Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2021, Az. XIII ZB 52/19

13. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 8517

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Gegenstand

Abschiebungshaft: Anforderungen an die Begründung des Haftantrags; Verletzung des Beschleunigungsgebots


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des [X.] vom 30. Oktober 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zu anderweitiger Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene ist kamerunischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals im Jahr 2006 in das [X.] ein, um zunächst einen Sprachkurs zu absolvieren und im [X.] zu studieren. Die ihm zu diesem Zweck erteilte Aufenthaltserlaubnis wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis Februar 2011. Einen Antrag auf weitere Verlängerung lehnte die beteiligte Behörde ab. Sie forderte den Betroffenen auf, das [X.] zu verlassen und drohte ihm zugleich die Abschiebung an. Dieser Aufforderung kam der Betroffene nicht nach. Eine im Jahr 2011 von der beteiligten Behörde geplante Abschiebung scheiterte daran, dass der Betroffene in seiner Wohnung nicht angetroffen werden konnte. In der Folge war sein Aufenthaltsort den Behörden unbekannt. Einen gegen seine Abschiebung gerichteten Eilantrag lehnte das [X.] ab. Das Klageverfahren wurde eingestellt. Am 30. August 2018 wurde der Betroffene im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle aufgegriffen.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 30. August 2018 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zum 15. November 2018 angeordnet. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das [X.] am 30. Oktober 2018 nach Anhörung des Betroffenen und seiner Verlobten zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, nachdem er am 8. November 2018 nach [X.] abgeschoben worden ist, die Feststellung, in seinen Rechten verletzt zu sein.

3

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

4

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, der Haftantrag sei zulässig. Die beteiligte Behörde habe das Beschleunigungsgebot nicht verletzt.

5

2. Das hält der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

6

a) Nicht zu beanstanden ist die Annahme des [X.], der Haftantrag sei zulässig. Er genügt den Anforderungen des § 417 FamFG.

7

aa) Ein zulässiger Haftantrag der beteiligten Behörde ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des [X.] knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen. Sind diese Anforderungen nicht erfüllt, darf die beantragte [X.] nicht angeordnet werden (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 15. September 2011 - [X.] 123/11, [X.] 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - [X.], [X.] 2020, 165 Rn. 8, und vom 14. Juli 2020 - [X.]/19, juris Rn. 7).

8

bb) Diesen Anforderungen genügte der Haftantrag der beteiligten Behörde, in dem sie dargelegt hat, dass die erforderliche Beschaffung von [X.]n bei Vorlage eines abgelaufenen Nationalpasses im Original - über den die beteiligte Behörde verfügte - grundsätzlich innerhalb von drei Monaten möglich sei, im vorliegenden Fall aber davon auszugehen sei, dass ein Passersatzpapier in zwei Monaten beschafft werden könnte. Insoweit bezog sie sich auf eine schriftliche Auskunft der Landesaufnahmebehörde [X.] vom 19. Juli 2018. Einer weitergehenden Erläuterung, warum die Landesaufnahmebehörde eine kürzere als die "grundsätzliche" Bearbeitungszeit prognostizierte, bedurfte es nicht.

9

b) Das Beschwerdegericht hat jedoch den Anforderungen des Beschleunigungsgebots nicht hinreichend Rechnung getragen.

aa) Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus ([X.], Beschlüsse vom 21. Oktober 2010 - [X.] 56/10, juris Rn. 13, und vom 19. Mai 2011 - [X.] 247/10, juris Rn. 7), verlangt aber, dass die Abschiebungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird und die Ausländerbehörde die Abschiebung ohne unnötige Verzögerung betreibt. Ein Verstoß kann vorliegen, wenn die Ausländerbehörde nicht alle notwendigen Anstrengungen unternimmt, um [X.] zu beschaffen ([X.], Beschlüsse vom 11. Juli 1996 - [X.] 14/96, [X.]Z 133, 235, 239, und vom 18. August 2010 - [X.] 119/10, juris Rn. 18), und führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr weiter aufrechterhalten werden darf ([X.], Beschlüsse vom 10. Juni 2010 - [X.] 205/09, juris Rn. 16; vom 10. Oktober 2013 - [X.] 25/13, juris Rn. 6, und vom 24. Juni 2020 - [X.], juris Rn. 12).

bb) Gemessen an diesem Maßstab bestehen Zweifel daran, ob die beteiligte Behörde alles Erforderliche getan hat, um die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu begrenzen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die Vorbereitung des an die [X.] Behörden zu richtenden Antrags auf Ausstellung von [X.]n nahezu drei Wochen gedauert hat. Zwar hat die beteiligte Behörde bereits am 30. August 2018, dem [X.] des Betroffenen, die Vorbereitung dieses Antrags in Gang gesetzt. Die dafür zuständige Landesaufnahmebehörde [X.] hat mit E-Mail vom 4. September 2018 um Vorlage weiterer Dokumente gebeten, die die beteiligte Behörde bereits einen Tag später übermittelte. Warum die Landesaufnahmebehörde dann erst am 20. September 2019 den Antrag fertiggestellt und das Verfahren zur Beschaffung eines [X.] Passersatzes eingeleitet hat, ist jedoch nicht nachvollziehbar. Dass für die Vorbereitung des Antrags ein Passfoto vom Betroffenen erstellt und dieser den Antrag eigenhändig ausfüllen und unterschreiben musste, erklärt diesen Zeitraum, anders als das Beschwerdegericht meint, nicht. Vor diesem Hintergrund hätte es gemäß § 26 FamFG näher aufklären müssen, welche Schritte die zuständigen [X.] Behörden unternommen haben, um die Vorbereitung des Antrags zu beschleunigen. Die beteiligte Behörde hat sich dazu im Rechtsbeschwerdeverfahren auch nicht erklärt.

3. Der angefochtene Beschluss ist daher aufzuheben (§ 74 Abs. 5 FamFG). Der [X.] kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da die Beurteilung, ob der Vollzug und die Aufrechterhaltung der [X.] den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, weitere Sachverhaltsermittlungen erfordert (vgl. [X.], Beschluss vom 10. Juni 2010 - [X.] 205/09, juris Rn. 18). Die Sache ist daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Der Zurückverweisung steht nicht entgegen, dass der Betroffene zwischenzeitlich nach [X.] zurückgeführt wurde. Die gebotene Gewährung rechtlichen Gehörs zu den vom Beschwerdegericht noch zu treffenden Feststellungen kann hier dadurch erfolgen, dass dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird; einer persönlichen Anhörung des Betroffenen zu dieser Frage bedarf es nicht ([X.], Beschluss vom 12. Oktober 2016 - [X.] 28/15, [X.] 2017, 61 Rn. 8).

[X.]     

        

Schmidt-Räntsch     

        

Roloff

        

Tolkmitt     

        

Rombach     

        

Meta

XIII ZB 52/19

23.02.2021

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Lüneburg, 30. Oktober 2018, Az: 6 T 98/18

§ 74 Abs 5 FamFG, § 74 Abs 6 S 2 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 3 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 4 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 5 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.02.2021, Az. XIII ZB 52/19 (REWIS RS 2021, 8517)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 8517

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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