Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.02.2020, Az. VIII B 131/19

8. Senat | REWIS RS 2020, 3403

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Zur tarifbegünstigten Veräußerung einer freiberuflichen Praxis


Leitsatz

1. NV: Die tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Praxis (§ 18 Abs. 3 i.V.m. § 34 EStG) setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen seiner bisherigen Tätigkeit entgeltlich und definitiv auf einen Anderen überträgt. Hierzu muss der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse Zeit einstellen . Wann eine "definitive" Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen vorliegt, hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine starre zeitliche Grenze, nach der die Tätigkeit steuerunschädlich wieder aufgenommen werden kann, besteht nicht. Dementsprechend ist auch keine "Wartezeit" von mindestens drei Jahren einzuhalten (Anschluss an BFH-Urteil vom 21.08.2018 - VIII R 2/15, BFHE 262, 380, BStBl II 2019, 64) .

2. NV: Grundsätzlich unschädlich ist es, wenn der Veräußerer als Arbeitnehmer oder als freier Mitarbeiter im Auftrag und für Rechnung des Erwerbers tätig wird. Auch eine geringfügige Fortführung der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit steht der Annahme einer begünstigten Praxisveräußerung nicht entgegen (Anschluss an BFH-Urteil in BFHE 262, 380, BStBl II 2019, 64), und zwar auch dann nicht, wenn sie die Betreuung neuer Mandate umfasst (gegen BMF) .

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des [X.] vom 23.07.2019 - 1 V 1211/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Der [X.]ntragsteller und Beschwerdegegner ([X.]ntragsteller) erklärte im [X.]reitjahr 2011 neben Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit als [X.]euerberater und aus selbständiger [X.]rbeit gemäß gesonderter Feststellung für die Partnerschaftsgesellschaft ... (Partnerschaftsgesellschaft) auch einen Veräußerungsgewinn in Höhe von ... €, hinsichtlich dessen er die Gewährung des ermäßigten [X.]euersatzes gemäß § 34 [X.]bs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im [X.]reitjahr geltenden Fassung (E[X.]G) beantragte.

2

Der Gewinn resultierte aus der Veräußerung seiner in [X.], [X.] 28, unter seinem Namen betriebenen [X.]euerberatungskanzlei. Diese hatte der [X.]ntragsteller mit [X.] mit Wirkung zum 01.07.2011 je zur Hälfte an [X.]euerberater S und Rechtsanwalt R (Erwerber) zum Preis von ... € verkauft. Gemäß der [X.] sollten die Erwerber die jeweils hälftig erworbene [X.]euerkanzlei unentgeltlich an die bereits gegründete Partnerschaftsgesellschaft überlassen. Der [X.]ntragsteller sollte zunächst unentgeltlich im Rahmen einer sog. überleitenden Mitarbeit für die Partnerschaftsgesellschaft tätig werden. Er sollte im Rahmen einer freiberuflichen Tätigkeit aber auch nach der überleitenden Mitarbeit als Partner weiterhin für die Partnerschaftsgesellschaft tätig sein. [X.]usweislich der sog. Rückrechnungsklausel (§ 10 des Vertrages) hatten der [X.]ntragsteller und die Erwerber gemeinsam alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den zum Übergabezeitpunkt bestehenden Mandantenstamm zu erhalten und alles zu unterlassen, was zu einer Verringerung des [X.] führt. Für den Fall, dass sich in dem Zeitraum vom 01.07.2011 bis zum 30.06.2013 die Umsätze verringern sollten, hatte der [X.]ntragsteller den Erwerbern 50 % der weggefallenen Umsätze als Rückzahlung des Kaufpreises zu erstatten. [X.]usweislich einer unter Bezugnahme auf diese sog. Rückrechnungsklausel ausgestellten Bestätigung vom 20.06.2013 hatten sich im Zeitraum vom 01.07.2011 bis 30.06.2013 die Umsätze nicht verringert.

