Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.11.2018, Az. V ZB 54/18

5. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 1342

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Gegenstand

Abschiebungshaft: Erforderliche Haftdauer bei Angabe der Höchstdauer im Haftantrag


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 8. Zivilkammer des [X.] vom 28. Februar 2018 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 20. November 2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger, reiste zu einem nicht näher bekannten [X.]punkt ohne den erforderlichen Aufenthaltstitel in das [X.] ein und stellte am 21. Februar 2017 einen Asylantrag, den das [X.] mit Bescheid vom 13. Mai 2017 ablehnte. Seine Abschiebung nach [X.] wurde angedroht. Ab dem 7. August 2017 war er unbekannten Aufenthalts; am 20. November 2017 wurde er festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 20. November 2017 Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen bis zum 11. Dezember 2017 angeordnet. Die nach seiner Abschiebung am 5. Dezember 2017 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde hat das [X.] zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene seinen Feststellungsantrag weiter. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.

2

Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe die [X.] gegen den Betroffenen zu Recht angeordnet. Der Haftantrag genüge den Anforderungen des § 417 Abs. 2 FamFG. Insbesondere seien die Erforderlichkeit der Haft und die notwendige Haftdauer ausreichend dargelegt worden. Es liege der Haftgrund des § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vor.

III.

3

Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG statthafte und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Der Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des Amtsgerichts und die Beschwerdeentscheidung in seinen Rechten verletzt.

4

1. Es fehlt bereits an einem zulässigen Haftantrag.

5

a) Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des [X.] knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte [X.] nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 2017 - [X.]/17, juris Rn. 6 mwN).

6

b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag vom 20. November 2017 nicht, weil er keine ausreichenden Angaben zu der notwendigen Haftdauer enthält.

7

aa) Die beteiligte Behörde führt in dem Haftantrag aus, dass die Dauer der Haft „von längstens 21 Tagen“ erforderlich sei. Es müsse zunächst ein Abschiebungsersuchen an das zuständige [X.] gerichtet werden; von dort werde über ein Reisebüro der nächstmögliche Flug nach [X.] gebucht. Unter Beachtung des Beschleunigungsgebots werde hierbei stets der nächstmögliche Termin gewählt, so dass die Durchführung einer Abschiebung grundsätzlich vor Ablauf der beantragten Haftdauer beabsichtigt sei. Hierbei sei zu beachten, dass bei den in Frage kommenden Luftverkehrsgesellschaften nur ein geringes Kontingent an verfügbaren Plätzen zur Verfügung stehe. Das [X.] teile die Flugdaten nach Buchungsbestätigung dann unverzüglich telefonisch mit, damit die Zuführung des Ausländers zum Flughafen durch behördeneigene [X.] organisiert werden könne.

8

bb) Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 2 AufenthG), unzureichend. Die Begründung stellt eine in einer Vielzahl von Verfahren einsetzbare Leerformel dar, die über die Durchführbarkeit der Abschiebung im konkreten Fall nichts aussagt. Beschrieben ist zudem nur die allgemein zu erwartende Höchstdauer für eine Flugabschiebung nach [X.] („längstens“). Die Angabe einer Höchstdauer kann die Erforderlichkeit der Haftdauer für den konkreten Antrag nicht begründen und rechtfertigt nicht die - vorsorgliche - Haftanordnung bis zu diesem [X.]punkt (vgl. Senat, Beschluss vom 13. September 2018 - [X.]/18, juris Rn. 8; Beschluss vom 22. Juni 2017 - [X.], [X.] 2018, 58 Rn. 8). Die Haftdauer von 21 Tagen ist auch nicht so kurz, dass sich ihre Notwendigkeit von selbst versteht, zumal der Pass des Betroffenen vorlag und die Flugabschiebung in ein europäisches Land erfolgen sollte. Die Behörde hätte vielmehr darlegen müssen, welchen zeitlichen Rahmen die im Haftantrag genannten drei Verfahrensschritte (Abschiebungsersuchen an das zuständige [X.], Flugbuchung, Organisation der Zuführung des Betroffenen zum Flughafen) für die Vorbereitung einer Abschiebung nach [X.] erfahrungsgemäß beanspruchen, um plausibel zu begründen, warum ein [X.]raum von 21 Tagen im konkreten Fall der kürzest möglichen Haftdauer entspricht.

9

2. Der Mangel des [X.] ist nicht geheilt worden.

a) Mängel des Haftantrages können behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (vgl. zum Ganzen Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - [X.]/13, [X.] 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine Heilung ist in einem solchen Fall, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - [X.], juris Rn. 8).

b) Daran fehlt es hier. Die beteiligte Behörde hat ihren Antrag weder schriftlich noch mündlich um die fehlenden Angaben zur erforderlichen Dauer der Haft ergänzt; Amtsgericht und Beschwerdegericht haben auch keine entsprechenden Feststellungen getroffen. Die detaillierten Erläuterungen der Behörde zur Haftdauer in der Rechtsbeschwerdeerwiderung (zur [X.] sei eine Vorlaufzeit von mindestens drei Wochen für Abschiebungen nach [X.] einzuplanen; für Personen, die sich in Abschiebungshaft befinden, würden Linienflüge gebucht und aus organisatorischen Gründen möglichst die Flughäfen [X.]/[X.] und [X.] genutzt; ab [X.]/[X.] gingen zweimal wöchentlich Flüge und pro Flug würden nur zwei Rückzuführende oder ein Rückführender mit Sicherheitsbegleitung transportiert; die Rückführung müsse im Sicherheitsbüro der Fluggesellschaft angemeldet und eine Bestätigung müsse abgewartet werden, was zwei Tage beanspruche), können im Rechtsbeschwerdeverfahren schon aus verfahrensrechtlichen Gründen keine Berücksichtigung finden (§ 74 Abs. 3 Satz 4 FamFG i.V.m. § 559 FamFG). Im Übrigen können Mängel eines [X.] nur mit Wirkung für die Zukunft geheilt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juli 2014 - [X.]/13, [X.] 2014, 384 Rn. 21).

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 [X.] analog. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Kazele

      

Haberkamp     

      

[X.]     

      

Meta

V ZB 54/18

22.11.2018

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Braunschweig, 28. Februar 2018, Az: 8 T 38/18

§ 62 Abs 3 S 1 Nr 2 AufenthG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.11.2018, Az. V ZB 54/18 (REWIS RS 2018, 1342)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 1342

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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