Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 10.12.2021, Az. V ZR 121/20

Der Kläger ist Eigentümer eines in [X.] gelegenen Grundstücks, auf dem sich eine Fleischerei mit Verkaufsräumen befindet. Der Beklagten gehört das Nachbargrundstück; sie betreibt dort eine [X.]. Etwa 60 cm von der Grundstücksgrenze entfernt verlief auf dem Grundstück der Beklagten ein aus Betonplatten gemauerter Abwasserkanal mit einem Querschnitt von ca. 70 cm x 70 cm. An der [X.] in die öffentliche Kanalisation befand sich ein Abwasserrohr mit einem Durchleitungsquerschnitt von ca. 30 cm. Dieses Rohr wies durch [X.] teilweise starke [X.] auf. Betrieben wurde es von der Streitverkündeten, die im Auftrag der Stadt [X.] ([X.]) die Abwasserentsorgung durchführt. Am 27. September 2010, an dem die [X.] nicht in Betrieb war, trat nach lang anhaltendem Regen Wasser aus dem Abwasserkanal aus und floss auf das Grundstück des [X.]. Durch einen Lüftungsschacht trat das Wasser in die Lagerräume der Fleischerei ein. Zwischenzeitlich wurde der Abwasserkanal umgebaut und ein Drosselungsbauwerk errichtet.

Das [X.] hat die auf Schadensersatz in Höhe von 135.407,50 € nebst Zinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] den Klageantrag dem Grunde nach zu 75 % für gerechtfertigt erklärt und das Verfahren wegen der Höhe an das [X.] zurückverwiesen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der von dem Senat zugelassenen Revision.

Nach Ansicht des [X.] hat der Kläger gegen die Beklagte wegen des [X.]s dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB, § 33 des [X.] für das [X.] (im Folgenden: [X.]), der wegen eines Mitverschuldens des [X.] um 25 % zu kürzen ist. Die Beklagte habe den Abwasserkanal, eine bauliche Anlage [X.]. § 33 [X.], schuldhaft nicht so eingerichtet, dass Abwässer und andere Flüssigkeiten, mithin auch Niederschlagswasser nicht auf das Grundstück des [X.] gelangten. Die Beklagte sei passivlegitimiert. Auf ihr Bestreiten, Eigentümerin des maroden [X.] zu sein, komme es nicht an. § 33 [X.] setze lediglich Besitz oder Eigentum am Grundstück voraus. Etwas anderes ergebe sich nicht aus der Abwasserbeseitigungssatzung der [X.]. Gemäß § 2 Abs. 6 dieser Satzung gehörten [X.] zu den privaten Grundstücksentwässerungsanlagen. Ob auch die Streitverkündete dem Kläger hafte, weil der [X.] möglicherweise dadurch begünstigt worden sei, dass sich mit der Einleitung in das öffentliche Netz der Querschnitt der Abwasserleitung auf 30 cm verengt habe und die Leitung in diesem Bereich [X.] aufgewiesen habe, könne offenbleiben. Gegebenenfalls hafteten die Beklagte und die Streitverkündete dem Kläger als Gesamtschuldner.

Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der von dem Berufungsgericht gegebenen Begründung lässt sich ein Schadensersatzanspruch des [X.] gegen die Beklagte nicht bejahen. Zu entscheiden ist durch Versäumnisurteil. Inhaltlich beruht das Urteil jedoch nicht auf der Säumnis des [X.], sondern auf einer Sachprüfung (vgl. Senat, Urteil vom 4. April 1962 - [X.], [X.]Z 37, 79, 82 ff.).

1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des [X.]. Nach § 33 [X.] haben der Nachbar oder die Nachbarin - das sind gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 1 [X.] der Eigentümer oder die Eigentümerin des Grundstücks - und der unmittelbare Besitzer oder die unmittelbare Besitzerin eines Grundstücks bauliche Anlagen so einzurichten, dass Tropfwasser, Abwässer oder andere Flüssigkeiten nicht auf das benachbarte Grundstück übertreten. Hierzu gehört auch Niederschlagswasser. Hätte die Beklagte schuldhaft gegen § 33 [X.] verstoßen, könnte der Kläger nach dieser Vorschrift i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB den ihm durch den Wasserzufluss auf sein Grundstück im Jahr 2010 entstandenen Schaden ersetzt verlangen. § 33 [X.] ist ebenso wie vergleichbare Vorschriften in anderen Nachbarschaftsgesetzen der [X.]esländer ein Schutzgesetz [X.]. § 823 Abs. 2 BGB (vgl. Senat, Urteil vom 15. Juli 2011 - [X.], NJW 2011, 3294 Rn. 10 zu 26 [X.]; [X.], Urteil vom 13. Dezember 1984 - [X.], NJW 1985, 1774 zu § 27 [X.]). Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht auch davon aus, dass es sich bei dem auf das Grundstück des [X.] geleiteten Wasser nicht um wild abfließendes [X.]. § 37 [X.] handelt und die auf dem Grundstück der [X.] befindliche bauliche Anlage - der Abwasserkanal - und deren maroder Zustand jedenfalls mitursächlich dafür waren, dass dem Grundstück des [X.] vermehrt Niederschlagswasser zugeführt wurde (vgl. zu diesen Voraussetzungen allgemein Senat, Urteil vom 12. Juni 2015 - [X.], NJW-RR 2016, 24 Rn. 10, 18 zu § 37 Abs. 1 LNRG RP). Gegen die entsprechenden Feststellungen des [X.] werden von der Revision auch keine Einwendungen erhoben.

