Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.07.2013, Az. 2 StR 220/13

2. Strafsenat | REWIS RS 2013, 3723

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 220/13
vom
31.
Juli 2013
in der Strafsache
gegen

wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften u.a.

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Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 31.
Juli 2013, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],
[X.]in am [X.]
Dr. [X.],
und [X.] am [X.]
[X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Justizhauptsekretärin

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen
das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 6.
August 2012 wird verworfen.
Die Staatskasse trägt
die Kosten des Verfahrens
und die notwen-digen Auslagen des Angeklagten.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Schuldunfähigkeit (§
20 StGB) von den Vorwürfen der Verbreitung pornographischer Schriften in acht Fällen, in einem Fall tateinheitlich begangen mit Verbreitung kinderpornographi-scher Schriften, in einem weiteren Fall mit
Verbreitung kinderpornographischer Schriften und Verbreitung tierpornographischer Schriften sowie des Besitzes kinderpornographischer Schriften freigesprochen. Die Anordnung der Unter-bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das [X.] abgelehnt.
Dagegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt und auf die umfassende Aufhebung des Urteils gerichtet ist. Das Rechtsmittel bleibt ohne
Erfolg.

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1. Nach den Feststellungen installierte der nicht vorbestrafte Angeklagte auf seinem Rechner ein [X.]nprogramm, das es jedem Nutzer ermög-lichte, Dateien von Festplatten anderer Nutzer herunterzuladen. In Kenntnis der
Funktionsweise der [X.] lud der Angeklagte in einer Vielzahl von [X.] pornographische und kinderpornographische Bilddateien auf seinen Compu-ter und stellte sie seinerseits auch anderen Nutzern zur Verfügung.
Der Angeklagte leidet an einer paranoiden Schizophrenie und damit [X.] krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB. Die
sachverstän-dig beratene
Kammer hat zu Gunsten des Angeklagten angenommen, dass hierdurch bei noch vorhandener Einsichtsfähigkeit seine
Steuerungsfähigkeit aufgehoben
war. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß §
63 StGB hat das [X.] allerdings abgelehnt. Zwar seien infolge seines Zustandes auch in Zukunft weitere erheb-liche Straftaten zu erwarten, jedoch fehle es an
der Verhältnismäßigkeit der Un-terbringung.
2. Diese Bewertung hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Das [X.] hat das Vorliegen eines Zustandes im Sinne von §
21 StGB als Voraussetzung für die Unterbringung in einem psychiatrischen [X.] ohne Rechtsfehler angenommen. Insbesondere ist entgegen der [X.] der erforderliche spezifische Zusammen-hang zwischen der einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallenden Erkran-kung des Angeklagten und den von ihm begangenen Taten hinreichend darge-legt. Die Sachverständige, auf die die Strafkammer zur Begründung Bezug nimmt, hat dazu ausgeführt, dass die schizophrene Erkrankung des Angeklag-ten bezogen auf die ihm zur Last gelegten Taten auf seine Steuerungsfähigkeit einen erheblichen Einfluss habe. Der Angeklagte könne nur erheblich vermin-3
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dert dem [X.], sich das Bildmaterial im [X.] anzusehen bzw. sich die-ses herunterzuladen, widerstehen. Dies sei positiv festzustellen. Es sei sogar nicht auszuschließen, dass der Angeklagte im Vergleich mit einem Durch-schnittsmenschen bei der Begehung der Tat auch bei Anspannung aller [X.] endgültig nicht mehr in der Lage gewesen sei, der

noch vorhande-nen

Unrechtseinsicht zu folgen. Seine Möglichkeiten, dem [X.] zu wi-derstehen, seien angesichts der leichten Zugänglichkeit des Bildmaterials im

Aus diesen Darlegungen ergibt sich

wie für § 63 StGB erforderlich (vgl. Fischer,
StGB,
60. Aufl.,
§ 63
Rn. 5 mN)

