Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.04.2007, Az. GSSt 1/06

Großer Senat für Strafsachen | REWIS RS 2007, 4171

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RÜGEVERKÜMMERUNG

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[X.]BESCHLUSS [X.]/06vom 23. April 2007 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja [X.]St: ja Veröffentlichung: ja [X.] § 274 1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfah-rensrüge die Tatsachengrundlage entzogen werden. - 2 - 2. Die [X.] haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung zunächst den Beschwerdeführer anzuhören. Wider-spricht er der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind [X.] weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die [X.] trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entschei-dung hierüber mit Gründen zu versehen. 3. [X.] unterliegt im Rahmen der erho-benen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung. [X.], [X.]uss vom 23. April 2007 - [X.]/06 - [X.] wegen gefährlicher Körperverletzung - 3 - [X.] hat durch den Präsi-denten des [X.] Prof. Dr. [X.], die Vorsitzende Richterin am [X.] Dr. [X.], [X.] am Bundes-gerichtshof [X.] und [X.] sowie [X.] am [X.] Häger, [X.], Dr. Wahl, [X.], Prof. Dr. [X.], [X.] und [X.] am 23. April 2007 beschlossen: 1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge die Tatsa-chengrundlage entzogen werden. 2. Die [X.] haben in einem solchen Fall vor [X.] beabsichtigten Protokollberichtigung zunächst den [X.] anzuhören. Widerspricht er der beabsich-tigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die [X.] trotz des Widerspruchs an der Protokollbe-richtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen. 3. [X.] unterliegt im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung. - 4 - Gründe: [X.] 1 Die Vorlage des 1. Strafsenats des [X.] an den [X.] betrifft die Frage, ob die Beweiskraft eines berichtigten [X.] für das Revisionsgericht auch dann beachtlich ist, wenn aufgrund der Protokollberichtigung einer bereits zulässig erhobenen [X.] zum Nachteil des Beschwerdeführers die Tatsachengrundlage ent-zogen wird. 1. Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Strafsache gegen [X.](1 [X.]) über eine Revision des Angeklagten zu entscheiden, die sich zum Beweis eines formal ordnungsgemäß gerügten Verfahrensfehlers auf eine Sitzungsniederschrift beruft, die nach Erhebung der Verfahrensrüge in dem Sinne berichtigt wurde, dass der behauptete Verfahrensfehler in Wirklichkeit nicht geschehen sei. 2 a) Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 StGB) zu Freiheits-strafe verurteilt. Er hatte dem Geschädigten in einem Oktoberfestzelt mit einem 1,3 kg schweren gläsernen [X.] zweimal wuchtig auf den [X.] und ein-mal in den [X.]enbereich geschlagen. Der Geschädigte wurde erheblich ver-letzt. 3 b) Der Beschwerdeführer erhebt - neben der Sachbeschwerde - eine Verfahrensrüge. Er beanstandet mit der am 7. Juli 2005 beim [X.] ein-gegangenen Revisionsbegründung, der [X.] sei in der Hauptverhand-lung nicht verlesen worden (Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 [X.]). Er [X.] sich insoweit auf die negative Beweiskraft der Sitzungsniederschrift, in der 4 - 5 - die Verlesung des [X.]es - zunächst - nicht beurkundet war. Hier hatte es lediglich geheißen: "Der Vorsitzende stellte weiter fest, dass die [X.] gegen den Angeklagten am [X.] Anklage zum Schwurgericht des [X.] erhoben hat, die mit Eröffnungsbeschluss der Kammer vom [X.] unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen wurde." 5 Am 18. August 2005 ergänzten der Strafkammervorsitzende und die Ur-kundsbeamtin der Geschäftsstelle das Protokoll hinsichtlich des ersten Haupt-verhandlungstages dahingehend, dass an der genannten Stelle des Protokolls der Satz angefügt wird: "Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlas den [X.]". Auch in der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 [X.]) wird unter Vorlage entsprechender dienstlicher Äußerun-gen von Verfahrensbeteiligten vorgetragen, dass der [X.] in Wirklichkeit verlesen wurde. Zum Beleg erklärte etwa der Berichterstatter der Strafkammer, die Verlesung der rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens als versuchter Totschlag habe Unmutsäußerungen im Publikum ausgelöst. Die [X.] verwies auf einen ihr bei der Fertigung der [X.] unterlaufenen Übertragungsfehler aus den teilweise stenographischen Aufzeichnungen [X.] der Hauptverhandlung, in denen der Hinweis auf die Verlesung des Ankla-gesatzes noch enthalten war. Das entsprechende Blatt der vorläufigen Auf-zeichnungen ist ihrer dienstlichen Erklärung beigefügt. 