Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2021, Az. 5 StR 496/20

5. Strafsenat | REWIS RS 2021, 9458

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Gegenstand

Unterbrechung der Hauptverhandlung: Sachverhandlungstermin bei Erörterung der Stellung weiterer Beweisanträge und Anordnung des Schlusses der Beweisaufnahme


Tenor

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 7. Mai 2020 werden als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigungen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat zu den erhobenen Verfahrensrügen:

1. Die vom Angeklagten [X.]  erhobene Rüge einer Verletzung von § 229 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 StPO erweist sich auf der Grundlage des Revisionsvortrages jedenfalls als unbegründet.

Die Hauptverhandlung ist nicht mehr als drei Wochen - zwischen dem 5. und dem 30. März 2020 - unterbrochen gewesen, sondern am 9. März 2020 mit fristwahrender Wirkung fortgesetzt worden. Hierbei handelte es sich entgegen der Ansicht der Revision nicht nur um einen - insoweit unbeachtlichen - sogenannten „Schiebetermin“ bzw. eine Scheinverhandlung ([X.], Beschlüsse vom 16. Oktober 2007 - 3 [X.]; vom 7. April 2011 - 3 [X.]).

a) Eine Hauptverhandlung gilt im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO als fortgesetzt und muss demgemäß nicht ausgesetzt werden, wenn in einem Fortsetzungstermin zur Sache verhandelt wird. Das ist der Fall, wenn Prozesshandlungen vorgenommen werden oder Erörterungen zu Sach- oder Verfahrensfragen stattfinden, die geeignet sind, das Verfahren inhaltlich auf den Urteilsspruch hin zu fördern und die Sache ihrem Abschluss substantiell näher zu bringen. Unter diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Termins ebenso wenig von Belang wie die Frage, ob er noch für weitere verfahrensfördernde Handlungen hätte genutzt werden können. Gleichermaßen unschädlich ist es, wenn der Termin daneben auch der Einhaltung der [X.] dient ([X.], Beschlüsse vom 7. April 2011 - 3 [X.]; vom 22. Juni 2011 - 5 [X.]/11).

b) Nach dieser Maßgabe hat am 9. März 2020 eine Verhandlung im Sinne des § 229 Abs. 1 StPO stattgefunden.

Dies folgt bereits aus den vom Beschwerdeführer mitgeteilten und protokollierten Vorgängen der Hauptverhandlung vom 9. März 2020. Besonderes Gewicht kommt dabei dem Umstand zu, dass die Vorsitzende an diesem Sitzungstag den Schluss der Beweisaufnahme angeordnet hatte, § 258 Abs. 1 StPO. Der Schluss der Beweisaufnahme selbst kann als „geradezu intensivste“ Form der substanziellen Verfahrensförderung auf ein Urteil hin angesehen werden. Denn die Anordnung beinhaltet nicht nur die Feststellung eines status quo, sondern hat eigenständiges Gewicht, da zugleich unmissverständlich zum Ausdruck gebracht wird, dass keine Beweise mehr erhoben oder sonstige Prozesshandlungen durchgeführt werden und nunmehr die Schlussvorträge gehalten werden sollen ([X.], 8. Aufl., § 229 Rn. 6). Letzteres hatte die [X.] auch ersichtlich ins Auge gefasst. Der Beschwerdeführer hat insoweit mitgeteilt, der Vertreter der Staatsanwaltschaft habe nach Abschluss der Beweisaufnahme seinen Schlussvortrag halten sollen. Dass die Hauptverhandlung gleichwohl noch weiter fortgesetzt werden musste, steht der Bedeutung der Anordnung nicht entgegen.

