.], 877).

Eine
vom Kläger erstrebte

verfassungskonforme Auslegung der Norm dahin, dass der Anspruch auch dann besteht, wenn ein neuer Krankenversicherungsvertrag zum [X.] abgeschlossen wird, scheidet dagegen aus. Eine derartige Auslegung würde sich in Widerspruch zu dem eindeutigen Wortlaut und dem darin zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers setzen, der mit der Einführung einer teilweisen Portabilität eine wettbewerbliche Situation gerade nur bei dem Wechsel in den Basistarif schaffen wollte
hierin findet die darin liegende Belas-tung der Versicherer ihre Legitimation (vgl. [X.]
123, 186, 261). Eine einschränkende Auslegung findet jedoch dort ihre Grenze, wo sie mit dem Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in [X.] treten würde (vgl. [X.] 18, 97, 111).

Dass der Gesetzgeber sich zum Schutz des Altbestandes von Ver-trägen der Versicherer bewusst für die Beschränkung der Portabilität bei einem Wechsel in den Basistarif entschieden hat, wird in der Begründung zu §
12g VAG im Gesetzentwurf der Regierungsfraktionen zum Entwurf 12
13
14
-
7
-

eines Gesetzes zur Stärkung des [X.] in der gesetzlichen Kran-kenversicherung (GKV-[X.]stärkungsgesetz
GKV-WSG)
(BT-Drucks. 16/3100
S. 208) deutlich. Dort ist ausdrücklich ausgeführt, dass die Einführung der Portabilität der Alterungsrückstellungen zur Gefahr einer Risikoentmischung des Bestands eines Krankenversicherers führe. Diese Risikoverschiebungen könnten jedoch bei unternehmensübergrei-fenden Wechseln von Versicherten des Basistarifs durch einen Risiko-ausgleich ausgeglichen werden. Dieser erforderliche Risikoausgleich [X.] nur den Basistarif, weil nur insoweit ein Kontrahierungszwang und ein standardisiertes Produktangebot bestünden.

2. Die Revision hat auch in der Sache keinen Erfolg. Das [X.] hat richtig entschieden.

a) Darüber, dass nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes ein [X.] auf Übertragung der Alterungsrückstellungen nur bei einem Wechsel in den Basistarif eines anderen Versicherers vorgesehen ist, besteht kein Streit.

b) Das Berufungsurteil hält rechtlicher Nachprüfung aber auch [X.] stand, als das Berufungsgericht ausgeführt hat, dass sich auch unter Berücksichtigung der Grundrechte des [X.] aus Art.
14 Abs.
1, Art.
3 Abs.
1 und Art.
2 Abs.
1 [X.] kein anderes Ergebnis ergibt. [X.] davon, dass selbst ein etwaiger Verstoß der Regelung gegen Art.
3 [X.] nicht zu dem von dem Kläger gewünschten Ergebnis führen würde (s.o. unter [X.]) [X.])), liegen auch keine [X.]verstöße vor.

aa) Eine Verletzung von Rechten des [X.] aus Art.
14 [X.] durch die angegriffene Regelung scheidet schon deshalb aus, weil ein 15
16
17
18
-
8
-

Recht auf einen Wechsel des Versicherers unter Mitnahme von kalkulier-ten Alterungsrückstellungen auch zuvor nicht bestanden und zum Ver-mögen des [X.] gehört hat. Vielmehr ist ein solcher Anspruch in be-grenztem Umfang und unter zusätzlichen, hier nicht gegebenen Voraus-setzungen erstmalig begründet und damit
die Rechtsposition der [X.] erweitert worden ([X.] 123, 186, 231). Diese Feststellung des [X.]s impliziert, dass auch die zuvor beste-hende Rechtslage als verfassungsgemäß anzusehen und ein Anspruch auf Mitnahme der Alterungsrückstellung zu einem anderen Versicherer nicht von [X.] wegen geboten war. Damit scheidet auch ein [X.] gegen das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art.
2 Abs.
1 [X.]) durch den Umstand, dass eine solche Mitnahme bei einem Wechsel des Krankenversicherers nicht oder nur eingeschränkt ermög-licht wird, aus.

bb) Die Beschränkung der befristeten Möglichkeit, beim Wechsel des Krankenversicherers kalkulierte Altersrückstellungen auch bei Kün-digung eines Altvertrages auf den neuen Versicherer übertragen zu [X.], auf die Fälle des Abschlusses des [X.] im Basistarif verstößt des Weiteren nicht gegen Art.
3 Abs.
1 [X.].

