Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2012, Az. 4 StR 62/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6115

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
4
StR
62/12

vom
24. Mai
2012
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.]s hat in der Sitzung vom 24.
Mai 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender [X.] am [X.]
Dr. [X.],

[X.]in am [X.]
Roggenbuck,
[X.] am [X.]
Prof. [X.],
[X.],
Dr. Quentin

als beisitzende [X.],

Bundesanwältin Schübel

als Vertreterin
der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,
Rechtsanwältin

als Nebenklägervertreterin
für

E.

,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts Bielefeld vom 7.
Oktober 2011 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstande-nen notwendigen Auslagen zu tragen.
2.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das
vorbe-zeichnete Urteil

mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen

aufgehoben,
a)
soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt wurde und
b)
im Gesamtstrafenausspruch.
3.
Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft wird verworfen.
4.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständi-ge [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen
-
4
-
Gründe:
I.
Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen [X.] eines Kindes und Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14
Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil erheben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft die allgemeine Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft erstrebt eine Verurteilung wegen Mordes sowie wegen tateinheitlich begangenen sexu-ellen Missbrauchs eines Kindes mit Todesfolge. Ihr Rechtsmittel wird vom Ge-neralbundesanwalt vertreten, soweit die Verurteilung des Angeklagten wegen Totschlags angegriffen ist. In diesem Umfang hat es Erfolg.
II.
1.
Die [X.] hat Folgendes festgestellt:
Der nicht vorbestrafte, zum Zeitpunkt der Tat 25
Jahre alte Angeklagte lebte seit Anfang Dezember 2010 mit der Nebenklägerin, der Zeugin

E.

, sowie deren am 1.
Oktober 2010 geborenen, aus einer anderen Bezie-
hung stammenden Tochter A.

E.

, dem Opfer der vorliegenden Straf-
tat,
zusammen. Am Abend des 24.
Februar 2011 begab sich die Nebenklägerin mit einer Freundin in eine Diskothek, der Angeklagte, der dies nicht vollumfäng-lich akzeptierte, aber dennoch keinerlei Einwände dagegen erhob, verblieb mit A.

in seiner Wohnung. Im Laufe des Abends trank der Angeklagte un-

Uhr fütterte er den ru-hig auf dem Sofa liegenden Säugling. Der Angeklagte sah fern und spielte am 1
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-
PC. Um 0.15
Uhr sandte er der Zeugin E.

l-gezeit zog der Angeklagte A.

bis auf den Body und die Strumpfhose
aus. Das Kind lag mit dem Rücken auf der Couch und sah an die Zimmerdecke. Mit [X.] am Fuß und Handbewegungen vor den Augen testete der [X.], ob es
reagierte.
Als das nicht der Fall war, entschied er sich, das Kind sexuell zu miss-brauchen. Er biss A.

zunächst an der Innenseite des rechten Ober-
schenkels in das Bein, nachdem er dieses entsprechend gedreht hatte. Sodann kniete er sich auf den Boden vor die Couch unmittelbar vor dem dort auf dem Rücken liegenden Säugling. Dann öffnete er seine Hose und manipulierte mit der linken Hand an seinem entblößten Glied. Anschließend nahm er Zeige-, Mittel-
und Ringfinger seiner linken Hand

eventuell auch einen anderen glat-ten Gegenstand von 4-5 cm Durchmesser oder seinen Penis

und steckte sie an der Windel vorbei in den After von A.

, um diesen zu weiten. Mehr-
mals

etwa 5 Minuten lang

wiederholte er diese Handlungen: Manipulieren an seinem Penis mit der linken Hand und Einführen der Finger, des Penis oder eines Gegenstandes mindestens 6
cm tief in den After des Säuglings. Dabei hatte er schließlich zumindest eine Erektion mit der Folge, dass Ejakulat in den Analbereich des Kindes gelangte. A.

begann nun aufgrund der ihr zu-
gefügten Schmerzen laut zu weinen. Der Angeklagte versuchte das Kind zu beruhigen, indem er ihm Tee gab. Dies gelang ihm jedoch nicht; vielmehr [X.] A.

den zuvor gegessenen Brei.
Es war inzwischen etwa 0.30
Uhr. A.

ließ sich nicht mehr beru-
higen und schrie weiter. Ob dies das Motiv für die weiteren Handlungen des Angeklagten war oder er noch weitere oder andere Beweggründe hatte, konnte 4
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die Kammer nicht klären. Jedenfalls schüttelte der Angeklagte
den Säugling nunmehr so heftig, dass der Kopf [X.] zur Seite flog. Zudem gab er A.

