Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.08.2017, Az. III ZR 574/16

III. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 6163

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:240817UIIIZR574.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
III ZR 574/16

Verkündet am:

24. August 2017

K i e f e r

Justizangestellter

als Urkundsbeamter

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja

Verwurzelung von Abwasserkanälen
BGB § 823 Abs. 1 Dc, [X.], § 254 Abs. 1 Da
a)
Ob und in welchem Umfang ein Grundstückseigentümer im Rahmen seiner [X.] für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum Kontroll-
und Überprüfungsmaßnahmen wegen einer möglichen Verwurzelung eines [X.] durchführen muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei sind die räumliche Nähe des Baums und seiner Wurzeln zu der Abwasser-anlage sowie Art beziehungsweise Gattung, Alter und Wurzelsystem des Baums zu berücksichtigen.
b)
Ohne sich hiernach ergebende Hinweise auf eine Verwurzelung der Kanalisation ist der Eigentümer eines Baumgrundstücks regelmäßig nicht gehalten, den [X.] selbst zu überprüfen oder den [X.] zu einer Überprüfung aufzufordern.
-

2

-

c)
Ist der Grundstückseigentümer hingegen zugleich der Betreiber des [X.], muss er im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht für das Grundstück die von den Wurzeln des Baums ausgehenden Gefahren für den Kanal auch insoweit ausräumen, als er die Verwurzelung der Anlage bei Inspektions-
und Wartungs-maßnahmen, die wegen anderer möglicher Beeinträchtigungen des [X.] ohnehin geboten waren, erkannt hat oder hätte erkennen müssen.
d)
Der Schadensersatzanspruch gemäß §
823 Abs.
1 BGB gegen den Betreiber [X.] Abwasseranlage wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten als Eigentümer eines baumbestandenen Grundstücks wird nicht dadurch ausge-schlossen, dass die von dem Geschädigten gegen einen möglichen Rückstau zu treffenden Vorkehrungen unzureichend waren. Vielmehr ist das Fehlen einer den Rückstau vermeidenden Sicherungsvorkehrung gegebenenfalls im Rahmen eines Mitverschuldens nach §
254 Abs.
1 BGB zu berücksichtigen (Abgrenzung zum [X.]sbeschluss vom 30.
Juli 1998 -
III
ZR 263/96, NVwZ 1998,
1218).
[X.], Urteil vom 24. August 2017 -
III ZR 574/16 -
O[X.]

[X.]
-

3

-

Der III.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. August 2017 durch [X.] Herrmann
sowie die Richter
Seiters, [X.], [X.] und Reiter

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des [X.] vom 16. November 2016
im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als auf die Berufung der [X.] die Klage im Hinblick auf einen Schadensersatzan-spruch gegenüber der [X.] als Eigentümerin des baumbe-standenen Grundstücks nebst Zinsen abgewiesen worden ist.

In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die beklagte [X.] wegen eines im [X.] ihres Hau-ses
entstandenen Wasserschadens auf Schadensersatz
in Anspruch. Ihr Haus-grundstück ist
an die städtische Schmutz-
und Regenwasserkanalisation ange-schlossen
und
grenzt
an einen
im Eigentum der [X.] stehenden Wende-platz
an, auf dem ein Kastanienbaum angepflanzt ist. Nach
§
12 der Satzung
1
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-

der [X.]
über die Abwasserbeseitigung
hat
sich jeder Anschlussnehmer gegen Rückstau aus den öffentlichen Abwasseranlagen bis zur Rückstauebene selbst zu schützen. Das Anwesen
der Klägerin verfügt nicht über eine
solche Sicherung.
In der Nacht vom 5. auf den 6.
Juli 2012
konnte
die Kanalisation
die infolge
starker Niederschläge
anfallenden Wassermassen
wegen
der
durch den Einwuchs
von Wurzeln des auf dem Wendeplatz befindlichen Kastanienbaums jedenfalls auf mehreren Metern eingeschränkten hydraulischen Leistungsfähig-keit
nicht mehr
ableiten. Deshalb kam es
zu einem Rückstau im öffentlichen Regenwasserkanal
und zum Austreten von Wasser aus dem unterhalb der Rückstauebene gelegenen
Bodenablauf der Außentreppe zum [X.] im
Haus
der Klägerin. Dieser wurde überschwemmt.

