Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2016, Az. XII ZB 119/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 4775

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[X.]:[X.]:BGH:2016:280916BXII[X.]119.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 119/16

vom

28. September 2016

in der Unterbringungssache

Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG §§ 68 Abs. 3, 319 Abs. 1
Zu den Voraussetzungen, unter denen im Beschwerdeverfahren in einer Unter-bringungssache von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden kann (im [X.] an [X.]sbeschluss vom 1.
Juni 2016

XII
[X.] 23/16

FamRZ 2016, 1354).
BGH, Beschluss vom 28. September 2016 -
XII [X.] 119/16 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der
XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 28.
September 2016
durch den Vorsitzenden Richter Dose
und
die Richter [X.], [X.], Dr. Botur
und
Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 4 wird der Beschluss der
11.
Zivilkammer des [X.] vom 29.
Februar 2016
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des
Rechtsbeschwerdeverfah-rens, an das [X.]
zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe:
I.
Die 87jährige Betroffene leidet an einem schweren demenziellen Syn-drom. Am 7.
September 2012 hatte sie einem
ihrer drei Kinder, der Beteiligten zu 1, umfassende Vorsorgevollmacht einschließlich des Rechts der Entschei-dung über die
Unterbringung mit freiheitsentziehender Wirkung erteilt. Auf [X.] der Beteiligten zu 1 hat das Amtsgericht am 10.
April 2015 die [X.] Unterbringung der Betroffenen genehmigt, nachdem ihr Ehemann, der [X.] zu 4, geplant
hatte, mit der Betroffenen eine Reise in die [X.] zu unter-nehmen.
1
-
3
-
Der Beschwerde des Ehemanns hat das Amtsgericht abgeholfen und den
Unterbringungsbeschluss vom 10.
April 2015 aufgehoben, da
der Ehemann alle Voraussetzungen geschaffen habe, um eine sichere Versorgung der Be-troffenen bei ihm zu Hause zu gewährleisten. Hiergegen haben die Beteiligten zu 1 bis 3

sämtliche drei Kinder
der Betroffenen

im eigenen Namen
und die Beteiligte zu 1 zugleich im Namen der Betroffenen
Beschwerde
eingelegt.
Das [X.] hat die Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 3 verwor-fen und auf die Beschwerde der Betroffenen und der Beteiligten zu 1 mit Be-schluss vom 29.
Februar 2016 erneut die geschlossene Unterbringung der Be-troffenen in einer Pflegeeinrichtung bis längstens 10.
April 2017 genehmigt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Ehemanns.

II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache
an das [X.].
1. Als [X.], der im ersten Rechtszug beteiligt worden ist, steht dem Ehemann der Betroffenen das Recht zur Rechtsbeschwerde im Interesse der
Betroffenen zu (§
335
Abs.
1
Nr.
1 FamFG).
2. Das [X.] hat zur Begründung
seiner
Entscheidung ausgeführt: Die Beteiligte zu 1 habe den Antrag auf Genehmigung der geschlossenen Un-terbringung aufgrund der ihr wirksam erteilten Vorsorgevollmacht in zulässiger Weise gestellt.
Im Zeitpunkt der Vollmachterteilung
sei die Betroffene ge-schäftsfähig gewesen. Daran zu zweifeln bestehe kein Anlass. Zwar sei davon auszugehen, dass die Betroffene bereits im [X.] an einer beginnenden 2
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4
-
Demenz erkrankt gewesen sei. Da sich die Krankheit jedoch schleichend ent-wickle, sei in Übereinstimmung mit den eingeholten
Sachverständigengutachten
anzunehmen, dass eine Geschäftsunfähigkeit erst ab der zweiten Jahreshälfte 2014 vorgelegen habe.
Die Voraussetzungen der Genehmigung der Unterbringung lägen weiter-hin vor. Aufgrund einer psychischen Krankheit der Betroffenen bestehe die Ge-fahr, dass sie sich einen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Sie wäre bei einem