6 Die Verteidiger des Angeklagten wurden vor der Protokollberichtigung angehört. [X.] in der tatrichterlichen Hauptverhandlung, der die [X.] nicht selbst begründet hat, äußerte sich dabei wie folgt: 7 - 6 - "An den entsprechenden Verfahrensabschnitt kann ich [X.] nicht konkret erinnern; die Verlesung der Anklage-schrift stellt einen Routinevorgang dar. Allerdings vermute ich, dass ich [X.] hieran erinnern könnte, wenn die [X.] nicht verlesen worden wäre, weil dies einen ungewöhnlichen Verfahrensablauf darstellen würde. Auch diese Überlegung führt aber nicht zu einer konkreten Erin-nerung. Aufgrund dieses [X.] erscheint es [X.] aber durchaus möglich, dass die Erinnerung der [X.] zutreffend ist." 2. Der 1. Strafsenat möchte die Revision des Angeklagten verwerfen. Die Verfahrensrüge hält er für unbegründet, da er unter Aufgabe seiner [X.] zum Verbot der "Rügeverkümmerung" (vgl. [X.]St 34, 11, 12; [X.], 521; 1986, 374; 1995, 200, 201) die berichtigte Sitzungsniederschrift als im Sinne von § 274 [X.] beachtlich erachtet, auch wenn durch die Berichti-gung der Rüge die Tatsachengrundlage entzogen wird. Da sich der 1. Strafsenat an der beabsichtigten Entscheidung durch entgegenstehende Rechtsprechung der anderen Strafsenate gehindert sieht, hat er mit [X.]uss vom 12. Januar 2006 (NStZ-RR 2006, 112, [X.] [X.], 290, [X.]/[X.] 2006, 166 und Lampe NStZ 2006, 366) bei den anderen Strafsenaten gemäß § 132 Abs. 3 [X.] angefragt, ob an dieser [X.] festgehalten wird. 8 Der 2. Strafsenat ([X.]. vom 31. Mai 2006 i.V.m. [X.]. vom 3. Juli 2006 - 2 ARs 53/06 = NStZ-RR 2006, 275) und der 3. Strafsenat ([X.]. vom 22. Februar 2006 - 3 ARs 1/06) haben der vom 1. Strafsenat vertretenen Rechtsansicht zugestimmt und entgegenstehende eigene Rechtsprechung auf-gegeben. Der 4. Strafsenat ([X.]. vom 3. Mai 2006 - 4 ARs 3/06 = NStZ-RR 2006, 273) und der 5. Strafsenat ([X.]. vom 9. Mai 2006 - 5 [X.]) ha-ben an der bisherigen Rechtsprechung festgehalten. 9 - 7 - 3. Daraufhin hat der 1. Strafsenat mit [X.]uss vom 23. August 2006 (NJW 2006, 3582 [X.] [X.]) dem [X.] gemäß § 132 Abs. 2 und 4 [X.] folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: 10 Ist die Beweiskraft (§ 274 [X.]) des berichtigten Proto-kolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich, wenn aufgrund einer Protokollberichtigung hinsichtlich einer vom Angeklagten zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu [X.] des Angeklagten die maßgebliche [X.] entfällt? 11 4. Der [X.] hält die Vorlegungsfrage für zu eng gefasst; sie sei auf alle Revisionen, insbesondere auch auf diejenigen der Staatsanwalt-schaft und des [X.], zu erstrecken. In der Sache selbst tritt der [X.] im Grundsatz der Rechtsansicht des 1. Strafsenats bei, dass die [X.] des § 274 [X.] auch hinsichtlich eines nachträglich berichtigten Protokolls gelte. Die Vorschrift schaffe keine vom wirklichen Verfahrensgeschehen abweichende formelle bzw. prozessuale Wahrheit; § 274 [X.] bezwecke vielmehr nur eine klare Kompe-tenzverteilung zwischen der Tatsachen- und der Revisionsinstanz in Form des grundsätzlichen Verbots, im Revisionsverfahren die tatrichterliche [X.] zu rekonstruieren. Im Interesse einer fairen Verfahrensgestaltung und der Effektivität des Rechtsmittels müsse der Beschwerdeführer jedoch vor der Gefahr fehlerhafter [X.] geschützt werden. Vor der Berichti-gung seien daher dienstliche Erklärungen und Stellungnahmen der [X.] einzuholen und dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör zu gewäh-ren. [X.] bei der freibeweislichen Überprüfung aus Sicht des [X.] konkrete Zweifel an der Korrektheit der Berichtigung, könne es ihr die Beachtung im Sinne von § 274 [X.] verwehren. 12 - 8 - Der [X.] hat beantragt zu beschließen: 13 a) Die nach Erhebung einer Verfahrensrüge erfolgte Be-richtigung des [X.] ist für das Revisionsgericht grundsätzlich auch dann im Sinne von § 274 [X.] beachtlich, wenn dadurch der Verfahrens-rüge zu Ungunsten des [X.] die [X.] entzogen wird. b) Bestehen aus Sicht des Revisionsgerichts konkrete Anhaltspunkte für eine inhaltliche Unrichtigkeit der Pro-tokollberichtigung, so kann das Revisionsgericht die entscheidungserheblichen Verfahrenstatsachen freibe-weislich aufklären. I[X.] 14 1. Die [X.] gemäß § 132 Abs. 2 und 4 [X.] sind gegeben. Den Bedenken, die der 4. Strafsenat im Hinblick auf die Entschei-dungserheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage im konkreten Fall geäußert [X.] (vgl. NStZ-RR 2006, 273), ist der 1. Strafsenat mit ausführlicher Begründung entgegengetreten (vgl. NJW 2006, 3582, 3583, 3586 f.). Dessen Beurteilung ist jedenfalls vertretbar und folglich für den [X.] bindend (vgl. [X.]St 41, 187, 194; [X.] in Löwe/[X.], [X.]. § 132 [X.] [X.]. 42). 2. Die vorgelegte Rechtsfrage ist allerdings auf alle Revisionen - nament-lich auf diejenigen der Staatsanwaltschaft und des [X.] - zu erweitern. Wenngleich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Entscheidungen über eine Revision anderer Beschwerdeführer als des Angeklagten ersichtlich sind, in denen es auf die relative Unbeachtlichkeit einer Protokollberichtigung angekommen wäre, so sind doch die tragenden Erwägungen in den [X.] davon unabhängig, wer Beschwerdeführer ist (vgl. nur grundle-gend [X.]St 2, 125; ebenso schon [X.], 1; [X.] 1, 277). 15 - 9 - II[X.] 16 Im Strafprozessrecht sind Zulässigkeit und Beachtlichkeit einer Proto-kollberichtigung nicht ausdrücklich geregelt. Auch die Gesetzesmaterialien zur Strafprozessordnung enthalten insoweit keine eindeutigen Hinweise. 17 1. Nach § 274 Satz 1 [X.] kann die Beobachtung der für die [X.] vorgeschriebenen Förmlichkeiten (§ 273 Abs. 1 [X.]) nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese wesentlichen Förmlichkeiten betreffenden Inhalt lässt das Gesetz nur den Nachweis der Fälschung zu (§ 274 Satz 2 [X.]). Bei § 274 [X.] handelt es sich um eine [X.] ([X.] NJW 2006, 3579, 3581, zur Veröffentlichung in [X.]St 51, 88 bestimmt; [X.]