Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.05.2023, Az. II B 82/22

2. Senat | REWIS RS 2023, 2894

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Gegenstand

Kapitalwert lebenslänglicher Nutzungen und Leistungen


Leitsatz

1. NV: Ist der Tod des Berechtigten oder Verpflichteten außerhalb des Berichtigungszeitraums des § 14 Abs. 2 Satz 1 BewG eingetreten, ist der Kapitalwert einer lebenslänglichen Last vorbehaltlich § 14 Abs. 4 Satz 1 BewG ausschließlich nach § 14 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 BewG zu berechnen.

2. NV: Die durch das Bundesministerium der Finanzen nach Maßgabe von § 14 Abs. 1 Satz 4 BewG veröffentlichten Vervielfältiger sind einer Korrektur mit Rücksicht auf etwaige Ungenauigkeiten bei der Ermittlung der statistischen Lebenserwartung nicht zugänglich.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 18.08.2022 - 7 K 3179/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Durch notariell beurkundeten [X.] übertrug die am [X.] geborene [X.] dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) im Wege der [X.]chenkung ein Grundstück unter [X.]. Die für den grundbuchlichen Vollzug notwendigen Erklärungen wurden abgegeben. [X.] übernahm die [X.]chenkungsteuer. Das [X.] stellte den Wert des Grundstücks gesondert fest. Der Beklagte und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) setzte [X.]chenkungsteuer gegenüber [X.] fest und berücksichtigte im Einspruchsverfahren den Wert der [X.] nach § 14 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes ([X.]) auf Grundlage eines Jahreswerts von 9.286 € und eines Vervielfältigers von 3,512. [X.] erhob Klage. [X.]ie verstarb am xx.07.2019 und wurde durch den Kläger allein beerbt, der das Verfahren als Rechtsnachfolger fortführte. Das Finanzgericht ([X.]) änderte den Jahreswert auf 11.077 €, lehnte aber die beantragte Erhöhung des Vervielfältigers auf 4,078 ab, da § 14 Abs. 1 [X.] dies nicht erlaube.

2

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht der Kläger grundsätzliche Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) sowie das Erfordernis einer Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O mit folgender Rechtsfrage geltend: "[X.]ind bei der Bewertung lebenslänglicher Nutzungen und Lasten nach § 14 [X.] in Fällen, in denen § 14 Abs. 2 [X.] eine Korrektur bei frühzeitigem Versterben vorsieht, die nach § 14 Abs. 1 [X.] sich ergebenden Tabellenwerte dergestalt zu korrigieren, dass eine doppelte Erfassung von [X.]terbefällen ausgeschlossen wird?"

3

Die Tabelle der Vervielfältiger zu § 14 [X.] enthalte einen mathematisch-logischen Bruch. § 14 Abs. 2 [X.] führe bei Tod innerhalb des [X.] zu einer Bewertung nach der tatsächlichen Dauer. Die Tabelle des § 14 Abs. 1 [X.] berücksichtige aber die potentiellen [X.]terbefälle ebenfalls innerhalb des [X.]. Um diesen Doppelansatz zu vermeiden, dürften nach § 14 Abs. 1 [X.] nur [X.]terbefälle nach dem Ablauf des [X.] in die Berechnung des Werts eingehen. Dafür sei die Tabelle zu § 14 Abs. 1 [X.] dahin zu korrigieren, dass die nach Ablauf des [X.] verbleibende statistische Lebenserwartung zum Korrekturzeitraum addiert und hieraus formelmäßig der korrekte Vervielfältiger errechnet werde. Im [X.]treitfall führe das zu einer rechnerischen Lebenserwartung von 4,60 Jahren (3,60 Jahre lt. Tabelle zuzüglich 1 Jahr Korrekturzeitraum) und dem entsprechend zu einem Vervielfältiger von [X.] als das [X.] meine, sei eine solche Korrektur auch auf [X.] ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes möglich. § 14 Abs. 4 [X.]atz 2 [X.] stehe nicht entgegen, die entsprechende Fortentwicklung der Tabellen sei ohne großen Aufwand durchführbar, und dies widerspreche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, der mit der Öffnungsklausel in § 14 Abs. 4 [X.]atz 1 [X.] gerade in Rechnung gestellt habe, dass besondere Umstände zu abweichenden Werten führen könnten.

Gründe

II.

4

Die Beschwerde ist unbegründet.

5

1. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein. [X.] ist eine Rechtsfrage, wenn hinsichtlich ihrer Beantwortung Unsicherheit besteht. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage wird dagegen nicht aufgeworfen, wenn die streitige Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das [X.] getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa Beschlüsse des [X.] --[X.]-- vom 25.08.2020 - VI B 1/20, [X.], 13, Rz 4; vom 17.05.2021 - VIII B 88/20, [X.], 1353, Rz 10, und vom 17.01.2022 - II B 49/21, [X.], 420, Rz 6).

