Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.10.2016, Az. XII ZB 289/16

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 3736

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[X.]:[X.]:BGH:2016:191016B[X.]289.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII [X.] 289/16
vom
19.
Oktober
2016
in der [X.]
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1896 Abs. 2; FamFG § 26
Zur Erforderlichkeit einer Betreuung bei Vorliegen einer Vorsorgevollmacht (im [X.] an Senatsbeschlüsse vom 17.
Februar 2016

XII
[X.] 498/15

FamRZ 2016, 704 und vom 3.
Februar 2016 -
XII
[X.]
425/14

FamRZ 2016, 701).
BGH, Beschluss vom 19. Oktober 2016 -
XII [X.] 289/16 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
19.
Oktober
2016
durch den Vorsitzenden Richter Dose, [X.]
[X.], Dr.
Nedden-Boeger
und Guhling
und die Richterin Dr.
Krüger
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der
Betroffenen wird der Beschluss der
4.
Zivilkammer des [X.]s [X.]
vom 19.
Mai
2016
aufgehoben.
Die Sache
wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Land-gericht zurückverwiesen.
Wert: 5.000

Gründe:
I.
Die im Jahre 1928
geborene Betroffene erteilte einer ihrer beiden Töch-ter, der Beteiligten zu
4, im Dezember 2012 eine notariell beglaubigte Vorsor-gevollmacht. Nachdem die Betroffene im Jahre 2013 in ihrem Haus zweimal gestürzt war, bezog sie Ende 2013 [X.] in einem Seniorenzentrum. [X.] kam es mit dem [X.] ihrer anderen Tochter zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung, bei der es darum ging, dass ihr Enkel (der Beteiligte zu
3; im Folgenden: Enkel) ihr den Besitz an der im ersten Stock gelegenen [X.] in ihrem Anwesen wieder einräumen
sollte. Im Zuge dieses Gerichtsver-fahrens wurde ein Privatgutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psy-1
-
3
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chotherapie vom 5.
Juni 2014 vorgelegt, das der Betroffenen Geschäftsfähigkeit bestätigte.
Am 8.
Juli 2014 erteilte die Betroffene ihrem Enkel eine notarielle General-
sowie Vorsorge-
und Betreuungsvollmacht.
Ende August 2014 hat die Beteiligte zu
4 daraufhin beim Amtsgericht die Einrichtung einer Betreuung für die Betroffene angeregt
und mitgeteilt, sie sehe sich zur Ausübung ihrer Vorsorgevollmacht nicht in der Lage. Grund sei der es-kalierende [X.], bei dem es darum gehe, dass ihre Schwester die
finanziellen Verpflichtungen gegenüber der Betroffenen aus einem im Jahre 1993 abgeschlossenen Betriebsübergabevertrag nicht erfülle.
Nach Einholung und Ergänzung eines Sachverständigengutachtens
so-wie persönlicher Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht einen Berufs-betreuer für den Aufgabenkreis Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Aufent-haltsbestimmung, Abschluss, Änderung und Kontrolle eines [X.], Haus-
und Grundstücksangelegenheiten sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post im Rahmen der übertragenen Angelegenheiten bestellt und den 2.
Juni 2022 als spätesten Überprüfungszeitpunkt bestimmt. Die Be-schwerde der Betroffenen ist erfolglos geblieben.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde wendet sich die Betroffene weiterhin gegen die Einrichtung einer Betreuung.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Sie macht zu Recht
geltend, dass das [X.] seiner Amtsermittlungspflicht (§
26 FamFG) nicht genügt hat.
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3
4
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-
4
-
1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Betroffene leide an einem demenziellen Syndrom, aufgrund dessen sie ihre Angelegenheiten in dem von der Betreuung umfassten Aufgabenkreis nicht be-sorgen könne.
Die Betreuung sei nicht wegen der dem Enkel erteilten Vollmacht entbehrlich. Denn es bestünden erhebliche Bedenken, dass die Betroffene am 8.
Juli 2014 geschäftsfähig gewesen sei.
Bereits fast ein Jahr zuvor habe ein Facharzt für Neurologie die Auffassung vertreten, die Betroffene sei nicht mehr voll geschäftsfähig. Dies korrespondiere auch mit den Diagnosen, die im [X.] 2013 im Rahmen eines zu Rehabilitationszwecken durchgeführten Klinikaufent-halts gestellt
wurden. Der gerichtliche Sachverständige habe nach einer Unter-suchung der Betroffenen im Januar 2015 ausgeführt, zum Zeitpunkt seiner Un-tersuchung habe keine volle Geschäftsfähigkeit vorgelegen, und zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung sei die Geschäftsfähigkeit nur schwer einzuschätzen, weil bei der Erkrankung der Betroffenen durchaus ein schwankender Verlauf gegeben sein könne. In seiner ergänzenden Stellungnahme sei er dann zu der Auffassung gelangt, die Betroffene sei bei Vollmachterteilung an den Enkel mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr in vollem Umfang geschäftsfähig ge-wesen.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die bislang getroffenen Feststellungen tragen nicht den Schluss, eine Betreu-ung sei trotz der dem Enkel erteilten Vorsorgevollmacht erforderlich im Sinne des §
1896 Abs.
2 Satz
2 BGB.
Weder hat das [X.] ausreichend [X.], ob die Betroffene zum Zeitpunkt der Erteilung geschäftsfähig war, noch lassen sich dem angefochtenen Beschluss tragfähige Gründe dafür entnehmen, weshalb die Vollmacht dann, wenn man Zweifel an ihrer wirksamen Erteilung unterstellt, nicht gleichwohl zumindest teilweise der Erforderlichkeit der Betreu-ung entgegenstehen sollte. Hierauf kommt es auch an, nachdem der vom [X.] im Juni 2015 ausgesprochene Widerruf der Vollmacht keine Wirksamkeit 6
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-
erlangen konnte, weil dem Betreuer
nicht der Aufgabenkreis des Widerrufs der Vorsorgevollmacht ausdrücklich zugewiesen war (vgl. hierzu Senatsbeschluss [X.], 321
= FamRZ 2015, 1702 Rn.
20).
a) Ein Betreuer darf nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist (§
1896 Abs.
2 Satz
1 BGB). An der Erforderlichkeit fehlt es, so-weit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten [X.] gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§
1896 Abs.
2 Satz
2 BGB). So wie die