. 1950/51, 90 f.; [X.] NJW 1951, 256, 257; [X.], Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 687 f.), die nach der Fertigstellung des ordnungsgemäß er-richteten und von beiden [X.] unterzeichneten Protokolls (§§ 271, 273 Abs. 4 [X.]) gilt. Dies wurde zunächst dahin verstanden, dass den [X.] - außerhalb des Nachweises der Fälschung - Protokollberichti-gungen, soweit es um die wesentlichen Förmlichkeiten des Verfahrens geht, von vorneherein versagt sind, und zwar solche zugunsten wie zu Lasten des Beschwerdeführers (in diesem Sinne noch [X.], 141, 143 f.; 17, 346, 348). Die Frage nach der Beachtlichkeit von [X.] würde sich [X.] nicht stellen. Den Gesetzesmaterialien zur Strafprozessordnung im Zusammenhang mit einer Protokollberichtigung [X.], Materialien zur [X.]. [X.], 256 ff., 1039, 1394) entnimmt der [X.] nicht, dass der Gesetzgeber selbst dann jeden Zweifel an der Richtigkeit des - ursprünglichen - Protokollin-halts für unberechtigt hielt, sollte eine Protokollberichtigung aufgrund sicherer Erinnerung der [X.] erfolgen. 18 - 10 - 2. In die Zivilprozessordnung, die eine der Vorschrift des § 274 [X.] ver-gleichbare Bestimmung (§ 165 ZPO) enthält, ist durch Art. 1 Nr. 1 des [X.] der [X.]e und zur Vereinfachung des gerichtlichen [X.] vom 20. Dezember 1974 ([X.], [X.] 3651) mit § 164 ZPO ei-ne Vorschrift eingefügt worden, nach der - unter Anhörung der Beteiligten - [X.] vorgenommen werden dürfen. Anders als für das [X.], Finanz- und Sozialgerichtsverfahren (Art. 3 Nr. 1, Art. 4 Nr. 1, Art. 5 Nr. 2 des [X.]: jeweils Verweisung auf die §§ 159 bis 165 ZPO) hat der Gesetzgeber, der mit dem [X.] von 1974 die Praxis der Zivilgerichte zur Protokollberichtigung (vgl. [X.], ZPO 10. Aufl. [X.]) auf eine gesetzliche Grundlage gestellt hat ([X.]. 551/74 S. 63; [X.]. 7/2769 [X.]), diese Vorschrift nicht für den Strafprozess für anwendbar erklärt. 19 IV. Die Rechtsprechung hat nach anfänglichem Schwanken [X.] im Strafverfahren zugelassen und dies im Wesentlichen damit [X.], dass insoweit eine auslegungsbedürftige Gesetzeslücke bestehe. [X.] und Folgen zulässiger Berichtigungen wurden allerdings nicht einheitlich bestimmt: 20 1. Eine Protokollberichtigung ist jederzeit zulässig und geboten, falls die [X.] Mängel erkennen (vgl. [X.]St 1, 259, 261; [X.] [X.], 281; NStZ 2005, 281, 282; [X.], 367, 370; [X.] 1, 277, 278; anders noch [X.], 141, 143 f.; 17, 346, 348). Sie ist auch stets beachtlich, wenn sie zu-gunsten des Beschwerdeführers wirkt ([X.]St 1, 259, 261 f.; [X.], 367, 369 f.; 21, 200, 201; [X.] NJW 1952, 758) oder wenn sie - bei einem ein-heitlichen Vorgang - teilweise zu seinen Gunsten, teilweise zu seinen Unguns-ten vorgenommen worden ist ([X.]St aaO; [X.], 29; [X.] 57 [1910], 396; JW 1932, 3109). 21 - 11 - Nach bisheriger Rechtsprechung ist eine Protokollberichtigung - ebenso wie eine Distanzierung der [X.] vom [X.] (vgl. hierzu [X.]St 4, 364; [X.] NStZ 1988, 85) - jedoch unbeachtlich, wenn sie einer zu-lässig erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzieht (Verbot der Rügeverkümmerung). Dieser Rechtssatz hat eine lange Tradition: Er findet sich - aufbauend auf der Rechtsprechung der [X.] Obergerichte (vgl. [X.], 1, 10) - schon zu Beginn der [X.] ([X.], 76, 77 f.). Er blieb ständige Rechtsprechung des [X.] (grundlegend [X.], 1 m.w.[X.]; ferner [X.], 29; 59, 429, 431; 63, 408, 409 f.) bis zu dem - die umfassende Beachtlichkeit einer Berichtigung bejahenden - Be-schluss des [X.] vom 11. Juli 1936 ([X.], 241). Diese Entscheidung darf indessen im Hinblick auf im Zusammenhang mit nationalsozialistischem Gedankengut stehende Formulierungen keine Beach-tung finden. 22 Der ursprünglichen Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung folgten nach 1945 verschiedene Obergerichte, unter anderem der [X.] für die [X.] ([X.] 1, 277 [m.w.[X.] 279]; 3, 83, 84), und schließlich der [X.]. Grundlegend war das Urteil des [X.] vom 19. Dezember 1951 ([X.]St 2, 125), das sich im Wesentlichen den in [X.], 1 und [X.] 1, 277 dargelegten Argumenten anschloss (nachfol-gend [X.]St 7, 218, 219; 10, 145, 147; 10, 342, 343; 12, 270, 271; 22, 278, 280; 34, 11, 12; [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 11; 13; 27; 28; [X.] NStE [X.] § 344 Nr. 7; [X.], 521; 1995, 200, 201; 2002, 219; [X.], 183; [X.], 281; wistra 1985, 154; Urt. vom 21. Dezember 1966 - 4 StR 404/66). [X.] Rechtsprechung steht in Übereinstimmung mit der heute herrschenden [X.] in der strafprozessualen Literatur (vgl. nur [X.] in Löwe/[X.], [X.]. § 271 [X.]. 55 ff. m. zahlr. [X.]). 23 - 12 - Soweit danach eine Protokollberichtigung für das Revisionsgericht nicht beachtlich ist, führt dies dazu, dass Sachverhalte, die aufgrund der formellen Beweiskraft des - unberichtigten - Protokolls als unwiderlegbar vermutet wer-den, der Verfahrenswirklichkeit nicht zu entsprechen brauchen ([X.]St 26, 281, 283; 36, 354, 358; [X.], 1, 6). 