2. Rechtsfehlerhaft ist aber die Auffassung des [X.], die Beklagte sei deshalb nach § 33 [X.] für den Abwasserkanal verantwortlich, weil sie am [X.] Eigentümerin des Grundstücks war, auf dem sich der [X.] befand.

a) Die in § 33 [X.] normierte Pflicht, bauliche Anlagen so „einzurichten“, dass [X.], Abwässer oder andere Flüssigkeiten nicht auf das benachbarte Grundstück übertreten, setzt voraus, dass der Grundstückseigentümer die Rechtsmacht hat, auf die bauliche Anlage einzuwirken. Dies ist in der Regel unproblematisch bei baulichen Anlagen, die der Grundstückseigentümer selbst errichtet hat und die als wesentliche Bestandteile in seinem Eigentum stehen (§ 946, § 94 Abs. 1 BGB).

b) Anders ist es aber, wenn dem Grundstückseigentümer eine Einwirkung auf die bauliche Anlage rechtlich nicht möglich ist. So liegt es, wenn die bauliche Anlage Bestandteil einer öffentlichen Abwasseranlage ist. Hierfür ist der Grundstückseigentümer nicht verantwortlich.

aa) Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] ist das von Niederschlägen aus dem Bereich von bebauten oder befestigten Flächen - wie hier durch einen Abwasserkanal - gesammelt abfließende Wasser (Niederschlagswasser) als Abwasser zu qualifizieren. Damit finden die Regeln Anwendung, die der [X.] und die Länder bzw. die Kommunen für die Beseitigung von Abwässern getroffen haben. Nach § 56 Satz 1 [X.] ist Abwasser von den juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu beseitigen, die nach Landesrecht hierzu verpflichtet sind (Abwasserbeseitigungspflichtige). Nach Satz 2 der Vorschrift können die Länder bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die Abwasserbeseitigung anderen als den in Satz 1 genannten Abwasserbeseitigungspflichtigen obliegt. In [X.] obliegt gemäß § 151 Abs. 1 [X.] in der hier maßgeblichen Fassung vom 12. April 2006 (GVBl. LSA 2006, [X.]) die Abwasserbeseitigung den Gemeinden. Nach § 151 Abs. 3 Nr. 1 [X.] sind anstelle der Gemeinde die Grundstückseigentümer zur Beseitigung des Niederschlagswassers verpflichtet, soweit nicht die Gemeinde den [X.] an eine öffentliche Abwasseranlage und deren Benutzung vorschreibt, weil ein gesammeltes Fortleiten erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu verhüten.

bb) Von der einschlägigen Regelung hängt ab, für welche Leitungen der Grundstückseigentümer und für welche Leitungen die Gemeinde die Verantwortung trägt. In wessen Eigentum die Leitung steht, ist grundsätzlich nicht entscheidend. Maßgeblich sind vielmehr die von den Gemeinden erlassenen Satzungen bzw. die mit dem Grundstückseigentümer vereinbarten Ver- bzw. Entsorgungsbedingungen (vgl. [X.], Beschluss vom 30. April 2008 - [X.], NVwZ 2008, 1157 Rn. 12 f.; Urteil vom 1. Februar 2007 - [X.], NJW-RR 2007, 823 Rn. 10; Urteil vom 14. Juli 1988 - [X.], NJW 1989, 104 - jeweils zur Inhaberschaft einer Anlage [X.]. § 2 Abs. 1 Satz 1 HPflG; vgl. zur Unmaßgeblichkeit der Eigentumsverhältnisse auch BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2016 - 7 [X.]/15, juris Rn. 6 ff.).