3

Die Partnerschaftsgesellschaft hatten der [X.]ntragsteller und die Erwerber der Kanzlei bereits mit Vertrag vom 25.01.2011 mit Wirkung zum 01.07.2011 gegründet. Der Partnerschaftsvertrag sah vor, dass sich die [X.] zwecks gemeinsamer Berufsausübung zusammenschließen. Die Erwerber verpflichteten sich, die vom [X.]ntragsteller zu erwerbende Kanzlei der Partnerschaft unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. [X.]n der Partnerschaftsgesellschaft waren der [X.]ntragsteller mit einem [X.]nteil von 1 % und die Erwerber mit einem [X.]nteil von jeweils 49,50 % beteiligt. Die Partner hatten Einlagen in Geld in Höhe von 150 € ([X.]ntragsteller) bzw. jeweils 7.500 € (Erwerber) zu erbringen. [X.]m Gewinn waren der [X.]ntragsteller zu 1 % und die Erwerber jeweils zu 49,50 % beteiligt. Der Gewinnanteil des [X.]ntragstellers war auf seine unterjährigen Entgelte für Beratungsleistungen anzurechnen. Demgegenüber waren am Verlust der Partnerschaft lediglich die Erwerber zu jeweils 50 % beteiligt (§ 20 des [X.]). Gemäß § 26 des [X.] hatte der [X.]ntragsteller ab dem 01.01.2012 durchschnittlich einen bis drei Tage pro Woche in Teilzeit für die Partnerschaft tätig zu sein. Nach den bisherigen Feststellungen des Finanzgerichts ([X.]) ist der [X.]ntragsteller aufgrund einer Kündigung vom 26.06.2013 zum 31.12.2013 aus der Partnerschaftsgesellschaft gegen Buchwertabfindung ausgeschieden.

4

[X.]m 13.12.2012 hatten der [X.]ntragsteller und die Partnerschaftsgesellschaft einen Vertrag über die freie Mitarbeit des [X.]ntragstellers geschlossen.

5

Zum 01.01.2014 hat der [X.]ntragsteller eine steuerberatende Tätigkeit aufgenommen, die er in seinem häuslichen [X.]rbeitszimmer in [X.] ausübt. Hieraus erzielte er nach eigenen [X.]ngaben Umsätze in Höhe von ... € (2014), ... € (2015) und ... € (2016). Hiervon entfielen auf neue Mandanten Umsätze in Höhe von ... € (2014), ... € (2015) und ... € (2016). [X.] entfalle --so der [X.]ntragsteller-- ein Umsatz in Höhe von ... € auf seine Tätigkeit für die Partnerschaftsgesellschaft.

6

Der [X.]ntragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --F[X.]--) führte zunächst eine erklärungsgemäße Veranlagung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durch. Im [X.]nschluss an eine [X.]ußenprüfung erließ das F[X.] am 23.05.2016 einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das [X.]reitjahr, wobei es den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob. In dem Änderungsbescheid war ein Veräußerungsgewinn in Höhe von ... € berücksichtigt und gemäß § 34 [X.]bs. 3 E[X.]G begünstigt besteuert. Der Bescheid erging "vorläufig nach § 165 [X.]bs. 1 S. 1 [X.]O hinsichtlich der Veräußerung der [X.]euerberatungskanzlei in 2011, da noch nicht beurteilt werden kann, ob die Voraussetzungen für eine begünstigte Veräußerung nach § 18 [X.]bs. 3 i.V.m. § 16 [X.]bs. 1 E[X.]G vorliegen".

7

[X.]b dem 14.02.2019 prüfte das F[X.] das Vorliegen der Voraussetzungen für eine begünstigte Besteuerung des Veräußerungsgewinns des [X.]ntragstellers. Der [X.]ntragsteller teilte in diesem Zusammenhang mit, dass in den drei Jahren vor dem 01.07.2011 der durchschnittliche jährliche Umsatz seiner [X.]euerberatungskanzlei ... € betragen habe. Nach seinem [X.]usscheiden aus der Partnerschaftsgesellschaft habe er lediglich Umsätze unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze erzielt. Die mit ehemaligen Mandanten seiner Kanzlei erzielten Umsätze entsprächen lediglich 6,18 % bis 7,37 % des jährlichen Durchschnittsumsatzes in den letzten drei Jahren vor der Veräußerung der Kanzlei.

