Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.09.2014, Az. 4 ARs 12/14

4. Strafsenat | REWIS RS 2014, 3016

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 ARs
12/14

vom
11. September
2014
in der Strafsache
gegen

1.

2.

wegen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei
hier:
[X.] des 2. Strafsenats vom 28. Januar 2014

2 StR 495/12

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat am 11.
September 2014 gemäß §
132 Abs.
3 Satz
1 GVG beschlossen:

Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur [X.] fest. Danach ist eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder ge-werbsmäßiger Hehlerei zulässig.

Gründe:
Der 2.
Strafsenat beabsichtigt zu entscheiden:

Die richterrechtlich entwickelte Rechtsfigur der ungleichartigen [X.] verstößt gegen Art.
103 Abs.
2 GG.

2.
Eine wahldeutige Verurteilung wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls

Er hat gemäß §
132 Abs.
3 Satz
1 GVG bei den übrigen Strafsenaten angefragt, ob sie der beabsichtigten Entscheidung zustimmen und [X.] Rechtsprechung aufgeben.
Der beabsichtigten Entscheidung des 2.
Strafsenats steht Rechtspre-chung des 4.
Strafsenats entgegen (Beschluss vom 12.
Februar 2008

4
StR 623/07, [X.], 1394, 1395; Urteile
vom 15.
Mai 1973

4
StR
172/73, 1
2
3
-
3
-
[X.]St 25, 182; vom 17.
Oktober 1957

4
StR
73/57, [X.]St 11, 26, 28 und vom 12.
September 1951

4
StR
533/51, [X.]St 1, 302, 304; sowie

hin-sichtlich der Zulässigkeit der Wahlfeststellung nicht tragend

Urteile vom 21.
November 2013

4
StR
242/13, [X.], 172; vom 11.
November 1966

4
StR
387/66, [X.]St 21, 152, 153; Beschluss vom 12.
Mai 2010

4
StR 92/10, [X.], 698). Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest.
I.
Die Verurteilung auf [X.] Grundlage verstößt nicht gegen
Art.
103 Abs.
2 GG
und §
1 StGB.
1.
Art.
103 Abs.
2 GG enthält

neben dem hier nicht zu erörternden Rückwirkungsverbot

die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Voraussetzun-gen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwen-dungsbereich der Straftatbestände sowie die Rechtsfolgen eines Verstoßes zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. [X.] 126, 170, 194; 105, 135, 153
f.; 78, 374, 382; 75, 329, 340
f.; st. Rspr.). Diese Ver-pflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaat-lichen Schutz des Normadressaten: [X.] soll vorhersehen können, wel-ches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Andererseits soll [X.] werden, dass der Gesetzgeber selbst über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art.
103 Abs.
2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der rechtsprechenden Gewalt verbietet, Straftatbestände oder Strafen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung

etwa durch die Bildung von Analogien oder die [X.]

zu begründen oder
zu verschärfen (vgl. [X.] 130, 1, 43; 126, 170, 197; 71, 108, 115).
4
5
-
4
-
2.
[X.] berührt keine dieser Garantien.
a)
Der Umstand, dass bei einer Verurteilung auf der Grundlage einer sog. echten Wahlfeststellung nicht feststeht, welcher der alternativ in Betracht kommenden Straftatbestände verletzt worden ist, ändert nichts daran, dass die maßgeblichen strafbewehrten Verbote für den Normadressaten in Tragweite und Anwendungsbereich erkennbar waren. Das Gesetz verbietet zwei [X.], im Ausgangsfall die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache (§
242 StGB) und das Sichverschaffen einer Sache, die ein anderer gestohlen hat (§
259 StGB). Für den Normadressaten ergibt sich deshalb keine Unge-wissheit darüber, ob sein Verhalten strafbar ist oder nicht.
b)
Da ein Angeklagter im Fall einer echten Wahlfeststellung nur verurteilt werden darf, wenn die nach der Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten alter-nativ in Betracht kommenden Sachverhalte jeweils einen (anderen) Straftatbe-stand vollständig erfüllen und andere Sachverhaltsalternativen sicher ausschei-den (vgl. [X.], Beschluss vom 5.
März 2013