6

Dieselben Grundsätze gelten für die Erforderlichkeit einer Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 [X.]O als Unterfall der grundsätzlichen Bedeutung ([X.]-Beschluss vom 30.06.2020 - II B 90/19, [X.]/NV 2020, 1279, Rz 4).

7

2. Die Bewertung des schenkungsteuerrechtlichen Erwerbs richtet sich gemäß § 12 Abs. 1 des [X.] ([X.]) grundsätzlich nach den Vorschriften des [X.] des [X.] (Allgemeine Bewertungsvorschriften). Das sind die §§ 1 bis 16 [X.].

8

a) Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist der Kapitalwert von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen mit dem Vielfachen des [X.] nach Maßgabe der Sätze 2 bis 4 anzusetzen. Danach ist ausgehend von der Sterbetafel des [X.] (§ 14 Abs. 1 Satz 2 [X.]) der Kapitalwert auf Grundlage eines Zinssatzes von 5,5 % zu berechnen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 [X.]). Die sich daraus ergebenden Vervielfältiger für das jeweilige Lebensalter und Geschlecht der Berechtigten veröffentlicht das [X.] in einer Tabelle (§ 14 Abs. 1 Satz 4 [X.]). Auf welchen Zeitpunkt der Wert zu berechnen ist, regelt § 14 [X.] --isoliert betrachtet-- nicht. Für die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist nach § 11 [X.] für die Wertermittlung grundsätzlich der Zeitpunkt der Entstehung der Steuer maßgebend. Das ist bei Schenkungen unter Lebenden gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 [X.] der Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung. Die Wertermittlung nach § 14 Abs. 1 [X.] stellt eine Typisierung dar. Sie knüpft nicht an die tatsächliche Laufzeit der Nutzungen oder Leistungen, sondern an eine auf den Stichtag prognostizierte Laufzeit an. Diese baut insoweit auf den tatsächlichen Verhältnissen auf, als sie auf einem statistischen Mittel beruht. Sie ist aber im Einzelfall regelmäßig nicht identisch mit der tatsächlich verwirklichten Laufzeit.

9

b) § 14 Abs. 2 [X.] sieht eine Berichtigung der nicht laufend veranlagten Steuern nach der wirklichen Dauer der Nutzung oder Leistung vor, wenn die nach § 14 Abs. 1 [X.] bewertete Nutzung oder Leistung nicht mehr als einen bestimmten Zeitraum bestanden hat und durch Tod des Berechtigten oder Verpflichteten weggefallen ist. Dieser Zeitraum ist nach dem ursprünglich maßgebenden Alter gestaffelt und beträgt bei einem Alter von mehr als 90 Jahren noch 1 Jahr. Die Berichtigung einer Last ist nach § 14 Abs. 2 Satz 3 [X.] nicht antragsabhängig.

c) Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 [X.] ist der nachgewiesene gemeine Wert zugrunde zu legen, wenn der gemeine Wert der gesamten Nutzungen oder Leistungen nachweislich geringer oder höher ist als der Wert, der sich nach § 14 Abs. 1 [X.] ergibt. Nach § 14 Abs. 4 Satz 2 [X.] kann der Ansatz eines geringeren oder höheren Werts jedoch nicht darauf gestützt werden, dass mit einer kürzeren oder längeren Lebensdauer, mit einem anderen Zinssatz als 5,5 % oder mit einer anderen als mittelschüssigen Zahlungsweise zu rechnen ist.

3. Danach kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordert sie eine Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts. Die durch den Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist so zu beantworten, wie es das [X.] getan hat. Die Vorentscheidung entspricht eindeutig den gesetzlichen Maßstäben. Das [X.] und das [X.] haben unstreitig den für den [X.], den [X.] (Datum des Schenkungsvertrags einschließlich der für den Vollzug erforderlichen Erklärungen) zutreffenden Vervielfältiger nach § 14 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 [X.] verwendet. Es kann dahinstehen, ob die Methode des [X.] zur Berechnung des Vervielfältigers, die die Berichtigungszeiträume des § 14 Abs. 2 [X.] einbezieht, den Kapitalwert einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung besser dem gemeinen Wert nach § 9 Abs. 1 [X.] annähern könnte. Das Rechenmodell des [X.] ist in mehrfacher Hinsicht nicht mit den gesetzlichen Vorschriften vereinbar.

a) § 14 Abs. 1 [X.] enthält eine detaillierte und unmissverständliche Regelung für die Berechnung des [X.] von lebenslänglichen Nutzungen und Leistungen. Ihr entscheidender Ausgangspunkt ist die lediglich nach Männern und Frauen differenzierte statistische Lebenserwartung auf den jeweiligen Stichtag, von der der Vervielfältiger mathematisch abgeleitet ist. Die tatsächliche Lebensdauer wird nach Maßgabe von § 14 Abs. 2 [X.] berücksichtigt, was umgekehrt bedeutet, dass sie jenseits der Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 [X.] nicht berücksichtigt wird. Der Kläger möchte diese gesetzliche Typisierung durch eine andere Typisierung auf abweichenden Berechnungsgrundlagen ersetzen. Das ist unzulässig.