8

Ferner beantragte der [X.]ntragsteller die Berücksichtigung weiterer, im Zusammenhang mit der Veräußerung der Kanzlei angefallener nachträglicher Veräußerungskosten. [X.]m [X.] erließ das F[X.] erneut einen Einkommensteueränderungsbescheid für das [X.]reitjahr, in dem es die Einkommensteuer auf ... € festsetzte. Dabei ging das F[X.] von einem der Höhe nach unveränderten Veräußerungsgewinn von ... € aus. Die Begünstigung des § 34 [X.]bs. 3 E[X.]G gewährte es nicht mehr. Zur Begründung verwies das F[X.] auf die schädliche Übernahme neuer Mandanten durch den [X.]ntragsteller. In dem Bescheid vom [X.] setzte das F[X.] Zinsen zur Einkommensteuer 2011 in Höhe von ... € (Zinszeitraum vom 01.04.2013 bis zum 29.03.2019) fest.

9

Gegen den Einkommensteueränderungsbescheid vom [X.] legte der [X.]ntragsteller mit Schreiben vom 27.03.2019 Einspruch ein; zugleich beantragte er die [X.]ussetzung der Vollziehung ([X.]dV). Gegen die [X.] legte er am 26.04.2019 ebenfalls Einspruch ein und beantragte das Ruhen des Verfahrens. Das F[X.] lehnte den [X.]ntrag auf [X.]dV des [X.] vom [X.] mit Schreiben vom [X.] ab. [X.]m 24.04., 14.05. und [X.] erließ das F[X.] weitere Einkommensteueränderungsbescheide für das [X.]reitjahr. In dem zuletzt ergangenen Bescheid vom [X.] setzte das F[X.] die Einkommensteuer auf ... € fest. Dabei berücksichtigte es einen Veräußerungsgewinn von nur noch ... €. Die Begünstigung des § 34 [X.]bs. 3 E[X.]G gewährte es weiterhin nicht.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens setzte das F[X.] die Vollziehung des [X.] vom [X.] mit Verfügung vom [X.] teilweise aus. Für die Ermittlung der ausgesetzten Beträge legte das F[X.] einen Veräußerungsgewinn von ... € zugrunde.

Der [X.]ntragsteller, der zwischenzeitlich die [X.]euerrückstände beglichen hat, und der bei [X.]nwendung des ermäßigten [X.]euersatzes gemäß § 34 [X.]bs. 3 E[X.]G bei einer zutreffenden Besteuerung eines Veräußerungsgewinns in Höhe von ... € von einer Einkommensteuerschuld in Höhe von ... € (nebst Solidaritätszuschlag in Höhe von ... €) ausgeht, begehrte zuletzt, die Vollziehung des [X.] 2011 vom [X.] bis zum [X.]blauf von einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung aufzuheben, soweit die ermäßigte Besteuerung des Veräußerungsgewinns gemäß § 18 [X.]bs. 3 i.V.m. §§ 16, 34 [X.]bs. 2 Nr. 1 und [X.]bs. 3 E[X.]G verwehrt worden sei. Darüber hinaus begehrte er die [X.]ufhebung der Vollziehung des geänderten [X.] zur Einkommensteuer bis zum [X.]blauf von einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung.

