Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.07.2012, Az. 1 AZR 567/11

1. Senat | REWIS RS 2012, 4608

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Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 19. Mai 2011 - 8 [X.] 2064/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über [X.] während eines Arbeitskampfes.

2

Die nicht tarifgebundene Beklagte beschäftigt etwa 45 Arbeitnehmer. Ende März 2010 forderte die tarifzuständige Industriegewerkschaft [X.] ([X.]) sie zur Aufnahme von Tarifverhandlungen über den Abschluss eines [X.] auf. Am 8. April 2010 wurde eine Tarifkommission gewählt und zeitgleich die Durchführung einer Betriebsratswahl vorbereitet. Am Folgetag kündigte die Beklagte dem Kläger fristlos, den weiteren Mitgliedern der Tarifkommission kündigte sie zunächst ordentlich zum 30. Juni 2010 und anschließend am 22. April 2010 fristlos.

3

Der Bundesvorstand der [X.] genehmigte am 12. April 2010 die Durchführung einer Urabstimmung im Betrieb der [X.] und die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen. Am folgenden Tag teilte sie der [X.] mit, 95,5 % der organisierten Beschäftigten hätten sich für einen Streik ausgesprochen. Sie forderte die Beklagte deshalb auf, ihr bis 10:00 Uhr schriftlich mitzuteilen, dass sie Tarifgespräche anbiete, ansonsten beginne um 10:01 Uhr ein unbefristeter Streik. Nachdem diese die gesetzte Frist verstreichen ließ, rief die [X.] die Belegschaft der [X.] zum Streik auf.

4

Das Arbeitsgericht stellte durch Urteil vom 14. Juli 2010 die Unwirksamkeit sämtlicher Kündigungen fest. Der Streik wurde daraufhin - ohne Tarifabschluss - beendet. Seit dem 7. Juni 2010 hat der Kläger eine anderweitige Beschäftigung.

5

Mit seiner Klage verlangt der Kläger in der Revision noch Annahmeverzugsvergütung für die [X.] vom 13. April 2010 bis zum 6. Juni 2010. Er hat gemeint, er habe sich nach der fristlosen Kündigung nicht mehr rechtswirksam am Streik beteiligen, sondern nur noch mit den Streikenden solidarisch erklären können. Er hätte allerdings auch dann gestreikt, wenn er nicht außerordentlich gekündigt worden wäre.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 6.638,75 Euro brutto abzüglich bereits durch die Agentur für Arbeit geleisteter 2.416,07 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf den Differenzbetrag ab dem 23. August 2010 zu zahlen.

7

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

8

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 362,50 Euro für die [X.] vom 10. bis zum 12. April 2010 verurteilt, die Berufung für die Beklagte nicht zugelassen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt dieser seinen Zahlungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zu Recht zurückgewiesen.

I. Der Kläger hat nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 Abs. 1 BGB keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Vergütung wegen Annahmeverzugs.

1. Aufgrund der rechtskräftig festgestellten Unwirksamkeit der gegenüber dem Kläger erklärten Kündigungen steht fest, dass zwischen den Parteien im noch streitgegenständlichen [X.]raum vom 13. April 2010 bis zum 6. Juni 2010 ein Arbeitsverhältnis bestand.

2. Die Beklagte kam durch den Ausspruch der unwirksamen außerordentlichen Kündigung vom 9. April 2010 an sich in Annahmeverzug. Da in der Kündigung zugleich die Erklärung der [X.] lag, sie werde die Leistung nicht annehmen, bedurfte es keines Angebots des [X.], §§ 295, 296 Satz 1 BGB (st. Rspr., zuletzt [X.] 16. Mai 2012 - 5 [X.] - Rn. 12, [X.] 2012, 971).

3. Dem Anspruch auf Verzugslohn nach § 615 Satz 1 iVm. § 611 BGB steht jedoch entgegen, dass der Kläger in der [X.], für die er Annahmeverzugsvergütung verlangt, nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB war.

a) Nach dieser Bestimmung kommt der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Neben der (tatsächlichen oder rechtlichen) Leistungsfähigkeit umfasst § 297 BGB auch die nicht ausdrücklich genannte Leistungswilligkeit. Dies folgt schon daraus, dass ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer sich selbst außerstande setzt, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die objektive Leistungsfähigkeit und der subjektive Leistungswille sind von dem Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Verzugszeitraums vorliegen müssen ([X.] 22. Februar 2012 - 5 [X.] - Rn. 16, [X.] 2012, 858).

b) Danach war der Kläger im streitgegenständlichen [X.]raum nicht leistungswillig. Nach den Feststellungen des [X.]s (§ 559 Abs. 2 ZPO) hat er sich in der [X.] vom 13. April 2010 bis zum 6. Juni 2010 an dem von der [X.] geführten Streik beteiligt, indem er sich ua. mit einer [X.] als Streikposten vor dem Betrieb der [X.] aufgestellt hat. Er hat sich zudem durch die Veröffentlichung von Texten und Redebeiträgen im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Streik betätigt und hierdurch seine fehlende Arbeitsbereitschaft unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Denn Streik ist definitionsgemäß die kollektive Vorenthaltung der geschuldeten Arbeitsleistung, um durch die daraus resultierenden wirtschaftlich schädlichen Folgen Druck auf die Arbeitgeberseite dahin auszuüben, in eine gewünschte tarifvertragliche Regelung einzuwilligen ([X.] 26. Juli 2005 - 1 [X.] - zu II 2 b bb der Gründe, [X.]E 115, 247). Wer streikt, ist deshalb nicht leistungswillig iSd. § 297 BGB.