eine Betreuung erfordernde

Krankheit mit hinreichender Sicherheit feststehen muss, eine bloße Verdachtsdiagnose also nicht ausreicht, genügt ein bloßer Verdacht nicht, um die Vermutung der Wirksamkeit einer vor-liegenden Vollmachtsurkunde zu erschüttern. Kann die Unwirksamkeit einer Vorsorgevollmacht nicht positiv festgestellt werden, bleibt es somit bei der wirk-samen Bevollmächtigung (Senatsbeschluss vom 3.
Februar 2016

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425/14

FamRZ 2016, 701 Rn.
11).
Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen.
Ob eine bestehende Vollmacht dann, wenn sie in Zweifel gezogen wird, dem Bevollmächtigten ermöglicht, die Angelegenheiten des Betroffenen ebenso gut wie durch einen Betreuer zu besorgen, ist eine nachgeordnete Frage, die sich erst stellt, wenn die Frage der Wirksamkeit der Vollmacht im Rahmen der Aufklärung von Amts wegen nach §
26 FamFG [X.] ist und nicht positiv festgestellt werden kann, ob sie wirksam oder unwirksam ist
(Senatsbeschluss vom 3.
Februar 2016

XII
[X.]
425/14

FamRZ 2016, 701 Rn.
12). Dabei ent-scheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen nach [X.] Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die [X.] auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung 8
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auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 17.
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FamRZ 2016, 704 Rn.
13 mwN).
Bleiben Bedenken an der Wirksamkeit der Vollmachterteilung oder am Fortbestand der Vollmacht, kommt es darauf an, ob dadurch die Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr eingeschränkt ist, entweder weil Dritte die [X.] unter Berufung auf diese Bedenken zurückgewiesen haben oder weil entsprechendes konkret zu besorgen ist (Senatsbeschluss vom 3.
Februar 2016

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FamRZ 2016, 701 Rn.
12; vgl. auch Senatsbeschluss vom 17.
Februar 2016