Das [X.] gab dem [X.]ntrag mit Beschluss vom [X.] statt. Es war bei der im [X.]ussetzungsverfahren gebotenen summarischen Beurteilung der [X.]uffassung, die Voraussetzungen der §§ 18 [X.]bs. 3, 16 [X.]bs. 1 Satz 1 Nr. 1, 34 [X.]bs. 2 Nr. 1, [X.]bs. 3 E[X.]G seien erfüllt. Der [X.]ntragsteller habe zum 01.07.2011 die für die [X.]usübung seiner selbständigen Tätigkeit wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen, insbesondere Mandantenstamm und [X.], entgeltlich und endgültig auf die Erwerber übertragen. Die ab dem 01.07.2011 für die Partnerschaftsgesellschaft ausgeübte Tätigkeit stehe dem nicht entgegen. [X.]b diesem Zeitpunkt seien ausschließlich die Erwerber in der Lage gewesen, die vom [X.]ntragsteller erworbenen Beziehungen zu dessen bisherigen Mandanten zu nutzen. [X.]uch die Wiederaufnahme einer selbständigen Tätigkeit ab dem 01.01.2014 schließe eine Veräußerung des Vermögens i.S. des § 18 [X.]bs. 3 E[X.]G nicht aus. Die Wiederaufnahme der Tätigkeit sei zwar innerhalb des bisherigen örtlichen Wirkungskreises erfolgt, jedoch habe der [X.]ntragsteller seine Tätigkeit zuvor über einen hinreichend langen Zeitraum eingestellt. [X.]bgesehen davon habe sich die Wiederaufnahme der freiberuflichen Tätigkeit ab dem 01.01.2014 unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze von 10 % bewegt. Dass der [X.]ntragsteller in den Jahren 2014 bis 2016 auch Umsätze aus [X.] erzielt habe, stehe dem nicht entgegen, zumal diese einen vergleichsweise unbedeutenden Umfang gehabt hätten. Die [X.]ufhebung der Vollziehung der [X.] begründete das [X.] u.a. mit den nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) bestehenden schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln an der [X.] ab dem Verzinsungszeitraum 2012.

Hiergegen richtet sich die vom [X.] zugelassene Beschwerde des F[X.]. Das F[X.] ist der [X.]uffassung, der [X.]ntragsteller habe nach 30 Monaten in seinem bisherigen örtlichen Wirkungskreis seine selbständige Tätigkeit wieder aufgenommen. Die "Wartezeit" bis zur unschädlichen Wiederaufnahme von wenigstens drei Jahren sei mithin nicht eingehalten worden. Jedenfalls unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der [X.]ntragsteller zwischen der Veräußerung und der Wiederaufnahme seiner Tätigkeit für die Partnerschaftsgesellschaft als freier Mitarbeiter tätig gewesen sei, genüge eine Zeitspanne von 30 Monaten nicht, um von einer definitiven Übertragung des [X.] auszugehen. Zudem habe das [X.] zu Unrecht angenommen, die [X.] neuer Mandate innerhalb der "gewissen Zeit" durch den [X.]ntragsteller sei unschädlich. Diese sei --auch ohne Überschreiten der 10 %-Grenze-- schädlich, da eine Betriebsaufgabe nicht stattgefunden habe (Kurzinformation der Oberfinanzdirektion --OFD-- [X.] vom 15.12.2006 - S 2249 [X.] - [X.] 31 1, Der Betrieb --[X.]-- 2007, 314; Schreiben des [X.] --BMF-- vom 28.07.2003 - IV [X.] 6 - S 2242 - 4/03, [X.]  2003, 2522). Bei [X.] von [X.] trete der [X.]ntragsteller in Konkurrenz zu den Erwerbern seiner Kanzlei und beschränke diese in der Möglichkeit, im erworbenen Wirkungsfeld neue Mandate zu akquirieren. [X.]uch sei der [X.]nteil der Neumandate nicht unbedeutend gewesen, sondern habe zwischen 6,8 % bis 8,9 % des Umsatzes gelegen. Mit der Betreuung von [X.] habe der [X.]ntragsteller in den Wirkungskreis der veräußerten Kanzlei eingegriffen und eine neue Tätigkeit begonnen, die losgelöst von der Fortführung der bestehenden Beziehungen zu [X.]ltmandanten gewesen sei. Er habe die bisherige Tätigkeit daher nicht eingestellt, sondern diese gerade durch [X.]ufnahme neuer Mandate fortgeführt. Die [X.] setzten sich aus dem Freundeskreis des [X.]ntragstellers und --nahezu ausschließlich-- aus dem jeweiligen Bekanntenkreis der [X.]ltmandanten zusammen. Es sei naheliegend, dass sich diese Bekannten der [X.]ltmandanten an die Partnerschaftsgesellschaft wenden würden, nachdem der [X.]ntragsteller seine Tätigkeit eingestellt habe. Indem er die Neumandate angenommen habe, sei er eindeutig in den Wirkungsbereich der veräußerten Kanzlei eingedrungen und zu dieser in Konkurrenz getreten.