24 25 2. Folgende Argumente werden für den Rechtssatz, wonach eine Proto-kollberichtigung einer Rüge nicht die Tatsachengrundlage entziehen darf, vor-gebracht: Mit dem Eingang der [X.] erwerbe der [X.] eine prozessuale Befugnis bzw. ein prozessuales Recht auf Beibehaltung der Grundlage seiner Rüge für die Revisionsinstanz, zumal er selbst praktisch keine Möglichkeit habe, die Berichtigung des Protokolls zu [X.] ([X.]St 2, 125, 126; [X.], 1, 9; 59, 429, 431). Da er zur [X.] seiner Verfahrensrüge nur das Protokoll in der ihm vorliegenden Form verwerten dürfe, müsse ihm das Recht zustehen, sich nachträglichen [X.] zu seinen Lasten zu widersetzen ([X.] 1, 277, 280); er müsse auch ge-gen eine nachträgliche Beseitigung des Mangels durch Protokollberichtigung gesichert sein ([X.]St 2, 125, 127). 26 Der Gesetzgeber habe mit § 274 [X.] eine Norm geschaffen, die der Zweckmäßigkeit den Vorrang vor der absoluten Wahrheit einräume ([X.]St 2, 125, 128; 26, 281, 283); das [X.] erzeuge gewisserma-ßen einen Sachverhalt, der kraft gesetzlicher Vorschrift als Tatsache zu [X.] sei ohne Rücksicht darauf, wie der wirkliche Sachverhalt liegen möge ([X.], 1, 6). Der Gesetzgeber habe die mögliche Ausnutzung einer pro-zessrechtlich zulässigen Befugnis zu wahrheitswidrigen Zwecken gesehen und in Kauf genommen ([X.] aaO; [X.] 1, 277, 282). Die Neugestaltung des 27 - 13 - § 274 [X.] sei Sache des Gesetzgebers ([X.], [X.]. vom 30. Mai 2001 - 1 StR 99/01; [X.] 1, 277, 280). 28 Mit zunehmender [X.] lasse das Erinnerungsvermögen der Urkundsper-sonen nach. Die Gefahr fehlerhafter Berichtigungen sei nicht auszuschließen ([X.]St 2, 125, 128; [X.], 1, 5; [X.] 1, 277, 281). 29 Die zeitlich unbeschränkte Berücksichtigung nachträglicher Berichtigun-gen wäre mit der nach Sinn und Zweck des § 274 [X.] zu erhebenden Forde-rung nach genauester Abfassung der Sitzungsniederschrift nicht vereinbar. Denn die Möglichkeit ihrer jederzeitigen Änderung könne dazu führen, dass ih-rer Herstellung weniger Sorgfalt zugewendet werde ([X.]St 2, 125, 127; [X.] 1, 277, 281). Auch wenn eine Revision nur deshalb erfolgreich sei, weil sie einen Sachverhalt vortrage, der der Verfahrenswirklichkeit nicht entspreche, sei nicht zu besorgen, dass die Gerechtigkeit letztlich Schaden nehme. Denn selbst bei missbräuchlicher Ausübung der durch § 274 [X.] gewährten prozessualen Be-fugnis erreiche der Beschwerdeführer nur, dass der Sachverhalt nochmals un-ter gewissenhafter Beachtung aller sachlichen und verfahrensrechtlichen Vor-schriften erörtert und gerecht entschieden werde ([X.] 1, 277, 282). 30 3. Das Verbot der Rügeverkümmerung war jedoch in der [X.] nie unbestritten: 31 Anders als zunächst das [X.] judizierte das Reichsmilitärgericht ([X.] 9, 35; 15, 281, 282). Wenngleich es auf der Grundlage einer anderen Prozessordnung - diese ließ gegen das Protokoll auch den Nachweis der Un-richtigkeit zu (§ 335 Satz 2 MStGO) - zu entscheiden hatte, trat es auch auf der Grundlage der Strafprozessordnung den Argumenten des [X.] ent-gegen (vgl. [X.] 9, 35, 41 ff.). Dessen I[X.] Strafsenat wollte sich der Auffassung 32 - 14 - des [X.] anschließen. In dem von ihm herbeigeführten Be-schluss der [X.] Strafsenate wurde die bisherige Rechtsprechung des [X.] jedoch bestätigt ([X.], 1). Nach 1945 hielt zunächst das [X.] ([X.], 192) eine nachträgliche Protokollberichtigung zum Nachteil des Beschwerdeführers für beachtlich. 33 Auch in der Rechtsprechung des [X.] finden sich gegen das Verbot der Rügeverkümmerung Vorbehalte: Ob eine Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Rüge die Grundlage entziehen darf, wurde vom 1. Strafsenat offen gelassen in NJW 1982, 1057 sowie vom 5. Strafsenat in [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 22 (vgl. auch [X.] [3. Strafsenat] NStZ-RR 1997, 73). Zweifel äußerte der 2. Strafsenat in NJW 2001, 3794, 3796 (kritisch derselbe Senat in diesem Zusammenhang auch in [X.]St 36, 354, 358 f.). Zuletzt spra-chen sich definitiv - in obiter dicta - der 2. Strafsenat ([X.]R [X.] § 274 [X.] 29 [X.] [X.] [X.], 39, 42 und Park [X.], 257) und der 1. Strafsenat (NStZ 2006, 181) für eine Änderung der Rechtsprechung zur Berücksichtigung einer Protokollberichtigung trotz [X.] aus. 4. Dieser Kritik am Verbot der Rügeverkümmerung liegen folgende Er-wägungen zugrunde: 34 Das Strafverfahrensrecht kenne keine Rechtsnorm, wonach für das [X.]sgericht die Sitzungsniederschrift in ihrer ursprünglichen Fassung, nicht nach ihrer Berichtigung im Sinne von § 274 [X.] beachtlich sei. "Ein prozessu-ales Recht der Prozessbeteiligten, dass etwas nicht Geschehenes beurkundet oder etwas Geschehenes nicht beurkundet wird, gibt es nicht" ([X.] 9, 35, 41 f.). 35 Grundsätzlich sei auch für die Revisionsgerichte die wahre Sachlage maßgeblich, wenn prozessual erhebliche Tatsachen der Klärung bedürften ([X.]St 36, 354, 358 f.). Wenn tatsächlich kein Verfahrensfehler gegeben sei, 36 - 15 - dürften bloße Mängel des Protokolls, welche die [X.] erkannt und beseitigt hätten, kein Revisionsgrund sein (vgl. [X.]R [X.] § 274 [X.] 29; [X.] NJW 2001, 3794, 3796; [X.] 9, 35, 43; [X.] [X.], 192, 193). Ein Misstrauen in die Redlichkeit der [X.] sei hingegen nicht gerechtfertigt ([X.] NStZ 2006, 181). Eine von der [X.] abweichende prozessuale Wahrheit sei nicht anzuerkennen, da § 274 [X.] nicht die Tatsachen verändere, es sich bei der Vorschrift vielmehr nur um eine [X.] handele ([X.] NJW 2006, 3579, 3581). Bei Berücksichtigung der Protokollberichtigung könnten durch Protokoll-mängel veranlasste [X.] vermieden werden ([X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 29; [X.] NStZ 2006, 181). Die Ausweitung der [X.] zur [X.] des Protokolls könnte begrenzt werden; die Proble-matik rechtsmissbräuchlicher Verfahrensrügen würde sich erübrigen ([X.]R aaO). 