Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.02.2023, Az. 4 StR 511/22

4. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1279

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Gegenstand

Anwendbarkeit von Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht bei Dauerdelikten und bei gleichzeitiger Aburteilung mehrerer Taten in verschiedenen Altersstufen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. September 2022 im gesamten Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Übergriff und Herstellung kinderpornographischer Inhalte sowie wegen Herstellung kinderpornographischer Inhalte in zwei Fällen und Besitzes kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Während der Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn die Strafkammer hat nicht erörtert, ob Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht anzuwenden ist, obwohl hierzu Anlass bestand.

3

a) Nach den Feststellungen im Fall [X.] 4. der Urteilsgründe war der Angeklagte am 20. April 2022 im Besitz kinder- und jugendpornographischer Inhalte, die er auf mehreren Datenträgern gespeichert hatte; darunter befand sich auch ein kinderpornographisches Video, das am 26. November 2017 und somit ein knappes Jahr, bevor der Angeklagte das 21. Lebensjahr vollendete, heruntergeladen worden war. Zutreffend hat der [X.] darauf hingewiesen, dass der Angeklagte, der (auch) „die Bilder“ selbst herunterlud, die Tat sowohl als Erwachsener als auch als Heranwachsender gemäß § 1 Abs. 2 [X.] begangen hat. Daher hätte das [X.] bei dem sich über mehrere Altersstufen erstreckenden Dauerdelikt des Besitzes kinder- und jugendpornographischer Inhalte die Frage in den Blick nehmen müssen, ob auf diese Tat des Angeklagten gemäß §§ 32, 105 Abs. 1 [X.] das Jugendstrafrecht oder das allgemeine Strafrecht anzuwenden ist. Insoweit kommt es darauf an, ob das Schwergewicht bei den Tatteilen liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären (vgl. [X.], Beschluss vom 19. Oktober 2017 – 3 [X.]/17 Rn. 4; Beschluss vom 11. April 2007 – 2 [X.] Rn. 5 f.; Beschluss vom 18. März 1996 – 1 [X.] Rn. 6 f.).

4

Diese Beurteilung ist im Wesentlichen Tatfrage, die das Tatgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat, und daher der Nachprüfung durch das Revisionsgericht grundsätzlich entzogen (vgl. [X.], Urteil vom 29. November 2017 – 2 [X.] Rn. 13; Beschluss vom 18. Juni 2015 – 4 StR 59/15 Rn. 5; jeweils mwN). Stellt das Tatgericht – wie hier – entsprechende Überlegungen deshalb nicht an, weil es übersehen hat, dass die Anwendbarkeit des Jugendgerichtsgesetzes überhaupt im Raum steht, können eigene Erwägungen des [X.] die gebotene tatrichterliche Prüfung nicht ersetzen (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Dezember 2018 – 3 [X.] Rn. 19; Beschluss vom 19. Oktober 2017 – 3 [X.]/17 Rn. 4; Beschluss vom 18. Juni 2015 – 4 StR 59/15 Rn. 5; Beschluss vom 11. April 2007 – 2 [X.] Rn. 6; Beschluss vom 18. März 1996 – 1 [X.] Rn. 7). Entgegen der Auffassung des [X.]s kommt daher ein Beruhensausschluss nicht in Betracht.

5

b) Der Erörterungsmangel zieht auch die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen [X.] 1. bis 3. der Urteilsgründe nach sich. Zwar ergeben die Feststellungen, dass der Angeklagte bereits das 21. Lebensjahr vollendet hatte, als er diese Taten beging. Sollte das neu entscheidende Tatgericht aber im Fall [X.] 4. der Urteilsgründe zur Anwendung des Jugendstrafrechts gelangen, so würde eine Verurteilung teils zu Jugend- und teils zu [X.] gegen §§ 32, 105 Abs. 1 [X.] verstoßen. Danach ist es nicht statthaft, bei gleichzeitiger Aburteilung von Taten sowohl auf Jugendstrafe als auch auf [X.] zu erkennen (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Juni 2015 – 4 StR 59/15 Rn. 4; Urteil vom 17. Juli 1979 – 1 [X.], [X.]St 29, 67); vielmehr ist je nach Schwergewicht der Taten (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Dezember 2018 – 3 [X.] Rn. 18; Urteil vom 29. November 2017 – 2 [X.] Rn. 13) entweder nur nach Jugendstrafrecht oder nur nach Erwachsenenstrafrecht zu entscheiden.

6

2. Das angefochtene Urteil ist daher im gesamten Strafausspruch aufzuheben, wobei die Feststellungen hier bestehen bleiben können (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Umfang der Aufhebung ist die Sache an die [X.] zurückzuverweisen (vgl. [X.], Beschluss vom 18. Juni 2015 – 4 StR 59/15 Rn. 6; Beschluss vom 18. März 1996 – 1 [X.] Rn. 15; [X.], Urteil vom 23. Februar 1954 – 1 StR 723/53, [X.]St 5, 366, 370).

7

Die neu zur Entscheidung berufene [X.] wird zunächst im Fall [X.] 4. der Urteilsgründe ergänzende Feststellungen dazu zu treffen haben, ab wann der Angeklagte die kinder- und jugendpornographischen Inhalte besaß, um sodann entscheiden zu können, wo bei dieser Tat – und ggf. anschließend, wo tatübergreifend – das Schwergewicht im Sinne von § 32 Satz 1 [X.] liegt, sofern nicht nach § 105 Abs. 1 [X.] allgemeines Strafrecht anzuwenden ist. Auch im Übrigen sind ergänzende Feststellungen möglich, die den bisherigen nicht widersprechen.

Quentin     

  

Bartel     

  

Rommel

  

Scheuß     

  

Momsen-Pflanz     

  

Meta

4 StR 511/22

14.02.2023

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 27. September 2022, Az: 65 KLs 28/22

§ 1 Abs 2 JGG, § 32 JGG, § 105 Abs 1 JGG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.02.2023, Az. 4 StR 511/22 (REWIS RS 2023, 1279)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1279

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 378/18

4 StR 59/15

2 StR 460/16

3 StR 310/17

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