Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2018, Az. 1 StR 437/17

1. Strafsenat | REWIS RS 2018, 15880

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Ablehnung eines Sachverständigen im Strafverfahren: Anwendbarkeit des Unverzüglichkeitsgebots


Leitsatz

Das Unverzüglichkeitsgebot des § 25 Abs. 2 Satz 1 StPO findet für die Ablehnung von Sachverständigen keine Anwendung. Die Vorschrift des § 74 Abs. 1 Satz 1 StPO verweist nur hinsichtlich der Gründe auf die Ablehnung eines Richters, nicht aber hinsichtlich der für das Verfahren geltenden Vorschriften.

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 16. Mai 2017 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer Brandstiftung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Brandstiftung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Rüge der Verletzung sachlichen Rechts und einer Verfahrensrüge. Das Rechtsmittel erzielt mit der Verfahrensrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg, erweist sich im Übrigen aber als unbegründet.

2

1. Die Rüge sachlichen Rechts zeigt keinen Rechtsfehler auf.

3

Das [X.] hat sich aufgrund einer sorgfältigen und nachvollziehbar dargestellten Beweiswürdigung davon überzeugt, dass der Angeklagte im alkoholisierten Zustand an zwei nur wenige Tage auseinanderliegenden [X.]punkten in seiner Wohnortgemeinde vorsätzlich Feuer legte. So entzündete er in der Nacht vom 16. auf den 17. September 2016 in der nur zwei Minuten von seiner Wohnung entfernten Asylbewerberunterkunft sowohl im Erdgeschoss als auch im [X.] brennbare Gegenstände. Der vom Angeklagten im Erdgeschoss entzündete Kunststoffbeutel hing über dem Treppengeländer und fiel brennend auf den Steinfußboden, wo er zunächst weiter brannte und sodann gelöscht wurde. Es war aber vom Zufall abhängig, ob der Beutel auf die gegenüberliegende Seite und damit auf eine Holztreppe fällt, was zu einer zeitnahen Entzündung der als Fluchtweg dienenden Treppe geführt hätte. Die von seinem Vorsatz umfasste Gefahr, dass die Brandherde auf das Gebäude übergreifen könnten, erkannte der Angeklagte, weswegen er nach der Entzündung die Bewohner alarmierte und sie zum Verlassen des Hauses veranlasste. Löschversuche unternahm er nicht. Eine Woche später setzte er eine mit Strohballen gefüllte Scheune in Brand, indem er dort einen Strohballen oder einen Heuballen anzündete. Die einem anderen gehörende Scheune fing Feuer und brannte vollständig ab.

4

Die beweiswürdigenden Erwägungen des [X.]s sind nicht zu beanstanden. Auch die rechtliche Würdigung als versuchte schwere Brandstiftung gemäß § 306a Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB in Bezug auf das Asylbewerberheim und als vorsätzliche Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 StGB bezüglich der Scheune erweist sich als zutreffend. Soweit die Revision vorträgt, im zweiten Fall hätte es sich nur um eine fahrlässige Brandstiftung gehandelt, lässt sich dies mit den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht vereinbaren.

5

2. Die Revision macht jedoch zu Recht eine Verletzung von § 74 [X.] geltend, indem das [X.] einen Befangenheitsantrag gegen einen Sachverständigen mit rechtsfehlerhafter Begründung zurückgewiesen habe.

6

a) Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

7

Der Beschwerdeführer hat den mit seiner forensisch-psychiatrischen Begutachtung beauftragten Sachverständigen in der Sitzung vom 3. Mai 2017 wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er sich im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Sachverständige sich an diesem und an dem davor liegenden Sitzungstag immer wieder längere [X.] intensiv mit seinem Handy beschäftigt habe. Diese Befassung mit sachfremden Tätigkeiten lasse besorgen, dass dem Sachverständigen für die Gutachtenerstattung wesentliche Gesichtspunkte entgangen sein könnten, was von seinem Desinteresse an der Beweisaufnahme und den Belangen des Angeklagten zeuge.

8

Das [X.] hat den Antrag als unzulässig, da verspätet, verworfen. Das Zuwarten der Verteidigung mit der Stellung des Ablehnungsgesuchs bis zur Aufforderung des Vorsitzenden an den Sachverständigen, sein Gutachten zu erstatten, genüge den sich aus § 25 Abs. 2 Satz 1 [X.] ergebenden Anforderungen nicht. Der Antrag sei damit nicht unverzüglich im Sinne dieser Vorschrift gestellt worden.

9

b) Die Rüge ist zulässig erhoben. Das Ablehnungsgesuch und der diesen Antrag zurückweisende Beschluss sind vorgetragen (vgl. zu den hierauf beschränkten Vortragserfordernissen [X.], Beschluss vom 31. Januar 2017– 4 StR 531/16). Sie ist auch begründet, da sich die Behandlung des [X.] als rechtsfehlerhaft erweist.

aa) Das [X.] durfte den Antrag nicht als verspätet ablehnen. Das Unverzüglichkeitsgebot des § 25 Abs. 2 Satz 1 [X.] findet anders als bei der [X.] für die Ablehnung von Sachverständigen keine Anwendung ([X.], [X.], 7. Aufl., § 74 Rn. 7; [X.]/[X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., § 74 Rn. 22; [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 74 Rn. 12; [X.]/Schluckebier/[X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 74 Rn. 8; SK-Rogall, [X.], 4. Aufl., § 74 Rn. 55). Dies ergibt sich schon daraus, dass § 74 Abs. 1 Satz 1 [X.] nur hinsichtlich der Gründe auf die Ablehnung eines Richters verweist, nicht aber hinsichtlich der für das Verfahren geltenden Vorschriften ([X.], Urteil vom 24. Juni 1913 – [X.], [X.]St 47, 239, 240; [X.], [X.], § 74 Rn. 17), mithin auch nicht für den Ablehnungszeitpunkt ([X.], [X.], 68. EL, § 74 Rn. 2). In Ermangelung solcher Ausschlussfristen sieht § 83 Abs. 2 [X.] ausdrücklich noch die Möglichkeit der erfolgreichen Sachverständigenablehnung nach Erstattung von dessen Gutachten vor (vgl. hierzu [X.], Urteil vom 23. August 1957 – 2 Ss 477/56, NJW 1957, 1646 unter dem Aspekt des Rechtsmissbrauchs; zu Recht kritisch hierzu [X.] aaO).