XII
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498/15

FamRZ 2016, 704 Rn.
12 mwN).
Trotz Vorsorgevollmacht kann eine Betreuung zudem dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der In-teressen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn erhebliche
Bedenken an der Geeignetheit oder Redlichkeit des Bevollmächtigten bestehen
(Senatsbe-schluss vom 17.
Februar 2016

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[X.]
498/15

FamRZ 2016, 704 Rn.
12 mwN).
b) Wie die Rechtsbeschwerde im Ergebnis zutreffend rügt, beruht die Feststellung des [X.]s, es bestünden erhebliche Zweifel an der [X.] am 8.
Juli 2014, auf [X.] unzureichenden und daher nicht §
26 FamFG genügenden Sachaufklärung.
Der gerichtliche
Sachverständige hat ausgeführt, dass das Krankheitsbild der Betroffenen vermutlich starken
Schwankungen
unterlegen habe. Der [X.] hatte sie
rund einen Monat vor Erteilung der Vollmacht [X.] und war dabei nicht nur zu dem Ergebnis gelangt, die Betroffene sei ge-schäftsfähig, sondern hatte sie auf der Grundlage des Explorationsgesprächs 10
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auch als "bewusstseinsklar, zeitlich, örtlich, situativ und zur eigenen Person ori-entiert"
beschrieben. Zur Beurteilung der Frage, ob die Betroffene am 8.
Juli 2014 geschäftsfähig war, kam es mithin ersichtlich auf ihre konkrete Verfassung an diesem Tag an, weshalb sich dem Tatrichter aufdrängen musste, die bei der Beurkundung neben der Betroffenen anwesenden Personen, nämlich den Notar und den Enkel, hierzu zu befragen. Das hat das [X.] im Ansatz offenbar auch erkannt, da es den Notar aufgefordert
hat, schriftlich zum psychischen Zustand der Betroffenen am 8.
Juli 2014 und zu dem anlässlich der Beurkun-dung geführten Gespräch Stellung zu nehmen. Dieser konnte jedoch keine ein-deutige Stellungnahme abgeben, weil ihm, wie er erklärte,
die Urkunde und eventuelle Nebenakten nicht vorlagen.
Eine erneute Befragung des Notars un-ter Vorhalt von Urkunde und eventuellen Nebenakten als Erinnerungshilfe ist jedoch ebenso unterblieben wie die Befragung des Enkels. Damit hat das [X.] nicht in der gebotenen Weise die zur Verfügung stehenden Aufklä-rungsmöglichkeiten zum Zustand der Betroffenen am 8.
Juli 2014 und damit zu vollständigen Anknüpfungstatsachen für den gerichtlichen Sachverständigen ausgeschöpft.
c) Aber auch das Bestehen von Zweifeln an der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen bei Vollmachterteilung unterstellt fehlt es derzeit an einer tragfähi-gen Grundlage für die Annahme, dass eine Betreuung für die Betroffene erfor-derlich ist. Die angefochtene Entscheidung enthält weder ausreichende Fest-stellungen dazu, dass etwaige Bedenken gegen die Wirksamkeit der [X.] zu [X.] im Rechtsverkehr führen, noch dazu, dass der Enkel als Bevollmächtigter ungeeignet ist.
3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache
ist an das [X.] zurückzuverweisen. Dieses wird die weitere Sachaufklä-rung zur Frage der Geschäftsfähigkeit der Betroffenen bei Erteilung der Voll-13
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macht an den Enkel vorzunehmen haben.
Abhängig vom Ergebnis dieser [X.] wird es dann ggf. auch Feststellungen zu [X.] der Vollmacht im Rechtsverkehr und zur Eignung des Enkels als Bevollmächtigtem für die Erledigung der für die Betroffene zu regelnden Angelegenheiten zu tref-fen haben.

Dose
[X.]
Nedden-Boeger

Guhling
Krüger
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.06.2015 -
XVII 673/14 -

LG [X.], Entscheidung vom 19.05.2016 -
4 T 2962/15 -

Meta

XII ZB 289/16

19.10.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.10.2016, Az. XII ZB 289/16 (REWIS RS 2016, 3736)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 3736

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XII ZB 289/16

4 T 2962/15

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