Das F[X.] beantragt,
den Beschluss des [X.] München vom [X.] aufzuheben und den [X.]ntrag des [X.]ntragstellers auf [X.]ufhebung der Vollziehung der Einkommensteuerfestsetzung 2011 und der [X.] zur Einkommensteuer 2011 abzulehnen.

Der [X.]ntragsteller beantragt,
die Beschwerde des F[X.] zurückzuweisen.

Das [X.] habe --so der [X.]ntragsteller-- zutreffend erkannt, dass die Voraussetzungen des § 34 [X.]bs. 3 E[X.]G erfüllt seien.

Entscheidungsgründe

II.

Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) statthafte Beschwerde des [X.] ist unbegründet und daher zurückzuweisen. Das [X.] hat die beantragte Aufhebung der Vollziehung der streitigen Einkommensteuer- und [X.] zu Recht gewährt. Die Rechtmäßigkeit der Versagung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 34 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 EStG durch das [X.] ist bei der gebotenen summarischen Prüfung auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des [X.] ernstlich zweifelhaft. Dies gilt ebenso für die [X.] zur Einkommensteuer 2011.

1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 [X.]O kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen. Ist der Verwaltungsakt im [X.]punkt der Entscheidung schon vollzogen, kann das Gericht ganz oder teilweise die Aufhebung der Vollziehung, auch gegen Sicherheit, anordnen (§ 69 Abs. 3 Satz 3 [X.]O). Die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Sätze 2 und 7 [X.]O). Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 [X.]O sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. [X.] vom 10.02.1967 - III B 9/66, [X.], 447, [X.] 1967, 182, seitdem ständige Rechtsprechung). Die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung setzt nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. z.B. [X.] vom 28.06.2011 - X B 37/11, [X.] 2011, 1833).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die Rechtmäßigkeit der Versagung der Begünstigung des Veräußerungsgewinns gemäß § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 34 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 EStG im Rahmen der streitgegenständlichen Festsetzung der Einkommensteuer 2011 als ernstlich zweifelhaft. Der Antragsteller hat mit Wirkung zum 01.07.2011 die für die Ausübung seiner freiberuflichen Tätigkeit wesentlichen Betriebsgrundlagen entgeltlich auf die Erwerber übertragen. Dass es sich dabei nicht um eine begünstigte Praxisveräußerung handelt, lässt sich --entgegen der Auffassung des [X.]-- nicht damit begründen, dass der Antragsteller seit dem 01.01.2014 erneut im bisherigen örtlichen Wirkungskreis in geringfügigem Umfang steuerberatend tätig ist, auch wenn er im Rahmen dieser Tätigkeit Neumandate betreut.