37 V. Der [X.] beantwortet die vorgelegte Rechtsfrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich und gibt dabei den für eine Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung sprechenden [X.] den Vorzug: 38 1. Der Grundsatz, wonach einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge durch eine Protokollberichtigung nicht die Tatsachengrundlage zum Nachteil des Beschwerdeführers entzogen werden darf, beruht auf Rechtsprechung und kann durch Rechtsprechung geändert werden; eines Gesetzes bedarf es nicht: 39 a) Die grundsätzlich umfassende Berücksichtigung der nachträglichen Protokollberichtigung widerspricht dem Gesetz nämlich nicht. Zwar lässt § 274 Satz 2 [X.] als Gegenbeweis gegen die Beurkundungen des Protokolls nur 40 - 16 - den Nachweis der Fälschung zu. Eine Berichtigung durch Erklärungen der [X.] enthält jedoch einen Widerruf der früheren Beurkundung und entzieht ihr, soweit die Berichtigung reicht, die absolute Beweiskraft, so dass es eines Gegenbeweises nicht mehr bedarf (ebenso bereits [X.], 367, 370). Insbesondere auch deswegen hat die Rechtsprechung schon bisher nachträgli-che [X.], die einer Verfahrensrüge erst zum Erfolg verhel-fen, für beachtlich gehalten ([X.] aaO; ähnlich für sich zugunsten des [X.]s vom [X.] distanzierende Erklärungen der [X.] [X.]St 4, 364, 365; [X.] NJW 2001, 3794, 3796; NStZ 1988, 85; [X.]St 57, 394, 396 f.; [X.] NJW 1952, 758). b) Die Annahme, durch den Eingang der Revisionsbegründung werde ein besonderes prozessuales Recht auf Beibehaltung der Tatsachengrundlage für eine Rüge begründet, findet im Gesetz keine Stütze. Der [X.] hat keinen Anspruch darauf, aus tatsächlich nicht gegebenen Umständen Verfah-rensvorteile abzuleiten (vgl. [X.] NJW 2006, 3579, 3580; [X.] in [X.] für [X.], 558; Lampe NStZ 2006, 366, 367; [X.] in [X.], [X.] § 344 [X.]. 18). Ein etwaiges Vertrauen des Beschwerdeführers [X.], dass ein - inhaltlich unrichtiges - Protokoll für die Revisionsinstanz allein beachtlich bleibe, ist nicht schützenswert und kann auch nicht auf das verfas-sungsrechtlich verbürgte Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) gestützt werden (a.A. [X.]/[X.] 2006, 166, 169; [X.] [X.] 2006, 344, 353). Verfahrensrechte können nur durch den tatsächlichen Verfah-rensverlauf verletzt worden sein. Dementsprechend ist nur ein auf dessen Überprüfung bezogener effektiver Rechtsschutz erforderlich. Einen weiterge-henden, aus rechtsstaatlichen Prinzipien abzuleitenden Anspruch des [X.]s, dass zu seinen Gunsten Unwahres unter allen Umständen als wahr fingiert bleiben muss, gibt es nicht. Da ein Recht auf Beibehaltung der Grundlage für eine Rüge weder einfachgesetzlich geregelt noch gar verfas-41 - 17 - sungsrechtlich verankert ist, gilt für die Zulässigkeit und Beachtlichkeit von [X.] auch kein Gesetzesvorbehalt. 42 2. Auch die Revisionsgerichte sind der Wahrheit verpflichtet; wenn [X.] erhebliche Tatsachen aus der tatrichterlichen Hauptverhandlung der Klärung bedürfen, muss grundsätzlich der wahre Sachverhalt, wie er sich zuge-tragen hat, maßgeblich sein (vgl. [X.]St 36, 354, 358 f.). Dies spricht entschei-dend dafür, die Regelung des § 274 [X.] in einer Weise auszulegen, welche die inhaltliche Richtigkeit der Sitzungsniederschrift gewährleistet. a) Allerdings wird dem entgegengehalten, dass § 274 [X.] nach dem Willen des Gesetzgebers der Zweckmäßigkeit Vorrang vor der Wahrheit ein-räume (so [X.]St 2, 125, 128; 26, 281, 283). Dieser Vorrang gilt aber schon jetzt nicht uneingeschränkt. Denn damit wäre der unstreitige Grundsatz nicht vereinbar, dass - wie bereits in anderem Zusammenhang ausgeführt ([X.] und [X.]) - [X.] und distanzierende Erklärungen der [X.] beachtlich sind, wenn sie das [X.] bestätigen (vgl. [X.]St 4, 364; [X.] NStZ 1988, 85; [X.], 367, 369 f.; 21, 323, 324 f.; 57, 394, 396 f.; [X.] NJW 1952, 758). 43 b) Der Wahrheitspflicht würde nicht dadurch Genüge getan, dass die Wahrheit in eine "materielle" und eine "formelle" bzw. "prozessuale Wahrheit" aufzuspalten wäre. Die [X.] des § 274 [X.] schafft keinen von der (ob-jektiven) Wahrheit abweichenden Wahrheitsbegriff (so aber [X.] NJW 1950, 930, 931 ff.; 1951, 259; [X.], [X.], 181, 185; [X.] JuS 2007, 91 [X.]. 3; [X.], 335, 337; [X.] [X.] 1951, 193; vgl. auch [X.], 1, 6). Die Beweiskraft des Protokolls nach § 274 [X.] verändert nicht die Tatsachen, macht nicht aus Unwahrheit Wahrheit (vgl. [X.] 2004, 329, 334; ebenso [X.], [X.] im Strafverfahren 1980 S. 157, der aber "in diesem Ausnahmefall eine Lüge (für) prozessual zulässig" hält). 44 - 18 - 3. Die Verpflichtung zur Entscheidung auf der Grundlage eines zutreffen-den Sachverhalts erhält inzwischen durch das [X.]eunigungsgebot und den Gesichtspunkt des Opferschutzes zusätzliches Gewicht. 45 46 a) Das [X.] hat in jüngerer [X.] - unter Hinweis auf die Rechtsprechung des [X.] (Urt. vom 31. Mai 2001 - Nr. 37591/97 - Metzger gegen [X.] - [X.]. 