bb) Da das [X.] damit in keine Begründetheitsprüfung mehr eingetreten ist, ist dem [X.] eine solche Prüfung ebenfalls verwehrt.

Anders als bei der Ablehnung eines Richters prüft das Revisionsgericht bei der Ablehnung eines Sachverständigen nicht selbständig, ob die Voraussetzungen für die Besorgnis einer Befangenheit im konkreten Fall vorliegen. Es hat vielmehr allein nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu entscheiden, ob das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit ausreichender Begründung zurückgewiesen worden ist. Dabei ist es an die vom Tatgericht festgestellten Tatsachen gebunden und darf keine eigenen Feststellungen treffen. Aus diesem Grunde muss das Tatgericht in seinem Beschluss darlegen, von welchen Tatsachen es ausgeht ([X.], Beschluss vom 23. März 1994 – 2 StR 67/94, [X.], 388; Urteil vom 12. Juni 2001 – 1 StR 574/00, [X.], 66; Beschlüsse vom 14. April 2011 – 1 [X.], [X.], 728, 731 Rn. 24 mwN; vom 22. Juli 2014 – 3 [X.], [X.]R [X.] § 74 Abs. 1 Satz 1 Befangenheit 6 und vom 31. Januar 2017 – 4 StR 531/16). Die gemäß § 34 [X.] erforderliche Begründung des Beschlusses muss im Übrigen so ausführlich sein, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob das Tatgericht die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt hat; daneben muss sie die Verfahrensbeteiligten in die Lage versetzen, ihr weiteres Prozessverhalten darauf einzurichten ([X.], Beschluss vom 22. Juli 2014 – 3 [X.], [X.]R [X.] § 74 Abs. 1 Satz 1 Befangenheit 6; [X.]/[X.], [X.], 60. Aufl., § 74 Rn. 17 und 21 mwN).

Da das von der Unzulässigkeit des Antrags ausgehende [X.] – von seinem unzutreffenden Standpunkt aus konsequent – weder erkennen lässt, von welchen Tatsachen es insoweit ausgegangen ist, noch, ob das festgestellte sachverständige Verhalten in sachlicher Hinsicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, kann das Revisionsgericht dies nicht selbständig prüfen.

c) Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt jedoch den Schuldspruch nicht. Zwar verweist das [X.] bei der Prüfung des Vorsatzes für die erste Tat darauf, der abgelehnte Sachverständige habe ausgeführt, der Angeklagte verfüge über eine intakte Auffassungsgabe. Jedoch fügt es diesen Aspekt nur zur Bestätigung seiner aufgrund anderer, gewichtiger Umstände gewonnenen Überzeugung an, der Angeklagte sei in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht beeinträchtigt gewesen. Der [X.] kann daher ausschließen, dass es ohne diese sachverständige Einschätzung zu einer anderen Bewertung des [X.] gekommen wäre. Es ist mit Blick auf die im Übrigen [X.] Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten und zur Tat auch auszuschließen, dass es im Falle des Erfolgs des Ablehnungsgesuchs und Zuziehung eines anderen Sachverständigen zu der Überzeugung gelangt wäre, der Angeklagte sei bei Begehung der Tat schuldunfähig im Sinne des § 20 StGB gewesen.

Allerdings beruht der Rechtsfolgenausspruch auf der fehlerhaften Ablehnung des Befangenheitsgesuches, denn der [X.] kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die [X.] bei Einholung eines anderen Sachverständigengutachtens auf eine geringere Strafe erkannt hätte, etwa weil weitere Strafmilderungsgründe zutage getreten wären oder sie sich davon überzeugt hätte, dass die Schuldfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war. Die Sache bedarf deshalb zum Rechtsfolgenausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.

Raum     

      

Jäger     

      

Cirener

      

Radtke     

      

Hohoff     

      

Meta

1 StR 437/17

10.01.2018

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Ulm, 16. Mai 2017, Az: 2 KLs 22 Js 19027/16

§ 25 Abs 2 S 1 StPO, § 74 Abs 1 S 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2018, Az. 1 StR 437/17 (REWIS RS 2018, 15880)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 15880

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 437/17 (Bundesgerichtshof)


2 StR 485/18 (Bundesgerichtshof)

Hauptverhandlung in Strafsachen: Befangenheitsablehnung eines im Auftrag der Polizei tätig gewordenen Übersetzers; Aufklärungspflicht des Gerichts …


3 StR 302/14 (Bundesgerichtshof)

Sachverständigenablehnung im Strafverfahren: Notwendiger Inhalt des den Befangenheitsantrag zurückweisenden Beschluss des Tatgerichts; Prüfungsumfang des Revisionsgerichts


2 StR 415/19 (Bundesgerichtshof)

Mord: Voraussetzungen für das Mordmerkmal der Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel


3 StR 522/19 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Richterablehnung wegen Zurückweisung der Ablehnung eines Sachverständigen


Referenzen
Wird zitiert von

1 StR 437/17

Zitiert

3 StR 302/14

1 StR 458/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.