Die Klägerin trägt
vor,
die [X.] habe die regelmäßig erforderliche Kontrolle der hydraulischen Leistungsfähigkeit des Kanalsystems
gänzlich un-terlassen
und den Regenwasserkanal insbesondere nicht auf Verwurzelungen überprüft.
Deshalb sei es zu einer Einwurzelung
auf einer Länge von etwa zwölf Metern gekommen, die erst durch mehrfaches Fräsen habe beseitigt werden können.
Durch den Rückstau des Wassers
und die in dessen Folge [X.] in ihrem [X.]
sei ihr ein Schaden von 30.376,72

t-standen,
auf den
sie sich allerdings
wegen
eigenen
Mitverschuldens
im Hinblick auf das
Fehlen
einer Rückstausicherung
ein Drittel
anrechnen lasse, so dass .

Das [X.] hat die [X.] unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung von 15.315,06

. Auf die Berufung der [X.] hat das [X.] die Klage insgesamt
abgewiesen.

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3
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-

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Kläge-rin ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung
weiter.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt insoweit zur Auf-hebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, als die Klage im Hinblick auf einen Schadensersatzanspruch gegenüber der [X.] als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks nebst Zinsen abgewiesen worden ist.

I.

Das Berufungsgericht hat, soweit für den [X.] von Bedeu-tung, zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

Ein
Schadenersatzanspruch
der Klägerin gegen die [X.] ergebe sich insbesondere nicht aus §
823 Abs.
1 BGB, soweit sie als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks in Anspruch genommen werde. Insoweit habe sie keine Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf die Kanalisation gehabt, weil ein [X.] nur bei entsprechender Vorschädigung der Rohrleitung möglich sei und hier nicht vorgetragen worden sei, dass die [X.] bei den ihr als Eigentümerin des Kastanienbaums
obliegenden Sichtkontrollen oder auf-grund sonstiger konkreter Anhaltspunkte habe feststellen können und müssen, dass Wurzeln des Baums in den Regenwasserkanal eingedrungen seien oder einzudringen drohten. Die [X.] sei im Rahmen ihrer Verkehrssicherungs-4
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pflicht für den Baum auch nicht gehalten gewesen, den Regenwasserkanal auf [X.] zu untersuchen, weil Baumwurzeln nicht zwangsläufig zu einer Beschädigung von Abwasserkanälen führen würden und die bloße Möglichkeit einer Gefährdung nicht ausreiche, um von einer naheliegenden Gefahr für den Regenwasserkanal auszugehen. Weil der [X.] die Kontrollpflicht für den Regenwasserkanal als Anlagenbetreiberin und nicht im Rahmen ihrer Pflichten als Baumeigentümerin oblegen habe, könne die Verletzung dieser Kontroll-pflicht nicht zu einer erweiterten Haftung der [X.] führen. Jedenfalls aber liege die Verletzung einer etwa bestehenden Verkehrssicherungspflicht deshalb nicht vor, weil die Klägerin sich entsprechend der gemeindlichen Satzung [X.] durch den Einbau einer Sicherungsvorrichtung auf die mit einem Rück-stau verbundenen Gefahren habe einrichten können.

II.

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand.

1.
Allerdings unterliegt das angefochtene Urteil entgegen der
Ansicht der Klägerin
ausschließlich beschränkt auf einen Schadensersatzanspruch gegen-über der [X.] als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks
der rechtlichen Nachprüfung durch den erkennenden [X.]. Das Berufungsgericht hat die Revisionszulassung im Tenor der angefochtenen Entscheidung zwar unbeschränkt ausgesprochen.
Indes kann sich
aus den Entscheidungsgründen eine eingeschränkte Zulassung ergeben (s. nur [X.]surteil vom 15.
Mai 2014
-
III ZR 368/13, NJW 2014, 2857 Rn. 11
mwN).
Davon ist vorliegend auszuge-hen.