mehrere [X.] und schlug ihr so stark gegen den
Bauchraum, dass [X.] und Leber einrissen. Er nahm das Kind dann auf und setzte sich auf die Couch, wobei er noch mit dem Hinterkopf des Säuglings ge-gen die Kante des vor der Couch stehenden Tisches stieß. Bei dem Schütteln und den Schlägen nahm er den Tod des Säuglings zumindest billigend in Kauf.
Aufgrund der zugefügten Misshandlungen war A.

leblos.
Um
0.46
Uhr setzte der Angeklagte einen Notruf ab. Um 0.59
Uhr traf der Notarzt in der Wohnung des Angeklagten ein und veranlasste die Einlieferung des bereits komatösen Kindes in das [X.], wo um 3.45
Uhr sein Tod fest-gestellt wurde. Todesursache war ein zentrales [X.] bei schwerem Hirnödem, das auf mehrfache stumpfe Gewalteinwirkungen gegen Kopf und Bauch zurückzuführen war.
Die Einsichts-
und/oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war bei Begehung der Tat weder aufgehoben noch erheblich vermindert im Sinne der §§
20, 21 StGB.
Bei der Auswertung der Festplatte des [X.] des Angeklagten wurden fünf kinderpornografische Dateien sichergestellt, die
Bilder enthalten, auf
denen ein unbekleidetes Kind sexuelle Handlungen an sich duldet bzw. an einem eben-falls nackten Erwachsenen vornimmt.
2.
Das [X.] hat das Mordmerkmal der [X.] ge-prüft und verneint. Anhaltspunkte für das Vorliegen anderer Mordmerkmale hat es nicht gesehen.
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-
7
-
III.
Die Revision des Angeklagten ist
zu verwerfen. Die Überprüfung des
Urteils aufgrund der erhobenen allgemeinen Sachrüge hat keinen den [X.] Rechtsfehler ergeben.
IV.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft ist
das Urteil aufzuheben, soweit der Angeklagte wegen Totschlags verurteilt wurde. Die Revision beanstandet zu Recht, dass die [X.] das Mordmerkmal einer Tötung aus niedrigen Beweggründen nicht geprüft hat.
Das weiter gehende Rechtsmittel erweist sich als unbegründet.
1.
Entgegen der Auffassung der Revision begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass das [X.] den Angeklagten nicht auch wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge (§
176b StGB) verurteilt hat. In dem Tod des Kindes hat sich nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht die tatbestandsspezifische Gefahr des sexuellen Missbrauchs verwirklicht. Der Angeklagte hat den Entschluss zur Tötung des Kindes erst gefasst, nach-dem er die sexuellen Handlungen an dem Kind vorgenommen hatte. Der Gene-ralbundesanwalt weist zu Recht darauf hin, dass den sexuellen Handlungen auch nicht das Risiko eines tödlichen Ausgangs anhaftete, das sich im Eintritt des Todes verwirklicht hätte (vgl. [X.], Urteil vom 11.
Februar 1999

4
StR
647/98, [X.], 373, 374).

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2.
Ebenso wenig ist es rechtlich zu beanstanden, dass das [X.] das Mordmerkmal der [X.] verneint hat. Das [X.] hat dabei vor allem darauf abgestellt, unter den festgestellten Umständen habe der Angeklagte keine Veranlassung gehabt, davon auszugehen, dass der sexuelle Missbrauch bekannt werden könnte.
Diese Wertung der [X.] beruht auf einer tragfähigen [X.]. Denn nach den Ausführungen der rechtsmedizinischen Sachver-ständigen waren die äußeren Verletzungen am After des Säuglings minimal und wären wahrscheinlich niemandem aufgefallen. Außerdem musste der Ange-klagte nicht davon ausgehen, dass die Nebenklägerin hinsichtlich der Betreu-ung ihres Kindes durch den Angeklagten besonders skeptisch sein würde, da es
insoweit
bis zu der Tat von ihrer Seite keinerlei Beanstandungen gegeben hatte. Vor diesem Hintergrund hätte
es etwa für die Zeugin E.

auch aus
Sicht des Angeklagten

keine zwingenden Rückschlüsse auf das [X.] zugelassen, wenn A.

bei ihrer Rückkehr noch geweint hätte.
Mit ihren davon abweichenden eigenen Schlussfolgerungen kann die Revision nicht gehört werden.
3.
Die Revision rügt jedoch zu Recht, dass das [X.]
eine Tötung aus niedrigen Beweggründen im Sinne des §
211 Abs.
2 StGB nicht erkennbar geprüft hat. Hierzu bestand jedoch nach den Feststellungen Anlass. Dem ent-sprechend waren Ausführungen dazu in den Urteilsgründen erforderlich, um dem Revisionsgericht die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils zu ermög-lichen.