a) Gemäß § 18 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus selbständiger Arbeit auch der Gewinn aus der Veräußerung des Vermögens, das der selbständigen Arbeit dient (Praxisveräußerung). Für diesen Veräußerungsgewinn sieht § 34 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 EStG eine Tarifbegünstigung vor. Alternativ zu dieser ermäßigten Besteuerung des Veräußerungsgewinns sieht § 34 Abs. 3 EStG auf Antrag unter weiteren Voraussetzungen die Gewährung eines ermäßigten Steuersatzes vor.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] setzt die Veräußerung einer Praxis voraus, dass der Steuerpflichtige die für die Ausübung der selbständigen Tätigkeit wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen entgeltlich und definitiv auf einen Anderen überträgt. Hierzu gehören insbesondere die immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis wie Mandantenstamm bzw. [X.] (vgl. z.B. [X.]-Urteil vom 21.08.2018 - VIII R 2/15, [X.]E 262, 380, [X.] 2019, 64, m.w.N.). Darüber hinaus muss der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine gewisse [X.] einstellen. Dies beruht auf der Überlegung, dass bei fortdauernder Tätigkeit des Freiberuflers in seinem bisherigen örtlichen Wirkungskreis eine weitere Nutzung der persönlichen Beziehungen zu den früheren Mandanten auf eigene Rechnung des "Veräußerers" naheliegt und es dadurch nicht zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen der Praxis auf den Erwerber kommt (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 262, 380, [X.] 2019, 64, m.w.N.).

Wann eine "definitive" Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen vorliegt, hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab, die das [X.] als Tatsacheninstanz zu würdigen hat. Neben der Dauer der Einstellung der freiberuflichen Tätigkeit sind insbesondere die räumliche Entfernung einer wieder aufgenommenen Berufstätigkeit zur veräußerten Praxis, die Vergleichbarkeit der Betätigungen, die Art und Struktur der Mandate sowie die Nutzungsdauer des erworbenen [X.]s zu berücksichtigen (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 262, 380, [X.] 2019, 64, m.w.N.). Eine starre zeitliche Grenze, nach der die Tätigkeit steuerunschädlich wieder aufgenommen werden kann, besteht nicht. Dementsprechend ist auch --entgegen der Auffassung des [X.]-- keine "Wartezeit" von mindestens drei Jahren einzuhalten. Je nach den Umständen des Einzelfalls kann ein [X.]raum von etwa zwei bis drei Jahren ausreichend sein (vgl. hierzu z.B. [X.], § 18 EStG Rz 109; Güroff in [X.]/[X.]/[X.], [X.], Kommentar, § 18 Rz 615a; [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 18 EStG Rz 321, 324; Busse, Betriebs-Berater 1989, 1951, 1954 f.).

Nimmt der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit nach einer gewissen [X.] wieder auf, kann dies auch dann schädlich sein, wenn die Wiederaufnahme zum [X.]punkt der Übertragung der Praxis nicht geplant war. Maßgebend ist allein, ob es objektiv zu einer definitiven Übertragung der wesentlichen Praxisgrundlagen gekommen ist. Maßnahmen des Veräußerers, die wegen einer von Anfang an geplanten Wiederaufnahme dazu dienen sollen, die spätere Zurückgewinnung der Mandanten zu erleichtern, können eine definitive Übertragung des [X.] von vornherein ausschließen bzw. die erforderliche [X.]spanne für die Einstellung der Tätigkeit verlängern (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 262, 380, [X.] 2019, 64, m.w.N.).