Er knüpft methodisch nicht mehr an die statistische Lebenserwartung zum [X.] an. Vielmehr liegt seinem Vervielfältiger eine Verbindung aus tatsächlich zurückgelegter Lebenszeit (dem durch § 14 Abs. 2 [X.] vorgegebenen Berichtigungszeitraum) und einer statistischen Lebenserwartung zu einem späteren Zeitpunkt (dem Ende des [X.]) zugrunde. Damit ersetzt er das gesetzgeberische Modell durch ein eigenes mit grundlegend abweichenden Parametern, was keine Stütze in § 14 Abs. 4 Satz 1 [X.] findet. Die Vorschrift ermöglicht lediglich den Ansatz eines "nachweislich" abweichenden Werts, was gleichzeitig bedeutet, dass es sich um einen tatsächlichen Wert handeln muss.

b) Selbst wenn § 14 Abs. 4 Satz 1 [X.] es erlaubte, zur zuverlässigeren Abbildung des gemeinen Werts nach § 9 Abs. 1 [X.] neue Typisierungsregeln zu schaffen, die stärker an die tatsächlichen Verhältnisse anknüpfen, wäre das Modell des [X.] jedenfalls mit § 14 Abs. 4 Satz 2 [X.] nicht vereinbar. Es geht auf den maßgebenden Stichtag, nämlich den Vollzug der Schenkung, systematisch von einer längeren Lebenserwartung aus, als sie den Vervielfältigern nach § 14 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 [X.] zugrunde liegt. Zwar ist die statistische Lebenserwartung zum Ende des [X.] fast immer kürzer (anders erst nach Vollendung des hundertsten Lebensjahrs) als zum Stichtag. Da aber ausweislich der Sterbetafeln die statistische Lebenserwartung mit jedem vollendeten Lebensjahr mit wenigen Ausnahmen nicht um ein Jahr, sondern um etwas weniger als ein Jahr sinkt, führt die Addition des [X.] mit der auf den späteren Zeitpunkt bestehenden Lebenserwartung stets zu einer rechnerisch längeren Lebenserwartung. Aus ihr resultiert der höhere Vervielfältiger, den der Kläger errechnet.

c) Sterbefälle werden durch das gesetzliche Modell zudem nicht doppelt erfasst. Es kann deshalb auch dahinstehen, ob die durch den Kläger angeregte [X.], die die rechnerische Lebenserwartung auf den Stichtag aus tatsächlich zurückgelegter Lebenszeit und der Lebenserwartung zu einem späteren Zeitpunkt zusammensetzt, mathematisch und logisch zutreffend ist. Richtig ist zwar, dass in die statistische Lebenserwartung, die der Berechnung in § 14 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 [X.] zugrunde liegt, auch diejenigen potentiellen Sterbefälle eingehen dürften, die innerhalb des [X.] eintreten können. Tritt aber der Sterbefall innerhalb des jeweiligen [X.] des § 14 Abs. 2 Satz 1 [X.] ein, kann der Kapitalwert einer Last endgültig nie nach § 14 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 [X.] berechnet werden, weil dann nach § 14 Abs. 2 Sätze 1 und 3 [X.] ohne Antrag die Bewertung der Last nach der tatsächlichen Dauer zu erfolgen hat. Das bedeutet, dass in den Fällen, in denen es endgültig bei der Bewertung nach § 14 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 [X.] bleibt, tatsächlich niemals ein Sterbefall innerhalb des [X.] eingetreten ist und die statistische Lebenserwartung wegen der gleichwohl erfolgten Einbeziehung dieser Sterbefälle systemisch zu niedrig angesetzt sein dürfte. Die Berücksichtigung bestimmter Sterbefälle in beiden [X.] bewirkt aber keine Doppelerfassung, weil die Modelle nicht gleichzeitig angewendet werden können.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

5. Von einer weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 [X.]O abgesehen.

Meta

II B 82/22

17.05.2023

Bundesfinanzhof 2. Senat

Beschluss

vorgehend FG Köln, 18. August 2022, Az: 7 K 3179/18, Urteil

§ 9 Abs 1 BewG 1991, § 14 Abs 1 BewG 1991 vom 24.12.2008, § 14 Abs 2 BewG 1991, § 14 Abs 4 BewG 1991, § 9 Abs 1 Nr 2 ErbStG 1997, § 11 ErbStG 1997, § 12 Abs 1 ErbStG 1997

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 17.05.2023, Az. II B 82/22 (REWIS RS 2023, 2894)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 2894

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