4. Soweit der Kläger die Auffassung vertreten hat, er sei nach Ausspruch der außerordentlichen Kündigung durch die Beklagte nicht mehr deren Arbeitnehmer gewesen und habe deshalb nicht im Rechtssinne streiken können, verkennt er die Folgen des aus seiner Sicht erfolgreichen Kündigungsschutzprozesses. Das Arbeitsverhältnis hat nach der dort getroffenen Feststellung des Arbeitsgerichts durch die jeweiligen Kündigungen nicht geendet, sondern im streitgegenständlichen [X.]raum fortbestanden. Hätte dagegen - wie der Kläger meint - in der [X.] vom 13. April 2010 bis zum 6. Juni 2010 kein Arbeitsverhältnis bestanden, stünde ihm ohnehin kein Anspruch auf Verzugslohn zu, da § 615 BGB nur den vertraglichen Vergütungsanspruch aufrechterhält ([X.] 19. März 2008 - 5 [X.] - Rn. 13, [X.]E 126, 198). Überdies hat ein der Kündigungsschutzklage stattgebendes Urteil lediglich feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung (KR/Friedrich 9. Aufl. § 4 [X.] Rn. 17 mwN); es wird also hierdurch nicht rückwirkend für die [X.] nach dem Kündigungstermin bis zur Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozess ein Arbeitsverhältnis geschaffen, sondern nur dessen Fortbestehen festgestellt.

5. Aus der vom Kläger zur Begründung seiner Rechtsauffassung angeführten Senatsentscheidung vom 26. Juli 2005 (- 1 [X.] - [X.]E 115, 247) folgt kein anderes Ergebnis. In jenem Fall hatte sich ein Arbeitnehmer, bevor er an einer Streikkundgebung teilnahm, in zulässiger Weise aus dem betrieblichen [X.]erfassungssystem abgemeldet. Dies führte dazu, dass für diese [X.]dauer dem Arbeitszeitkonto auch keine [X.]gutschrift zugeführt wurde. Der Arbeitnehmer befand sich daher während der Teilnahme an der Streikkundgebung in Freizeit und konnte deshalb durch die Streikteilnahme keine Arbeitspflichten aufheben. Hier hat sich der Kläger nicht in seiner Freizeit an einem Streik beteiligt, sondern zu einer [X.], während derer er nach objektiver Rechtslage zur Erbringung einer Arbeitsleistung verpflichtet gewesen wäre.

II. Die Versagung der Annahmeverzugsvergütung begegnet keinen arbeitskampfrechtlichen Bedenken.

1. Die Koalitionsbetätigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) des einzelnen Arbeitnehmers wird hierdurch nicht verletzt. Dieser kann durch tatsächlich gezeigte oder doch wenigstens erklärte Solidarität den Druck eines Streiks verstärken, indem er diesem hierdurch öffentliche Aufmerksamkeit verleiht (vgl. [X.] 15. Januar 1991 - 1 [X.] - zu II 7 der Gründe, [X.]E 67, 50).

2. Entgegen der Auffassung des [X.] wird die Kampfparität nicht dadurch beeinträchtigt, dass ein außerordentlich gekündigter und damit nicht beschäftigter Arbeitnehmer keinen satzungsrechtlichen Anspruch gegenüber der kampfführenden [X.] auf Streikbeihilfe hat, sondern nur eine geringere und zudem zurückzuzahlende Solidaritätsunterstützung verlangen kann. Hierbei handelt es sich um eine gewerkschaftsinterne Regelung, die für die Beurteilung der Kampfparität unerheblich ist.

3. Schließlich führte es zu Wertungswidersprüchen, wenn der unwirksam gekündigte Arbeitnehmer während der aktiven Streikteilnahme Annahmeverzugsvergütung verlangen könnte, während seine nicht gekündigten, streikenden Kollegen keinen Entgeltanspruch haben (dazu [X.] 26. Juli 2005 - 1 [X.] - Rn. 13, [X.]E 115, 247). Beide Personengruppen befinden sich in der gleichen Situation, da sie nach objektiver Rechtslage in einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis an einem Arbeitskampf teilnehmen. Da der ungekündigte Arbeitnehmer durch die Teilnahme an einem Streik die gegenseitigen Hauptpflichten aufhebt und deshalb für die [X.] der Streikteilnahme seinen Vergütungsanspruch verliert, kann für den unwirksam gekündigten nichts anderes gelten.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    Linck    

        

        

        

    Rath    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 AZR 567/11

17.07.2012

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Herford, 27. Oktober 2010, Az: 2 Ca 999/10, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.07.2012, Az. 1 AZR 567/11 (REWIS RS 2012, 4608)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4608


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 1 AZR 567/11

Bundesarbeitsgericht, 1 AZR 567/11, 17.07.2012.


Az. 2 Ca 999/10

Arbeitsgericht Herford, 2 Ca 999/10, 27.10.2010.


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