Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.12.2011, Az. VII ZR 12/09

VII. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 650

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VII ZR 12/09
Verkündet am:

8. Dezember 2011

Seelinger-Schardt,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO § 304 Abs. 1
Lässt sich ohne weitere Tatsachenaufklärung nicht feststellen, ob dem Kläger ein von ihm ausschließlich konkret nach dem entgangenen Rohertrag berech-neter Schaden entstanden ist, kann die für den Erlass eines Zwischenurteils über den Grund erforderliche Wahrscheinlichkeit, dass der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in irgendeiner Höhe besteht (st. Rspr., vgl. [X.], Ur-teil vom 7.
März
2005 -
II
ZR
144/03, NJW-RR 2005, 1008, 1009 m.w.N.), nicht damit begründet werden, dass der Kläger den Schaden auch abstrakt berech-nen könnte.
[X.], Urteil vom 8. Dezember 2011 -
VII ZR 12/09 -
OLG [X.]/Main

[X.]

-
2
-
Der VII.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 8.
Dezember
2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
[X.] und die Richter Dr.
Kuffer, Dr.
Eick, [X.] und Prof.
[X.]
für Recht erkannt:
Auf die Revision des
Beklagten wird das Urteil des 10.
Zivilsenats des Oberlandesgerichts [X.] am Main vom 19.
Dezember
2008 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur
neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den
Beklagten in seiner Eigenschaft als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der ursprünglichen Beklagten, der S.-GmbH (im Folgenden: Schuldnerin), auf Schadensersatz für die angeblich vertragswidrige Nichtannahme von zur Verwertung bestimmtem Abfall in [X.].
Die Klägerin und die Schuldnerin
betreiben Unternehmen im Bereich der Entsorgungs-
und Abfallwirtschaft. Sie schlossen am 7./19.
April
2005 einen Liefer-
und Annahmevertrag, wonach die Schuldnerin bestimmte, von der Klä-gerin angelieferte Abfälle annehmen und verwerten sollte. Der Vertrag hatte 1
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3
-
eine Laufzeit vom 1.
Juni
2005 bis zum 31.
Dezember
2007. Im Vertrag heißt es u.a.:

"§ 1 Vertragsgegenstand
1.
[X.] (Klägerin) liefert zur Anlage der S. (Beklagte) während der Laufzeit dieses Vertrages bis zu 15.000
Mg pro Jahr an geeig-

2.
S. verwertet die durch [X.] angelieferten Abfälle durch folgende Anlage:

S. verpflichtet sich, die übernommenen Abfälle ent-sprechend den gesetzlichen Vorgaben zu verwerten.

§ 4 Leistungen der S.
S. übernimmt bis zu 15.000 Jahrestonnen an
Abfällen von [X.] durch die in §
1 Abs.
2 genannten Anlagen und verwertet die Ab-fälle entsprechend den jeweiligen öffentlich-rechtlichen Vorschrif-ten.

§ 5 Leistungen der [X.]
1.
[X.] beabsichtigt jährlich bis zu 15.000
to an Abfällen zur [X.] anzuliefern.
2.
[X.] verpflichtet sich entsprechend der Betriebsgenehmigung der Anlage der [X.]"

Von den ersten sieben
Lieferungen der Klägerin am 4.
Juli
2005 wies die Schuldnerin fünf zurück. Mit Schreiben vom 25.
Juli
2005 zeigte sie technische Probleme an und bat, vorläufig von weiteren Anlieferungen abzusehen. Auf Nachfrage der Klägerin, wann Anlieferungen wieder möglich seien, erwiderte 3
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-
sie mit Schreiben vom 12.
August
2005, das bisher gelieferte Material der Klä-gerin könne lediglich beseitigt, nicht hingegen verwertet werden. Sie sei gegen einen Aufpreis von 70

Die Klägerin erklärte daraufhin, zu den vereinbarten Konditionen weiterhin erfül-lungsbereit zu sein. Unter dem 27.
Oktober
2005 teilte die Schuldnerin mit, sie werde sich wegen der mangelhaften Qualität des von der Klägerin gelieferten Materials an der Durchführung des Vertrages nicht beteiligen. Nach einer Be-sprechung im November 2005, über deren Verlauf und Inhalt die Parteien strei-ten, forderte sie die Klägerin mit Schreiben vom 21.
Dezember
2005 auf, die Anlieferungen bis zum 30.
Dezember
2005 wieder aufzunehmen. Die Klägerin erklärte daraufhin, sie werde sich mit der Schuldnerin in Verbindung setzen. Daraufhin erklärte die Schuldnerin mit Schreiben vom 2.
Januar
2006 den Rücktritt vom Vertrag.
Die Klägerin hat den Rücktritt für unwirksam gehalten und behauptet, sie hätte im [X.] die vereinbarten Abfallmengen anliefern können. Weil die Schuldnerin nicht zur Annahme bereit gewesen sei, hätte sie von ihren Kunden in entsprechender Größenordnung keine Abfälle abnehmen können. Den ihr so entgangenen Gewinn hat sie für den [X.]raum vom 1.
Juni
2005 bis zum 1.
Juni
2006 auf insgesamt 659.745