1
StR
613/12, [X.], 42; [X.]/[X.], 26.
Aufl.,
§
261 Rn.
127
mwN), bleibt auch gewährleistet, dass nur der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet ([X.]/Stuckenberg, [X.], §
261 Rn.
149 [Stand: August 2013]; [X.]/[X.], 4.
Aufl., [X.] zu §
2 Rn.
77; SK-[X.]/[X.], 4.
Aufl., §
261 Rn.
103; [X.]/
Kühl, StGB, 28.
Aufl., §
1 Rn.
9; von [X.], StGB, 2010, §
1 Rn.
43; an[X.] [X.]. in [X.] StGB, §
1 Rn.
43;
Baumann/[X.]/[X.], [X.], 11.
Aufl., §
10 Rn.
36; [X.], [X.] 2013, 271, 274; Schuhr, [X.], 437;
[X.], [X.] 1953, 33, 38).
c) Es liegt auch kein Verstoß gegen das [X.] oder das Verbot der [X.] vor. Der Angeklagte wird nicht 6
7
8
9
-
5
-
wegen des Verstoßes gegen einen aus den in Betracht kommenden [X.] gebildeten außergesetzlichen [X.] verurteilt, sondern wegen des Verstoßes gegen einen der in der Urteilsformel angeführten und mit dem [X.], [X.] 2013, 271, 276; Joerden, Dyadische Fallsysteme im Strafrecht, 1986, S.
119 f.; [X.], Verurteilungen im Strafprozeß trotz subsumtionsrele-vanter Tatsachenzweifel, 1976,
S.
167
f.; aA
Endruweit, [X.] und die Problematik der Überzeugungsbildung, der Identitätsbestimmung, der Urteilssyllogistik sowie der [X.] und personalen Gleichwertigkeit von [X.], 1973, S.
264
ff.; Freund, FS [X.], 2013, S.
35, 40, 46
ff.; Montenbruck, Wahlfeststellung und Werttypus in
Strafrecht und Strafprozeßrecht, 1976, S.
117). Da bei einer ungleichartigen Wahlfeststellung in Bezug auf jede Sach-verhaltsalternative sämtliche Voraussetzungen
des jeweils in Betracht kom-r-oder Tatbeständen (vgl. [X.] 126, 170, 211 mwN). Den in Betracht kom-menden Strafvorschriften wird durch die Wahlfeststellung inhaltlich weder etwas hinzugefügt noch wird eine einschränkende Voraussetzung der Strafbarkeit
außer Acht gelassen (Schuhr, [X.], 437, 438).
Zu der Frage, ob eine Verurteilung eindeutig sein muss oder
mehrdeutig sein darf, treffen Art.
103 Abs.
2 GG und §
1 StGB keine Aussage ([X.]/
Stuckenberg, [X.], §
261 Rn.
149 [Stand: August 2013]; [X.], [X.] 2013, 271, 277 f.; [X.]/[X.], aaO, [X.] zu §
2 Rn.
77 sowie [X.], 584, 585).
d)
Soweit der [X.] neben den Anforderungen an die Voraussetzungen der Strafbarkeit auch verlangt, dass die mögliche Strafe in 10
11
-
6
-
einem Gesetz hinreichend bestimmt geregelt sein muss, gerät die [X.] auch insoweit nicht mit Art.
103 Abs.
2 GG in Konflikt. Wie bereits das [X.] ausgeführt hat, ist bei der gebotenen Ermittlung des mildesten Gesetzes nicht ein abstrakter Strafrahmenvergleich vorzunehmen, sondern der Tatrichter hat auf der Grundlage der jeweiligen Sachverhaltsalternativen jeweils zu erörtern, welche Strafe er für angemessen gehalten hätte, wenn zweifelsfrei die eine oder die andere Handlung nachgewiesen wäre ([X.], 369, 374).
e)
Dementsprechend hat auch das [X.], das die [X.] nur in engen Grenzen für zulässig erachtet hat, seine restriktive Haltung nicht mit einem Verstoß gegen das auch zum Zeitpunkt seiner Entscheidungen
geltende Bestimmtheitsgebot (§
2 Satz
1 RStGB) begründet (vgl. [X.], 257; 57, 174; 56, 35
f.; 55, 228; 55, 44; 53, 231; 23, 47; 11, 103
f.). Gleiches gilt für die Rechtsprechung des [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 15.
Oktober 1956