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7

-

a)
Das Berufungsgericht hat die Zulassung
der Revision
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung damit begründet,
dass
entgegen
der Auf-fassung
des
[X.]s
Nürnberg
in dessen Urteil vom 25. Juli 2007
(MDR 2007, 1315)
allein das Setzen oder Belassen eines Baums
nicht dazu führe könne, dass eine Gemeinde für einen durch die Wurzeln verursachten [X.] wegen der Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungs-pflicht hafte. Da das Berufungsgericht nur insoweit eine abweichende Rechts-auffassung vertritt und es im Zusammenhang mit der Zulassung der Revision nicht auf eine Haftung der [X.] als Betreiberin der öffentlichen Abwasser-anlage (aus Amtshaftung oder §
2 Abs.
1 Satz
1 HpflG) eingeht, stellt sich die Begründung der Revisionszulassung
als Beschränkung auf einen [X.] wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht der [X.] als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks dar und nicht le-diglich als Darlegung der Gründe für eine unbeschränkte Zulassung des Rechtsmittels.

b)
Die Beschränkung der Revisionszulassung auf einen [X.] wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten der [X.] als Grundstückseigentümerin ist wirksam, weil eine solche Forderung
einen rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des
Streitstoffs darstellt
(vgl.
hierzu z.B.
[X.]sbeschluss vom 16. Dezember 2010 -
III ZR 127/10, [X.], 526 Rn. 5 mwN sowie [X.]surteil vom 2.
Februar 2017 -
III ZR 41/16, NVwZ-RR 2017, 579,
580
Rn. 23).
Zwar kann die Zulassung der Revision nicht auf einzelne von mehreren miteinander konkurrierenden Anspruchsgrundlagen beschränkt werden
(z.B. [X.]surteil vom 7.
Juli 1983
[X.], NJW
1984, 615,
insoweit in [X.], 85 nicht abgedruckt; [X.],
Urteil vom 15.
Dezember 1992
[X.], NJW 1993, 655, 656;
jeweils
mwN).
Im Streitfall ist jedoch zu berücksichtigen, dass es nicht lediglich um mehrere mit-10
11
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einander konkurrierende Anspruchsgrundlagen geht, sondern die [X.] [X.]seits als Betreiberin der öffentlichen Abwasseranlage und andererseits als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks in Anspruch genommen wird. Dabei handelt es sich um rechtlich und tatsächlich selbständige und ab-trennbare Teile des Streitstoffs, da die Forderungen auf
unterschiedlichen, sich nicht zwingend überschneidenden Tatsachen beruhen.

2.
Entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts scheitert
ein [X.] der
Klägerin gemäß
§
823
Abs.
1 BGB nicht deshalb,
weil [X.]en der [X.] als Eigentümerin des [X.] von vornherein ausgeschlossen sind.