bb) Grundsätzlich unschädlich ist es, wenn der Veräußerer als Arbeitnehmer oder als freier Mitarbeiter im Auftrag und für Rechnung des Erwerbers tätig wird, denn der Erwerber ist trotzdem zivilrechtlich und wirtschaftlich in der Lage, die Beziehungen zu den früheren Mandanten des Veräußerers zu verwerten (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 262, 380, [X.] 2019, 64, m.w.N.). Auch eine geringfügige Fortführung der bisherigen freiberuflichen Tätigkeit steht der Annahme einer begünstigten Praxisveräußerung nicht entgegen (vgl. [X.]-Urteil in [X.]E 262, 380, [X.] 2019, 64; [X.] vom 20.01.2009 - VIII B 58/08, [X.] 2009, 756; [X.]-Urteile vom 07.11.1991 - IV R 14/90, [X.]E 166, 527, [X.] 1992, 457; vom 29.10.1992 - IV R 16/91, [X.]E 169, 352, [X.] 1993, 182; [X.]-Beschlüsse vom [X.] - IV B 35/00, [X.] 2001, 33; vom 06.08.2001 - XI B 5/00, [X.] 2001, 1561). Eine solche geringfügige Tätigkeit liegt regelmäßig vor, wenn die auf sie entfallenden Umsätze in den letzten drei Jahren vor der Veräußerung weniger als 10 % der gesamten Einnahmen ausmachten (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 166, 527, [X.] 1992, 457; in [X.]E 169, 352, [X.] 1993, 182; [X.]-Beschlüsse in [X.] 2001, 33; in [X.] 2001, 1561; vgl. auch [X.]/Wacker, EStG, 38. Aufl., § 18 Rz 223; Güroff in [X.]/[X.]/[X.], a.a.[X.], § 18 Rz 606, 616; [X.]/[X.], § 18 EStG Rz 324; [X.]/[X.], § 18 EStG Rz 296; [X.], § 18 EStG Rz 110; [X.] in [X.] EStG, § 18 Rz 811; Richter, [X.] Steuerrecht --DStR-- 1993, 561; [X.], [X.], 961, 965 f.).

b) Ausgehend von den derzeitigen Feststellungen des [X.] hat der Antragsteller zum 01.07.2011 die für die Ausübung seiner selbständigen Tätigkeit wesentlichen wirtschaftlichen Grundlagen --insbesondere Mandantenstamm und [X.]-- entgeltlich auf die Erwerber übertragen. Seine steuerberatende Tätigkeit in der bis dahin ausgeübten Einzelpraxis hat der Antragsteller zunächst eingestellt.

Der Annahme einer damit verbundenen definitiven Übertragung der wesentlichen Grundlagen der freiberuflichen Tätigkeit des Antragstellers steht --wie zwischen den Beteiligten unstreitig [X.] die sich an die Praxisübertragung anschließende Tätigkeit des Antragstellers im Auftrag und für Rechnung der Partnerschaftsgesellschaft im Rahmen der sog. überleitenden Mitarbeit bzw. nachfolgend als deren freier Mitarbeiter nicht entgegen. Insoweit ebenfalls unschädlich ist, dass der Antragsteller Gesellschafter der Partnerschaftsgesellschaft und als solcher --unter Anrechnung seiner unterjährigen Entgelte für [X.] zu 1 % an deren Gewinn beteiligt war. Denn die übernommene Praxis war --soweit derzeit ersichtlich-- ausschließlich dem Sonderbetriebsvermögen der Mitgesellschafter des Antragstellers zugeordnet.

Aber auch die Wiederaufnahme einer steuerberatenden Tätigkeit des Antragstellers ab dem 01.01.2014 im gleichen örtlichen Wirkungskreis kann bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung keine Versagung der Begünstigung des Veräußerungsgewinns begründen. Die Wiederaufnahme der Tätigkeit ist unschädlich, da der Umsatz --ausgehend von den derzeitigen Feststellungen des [X.]-- unstreitig unter der sog. Geringfügigkeitsgrenze liegt. Dass der Antragsteller im Rahmen dieser geringfügigen Tätigkeit auch neue Mandate betreut, schließt --entgegen der Auffassung des [X.] (vgl. zur Schädlichkeit neuer Mandanten auch ohne Überschreiten der 10 %-Grenze: BMF-Schreiben in [X.] 2003, 2522; Kurzinformation der [X.] in [X.] 2007, 314; vgl. auch [X.]/[X.], § 18 EStG Rz 324)-- das Vorliegen einer begünstigten Praxisveräußerung nicht automatisch aus (vgl. z.B. [X.]/Wacker, a.a.[X.], § 18 Rz 223; vgl. auch [X.], § 18 EStG Rz 110; [X.], [X.] Steuer-[X.]ung [X.], 445, 446; [X.], [X.], 434). Die Annahme einer begünstigten Praxisveräußerung hängt maßgeblich davon ab, ob es zu einer endgültigen Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen der Praxis auf den Erwerber kommt. Zweifelhaft ist dies, wenn der Veräußerer weiterhin die persönliche Beziehung zu früheren Mandanten auf eigene Rechnung nutzt. Dies kann er tun, indem er (einzelne) Mandanten auf eigene Rechnung weiter betreut, aber auch dadurch, dass er die Beziehung zu früheren Mandanten nutzt, um neue Mandate zu gewinnen. In beiden Fällen nutzen sowohl Veräußerer als auch Erwerber das (bisherige) durch Mandanten und Praxisnamen bedingte Wirkungsfeld für ihre freiberufliche Tätigkeit, zu der neben der Mandantenbetreuung auch die Gewinnung neuer Mandate zählt. Eine solche fortdauernde bzw. neuerliche Nutzung ehemaliger Mandantenbeziehungen steht der Annahme einer begünstigten Praxisveräußerung allerdings nur dann entgegen, wenn sie die Geringfügigkeitsgrenze überschreitet. Eine geringfügige Tätigkeit des Veräußerers im bisherigen örtlichen Wirkungskreis schließt die Annahme einer begünstigten Praxisveräußerung hingegen nicht aus, auch wenn sie --wie im [X.] die Betreuung neuer Mandate umfasst.