n-sen hat sie nach übereinstimmender Erledigung des ursprünglich auf [X.] der Beklagten zur Annahme und Verwertung der bei ihr vertragskonform angelieferten Abfälle
gerichteten Klageantrages zu 1 mit dem Klageantrag zu 2
geltend gemacht. Darüber hinaus hat sie mit dem Klageantrag zu 3
auf Fest-stellung angetragen, dass die Schuldnerin ihr den weiteren Schaden zu [X.] habe, der aus der Nichtannahme der vereinbarten Abfallmengen im [X.] zwischen dem 2.
Juni
2006 und dem 31.
Dezember
2007 entstanden sei.
4
-
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-
Das [X.] hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht
hat durch Grund-
und Teilurteil dem mit dem Klageantrag zu 2
geltend gemachten Schadensersatzanspruch dem Grunde nach, dem Feststellungsantrag insge-samt stattgegeben und die Berufung der Schuldnerin insoweit zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt nach Eröffnung des [X.] über das Vermögen der S.-GmbH nunmehr der Beklagte in [X.] Eigenschaft als Insolvenzverwalter die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:
Die Revision
führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.
Das Berufungsgericht
meint, die Klägerin könne dem Grunde nach ge-mäß §§
631, 283, § 280 Abs.
1, §
241 Abs.
1 BGB Schadensersatz von der Schuldnerin verlangen. Nach dem zwischen den Parteien geschlossenen [X.] sei die Klägerin zwar zur Anlieferung der vereinbarten Abfallmengen [X.], nicht aber verpflichtet gewesen, wohingegen die Schuldnerin die ihr entsprechend den Vorgaben des [X.] angebotenen Abfäl-le habe
annehmen und verwerten müssen. Die Schuldnerin sei nicht zum [X.] vom Vertrag berechtigt gewesen, weil es sich um ein bereits in Vollzug ge-setztes Dauerschuldverhältnis gehandelt habe und an die Stelle des Rücktritts-5
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rechts gemäß §
314 BGB ein Recht zur Kündigung des Vertrages mit Wirkung für die Zukunft getreten sei.
Der Schuldnerin sei die Erfüllung ihrer Leistungspflichten aus in ihre Ver-antwortung fallenden Gründen unmöglich geworden. Sie habe mit ihren Erklä-rungen
vom 12.
August
2005 und 27.
Oktober
2005 die Annahme weiterer Lie-ferungen der Klägerin zu den ausgehandelten Preisen ohne hinreichenden sachlichen Grund
abgelehnt und sei im Übrigen zur Annahme auch tatsächlich nicht mehr bereit gewesen.
Hinsichtlich des bezifferten Schadensersatzbegehrens sei die Klage nicht entscheidungsreif. Es bestünden Bedenken, ob die Klägerin über die behaupte-ten Abfallmengen hätte verfügen können und ihr der auf dieser Grundlage konk-ret berechnete Schaden entstanden sei. Darüber hinaus sei
fraglich, ob das Verhalten der Schuldnerin kausal für den Schaden geworden sei. Schließlich habe die Klägerin bisher den Vorwurf eines Mitverschuldens gemäß §
254 Abs.
2 BGB nicht ausgeräumt; sie habe nicht dargelegt, welche Bemühungen sie unternommen habe, die ihr angeblich von ihren Kunden avisierten [X.] anderweitig verwerten zu lassen. Da die Klägerin ihren Schaden nach §
252 Satz
2 BGB abstrakt berechnen könne, bestehe gleichwohl die Wahr-scheinlichkeit, dass ihr jedenfalls ein Schaden in gewisser Höhe zustehe.
Der Feststellungsantrag sei begründet. Die Schuldnerin sei aus den [X.] Gründen verpflichtet, der Klägerin den aus der Nichtannahme der Ab-fälle resultierenden Schaden zu ersetzen. Diese Verpflichtung beziehe sich auf den gesamten [X.]raum bis zum Ende der Laufzeit des Vertrages, der in Er-mangelung eines wichtigen Grundes nicht durch die im "Rücktritt"
enthaltene außerordentliche Kündigung vorzeitig beendet worden sei.