a)
Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht beruht auf dem Gedanken, dass derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren auszuräumen und erforderlichenfalls vor ihnen zu warnen hat, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (z.B. [X.]surteile vom 24.
Januar 2002 -
III
ZR 103/01, [X.], 1265; vom 2.
Februar 2006 -
III
ZR 159/05, [X.], 1084, 1085 Rn.
11; vom 5.
Juli 2012 -
III
ZR 240/11, NVwZ-RR 2012, 831, 832 Rn.
11 und vom 24.
Juli 2014 -
III ZR 550/13, [X.], 450, 451 Rn. 15). Es sind diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, um-sichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger des betroffenen [X.] für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (z.B.
[X.],
Urteil vom 25.
Februar 2014 -
VI
ZR 299/13, NJW 2014, 2104, 2105 Rn. 8). Sie erstrecken sich grundsätzlich auch auf den Schutz vor Gefahren durch Bäume (st.
Rspr., z.B. [X.]surteil vom 6.
März 2014 -
III
ZR 12
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352/13, NJW 2014, 1588, 1589 Rn.
7). Der Eigentümer eines Grundstücks hat deshalb im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren dafür zu sorgen, dass von dort stehenden Bäumen keine Gefahr für andere ausgeht, der Baumbestand
vielmehr so angelegt ist, dass er insbesondere im Rahmen des nach forstwis-senschaftlichen Erkenntnissen Möglichen gegen Windbruch, Windwurf und ge-gen Umstürzen aufgrund fehlender Standfestigkeit gesichert
ist
([X.]surteil vom 1.
Juli 1993 -
III
ZR 167/92, [X.]Z 123, 102, 103; [X.], Urteile vom 21.
März 2003 -
V
ZR 319/02, NJW 2003, 1732, 1733 und vom 2.
Juli 2004
-
V
ZR 33/04, [X.]Z 160, 18, 20). Eine schuldhafte Verletzung der [X.] liegt jedoch grundsätzlich nur dann vor, wenn Anzeichen ver-kannt oder übersehen worden sind, die nach der Erfahrung auf eine (weitere) Gefahr durch den Baum hinweisen ([X.]surteile
vom 21.
Januar 1965 -
III
ZR 217/63, NJW 1965, 815
und vom 4.
März 2004 -
III
ZR 225/03, NJW 2004, 1381 mwN).

Deshalb hängt
es von den konkreten Umständen des
jeweiligen Einzel-falls ab, ob und in welchem Umfang beziehungsweise mit welcher Kontrolldich-te und in welchem Kontrollintervall ein Grundstückseigentümer im Rahmen s[X.] Verkehrssicherungspflicht für einen auf seinem Grundstück stehenden Baum geeignete und zumutbare Kontroll-
und Überprüfungsmaßnahmen auch in Bezug auf die mögliche Verwurzelung eines [X.] durchführen muss. Dabei sind zunächst die räumliche Nähe des Baums und seiner Wurzeln zu der Abwasseranlage
sowie Art beziehungsweise Gattung, Alter und Wurzel-system (Flachwurzler, Herzwurzler, Tiefwurzler) des Baums zu berücksichtigen. Welcher Art die Kontroll-
und Überprüfungsmaßnahmen sind, hängt von der Zumutbarkeit für den Grundstückseigentümer im Einzelfall ab. Hierzu sind im neuen Verfahren vor dem Berufungsgericht gegebenenfalls Feststellungen nachzuholen.
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-

Ohne sich hiernach ergebende Hinweise auf eine Verwurzelung der Ka-nalisation ist der Eigentümer eines Baumgrundstücks im Rahmen seiner [X.] aber regelmäßig nicht gehalten, den Abwasserkanal,
zu dem er zumeist gar keinen Zugang hat, selbst zu überprüfen oder den Kanalbe-treiber zu einer Überprüfung aufzufordern. Etwas anderes kann allerdings unter anderem gelten, wenn der Abwasserkanal in seinem Grundstück verläuft und er auf dessen Zustand in diesem Bereich einwirken kann.

b) Die vorliegende Fallgestaltung zeichnet sich jedoch durch die weitere Besonderheit aus, dass die [X.] nicht nur Eigentümerin des baumbestan-denen Grundstücks war, sondern als Betreiberin der betroffenen öffentlichen Abwasseranlage den unmittelbaren Zugang zum gesamten ober-
und unterirdi-schen von dem Kastanienbaum ausgehenden Gefahrenbereich hatte. Sie musste deshalb die von den Wurzeln des Baums ausgehenden
Gefahren für die hydraulische Leistungsfähigkeit des [X.] auch insoweit aus-räumen, als ihr die Verwurzelung der Anlage bei Inspektions-
und Wartungs-maßnahmen, die wegen anderer möglicher Beeinträchtigungen des Abwasser-systems ohnehin geboten waren, erkennbar geworden wäre.