Auch im Übrigen verhandelten die Verfahrensbeteiligten unter Leitung der Vorsitzenden zur Sache. Denn zwischen ihnen und dem Gericht wurde erörtert, ob weitere Beweisanträge gestellt werden sollen. Die [X.] hatte darauf hingewiesen, dass die Akte eines anderen Ermittlungsverfahrens - wie beantragt - beigezogen worden sei, der Inhalt aber nicht von Amts wegen in die Hauptverhandlung eingeführt werden solle. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft und die Verteidiger bezogen hierzu Stellung. Diese Tatsachen stellen ein Verhandeln im Sinne des § 229 Abs. 4 Satz 1 StPO dar (vgl. [X.], Urteile vom 19. August 2010 - 3 [X.] [Mitteilung des [X.]vorsitzenden, dass die in einem Beweisantrag benannten Zeugen für den nächsten Termin geladen werden sollen]; vom 16. November 2017 - 3 [X.] [Befassung mit Verfahrensfragen]). Die relativ kurze Dauer des Termins von nur einer Viertelstunde ist dabei ohne Belang.

2. Die von den Angeklagten M.     und [X.] der Verletzung des § 52 Abs. 3 StPO bleiben ebenfalls erfolglos.

a) Ihnen liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Die Staatsanwaltschaft [X.] hatte Anfang April 2015 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Brandstiftung gegen die Angeklagten [X.](Grundstückspächter) und eine ihrer Töchter eingeleitet, welches am 12. November 2015 nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO eingestellt wurde. In diesem Verfahren war der Zeuge     S.       (mit seiner Frau Grundstückseigentümer) am 21. April 2015 von der Polizei als Zeuge vernommen und auch über ein etwaiges Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1, Abs. 3 StPO belehrt worden. Am 27. Mai 2016 nahm die Staatsanwaltschaft das Verfahren wieder auf, welches sich nunmehr gegen die Angeklagten und weitere Personen, unter anderem auch den Zeugen S.      und seine Ehefrau als (förmlich) Beschuldigte, richtete. Bei ihnen fand am 6. Juli 2016 auf richterliche Anordnung die Durchsuchung der Wohnung und der Geschäftsräume statt. Hinweise auf eine Tatbeteiligung ergaben sich aber nicht. Am 20. Juli 2017 stellte die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren gegen die Zeugen mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO ein.

b) Die Eheleute S.      sind in der Hauptverhandlung vom 10. Januar 2020 als Zeugen vernommen und nicht über ein wechselseitig bestehendes Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 2., Abs. 3 StPO, sondern lediglich nach § 55 StPO belehrt worden. Nach der Rechtsprechung des [X.] stellt dies einen Rechtsfehler dar, den auch der nicht mit den Zeugen im Sinne von § 52 Abs. 1 StPO verbundene und deshalb in seinem Rechtskreis nicht unmittelbar betroffene (vgl. [X.], Urteil vom 29. Oktober 1991 - 1 StR 334/90, [X.], 195 f.; [X.], NStZ 2013, 489, 491) Angeklagte rügen kann (vgl. [X.], Beschluss vom 30. April 2009 - 1 [X.], [X.]St 54, 1, 6 mwN; [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 5 [X.], [X.], 221). Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil aber nicht (§ 337 Abs. 1 StPO).

Der Senat schließt aus, dass sich der Belehrungsfehler auf das [X.] der Zeugen ausgewirkt hat. Ungeachtet dessen, dass jedenfalls der Zeuge     S.      durch die Belehrung anlässlich der polizeilichen Vernehmung vom April 2015 sein Zeugnisverweigerungsrecht gekannt und gleichwohl umfangreiche und ausführliche Angaben gemacht hat, zeigt das Prozessverhalten beider nach § 55 StPO belehrter Zeugen in der Gesamtschau, dass sie auch bei Belehrung in der Hauptverhandlung nach § 52 Abs. 3 StPO wie geschehen ausgesagt hätten (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 5 [X.], aaO; Urteil vom 30. Mai 1984 - 2 StR 233/84, [X.], 464). Zudem hat das [X.] seine Feststellungen zu keinem Punkt maßgeblich auf deren Angaben gestützt.

Cirener     

        

Berger     

        

Gericke

        

Mosbacher      

        

Resch      

        

Meta

5 StR 496/20

19.01.2021

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Hamburg, 7. Mai 2020, Az: 611 KLs 12/17

§ 229 Abs 1 StPO, § 229 Abs 4 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.01.2021, Az. 5 StR 496/20 (REWIS RS 2021, 9458)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9458

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Wird zitiert von

5 StR 47/22

4 StR 503/21

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