auch zufälligen

Verlassen einer beschützenden Umgebung erheblich gefährdet, sich zu verlaufen und zur hilflosen Person zu werden. Des Weiteren würde sie ihre Medikamente nicht einnehmen, was zu einer Be-schleunigung des Voranschreitens des dementiellen Prozesses führen würde. Auch bestehe für die Betroffene die Gefahr, sich bei unachtsamer Überquerung der [X.] schwer zu verletzen.
Die Unterbringung der Betroffenen, der es
krankheitsbedingt an einem freien Willen fehle, sei auch erforderlich. Weniger einschneidende Maßnahmen stünden nicht zur Verfügung, da insbesondere die häusliche Pflege in der Woh-nung des Ehemanns kein geeignetes Mittel darstelle. Die Betroffene benötige eine lückenlose Beaufsichtigung rund um die Uhr, die im häuslichen Umfeld des Ehemanns nicht gewährleistet sei. Weder könne der gesundheitlich angeschla-gene Ehemann selbst die ständige Beaufsichtigung durchführen noch sei
eine Betreuung durch Pflegepersonal in dem erforderlichen Maße gewährleistet.
3. Dies
hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Gemäß §
1906 Abs.
5 BGB setzt die Unterbringung durch einen [X.] voraus, dass die Vollmacht schriftlich erteilt ist und diese Maß-nahme ausdrücklich umfasst.
Das ist hier der Fall.

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10
-
5
-
b) Ohne Erfolg
rügt die Rechtsbeschwerde unzureichende Sachaufklä-rung in Bezug auf die Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im Zeitpunkt der Voll-machterteilung am 7.
September 2012.
Das [X.] ist in nicht zu bean-standender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass Bedenken gegen die Wirk-samkeit der erteilten Vollmacht nicht bestünden.
Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach §
104 Nr.
2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach §
26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Ein bloßer Verdacht genügt nicht, um die Vermutung der Wirksamkeit einer vorliegenden Vollmachtsurkunde zu erschüttern. Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es bei der wirksamen Bevollmächtigung ([X.]sbeschluss vom 3.
Febru-ar 2016

XII
[X.]
425/14

FamRZ 2016, 701 Rn.
11).
Zur Aufklärung der Frage
hat das [X.] ein Sachverständigengut-achten eingeholt. Nach den Ausführungen der Sachverständigen kann
der Be-ginn der demenziellen Erkrankung nicht mit Sicherheit bestimmt werden, jedoch sei davon auszugehen, dass die Betroffene im [X.] noch nicht geschäfts-unfähig war.
Damit hat das [X.] die Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen im
Zeitpunkt der [X.]. §§
26, 30 FamFG hinrei-chend ausermittelt.
Entgegen der Rechtsbeschwerde musste das [X.] nicht noch vermeintlichen Widersprüchen zu einem ärztlichen Attest vom 15. April 2014 nachgehen, worin
der Betroffenen ein "seit vielen Jahren ... bekanntes demen-zielles Syndrom"
bescheinigt wird, oder
näher die Umstände aufklären, unter denen bei stationären Behandlungen der Betroffenen in den Jahren
2010 und 2011 neben internistischen Hauptdiagnosen auch eine "nicht näher bezeichnete Demenz"
vermerkt ist.
Zwar könnten sich daraus Anhaltspunkte dafür ergeben, 11
12
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14
-
6
-
dass die demenzielle Entwicklung nicht erst im Jahr
2012, sondern schon vor-her
begann. Ohne Rechtsfehler hat das [X.]
jedoch angenommen, dass sich daraus keine zwingenden
Rückschlüsse
darauf
herleiten lassen, dass die Erkrankung bereits am 7.
September 2012 den Grad der Geschäftsunfähigkeit erreicht hatte, und weitere Ermittlungen insoweit nicht veranlasst seien.
c) Die angefochtene Entscheidung ist jedoch, wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, verfahrensfehlerhaft ergangen, weil unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falls das Beschwerdegericht nicht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen hätte absehen dürfen.
aa) Gemäß §
319
Abs.
1 Satz
1 und 2 FamFG hat das Gericht den
Be-troffenen vor einer Unterbringungsmaßnahme persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönli-chen Anhörung
des Betroffenen besteht nach §
68 Abs.
3 Satz
1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Allerdings darf das Beschwerde-gericht nach §
68 Abs.
3 Satz
2 FamFG von der persönlichen Anhörung abse-hen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden
ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Diese Voraussetzung ist insbesondere dann erfüllt, wenn die erstinstanzliche Anhö-rung des Betroffenen nur kurze Zeit zurückliegt, sich nach dem Akteninhalt [X.] neuen entscheidungserheblichen Tatsachen oder rechtliche Gesichtspunkte ergeben, das Beschwerdegericht das in den Akten dokumentierte Ergebnis der erstinstanzlichen Anhörung nicht abweichend werten will und es auf den per-sönlichen Eindruck des Gerichts von dem Betroffenen nicht ankommt. Macht das Beschwerdegericht von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss es in seiner Entscheidung die Gründe hierfür in nachprüfbarer Weise darlegen (vgl. [X.] vom 1.
Juni 2016