aa) Als Betreiberin der Abwasseranlage musste die [X.] den Kanal im Rahmen ihrer Verkehrssicherungs-
und Sorgfaltspflicht regelmäßig -
etwa optisch durch Inaugenscheinnahmen oder mit Hilfe technischer Geräte
-
kon-trollieren und überprüfen sowie reinigen, um der Gefahr von Schäden infolge der Verstopfung einer Abwasserleitung vorzubeugen (z.B. [X.]surteil vom 11.
Juli 1974 -
III
ZR
27/72, [X.], 1202, 1204; Rönsberg/[X.] in: [X.]/[X.], [X.] Haftungsrecht, 5.
Aufl., Teil
B Kapitel
III Rn.
943
f mwN). Im Hinblick auf das Ausmaß der insoweit drohenden Schäden durch 15
16
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11

-

aufgestautes Schmutzwasser müssen Maßnahmen und zu beobachtende [X.] selbst dann verlangt werden, wenn sie einen erhebli-chen Aufwand an Arbeit und Kosten fordern (s. [X.]surteil vom 11.
Juli 1974 aaO).

Diese Verkehrssicherungs-
und Sorgfaltspflichten konkretisieren und [X.] bestehende spezialgesetzliche Regelungen und Anforderungen. Nach §§
60 Abs.
2 und 61 Abs.
2 Satz
1 des Gesetzes zur Ordnung des Wasser-haushalts ([X.]) in der Fassung vom 31.
Juli 2009 [X.]. §
99 Abs.
1 des Nie-dersächsischen Wassergesetzes ([X.]) in der Fassung vom 19.
Februar 2010 ([X.]. GVBl. S.
64) war die [X.] als Betreiberin der Abwasseranlage,
zu der auch der Regenwasserkanal als Teil der Kanalisation gehört (§
54 Abs.
2, §
55 Abs.
2 [X.]), verpflichtet, den Zustand, die Funktionsfähigkeit, die [X.] und den Betrieb sowie Art und Menge des Abwassers und der [X.] selbst zu überwachen (sog. Selbst-
bzw. Eigenüberwachungs-pflicht). Während die Überwachung des Zustands (§
61 Abs.
2 Satz
1 Var.
1 [X.]) etwa optische Kontrollen durch Inaugenscheinnahmen und Begehungen sowie Kontrollen mit Hilfe technischer Geräte wie Kanalfernsehuntersuchungen erfordert, erfasst die Unterhaltung (§
61 Abs.
2 Satz
1 Var.
3 [X.]) insbeson-dere Maßnahmen, die zur Sicherstellung und Aufrechterhaltung des [X.] notwendig sind, wie die Feststellung, ob Ablagerungen in der Kanalisation vorhanden sind ([X.] [X.]/[X.] [X.] §
61 Rn.
16
f [Stand 1.
Mai
2017]; Landmann/[X.] [X.]/Ganske [X.] §
61 Rn.
24 [Stand Januar 2017]). Die notwendigen Vorkehrungen sollen sicherstellen, dass die der Abwasseranlage zukommenden Funktionen tatsächlich bestehen und erhalten bleiben (s. [X.], Wasserhaushaltsgesetz, §
61 Rn.
3; Nisipeanu in [X.]/[X.]/Müggenborg, Wasserhaushaltsgesetz, §
61 Rn.
27).

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-

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-

bb) In welchen Kontrollintervallen und mit welcher Kontrolldichte solche Maßnahmen durchzuführen sind, ist gesetzlich nicht normiert, sondern hängt von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab. Insoweit kann der [X.] nicht in der Sache selbst entscheiden, weil hierzu tatrichterliche Feststel-lungen durch das Berufungsgericht
-
etwa durch
die
Einholung eines Sachver-ständigengutachtens
-
fehlen und noch nachzuholen sind.

cc) Im Fall, dass die [X.] durch den Kastanienbaum in den Regenwasserkanal im Rahmen der ohnehin gebotenen und der [X.] ob-liegenden regelmäßigen Kontroll-
und Überprüfungsmaßnahmen des Regen-wasserkanals erkennbar gewesen wären, hätte sie aufgrund der insoweit ge-wonnenen Erkenntnisse als Grundstückseigentümerin die Pflicht gehabt, die [X.] rechtzeitig zu beseitigen.