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7
-
II.
Diese Ausführungen
halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
1. Das Berufungsgericht hat durch nunmehr vom Beklagten angegriffe-nes Teilgrundurteil entschieden, dass die Schuldnerin gemäß §§
631, 283, §
281 Abs.
1,
§
241 Abs.
1 BGB dem Grunde nach verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der ihr durch die Nichtannahme von [X.] in der [X.] vom 1.
Juni
2005 bis zum 1.
Juni
2006 entstanden ist. Das ist [X.]. Die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils liegen nicht vor, §
304 Abs.
1 ZPO.
a) Ein Zwischenurteil
über den Grund darf nur ergehen, soweit alle Fra-gen, die zum Grund des Anspruchs gehören, erledigt sind und es nach dem Sach-
und Streitstand zumindest wahrscheinlich ist, dass der Anspruch in irgendeiner
Höhe besteht (st. Rspr., vgl. [X.], Urteil vom 7.
März
2005

II
ZR
144/03, NJW-RR 2005, 1008, 1009 m.w.N.). Diese Wahrscheinlichkeit ergibt sich aus den hierzu vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht.
b)
Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der Klägerin ein von ihr konkret nach dem entgangenen Rohertrag berechneter Schaden entstanden ist und die Wahrscheinlichkeit, dass der Klägerin gleichwohl ein Schadensersatz-anspruch in gewisser Höhe zusteht, alleine damit begründet, dass die Möglich-keit einer abstrakten Schadensberechnung nach §
252 Abs.
2 BGB bestehe. Damit legt das Berufungsgericht seiner Entscheidung in [X.]er Weise Sachvortrag zugrunde, den die Klägerin nicht gehalten hat und der [X.] ebenso wenig wie das Vorbringen der Klägerin zur
Berechnung des kon-kreten Schadens geeignet gewesen wäre, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines erstattungsfähigen Schadens zu begründen. Einen abstrakt nach der ge-11
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-
wöhnlichen Gewinnerwartung berechneten Schaden macht die Klägerin nicht geltend. Darüber hinaus ergäbe sich auch auf der Grundlage einer solchen abs-trakten Schadensberechnung kein erstattungsfähiger Schaden, wenn die Klägerin
-
wie es das Berufungsgericht ausdrücklich für möglich hält
-
gar nicht in der Lage war, Abfall von ihren Kunden abzunehmen, um ihn der Schuldnerin zur Weiterverwertung andienen zu können.
2.
Ebenfalls
keinen Bestand haben kann die Entscheidung des [X.]s, soweit es dem Feststellungsantrag der Klägerin durch [X.] stattgegeben hat.
Ein Feststellungsurteil, das unter dem Vorbehalt eines später zu [X.] Mitverschuldens ausgesprochen wird, ist unzulässig ([X.], Urteil vom 10.
Juli
2003 -
IX
ZR
5/00, NJW 2003, 2986 m.w.N.; Urteil vom 13.
Mai
1997

VI
ZR
145/96, NJW 1997, 3176, 3177). Demnach hätte das Berufungsgericht über den Feststellungsantrag nicht befinden dürfen, ohne den von der Schuld-nerin erhobenen Mitverschuldenseinwand (§
254 Abs.
2 BGB) zu bescheiden. Es hat diesen Einwand im Zusammenhang mit der Entscheidung über den Zah-lungsantrag erwogen und ein Mitverschulden der Klägerin ausdrücklich für [X.] gehalten. Unabhängig von der Beantwortung der von der Revision aufge-worfenen Frage, ob das Berufungsgericht den bezifferten Schadenersatzan-spruch unter dem Vorbehalt eines sich im Betragsverfahren danach möglicher-weise ergebenden Mitverschuldens dem Grunde nach zusprechen durfte, hätte es jedenfalls die beantragte
Feststellung nicht aussprechen dürfen.
Denn ein eventuelles Mitverschulden der Klägerin betrifft auch alle weiteren, der Klägerin während der gesamten Vertragslaufzeit durch die Nichtannahme vertragsge-mäßen Abfallmaterials entstandenen
Schäden, die Gegenstand des Feststel-lungsbegehrens der Klägerin sind.
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3. Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und [X.] der Sache gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, sich erneut mit der Frage zu befassen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Klägerin die Verpflichtung übernommen hat, Abfall anzuliefern. Das Berufungsgericht wird sich dabei mit den im Revisionsverfahren vorgebrachten Einwendungen [X.] müssen.
Gleiches gilt für die Annahme der [X.]. In diesem Zu-sammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine
[X.] sich nicht allein aus den Schreiben der Schuldnerin vom 12.
August
2005 und 27.
Oktober
2005 ergibt.
Denn die Beklagte hat in diesen
Schreiben nicht die Annahme vertragsgerechten Abfalls zu den ausgehandelten Preisen verweigert. Das Berufungsgericht erhält auch Gelegenheit, sich mit den Angriffen gegen seine Würdigung der Zeugenaussagen auseinanderzusetzen.
[X.]
Kuffer
Eick

[X.]

[X.]
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 30.04.2008 -
11 O 20/06 -

OLG [X.]/Main, Entscheidung vom 19.12.2008 -
10 [X.] -

17
18

Meta

VII ZR 12/09

08.12.2011

Bundesgerichtshof VII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.12.2011, Az. VII ZR 12/09 (REWIS RS 2011, 650)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 650

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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VII ZR 12/09

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