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-
a)
Ein Beweggrund ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundes-gerichtshofs niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist; ob dies der Fall ist, [X.] sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche alle äußeren und inneren für die [X.]e des [X.] maßgeblichen Faktoren einschließt ([X.], Urteile vom 2.
Dezember 1987

2
StR
559/87, [X.]St 35, 116, 126
f.;
vom 19.
Oktober 2001

2
StR
259/01, 47, 128,
130
mwN).
An dieser Gesamtwürdigung fehlt es hier. Das [X.]
hätte vor [X.] berücksichtigen müssen, dass
sich nach den Feststellungen

worauf der Generalbundesanwalt
zu Recht hinweist

der bedingte Tötungsvorsatz als Fortsetzung der im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch begangenen Körperverletzung darstellt. Der Angeklagte hat das laute Schreien und Weinen des Kindes, das zumindest auch Auslöser für die Tötung war, durch dessen brutale Misshandlung selbst verursacht. Denn das Kind hatte vor dem sexuellen Missbrauch ruhig auf dem Sofa gelegen und begann nur deshalb zu schreien und konnte nicht mehr beruhigt werden, weil der Angeklagte ihm im [X.] mit der analen Penetration erhebliche Schmerzen zugefügt hatte. In dieser Situation schüttelte der Angeklagte das
Kind so heftig, dass sein Kopf [X.] zur Seite flog, versetzte ihm mehrere [X.] und schlug ihm so stark gegen den Bauchraum, dass [X.] und Leber
einrissen.
Mit Rücksicht auf diese Feststellungen hätte das [X.] im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung den schweren sexuellen
Missbrauch des Kindes zu dem sich in kurzem zeitlichen Abstand anschließenden, zu seinem Tode führenden Gewaltexzess in Bezug setzen und erörtern müssen, ob und inwieweit sich hieraus Rückschlüsse auf
die bei der Tötung wirksamen [X.] des Angeklagten ziehen lassen. So lag es zumindest nahe und 17
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-
10
-
hätte vom [X.] in den Blick genommen werden müssen, dass der Ange-klagte durch die zum Tod führenden massiven Gewalthandlungen die von ihm selbst verursachten Schmerzensschreie des Kindes beenden wollte.
Der [X.] nimmt bei Tötungen aus nichtigem, nicht nach-vollziehbarem
Anlass

etwa aus Wut und Verärgerung

besonders verwerf-liche Tötungsmotive im Sinne von §
211 Abs.
2 StGB an, wenn die zugrunde liegenden Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen ([X.], Urteil vom 1.
Oktober 2005

1
StR
195/05, [X.], 284, 285
mwN; Urteil vom 19.
Oktober 2011

1
StR
273/11). Erst recht muss diese Wertung regelmäßig gelten, wenn der Täter den äußeren Impuls, der sein zur Tötung des Opfers führendes Handeln ausgelöst hat, durch vorangegangenes Verhal-ten selbst herbeigeführt hat. Selbst wenn der Angeklagte das Kind allein des-halb getötet haben sollte, weil es nicht aufhörte zu schreien und er es durch vor dem Hintergrund, dass er selbst durch den sexuellen Missbrauch für die Schmerzensschreie die Ursache gesetzt hatte, auf einen nach allgemeiner sitt-licher Wertung auf tiefster Stufe stehenden und deshalb besonders verach-tenswerten [X.] hindeuten. Insoweit ist der vorliegende Sachver-halt nicht mit Fällen des zum Tode führenden [X.] von Kleinkindern ver-gleichbar, in denen der Täter handelt, weil er sich mit der Versorgung des Säuglings nervlich überfordert fühlt (vgl. [X.], Urteil vom 14.
Dezember 2006

4
StR
419/06,
NStZ-RR 2007, 111). Dies gilt hier auch deshalb, weil der An-geklagte über das Schütteln des Kindes hinaus weitere massive Gewalthand-lungen begangen hat.
b)
Da das [X.]
das mögliche Vorliegen niedriger Beweggründe nicht erörtert hat, ist die Verurteilung wegen Totschlags aufzuheben. Die Fest-20
21
-
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-
stellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben, da sie rechts-fehlerfrei getroffen wurden. Der neue Tatrichter kann ergänzende, dazu nicht im Widerspruch stehende
Feststellungen treffen; die subjektive Tatseite ist ohne-hin neu festzustellen. Die bisherigen Feststellungen zum Tötungsvorsatz und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten lassen keinen Rechtsfehler erkennen.
c)
Die teilweise Aufhebung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
[X.]
Roggenbuck
Schmitt

[X.]
Quentin
22

Meta

4 StR 62/12

24.05.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.05.2012, Az. 4 StR 62/12 (REWIS RS 2012, 6115)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6115

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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