Die Annahme des Berufungsgerichts, dies führe zu einer erweiterten Haf-tung der [X.], weil ihr eine Kontrollpflicht nicht im Rahmen ihrer Pflichten als Baumeigentümerin oblegen habe, sondern als Betreiberin der [X.], lässt jedenfalls für die vorliegende Fallgestaltung die besonderen [X.] der [X.] als Grundstückseigentümerin mit Blick auf ihre ohnehin gebotenen regelmäßigen Kontroll-
und Überprüfungsmaßnahmen des [X.] als dessen Betreiberin unberücksichtigt. Soweit ihr in die-ser Funktion Gefährdungen der Leistungsfähigkeit des Kanalsystems durch [X.] erkennbar werden, darf sie ihre Augen davor auch in ihrer [X.] als Eigentümerin des Grundstücks, auf dem der fragliche Baum wächst, nicht verschließen.

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-

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3.
Die Haftung wegen einer möglichen Verkehrssicherungspflichtverletzung der [X.] als Eigentümerin des baumbestandenen Grundstücks wird [X.] der Ansicht des Berufungsgerichts auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die von der Klägerin entsprechend der gemeindlichen Satzung gegen ei-nen möglichen Rückstau zu treffenden Vorkehrungen unzureichend waren. Vielmehr ist das Fehlen einer den Rückstau vermeidenden Sicherungsvorkeh-rung gegebenenfalls im Rahmen eines Mitverschuldens nach §
254 Abs.
1 BGB zu berücksichtigen.

a)
Es ist in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum umstritten, ob ein Schadensersatzanspruch gemäß §
823 Abs.
1 BGB wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch den Eigentümer eines baumbestandenen Grundstücks ausgeschlossen ist, wenn er zugleich Betreiber einer [X.] ist und der durch einen infolge der Verwurzelung des Kanals verursachten Rückstau Geschädigte nicht die gebotenen Vorkehrungen getroffen hat, um sein Anwesen gegen einen solchen Stau zu sichern. Ein Amtshaftungsanspruch des Hauseigentümers
wegen eines [X.]s gegen den Betreiber der Kanalanlage kommt insoweit nach der Rechtsprechung des [X.]s ([X.]sbe-schluss vom 30. Juli 1998
-
III
ZR 263/96, NVwZ 1998, 1218, 1219) nicht in [X.], weil der Grundstückseigentümer nicht in schutzwürdiger Weise darauf vertrauen kann, vor [X.] bewahrt zu bleiben, die bei normalen, durch die üblichen Sicherungsvorkehrungen auszugleichenden Druckverhält-nissen entstehen, so dass der Schaden insoweit
außerhalb des Schutzbereichs der von der Gemeinde zu beachtenden Amtspflichten liegt.

Das Berufungsgericht meint in Übereinstimmung mit einem Teil der Lite-ratur ([X.]/[X.] §
12 Rn.
96 [Stand 1.
August 2017]; wohl auch [X.]/Kapsa, [X.], 27.
Aufl., 20.
Kapitel Rn.
84), dieser 22
23
24
-

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-

Haftungsausschluss erstrecke sich auch auf den Anspruch des Geschädigten aus §
823 Abs.
1 BGB gegen den [X.] wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflichten als Eigentümer des baumbestandenen Grund-stücks. Demgegenüber lehnt ein anderer Teil der Rechtsprechung und des Schrifttums einen solchen Haftungsausschluss bei einem Schadensersatzan-spruch gegenüber dem -
mit dem Betreiber der Abwasseranlage identischen
-
Eigentümer eines baumbestandenen Grundstücks wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ab und berücksichtigt das Fehlen einer Rückstausi-cherung im Rahmen eines Mitverschuldens nach §
254 BGB. Zur Begründung wird darauf abgestellt, dass der Schaden durch eine außerhalb des [X.] liegende Gefahrerhöhung, das Setzen oder Belassen des Baums verursacht wird (s. [X.], NVwZ-RR 2004, 285, 286; [X.] aaO S.
1316; [X.]/[X.] in: [X.]/[X.], aaO, Teil
B Ka-pitel III Rn.
1003; vgl. auch
Staudinger/[X.] (2009) BGB §
823
E Rn.
276).