c) Danach erweist sich die Rechtmäßigkeit der mit der Wiederaufnahme der steuerberatenden Tätigkeit des Antragstellers am 01.01.2014 begründeten Versagung der Begünstigung des Veräußerungsgewinns gemäß § 18 Abs. 3, § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 34 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 EStG als ernstlich zweifelhaft.

3. Auch die Rechtmäßigkeit der [X.] unterliegt --wie das [X.] zutreffend erkannt hat-- ernstlichen Zweifeln. Diese folgen nicht nur aus der gebotenen Aufhebung der Vollziehung der Einkommensteuerfestsetzung 2011 (vgl. zur Aussetzung von Annexforderungen z.B. [X.] vom 23.05.2012 - III B 129/11, [X.] 2012, 1452, m.w.N.), sondern darüber hinaus auch aus den hinsichtlich der in § 238 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung geregelten Höhe der Nachzahlungszinsen jedenfalls ab dem [X.] 2012 bestehenden schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 25.04.2018 - IX B 21/18, [X.]E 260, 431, [X.] 2018, 415, und vom 03.09.2018 - VIII B 15/18, [X.] 2018, 1279; vom 04.07.2019 - VIII B 128/18, [X.] 2019, 1060, jeweils zu Aussetzungszinsen).

4. [X.] folgt aus § 135 Abs. 1 [X.]O.

Meta

VIII B 131/19

11.02.2020

Bundesfinanzhof 8. Senat

Beschluss

vorgehend FG München, 23. Juli 2019, Az: 1 V 1221/19, Beschluss

§ 18 Abs 3 EStG 2009, § 16 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG 2009, § 34 Abs 2 EStG 2009, § 34 Abs 3 EStG 2009, § 69 FGO, EStG VZ 2011

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 11.02.2020, Az. VIII B 131/19 (REWIS RS 2020, 3403)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 3403

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VIII R 2/15 (Bundesfinanzhof)

Tarifbegünstigte Veräußerung einer freiberuflichen Einzelpraxis


1 V 1211/19 (FG München)

Ausschlusses der Steuerbegünstigung im Falle der Hinzugewinnung neuer Mandanten


VIII R 22/09 (Bundesfinanzhof)

("Selbständiger Teil des Vermögens" i.S. des § 18 Abs. 3 Satz 1 EStG eines Steuerberaters)


VIII R 24/15 (Bundesfinanzhof)

Zur Tarifbegünstigung eines Aufgabegewinns bei einer echten Realteilung


VIII R 17/15 (Bundesfinanzhof)

Begründung und Beendigung einer Betriebsaufspaltung bei Verpachtung des Mandantenstamms eines Freiberuflers - Ansatz einer gestundeten …


Referenzen
Wird zitiert von

2 BvL 1/22

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.