41 = NJW 2002, 2856, 2857) - mehrfach betont, die durch eine [X.] bedingte zusätzliche Verfahrensdauer sei bei der Berechnung der Über-länge eines Verfahrens zwar nicht stets, aber immer dann zu berücksichtigen, wenn das Revisionsverfahren der Korrektur eines offensichtlich der Justiz anzu-lastenden Verfahrensfehlers gedient hat ([X.] NJW 2003, 2897, 2898; 2006, 672, 673; vgl. auch [X.]K 2, 239, 251 [jeweils 3. Kammer des [X.]]). Bei erfolgreichen Verfahrensrügen wäre nach dieser Auffassung wohl regelmäßig eine kompensationspflichtige rechtsstaatswidrige Verfahrensverzö-gerung gegeben; denn Verfahrensfehler kann nur das Gericht begehen (vgl. [X.] NJW 2006, 1529, 1533). Gerade auch die nach bisheriger [X.] zur [X.] führende Fiktion eines Verfahrensfehlers, die allein darauf beruht, dass die [X.] durch eine unrichtige [X.] den Anschein eines in Wahrheit nicht vorgefallenen Verfahrensfehlers erweckt haben, fällt in den Verantwortungsbereich der Justiz. Vor diesem [X.] ist das Gewicht des für das Verbot der Rügeverkümmerung früher vor-gebrachten Arguments, der Beschwerdeführer könne nicht mehr erreichen, als dass der Sachverhalt nochmals unter gewissenhafter Beachtung aller sachli-chen und verfahrensrechtlichen Vorschriften erörtert und gerecht entschieden werde ([X.] 1, 277, 282), stark relativiert. b) Neben der Wahrheitspflicht und dem [X.]eunigungsgebot kann auch der Opferschutz gebieten, ein Urteil nicht allein wegen eines fiktiven - un-wahren - Sachverhalts aufzuheben. Liegt tatsächlich kein Verfahrensfehler vor 47 - 19 - und ist das Urteil auch sachlich-rechtlich nicht zu beanstanden, so ist es nicht gerechtfertigt, [X.] nach der "Feuerprobe" ([X.] NStZ 2005, 1, 7) in der ersten Hauptverhandlung nochmals einer konfrontativen Vernehmung zu unterziehen. In diesem Sinne verpflichtet auch der Rahmenbeschluss der Euro-päischen [X.] über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. März 2001 ([X.] vom 22. März 2001) in Art. 3 Abs. 2 die Mitgliedstaaten, "die gebotenen Maßnahmen (zu ergreifen), damit ihre Behörden Opfer nur in dem für das Strafverfahren erforderlichen Umfang befragen" (hierzu [X.] NJW 2005, 1519, 1520 f.; vgl. auch [X.]. 15/1976 S. 8, 19 zu § 24 Abs. 1 Nr. 3 [X.] n.F.). 4. Ebenso sind mit der Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung der Erfolgsaussicht bewusst unwahrer Verfahrensrügen Grenzen gesetzt. 48 a) Eine veränderte Einstellung der Strafverteidiger zu der Praxis, auf [X.] Vorbringen Verfahrensrügen zu stützen, spricht dafür, die Zurückhal-tung bei der Berücksichtigung der Protokollberichtigung aufzugeben, auch wenn mit der Berichtigung einer zulässig erhobenen Rüge die Tatsachengrundlage entzogen wird. 49 aa) Die grundlegende Entscheidung des [X.] zum Verbot der Rügeverkümmerung ([X.]St 2, 125) erging in einer [X.], in der die vom Verteidiger bewusst wahrheitswidrig erhobene Verfahrensrüge nach verbreiteter Ansicht als standeswidrige Verfehlung galt (vgl. [X.]. 1950/51, 90: "Die wahrheitswidrige Verfahrensrüge ist eine standesrechtliche Verfehlung" [S. 90]; "– der Anwalt, der die hier wiedergegebenen Grundsätze nicht anerkennt, [muß] mit der Einleitung eines ehrengerichtlichen Verfahrens seitens des [X.] rechnen" [S. 92]; ferner d. Nachw. [X.] in [X.] für [X.], 598 f.). 50 - 20 - Heute wird es hingegen schon als "anwaltlicher Kunstfehler" bezeichnet, sich eines Fehlers im Protokoll jedenfalls nicht in der Weise zu bedienen, dass ein anderer Verteidiger die Revision begründet (vgl. hierzu [X.] in [X.] 50 Jahre [X.] S. 707, 726 f. m.w.[X.]; ders., [X.]. [X.]. 1814; ferner - gestützt auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesge-richtshofs - [X.], Handbuch des Strafverteidigers von der 1. Auflage 1969, [X.]. 754, bis zur neuesten 7. Aufl. [ab 4. Auflage [X.] jun.] 2005, [X.]. 918: "– braucht der Verteidiger sich nicht zu scheuen, von dem durch das Protokoll 'geschaffenen' unverrückbaren Tatbestand als 'Wahrheit' auszugehen"). In der Literatur wird sogar postuliert, dass das "Recht der Verteidigung zur 'unwahren Verfahrensrüge' – sakrosankt" sei (Docke/v. Döllen/[X.] StV 1999, 583, 585), sogar die "Pflicht zur Lüge" bestehe (vgl. [X.] [X.], 181, 185; [X.], 521, 522; in vergleichbarem Sinne auch [X.], Die Revision in Strafsachen 6. Aufl. [X.]. 292 ff.). 51 [X.]) All dies widerstreitet diametral den Vorstellungen, von denen der [X.] in seiner Entscheidung zur Unzulässigkeit der Protokollrüge ([X.]St 7, 162) ausgegangen ist. Hier ist ausgeführt, das Erfordernis der be-stimmten Behauptung eines Verfahrensfehlers führe dazu, dass der Verteidiger - unbeschadet der Frage der Standeswidrigkeit seines Verhaltens - jedenfalls "vor seinem Gewissen und nach außen hin die Verantwortung für die Geltend-machung eines jeden [X.] übernehmen" muss, "indem er ihn ernstlich behauptet und nicht etwa nur darauf hinweist, daß er sich aus der [X.] ergebe"; dieses Erfordernis solle "einem Mißbrauch rein formaler Möglichkeiten entgegenwirken" ([X.] aaO 164; hierzu [X.], Rechtsmißbrauch im Strafprozeß 2004 S. 665 f.; Tepperwien in [X.] für [X.], 599). 