Zwar ist den Versicherungsnehmern, die einen neuen Vertrag bei einem anderen Versicherer im [X.] abschließen, dieser Anspruch nicht eingeräumt worden. Dass der Gesetzgeber damit den Wechsel in den [X.] eines anderen Unternehmens unattraktiver ausgestaltet hat als den Wechsel in den Basistarif, ist jedoch durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Zum einen entspricht es dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel, gerade beim Wechsel in den Basistarif eine wettbewerbliche [X.] zu schaffen (vgl. [X.]
123, 186, 261). Vor allem aber ist es 19
20
-
9
-

durch die Berücksichtigung der Grundrechte der betroffenen Versiche-rungsunternehmen legitimiert.

Die Einführung einer teilweisen Portabilität der [X.] auch für Altverträge durch §
204 Abs.
1 Satz
1 Nr.
2
Buchst.
b VVG greift in die von Art.
12 Abs.
1 [X.] geschützte berufsbezogene Ver-tragsfreiheit der
betroffenen Versicherungsunternehmen ein ([X.]
123, 186, 259
f.). Dieser Eingriff ist seinerseits deshalb gerechtfertigt, weil es sich dabei um eine lediglich gering belastende Berufsausübungs-regelung handelt ([X.]
aaO), was wiederum wesentlich darauf be-ruht, dass die Mitnahme eines Teils der Alterungsrückstellung lediglich in den Basistarif ermöglicht wird, für den durchschnittlichen Versicherten in der privaten Krankenversicherung deshalb ökonomisch in der Regel nicht interessant ist und deshalb keine wesentliche Verbesserung seiner Wahl-
und Wechseloptionen bedeutet, so dass der Gesetzgeber die Gefahr ei-ner starken Abwanderung von Versicherten mit guten Risiken im ersten Halbjahr 2009 als gering einschätzen durfte ([X.] aaO S.
260
f.).

c) Nicht zu beanstanden ist schließlich die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts, soweit diese auf §
91a ZPO beruht. Die Annah-me, dass die Beklagte bezüglich der Übertragung der [X.] für die private Pflegeversicherung gemäß §
204 Abs.
2 [X.] Veranlassung zur Klage gegeben habe (§
93 ZPO), ist frei von [X.]. Die Begründung des Berufungsurteils in diesem Punkt

21
22
-
10
-

trifft zu; eine weitergehende Klarstellung durch die Beklagte im [X.] vom 1.
September 2009 war nicht geboten.

[X.]
[X.]
[X.]

[X.]
[X.]

Hinweis:
Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss

erledigt worden.
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 15.07.2010 -
4 O 2299/09 -

O[X.], Entscheidung vom 29.06.2011 -
3 [X.] -

Meta

IV ZR 143/11

24.10.2012

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.10.2012, Az. IV ZR 143/11 (REWIS RS 2012, 2028)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2028

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

IV ZR 143/11 (Bundesgerichtshof)

Private Krankenversicherung: Verfassungswidrigkeit der Beschränkung der Portabilität der Alterungsrückstellungen beim Versicherungswechsel auf Basistarifverträge


1 BvR 1148/13 (Bundesverfassungsgericht)

Nichtannahmebeschluss: Beschränkte Portabilität der Altersrückstellungen für Altverträge in der privaten Krankenversicherung (§ 204 Abs 1 …


IV ZR 143/11 (Bundesgerichtshof)

Private Krankenversicherung: Verfassungswidrigkeit der Beschränkung der Portabilität der Alterungsrückstellungen beim Versicherungswechsel auf Basistarifverträge


IV ZR 143/11 (Bundesgerichtshof)


4 U 72/18 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

IV ZR 143/11

IV ZR 333/07

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.