XII
[X.]
23/16

FamRZ 2016, 1354
Rn.
17
mwN).
15
16
-
7
-
bb) Auf dieser rechtlichen Grundlage hätte das Beschwerdegericht im vorliegenden Fall nicht von einer erneuten Anhörung der Betroffenen absehen dürfen. Zwar wurde die Betroffene im amtsgerichtlichen Verfahren am 9.
April 2015
angehört. Danach hat das Amtsgericht
jedoch weitere Ermittlungen ange-stellt und Anhörungen ohne die Betroffene durchgeführt, aufgrund derer es im Abhilfeverfahren zur Aufhebung des [X.] gelangt ist. Vom [X.] ist eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen eingeholt und eine weitere Anhörung ohne die Betroffene durchgeführt worden.
Auf
Grundlage dieser ergänzenden Ermittlungen hätte das [X.] die Unterbringung nicht entgegen der im Abhilfeverfahren ergangenen Ent-scheidung anordnen dürfen, ohne die Betroffene selbst persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihr zu verschaffen
(vgl. [X.]sbe-schluss vom 1.
Juni 2016

XII
[X.]
23/16

FamRZ 2016, 1354 Rn.
18 mwN).
4. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erfor-derliche
Anhörung nicht selbst nachholen
kann.
Die Sache ist daher an das [X.] zurückzuverweisen.
Bei seiner erneuten Befassung wird das [X.] auch zu [X.] haben, dass die in seinem Beschluss ausgesprochene Befristung der [X.] auf eine Dauer, die ein Jahr überschreitet,
auf unzureichenden Er-wägungen beruht.
aa) Gemäß §
329 Abs.
1 FamFG endet die Unterbringung spätestens mit Ablauf eines Jahres, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit [X.] mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird. Die Befristung auf längstens ein Jahr stellt damit eine gesetzliche Höchstgrenze für 17
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21
-
8
-
die Dauer der Unterbringung dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen überschritten werden darf.
Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person ausreichend zu begründen. Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs-
und [X.] bei anhaltender Eigengefährdung ergeben. Dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der "Offensichtlichkeit", dass die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig bera-tene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten. Besondere Zurückhaltung ist geboten, wenn für den Betroffenen eine erstmalige Unterbringungsanordnung oder -genehmigung erfolgt ([X.]sbeschluss vom 6.
April 2016

XII
[X.]
575/15

FamRZ 2016, 1063 Rn.
13
f.).
22
-
9
-
bb) Im vorliegenden Fall hält selbst das [X.] die Maßnahme

in Übereinstimmung mit dem Gutachten

dann
für
nicht mehr erforderlich, wenn die Betroffene ihre Gehfähigkeit einbüßt und deshalb nicht mehr der durchgän-gigen Beaufsichtigung bedarf. Da der Eintritt dieser Veränderung
bei der [X.] 87jährigen Betroffenen in absehbarer Zeit nicht außerhalb der anzuneh-menden Wahrscheinlichkeit liegt, steht eine "offensichtlich"
ein Jahr überschrei-tende Unterbringungsbedürftigkeit nicht ausreichend fest.

Dose
Günter
Nedden-Boeger

Botur
Guhling

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.11.2015 -
XVII 152/15 -

LG [X.], Entscheidung vom 29.02.2016 -
11 [X.] -

23

Meta

XII ZB 119/16

28.09.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 28.09.2016, Az. XII ZB 119/16 (REWIS RS 2016, 4775)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4775

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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