52 Die veränderte Einstellung auf Seiten der Strafverteidiger hat [X.], dass sich die mit der Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Protokollrüge 53 - 21 - verknüpfte Hoffnung nicht erfüllt hat, auf diese Weise - insbesondere durch den Appell an das Gewissen des die Revision begründenden Verteidigers - bewusst unwahre Verfahrensrügen zu verhindern. Vielmehr hat diese Rechtsprechung den Rat nach sich gezogen, Unwahres ohne weiteres als tatsächlich geschehen zu behaupten; denn die Vorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] schließe "je-den [X.] oder Formelkompromiß in der Revisionsbegründung aus, zu dem zart besaitete Strafverteidiger - falls es solche gibt - sich durch ihr Ge-wissen gedrängt sehen könnten. Die Revisionsgerichte ahnden derartige Relik-te von Wahrheitsliebe (gemeint: angedeutete Distanzierung vom [X.]) mit unnachsichtiger Strenge" ([X.] [X.], 181, 185). Die Änderung des anwaltlichen Ethos ist ein weiteres Argument für die Änderung der Rechtsprechung. 54 b) Die prozessuale Wirksamkeit auch einer bewusst unwahren Verfah-rensrüge wurde von der Rechtsprechung trotz erkennbaren Unbehagens und geäußerter Zweifel bis vor kurzem nie verneint (vgl. [X.]St 7, 162, 164; [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 21; 22; 24; 27; [X.] NJW 2001, 3794, 3796; [X.], 1; [X.] 1, 277, 282; [X.] 2004, 329, 334; [X.], 335, 337; Tepperwien in [X.] für [X.]). Erst in neuerer [X.] hat der 3. Strafsenat des [X.] die nachgewiesenermaßen wahrheitswid-rige Behauptung eines Verfahrensfehlers unter Berufung auf das insoweit feh-lerhafte Protokoll dann als rechtsmissbräuchlich missbilligt, wenn der [X.] - im Fall der Angeklagtenrevision (auch) der Verteidiger in der Revisionsinstanz - sicher weiß, dass sich der Fehler nicht ereignet hat, und zwar auch dann, wenn er Kenntnis erst im Laufe des Revisionsverfahrens erhält ([X.]St 51, 88 = NJW 2006, 3579 [X.] [X.], 36, [X.] 2007, 34, [X.] 2007, 6, [X.] JuS 2007, 91, [X.]/[X.] StV 2007, 152 und [X.] NJW 2006, 3587). Der solchermaßen rügevernichtende 55 - 22 - Missbrauch prozessualer Rechte ist allerdings regelmäßig nicht leicht nach-weisbar ([X.] NJW 2006, 3579, 3582). 56 5. Eine Änderung der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümme-rung begegnet zudem der Tendenz zur Ausweitung der Rechtsprechung zu [X.] (ebenso [X.]R [X.] § 274 Beweiskraft 29). Diese Rechtsprechung (vgl. [X.] NJW 2001, 3794; [X.], 546) geht mittlerweile sehr weit; ihr fehlen - jedenfalls in Grenzfällen - hinreichend klare und verlässliche Konturen. Diese Tendenz ist gerade vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Folgen der relativen Unbeachtlichkeit der Protokollberichtigung als nicht mehr tragbar empfunden werden. In der Literatur wird hierzu vorge-bracht, die Senate suchten in Grenzfällen geradezu nach Möglichkeiten der Durchbrechung der formellen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift ([X.] 2004, 329, 330; [X.], 335, 338, 340; krit. auch Docke/v. Döllen/[X.] StV 1999, 583 f.; [X.] NJW-Spezial 2006, 567; [X.], 300 f.). 6. Eine Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt geboten, dass auf diese Weise die Tatgerichte zum Einhal-ten der Vorschriften über die Protokollführung anzuhalten wären (so aber [X.]St 2, 125, 127; [X.] 1, 277, 281; [X.]/[X.] 2006, 166 f.; [X.] 1997, 471, 474; [X.], 335, 342; ders. [X.], 257, 259). Die Tragfähigkeit einer solchen Argumentation ist schon bislang [X.]; denn gerade ein Protokoll, das offensichtlich unsorgfältig geführt ist, ver-liert von vorneherein jede Beweiswirkung und die Revisionsgerichte klären im Freibeweisverfahren, ob ein Verfahrensfehler vorliegt. Im Ergebnis wird bislang gerade derjenige "Tatrichter, der das [X.] nachlässig führt, – prämiert" ([X.], 300, 301). 57 - 23 - 7. Die Berichtigung setzt bei den [X.] sichere Erinnerung voraus (vgl. nur [X.] in Löwe/[X.], [X.]. § 271 [X.]. 47 ff. m.w.[X.]). Fehlt es hieran, kann das Protokoll nicht (mehr) berichtigt werden. Ein Argument gegen die umfassende Berücksichtigung einer Berichtigung durch das Revisionsgericht ist die Erfahrung nachlassender Erinnerung grundsätzlich nicht. Dass die [X.] unbewusst [X.] mit "Erfah-rungswissen" ausfüllen ([X.]/[X.] 2006, 166, 167; vgl. auch [X.]St 2, 125, 128 f.; [X.] 1, 277, 281; Park [X.], 257, 259), liegt gerade bei den in der Literatur für problematisch erachteten Fällen, in denen es um den sachli-chen Inhalt nicht regelmäßiger Prozesshandlungen (etwa bei Hinweisen nach § 265 [X.]) geht (vgl. [X.]/[X.] aaO 167 ff.), fern. Häufig kann eine [X.] auch auf andere Unterlagen als Erinnerungsstütze zurückgreifen, wie in dem der Vorlegung zugrunde liegenden Fall die Urkundsbeamtin auf die unmittelbar während der Verhandlung getätigten Aufzeichnungen, die [X.] waren; oftmals beruhen Protokollmängel auf derar-tigen Übertragungsfehlern. Schließlich stammt der Hinweis auf das nachlas-sende Erinnerungsvermögen aus einer [X.], als es die Vorschrift über die [X.] (§ 275 Abs. 1 [X.]), die insgesamt regelmäßig zu einer zeitlichen Straffung des Verfahrens nach der Hauptverhandlung geführt haben, noch nicht gab. 58 Das Argument, dass dem berichtigten Protokoll schon deshalb ein tat-sächlich geringerer Beweiswert zukomme, weil sich die [X.] zuvor übereinstimmend geirrt haben müssten (vgl. Tepperwien in [X.] für Meyer-Goß-ner S. 595, 605), hält der [X.] nicht für durchgreifend. Dass beide [X.] bei der Anfertigung des ursprünglichen Protokolls nicht [X.] genug waren, wird nämlich dadurch ausgeglichen, dass besonders [X.] Anforderungen an die Sorgfalt bei der Berichtigung gestellt werden. Ein übereinstimmender Irrtum im Sinne einer gemeinsamen Fehlvorstellung der [X.] - 24 - kundspersonen liegt nach aller forensischer Erfahrung ohnehin nicht vor. Dies würde voraussetzen, dass die [X.] über die Einzelheiten des [X.] und dessen - fehlende - Beurkundung gleich reflektiert hätten. So spricht etwa in dem der Vorlegung zugrunde liegenden Fall nichts dafür, dass der Vorsitzende und die Protokollführerin zunächst bei der [X.] noch übereinstimmend davon überzeugt waren, der Vertreter der [X.] habe den [X.] nicht verlesen. V[X.] Zusätzliche Gewähr für die Richtigkeit der nachträglichen Änderung der Sitzungsniederschrift bietet eine rechtlich verbindliche Form der Protokollberich-tigung, die zu einer im Revisionsverfahren überprüfbaren Entscheidungsgrund-lage führt. Dies sichert die Effektivität des Rechtsmittels der Revision (vgl. [X.]