GSSt
2/56, [X.]St 9, 390; Urteile vom 16.
April 1953

4
StR
377/52, [X.]St 4, 128; vom 2.
Oktober 1951

1
StR
353/51, [X.]St 1, 327; und vom 19.
April 1951

3
StR
165/51, [X.]St 1, 127). Soweit ersichtlich, wird vom [X.] lediglich in der Entscheidung vom 1.
Juli 1869 (RGSt

3.
Da somit die Garantien des
Art.
103 Abs.
2 GG durch die [X.] nicht berührt werden, kann letztlich dahinstehen, ob es sich bei den Grundsätzen der Wahlfeststellung um eine prozessuale Entscheidungsregel (als Ausnahme zu dem Grundsatz in dubio pro reo) handelt, auf die Art.
103 Abs.
2 GG schon grundsätzlich keine Anwendung findet.
12
13
-
7
-
II.
Eine Verurteilung aufgrund [X.] Tatsachengrundlage ist

sofern die alternativ in Betracht kommenden Tatbestände rechtsethisch und psycholo-gisch gleichwertig sind

auch im Übrigen unbedenklich.
Der Umstand, dass dem Verurteilten bei einer mehrdeutigen Verurteilung in der Urteilsformel immer auch die Erfüllung eines Tatbestandes als möglich angelastet wird, den er tatsächlich nicht verwirklicht hat (vgl. RG

Vereinigte Strafsenate

, Beschluss vom 2.
Mai 1934

1
D
1096/33, [X.], 257, 261; [X.], Urteil vom 2.
Oktober 1951

1
StR
353/51, [X.]St 1, 327, 328; [X.], aaO, S.
112
ff., 185), führt nicht zu deren Unzulässigkeit. Da nach den bisher geltenden Grundsätzen zur ungleichartigen Wahlfeststellung eine solche Verur-teilung nur erfolgen kann, wenn den mehreren möglicherweise verwirklichten Delikten im allgemeinen Rechtsempfinden eine gleiche oder zumindest ähnliche rechtsethische Bewertung zukommt und eine vergleichbare psychologische Be-ziehung des [X.] zu den mehreren in Frage kommenden Sachverhalten be-steht (vgl. [X.], Beschluss vom 15.
Oktober 1956

GSSt
2/56, [X.]St 9, 391, 394; Urteil vom 11.
November 1966

4
StR
387/66, [X.]St 21, 152, 153), wird die mit der alternativen
Aufzählung mehrerer Delikte in der Urteilsformel ver-bundene Belastung für den Verurteilten auf ein Maß begrenzt, das zur Vermei-dung lebensfremder und der Gerechtigkeit wi[X.]prechender Ergebnisse (Frei-spruch trotz zweifelsfreier Strafbarkeit) hinnehmbar ist (vgl. [X.], aaO, S.
113).
14
15
-
8
-
III.
Der Zulässigkeit der Wahlfeststellung steht im zugrundeliegenden Fall schließlich auch nicht entgegen, dass eine Verurteilung wegen eines dritten Tatbestandes möglich gewesen wäre, nämlich wegen des formell subsidiären Auffangtatbestands der Unterschlagung gemäß §
246 StGB (vgl. [X.], [X.] und in dubio pro reo, 1987, S.
91; [X.], [X.], 584, 586).
Zwar hat die Möglichkeit einer eindeutigen Verurteilung wegen eines
milderen Gesetzes grundsätzlich Vorrang vor der Anwendung der Grund-
sätze über die Wahlfeststellung (vgl. [X.], Urteile vom 12.
Oktober 1989

4
StR
318/89, [X.]St 36, 262, 268; vom 23.
März 1993

1
StR
21/93, [X.]St 39, 164, 166
f.). Von diesem Grundsatz ist aber dann eine Ausnahme anzuer-kennen, wenn

wie im Ausgangsfall

feststeht, dass der Täter in jeder der möglichen Sachverhaltsalternativen über den feststehenden subsidiären Tatbe-stand hinaus entweder das eine oder das andere schwerer wiegende und kon-kurrenzdominante Delikt verwirklicht hat (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Januar 1954

1
StR
631/53, [X.]St 5, 280, 281; Urteil vom 11.
Juli 1984

2
StR
249/84, [X.], 506: Wahlfeststellung zwischen [versuchtem]
Raub und [versuchter]
räuberischer Erpressung

ungeachtet der in jedem Fall verwirklichten [ver-suchten]
Nötigung; vgl. auch [X.], Wahlfeststellung und in dubio pro reo, 1987, S.
87, 90 f.). Andernfalls würde der in jeder Alternative feststehende hö-
16
17
-
9
-
here Schuldgehalt der Tat durch die Verurteilung wegen des subsidiären Delikts nicht ausgeschöpft ([X.]/Stuckenberg, [X.], §
261 Rn.
139
[Stand: August 2013]; [X.], aaO, S.
91).
Sost-Scheible
Cierniak
Franke

Bender
Quentin

Meta

4 ARs 12/14

11.09.2014

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: ARs

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.09.2014, Az. 4 ARs 12/14 (REWIS RS 2014, 3016)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 3016

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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GSSt 1/17 (Bundesgerichtshof)


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2 StR 495/12

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