eine sicher erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten. Auch wird ausreichend deutlich, wie sich die Erkrankung des Angeklagten
in den jeweiligen Tatsituationen auf seine Steue-rungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum seine Taten auf den festgestellten psychischen Zustand zurückzuführen sind (zu diesem Erfordernis Senat NStZ-RR 2011, 241, 242; 2012, 306, 307). Dabei hat das [X.] auch bedacht, dass die Erkrankung des Angeklagten ohne ausgeprägte oder akute psychoti-sche Symptome verlaufen ist (UA 16).
b) Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten nach § 63 StGB ist rechtsfehlerfrei begründet. Das [X.] ist im Ausgangspunkt zu Recht
da-von ausgegangen, dass von dem Angeklagten künftig erhebliche Taten im [X.] der Vorschrift zu erwarten sind, weil der Besitz und die Verbreitung von Kin-derpornographie dem mittleren Bereich der Kriminalität zuzuordnen ist.
Dass es gleichwohl die Verhältnismäßigkeit der Unterbringung verneint hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Der
Grundsatz der [X.] ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der [X.] ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt, um seine Bedeutung 7
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bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuhe-ben (vgl. BT-Drucks. V/4094 S. 17). Er
beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebie-tet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist
([X.], Beschluss
vom 5. Juli 2013

2 BvR 789/13). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde ([X.], Beschluss
vom 26. Juni 2007

5 [X.], [X.], 300, 301). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem [X.] ist auf die Besonderheiten des Fal-les einzugehen
(vgl. [X.], Urteil vom 8.
Oktober 1985

2 BvR 1150/80 u.a., [X.]E 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldig-ten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch
sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie
die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken.
Die nach diesen Maßstäben vorzunehmende Abwägung durch das [X.]
lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Das [X.] hat

wie bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung geboten

die von dem Angeklagten drohen-den Straftaten, die konkreten Auswirkungen der
Unterbringung, seine Persön-lichkeit sowie seine Lebensumstände in Beziehung gesetzt. Es
hat dabei insbe-sondere erwogen, dass eine psychiatrische stationäre Behandlung zu keiner Verbesserung seines
derzeitigen

ärztlich ambulant erschöpfend behandel-ten

Zustandes führen könnte. Deshalb würde die
Unterbringung nach § 63 StGB für ihn bedeuten, dass er
für einen unbefristeten Zeitraum in einem psy-chiatrischen Krankenhaus seiner Freiheit entzogen wäre. Hierdurch wäre das in Freiheit geordnete Leben des psychisch erkrankten Angeklagten, der sich der 10
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zivilrechtlichen Betreuung unterstellt und sich als absprachefähig erwiesen hat, zerstört.
Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwaltes hat das [X.] dabei auch den Schutzzweck des Verbreitens kinderpornographischer Schriften gemäß § 184b Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB nicht verkannt. Dies liegt be-reits deshalb fern, weil das [X.]
bei der Erörterung der Erheblichkeit der von dem
Angeklagten zu erwartenden Taten ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass jeder, der Kinderpornographie besitzt und diese verbreitet, für [X.] sorgt und damit mittelbar den sexuellen Missbrauch von Kindern fördert. Soweit die Strafkammer
im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung darauf hinweist, dass der
Angeklagte durch die von ihm
verwirklichten Straftatbestände
den sexuellen Missbrauch von Kindern nicht unmittelbar gefördert hat, weil er weder aktiv
auf die Fertigung von Bildern hingewirkt, noch unmittelbaren [X.] zu Anderen aufgenommen habe, und eine Steigerung seiner Handlungen nicht zu erwarten sei, liegt hierin auch kein Widerspruch. Vielmehr geht es dem [X.]
insoweit
ersichtlich darum,
die der
Allgemeinheit durch derartige Straftaten generell drohende Gefahr einer konkreten, auf die Person des Ange-klagten
und seine Lebensumstände bezogenen Betrachtung zu unterziehen.
Dies ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht nur rechtlich
zuläs-sig, sondern geboten.
Ohne Rechtsfehler hat das [X.] auch dargelegt, dass die [X.] für eine Aussetzung der Vollstreckung einer Unterbringung zur Bewährung (§ 67b StGB) nicht vorliegen, weil die im Falle des Angeklagten [X.] in Betracht kommende Weisung, in einer Wohngruppe zu leben, aufgrund seiner
Erkrankung ungeeignet ist, künftig entsprechenden Straftaten entgegen-zuwirken.
Allerdings kann der Versuch
erfolgversprechend sein, die von dem 11
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Angeklagten ausgehende Gefahr durch andere im Urteil erörterte Maßnahmen, insbesondere durch Leitung seines Betreuers, abzuwenden.

Fischer

[X.]

[X.]

[X.]

[X.]

Meta

2 StR 220/13

31.07.2013

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 31.07.2013, Az. 2 StR 220/13 (REWIS RS 2013, 3723)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3723

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 StR 220/13

2 BvR 789/13

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