Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.12.2006, Az. 4 StR 419/06

4. Strafsenat | REWIS RS 2006, 220

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 419/06 vom 14. Dezember 2006 in der Strafsache gegen wegen Totschlags - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 14. Dezember 2006, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], die [X.] am [X.] Maatz, [X.], [X.], die [X.]in am [X.] [X.]als beisitzende [X.], Staatsanwalt als Vertreter der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des [X.] vom 5. April 2006 werden verworfen. 2. Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Von Rechts wegen Gründe: [X.] Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren Revisionen. Der Angeklagte rügt allgemein die Verletzung materiellen Rechts. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Sachrüge gestützten Revi-sion beanstandet die Staatsanwaltschaft in erster Linie die Verneinung des [X.] der niedrigen Beweggründe durch das [X.]. Die Neben-klägerin wendet sich mit ihrem Rechtsmittel, mit welchem sie die Verletzung materiellen Rechts rügt, ebenfalls gegen die Verurteilung des Angeklagten [X.] wegen Totschlags. Sie vertritt die Auffassung, dass der Angeklagte des Mordes aus niedrigen Beweggründen, hilfsweise tateinheitlich zum Totschlag des versuchten [X.], begangen durch Unterlassen, hätte schuldig gesprochen werden müssen. Sämtliche Revisionen erweisen sich als unbegründet. 1 - 4 - I[X.] Das [X.] hat festgestellt: 2 Der Angeklagte war mit der Nebenklägerin verheiratet. Aus der Ehe sind zwei Söhne hervorgegangen, der am 10. April 2003 geborene [X.] und das spätere am 23. April 2005 geborene Tatopfer [X.]. Nach der [X.] des zweiten Kindes verschlechterte sich aufgrund von Arbeitsüberlastung und sich zuspitzender finanzieller Probleme das Verhältnis des Angeklagten zu seiner Ehefrau. Auch im Verhältnis zu seinen Kindern reagierte der Angeklagte zusehends gereizter und aggressiver. Bei den ihm häufig von seiner Ehefrau im Zusammenhang mit der Pflege von [X.] übertragenen Aufgaben, etwa beim Ankleiden oder Windelwechseln, ging er sehr ungeduldig und grob, in zwei [X.] sogar mit [X.] vor, dass das Kind erheblich verletzt wurde. In einem Fall, hatte er, als der Säugling beim Ankleiden strampelte, des-sen linken Arm so fest gepackt und durch den Ärmel des Kleidungsstücks [X.], dass das Kind einen Bruch des Oberarms erlitt. Bei einem weiteren [X.] trug das strampelnde Kind durch einen heftigen Griff des Angeklagten beim Wickeln eine Spiralfraktur des rechten Oberschenkelknochens davon. Diese Vorfälle sind nicht Verfahrensgegenstand. 3 Am Tattag, den 9. Juli 2005, verließ die Nebenklägerin gegen 9 Uhr mor-gens die eheliche Wohnung zu einem Einkaufsbummel. Die Bitte des Angeklag-ten, [X.] oder wenigstens den älteren Sohn [X.] mitzunehmen, hatte sie zuvor abgelehnt. Hierüber war der Angeklagte verärgert, da er bereits am Vortag so-wie bei mehreren Gelegenheiten zuvor allein die Pflege und Aufsicht über die Kinder wahrgenommen hatte, während seine Ehefrau Freizeitaktivitäten nach-gegangen war. Im Verlauf des Morgens begann [X.] zu quengeln und zu schreien. Der Angeklagte war "genervt"; er versuchte zunächst das Kind durch 4 - 5 - Herumtragen und Schaukeln in seinem Kindersitz zu beruhigen. Weder durch anschließendes Füttern noch Wickeln gelang es ihm jedoch, das Kind vollstän-dig ruhig zu stellen. Durch das fortwährende Schreien seines [X.] wurde der Angeklagte immer ungeduldiger und gereizter. Hinzu kam, dass er auch den älteren Sohn [X.] zu beaufsichtigen hatte. Schließlich war der Angeklagte bereit, körperliche Gewalt anzuwenden, um [X.] zum Schweigen zu bringen. Zunächst schüttelte er den Säugling so heftig, dass hierdurch Einblutungen in dessen Augen hervorgerufen wurden. Als das Kind daraufhin weiter schrie, schlug ihm der Angeklagte mit der Hand mehrfach mit derart roher Gewalt auf das mit einer Windel bedeckte Gesäß, dass ein großflächiges Hämatom ent-stand. Da [X.] heftig weiter schrie, geriet der Angeklagte in eine derart aggres-sive, gereizte und ungeduldige Stimmung, dass ihm jedes Mittel recht war, um endlich Ruhe zu bekommen. Er führte - wovon das [X.] zu seinen Gunsten ausgegangen ist - den Kindersitz, in dem das Kind unangeschnallt saß, mit einem wuchtigen Schlag gegen einen Heizkörper, so dass [X.] aus dem Sitz heraus mit dem Kopf gegen den Heizkörper geschleudert wurde. Dem Angeklagten war hierbei bewusst, dass eine solche massive Gewalteinwirkung auch tödliche Verletzungen des erst zehn Wochen alten Kindes zur Folge ha-ben konnte. Er nahm dies jedoch in Kauf, um den Säugling endlich zur Ruhe zu bringen. [X.] erlitt infolge des Aufpralls eine Fraktur des linken [X.] und verlor das Bewusstsein. Gegenüber seiner unmittelbar danach zurückkeh-renden Ehefrau versuchte der Angeklagte den Zustand des Kindes zu verheim-lichen. Diese bemerkte jedoch eine Beule am Kopf des Kindes und brachte es umgehend in eine Kinderklinik. Noch in der folgenden Nacht verstarb [X.] an den schweren Hirnverletzungen, die er durch den Aufprall auf den Heizkörper erlitten hatte. Zu den Beweggründen der Tat hat das [X.] ausgeführt, mitur-sächlich für die Tat sei die Verärgerung des Angeklagten gegenüber seiner 5 - 6 - Ehefrau gewesen, die ihn zum Tatzeitpunkt nahezu zwei Tage mit den Kindern allein gelassen hatte, um ihren eigenen Interessen nachzugehen. Diese [X.] sei zum Zeitpunkt der Tathandlung jedoch bereits in den Hintergrund gerückt. [X.] und unmittelbar tatauslösendes Motiv sei die Verärge-rung und Gereiztheit des Angeklagten über das ständige Schreien des Kindes gewesen. Der ohnehin gegenüber seinen Kindern ungeduldige und leicht [X.] Angeklagte habe nur noch das Ziel gehabt, Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben. Diese Annahme werde durch die Einlassung des Angeklagten gestützt, der von einem ständigen "Plärren" des Kindes sowie seiner sich [X.] immer weiter steigender Gereiztheit berichtet habe. Auch der den Ange-klagten noch am Tattag vernehmende Polizeibeamte habe bekundet, nach sei-nem Eindruck habe der Angeklagte aufgrund des ständigen Schreiens des [X.] die Nerven verloren und nur noch gewollt, dass dieses ruhig sei. II[X.] [X.] und der Nebenklägerin: 6 1. Die Beweiswürdigung des [X.]s zu den Beweggründen der Tat und zur Annahme eines (lediglich) bedingten Tötungsvorsatzes lässt [X.] nicht erkennen. Die hiergegen gerichteten [X.] stellen weitge-hend den revisionsrechtlich unbeachtlichen Versuch dar, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch die eigene zu ersetzen (zur eingeschränkten revisions-rechtlichen Überprüfbarkeit tatrichterlicher Beweiswürdigung vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 und Überzeugungsbildung 33 m.w.N.). 7 2. Das [X.] hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei das Vorliegen des [X.] der niedrigen Beweggründe verneint. 8 - 7 - a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe der Tat "niedrig" sind und - in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag - als verachtens-wert erscheinen, hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inne-ren für die Handlungsantriebe des [X.] maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 35, 116, 127; 47, 128, 130). Gefühlsregungen wie Wut, Ärger, Hass und Rache kommen dabei in der Regel nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen be-ruhen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 36, 45 und 46 jew. m.w.N.). Beim Vorliegen eines Motivbündels beruht die vorsätzliche Tötung auf niedrigen Beweggründen, wenn das Hauptmotiv, welches der Tat ihr Gepräge gibt, nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb verwerflich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweg-gründe 20; [X.], 338, 340 m.w.N.). 9 b) Das [X.] hat bei seiner Entscheidung diese Grundsätze im Blick gehabt. Es hat sich im Ergebnis nicht davon zu überzeugen vermocht, dass der maßgebliche Beweggrund des Angeklagten für die Tatbegehung, nämlich seine Verärgerung über das ständige Weinen des Kindes verbunden mit dem Bestreben "Ruhe vor dem schreienden Kind zu haben", Ausdruck einer niedrigen, besonders verachtenswerten Gesinnung des Angeklagten war. [X.] war für das [X.] leitend, dass der Angeklagte nahezu zwei Tage mit der Aufsicht und Pflege beider Kinder befasst gewesen war, er vor der Tat mehrfach versucht hatte, [X.] mit angemessenen Mitteln, etwa durch Wickeln und Füttern, ruhig zu stellen und das Kind gleichwohl immer wieder, zuletzt [X.] weiter geschrieen hatte. Ersichtlich hat es damit darauf abgestellt, dass der ohnehin leicht reizbare Angeklagte in dieser Situation nervlich überfor-dert war und es deshalb - und nicht aus einer auf tiefster Stufe stehenden, ver-werflichen Gesinnung heraus - zu einem [X.] und der [X.] kam (vgl. hierzu BGHR StGB § 211 Abs. 2 10 - 8 - Niedrige Beweggründe 1, 31). Dies hält sich im Rahmen des tatrichterlichen [X.] (vgl. [X.], 79, 80; [X.], 338, 340) und ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. 3. Vergebens rügt die Nebenklage, das [X.] habe es jedenfalls rechtsfehlerhaft unterlassen, den Angeklagten im Hinblick auf sein Nachtatver-halten wegen eines tateinheitlich durch Unterlassen begangenen versuchten [X.] zu verurteilen. Hat der Täter das Tatopfer - wie hier - mit (bedingtem) Tötungsvorsatz misshandelt und unterlässt er es anschließend, zur Verdeckung dieses Geschehens Maßnahmen zur Rettung des zunächst über-lebenden Opfers einzuleiten, so ist eine Strafbarkeit wegen Verdeckungsmor-des durch Unterlassen schon deshalb nicht gegeben, weil es an einer für das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht "anderen" Straftat fehlt (vgl. Senat, NStZ 2003, 312). Dies gilt selbst dann, wenn - wovon hier nach den getroffenen Fest-stellungen nicht auszugehen ist - zwischen dem Handlungs- und Unterlas-sensteil eine zeitliche Zäsur liegt (Senat aaO). 11 - 9 - Die Revision des Angeklagten: 12 Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten allgemein erhobenen Sachrüge hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch einen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. 13 Tepperwien Maatz [X.] Ernemann Sost-Scheible

Meta

4 StR 419/06

14.12.2006

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.12.2006, Az. 4 StR 419/06 (REWIS RS 2006, 220)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2006, 220

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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