cc) Diese abwasserrechtlichen Regelungen wirken sich auch auf die Haftung eines Grundstückseigentümers für Wasserschäden auf dem Nachbargrundstück aus. Befindet sich auf einem Grundstück ein Abwasserkanal und nimmt das Nachbargrundstück durch aus dem [X.] austretendes Wasser Schaden, scheidet eine Haftung des Grundstückseigentümers gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 33 [X.] aus, wenn der [X.] zu einer öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage gehört.

c) Ob der Abwasserkanal in den Verantwortungsbereich der [X.] fiel und sie deshalb rechtlich befugt und damit auch verpflichtet war, den [X.] als bauliche Anlage [X.]. § 33 [X.] in einem ordnungsgemäßen Zustand zu erhalten, lässt sich mangels hinreichender Feststellungen nicht beurteilen. Richtig ist, dass nach § 2 Abs. 6 der [X.] der [X.] [X.] zu den privaten Grundstücksentwässerungsanlagen gehören. Ob aber der auf dem Grundstück der [X.] befindliche [X.] von § 2 Abs. 6 der [X.] erfasst wird oder aber zu den öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlagen gemäß § 2 Abs. 5 der Satzung gehört, hat das Berufungsgericht nicht geklärt. Nach dem Vortrag der [X.], den das Berufungsgericht als streitigen Tatsachenvortrag in seinem Urteil wiedergibt und der für das Revisionsverfahren als zutreffend zu unterstellen ist, soll es sich bei dem Abwasserkanal um einen [X.] des öffentlichen Durchleitungs- und Abwassersystems der [X.] handeln, über den auch Privatgrundstücke, Grundstücke der [X.] und öffentliche Flächen entwässert worden seien. [X.] dies zu, schiede ein Schadensersatzanspruch des [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 33 [X.] aus. Die Feststellungen des [X.] tragen deshalb das auf diese Vorschriften gestützte Grundurteil nicht.

3. Das Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Sämtliche sonstigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen setzen eine Verantwortlichkeit der [X.] für den auf ihrem Grundstück befindlichen Abwasserkanal voraus, von der im Revisionsverfahren nicht ausgegangen werden kann.

a) Dies gilt zunächst für einen Anspruch aus § 2 Abs. 1 Satz 1 HaftPflG. Wird durch die Wirkungen von (u.a.) Flüssigkeiten, die von einer Rohrleitungsanlage ausgehen, eine Sache beschädigt, so ist der Inhaber der Anlage verpflichtet, den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]esgerichtshofs gehört die gemeindliche [X.] zu den Rohrleitungsanlagen im Sinne dieser Vorschrift (vgl. [X.], Urteil vom 7. Juli 1983 - [X.], [X.]Z 88, 85, 88; Beschluss vom 30. April 2008 - [X.], NVwZ 2008, 1157 Rn. 7 mwN). [X.] ist ohne Rücksicht auf ein Verschulden der Inhaber der Anlage. Inhaber ist, wer die tatsächliche Herrschaft über ihren Betrieb ausübt und die hierfür erforderlichen Weisungen erteilen kann ([X.], Urteil vom 4. November 2021 - [X.]/20, juris Rn. 9; Beschluss vom 30. April 2008 - [X.], NVwZ 2008, 1157 Rn. 8 mwN). Wo die haftungsrechtliche Verantwortung des kommunalen [X.] endet und die des [X.]nehmers beginnt, hängt entscheidend von den Regelungen in den von den Gemeinden erlassenen Satzungen bzw. von den mit dem Grundstückseigentümer vereinbarten Ver- bzw. Entsorgungsbedingungen ab (vgl. [X.], Beschluss vom 30. April 2008 - [X.], NVwZ 2008, 1157 Rn. 12 f.). Auch insoweit fehlt es an Feststellungen des [X.] dazu, wie es sich hier verhält.

b) Entsprechendes gilt für einen Anspruch des [X.] aus § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht oder für einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, sollte letzterer ohnehin nicht bereits aus anderen Gründen ausscheiden, wovon das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 18. November 1994 - [X.], NJW 1995, 714) ausgeht. Wer für den Abwasserkanal die Verkehrssicherungssicherungspflicht trägt bzw. bei Schäden als Störer [X.]. § 1004 Abs. 1 BGB anzusehen ist, hängt davon ab, ob der [X.] zu der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage oder zu der privaten Grundstücksentwässerungsanlage der [X.] gehört.

Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da die Sache nicht entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird den Parteien Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu der vorrangig zu klärenden Frage einzuräumen haben, ob der Abwasserkanal in den Verantwortungsbereich der [X.] oder der [X.] bzw. der von ihr mit der Abwasserbeseitigung beauftragten [X.] fällt. In diesem Zusammenhang kann es auch auf entsprechende Vereinbarungen der [X.] mit der Stadt bzw. der [X.] ankommen.