/[X.] 2006, 166, 169) und trägt im Fall der Angeklagtenrevision dessen verfassungsrechtlich verbürgtem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) Rechnung. Lässt sich jedoch zuverlässig ausschließen, dass sich die [X.] an ein der Verfahrenswirklichkeit nicht [X.] irrtümlich vermeintlich sicher erinnern, so haben die Argumente, welche das Verbot der Rügeverkümmerung mit dem Schutz des Beschwerdeführers bzw. der prozessualen Waffengleichheit begründen (vgl. [X.], 290, 291; Tepperwien aaO 604), kein Gewicht. 60 1. In Fällen der vorliegenden Art ist zur Sicherung der Effektivität des Rechtsmittels bei der Protokollberichtigung folgendes Verfahren einzuhalten: 61 Wie bereits dargelegt ([X.]), setzt die Berichtigung sichere Erinnerung bei den [X.] voraus. Die Absicht der Berichtigung ist dem [X.] - im Fall einer Angeklagtenrevision zumindest dem [X.] - zusammen mit dienstlichen Erklärungen der [X.] mitzuteilen. Diese Erklärungen haben die für die Berichtigung tragenden Erwägungen zu 62 - 25 - enthalten, etwa indem sie auf markante Besonderheiten des Falls eingehen, wie hier etwa darauf, dass die Verlesung der rechtlichen Würdigung des [X.] zu Unmutsäußerungen der Zuhörer führte. Daneben sollten gegebe-nenfalls während der Hauptverhandlung getätigte Aufzeichnungen, welche den Protokollfehler belegen, in Abschrift übermittelt werden. Dem Beschwerdeführer ist innerhalb angemessener Frist rechtliches Gehör zu gewähren. Widerspricht der Beschwerdeführer daraufhin der beabsichtigten Proto-kollberichtigung substantiiert, indem er im Einzelnen darlegt, aus welchen Gründen er im Gegensatz zu den [X.] sicher ist, dass das [X.] gefertigte Protokoll richtig ist, so sind erforderlichenfalls weitere dienstli-che Erklärungen und Stellungnahmen der übrigen Verfahrensbeteiligten einzu-holen. Auch hierzu ist dem Beschwerdeführer eine angemessene Frist zur Stel-lungnahme zu gewähren. Halten die [X.] die Niederschrift weiter-hin für inhaltlich unrichtig, so haben sie diese gleichwohl zu berichtigen. In [X.] ist ihre Entscheidung über die Protokollberichtigung - dies ergibt sich bereits aus allgemeinen Rechtsgedanken (vgl. § 34 [X.]) - mit Gründen zu versehen. Darin sind die Tatsachen anzugeben, welche die Erinnerung der [X.] belegen. Ferner ist auf das Vorbringen des Beschwerdeführers und gegebenenfalls abweichende Erklärungen der übrigen Verfahrensbeteilig-ten einzugehen. 63 2. Eine erneute Zustellung des Urteils nach Berichtigung der Sitzungs-niederschrift ist nicht erforderlich. Nach § 273 Abs. 4 [X.] setzt eine wirksame Zustellung einzig voraus, dass die Niederschrift fertig gestellt ist. Die Fertigstel-lung erfolgt zu dem [X.]punkt, zu dem die letzte der beiden erforderlichen Un-terschriften geleistet wurde (§ 271 Abs. 1 [X.]), selbst wenn die Niederschrift sachlich oder formell fehlerhaft ist oder Lücken aufweist (vgl. [X.] in KK-[X.] 5. Aufl. § 271 [X.]. 8; [X.] in Löwe/[X.], [X.]. § 271 [X.]. 31, § 273 [X.]. 56). Spätere Berichtigungen derartiger Mängel [X.] - 26 - rühren den [X.]punkt der Fertigstellung nicht mehr (vgl. [X.] aaO). Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des [X.]. In seinem Vertrauen, eine bestimmte Verfahrensrüge werde erfolgreich sein, wird der Beschwerdeführer auch sonst nicht geschützt. 65 3. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung unterliegen im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht. Tragen sie die Berichtigung, so ist das berichtigte Protokoll zugrunde zu legen. Allerdings kommt dem berichtigten Teil des Protokolls nicht die formelle [X.] des § 274 [X.] zu. Nur so ist das Revisionsgericht in der Lage, zum Schutz der Beschwerdeführer die rügevernichtende Protokollberichtigung zu überprüfen. Verbleiben dem Revisionsgericht Zweifel, ob die Berichtigung zu Recht erfolgt ist, kann es den Sachverhalt im Freibeweisverfahren weiter aufklä-ren. Insoweit gelten die Grundsätze, die schon bisher für eine ursprünglich of-fensichtlich mangelhafte Sitzungsniederschrift zur Anwendung kamen. [X.] dem Revisionsgericht auch nach seiner Überprüfung Zweifel an der Rich-tigkeit des berichtigten Protokolls, hat es seiner Entscheidung das Protokoll in der ursprünglichen Fassung zugrunde zu legen. [X.] [X.] [X.] [X.] Häger [X.] Wahl Bode [X.] [X.] [X.]

Meta

GSSt 1/06

23.04.2007

Bundesgerichtshof Großer Senat für Strafsachen

Sachgebiet: False

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 23.04.2007, Az. GSSt 1/06 (REWIS RS 2007, 4171)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 4171

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