b) Der [X.] schließt sich jedenfalls für die konkrete Fallgestaltung der zuletzt genannten Ansicht an. Die gegenteilige Auffassung verkennt, dass die Verantwortlichkeit des Betreibers der Abwasseranlage in diesen Fällen nicht aus dem [X.] mit dem Nutzer folgt, sondern aus der Verletzung einer außerhalb des [X.] und des Betriebs der [X.] liegenden Verkehrssicherungspflicht als Grundstückseigentümer. Die Gefahrerhöhung durch das Setzen beziehungsweise Belassen eines Baums beruht insoweit auf einem außerhalb des [X.] und des Betriebs der Abwasseranlage liegenden Umstand. Die Parteien stehen sich in solchen Fällen nicht im Rahmen dieses Verhältnisses gegenüber, sondern als Eigentümer angrenzender Grundstücke ([X.] aaO). Im Hinblick [X.] besteht kein einleuchtender Grund, einen Grundstückseigentümer allein deshalb besser zu stellen, weil er (zufällig) zugleich Betreiber der öffentlichen 25
-

15

-

Abwasseranlage ist ([X.] aaO). Dies wäre jedoch der Fall, wenn der Schadensersatzanspruch wegen einer Verkehrssicherungspflichtverletzung ge-gen einen Grundstückseigentümer, der zugleich Betreiber der öffentlichen Ab-wasseranlage ist, an die sein Nachbar angeschlossen ist, ausgeschlossen wä-re, weil die notwendige Rückstausicherung fehlt. Denn im Verhältnis zu einem Grundstückseigentümer, der nicht zugleich Betreiber der Abwasseranlage ist, greift der Haftungsausschluss aus dem öffentlich-rechtlichen
Rechtsverhältnis zwischen Anschlussnehmer und [X.] nicht ein, so dass das Fehlen einer Rückstausicherung allenfalls im Rahmen von §
254
Abs.
1 BGB berück-sichtigt werden kann. Die -
hier auf §
12 Abs.
1 Satz
1 der Satzung der [X.] über die Abwasserbeseitigung beruhende
-
Obliegenheit, dass sich jeder Anschlussnehmer gegen den Rückstau des Abwassers aus den öffentlichen Abwasseranlagen selbst zu schützen hat, knüpft allein an das [X.] und die ihm innewohnende spezifische Gefahrenlage an, nicht aber an das allgemeine Verhältnis zwischen zwei Grundstückseigentümern. Hier [X.] die [X.] jedoch als Grundstückseigentümerin und nicht in ihrer Funktion als Betreiberin der Abwasseranlage.

III.

Da tatrichterliche Feststellungen nachzuholen sind, ist die Sache nicht zur Endentscheidung reif. Das angefochtene Urteil ist demnach gemäß §
562 Abs.
1 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufzuheben, als die Revision [X.] worden ist. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache an das Berufungs-gericht zurückzuverweisen, das im neuen Verfahren auch Gelegenheit hat, sich gegebenenfalls mit den weiteren [X.] der Revision zu befassen, auf die ein-26
-

16

-

zugehen der [X.] im vorliegenden Verfahrensstadium keine Veranlassung hat.

Herrmann
Seiters
Richter am Bundesgerichtshof

[X.] ist wegen Urlaubs-

abwesenheit gehindert zu unter-

schreiben

Herrmann

Remmert

Reiter
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.04.2016 -
7 O 2424/12 -

O[X.], Entscheidung vom 16.11.2016 -
3 U 31/16 -

Meta

III ZR 574/16

24.08.2017

Bundesgerichtshof III. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.08.2017, Az. III ZR 574/16 (REWIS RS 2017, 6163)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 6163

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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