Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.10.2023, Az. VII ZR 306/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 8093

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Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des 25. Zivilsenats des [X.] vom 2. März 2021 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im August 2016 als Neuwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs [X.] in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs [X.] ([X.]) ausgestattet und unterfiel einem Rückruf seitens des [X.] (KBA).

2

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat er die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung gekürzten Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs und Zahlung einer weiteren im Termin zu beziffernden Nutzungsentschädigung, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.

3

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6

Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch seien nicht dargetan. Für einen der Beweisaufnahme zugänglichen Sachvortrag genüge es auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des [X.] vom 28. Januar 2020 ([X.]) nicht, sich auf die Verwendung eines [X.]s und die Abweichung der Emissionen im Normalbetrieb gegenüber den Messungen im Verfahren nach dem [X.] ([X.]) auf dem Rollenprüfstand sowie den Einbau des Motortyps [X.] zu berufen. Daran ändere der das Klägerfahrzeug betreffende Rückruf durch das [X.], mit dem nach den Feststellungen des landgerichtlichen Urteils nicht die [X.] aufgehoben, sondern nur eine Nebenbestimmung dazu erlassen worden sei, nichts. Nach dem Willen des Gesetzgebers seien die Messungen im Zeitpunkt der Erteilung der [X.] unter den laborartigen Bedingungen des [X.] und nicht im Normalbetrieb ermittelt worden. Aus einem höheren [X.] bei Abgasmessungen im Straßenbetrieb könne daher nicht zwingend auf die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die die Voraussetzungen für die Annahme einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung im Sinne des § 826 BGB erfülle, geschlossen werden. Selbst wenn unterstellt werde, das Fahrzeug verfüge über ein [X.] und dieses stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung dar, könne eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung nicht festgestellt werden, weil nicht belastbar auf eine von einem entsprechenden Vorsatz getragene, arglistige und sittenwidrige Schädigungshandlung der Fahrzeug- und Motorherstellerin geschlossen werden könne. Bei einer die Abgasreinigung beeinflussenden Motorsteuerungssoftware wie dem hier in Rede stehenden [X.], bei der Gesichtspunkte des Motor- oder Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft erwogen werden könnten, könne bei Fehlen jedweder konkreter Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden beziehungsweise Verantwortlichen bei der [X.] in dem Bewusstsein agiert hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Solche Anhaltspunkte seien weder konkret vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. [X.] seien weit verbreitet und würden von den Zulassungsbehörden als zulässig und sinnvoll angesehen. Die Gesetzeslage sei hinsichtlich der Zulässigkeit von [X.]n jedenfalls bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der [X.] vom 17. Dezember 2020 - C-693/18 - nicht eindeutig gewesen. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des konkreten Fahrzeugs könne indes nicht als besonders verwerflich angesehen werden. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 [X.], da diese Vorschriften nicht dem Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs dienten.

II.

7

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat. Auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss vom 20. April 2022, denen der [X.] insoweit nicht entgegengetreten ist, wird Bezug genommen.

9

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 1031/22 Rn. 24 ff., [X.], 503; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.] 2023, 1421).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.] nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der Gerichtshof der [X.] habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 (Az. [X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der [X.] habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. [X.], Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.] 2023, 1903; Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 28 ff., [X.] 2023, 1421). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Das Berufungsgericht hätte die Berufung des [X.] bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des [X.] zu berechnen. Die Stellung eines an die Geltendmachung des [X.] angepassten, unbeschränkten [X.] ohne Zug-um-Zug-Vorbehalt ist dem Kläger möglich.Denn dem von ihm in erster Linie auf §§ 826, 31 BGB gestützten großen Schadensersatz einerseits und einem [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]andererseits liegen lediglich unterschiedliche Methoden der Schadensberechnung zugrunde, die im [X.] an die [X.] bei Abschluss des Kaufvertrags anknüpfen ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] 335/21 Rn. 45, [X.] 2023, 1421).

III.

Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

Jurgeleit     

      

Sacher

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 306/21

26.10.2023

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 2. März 2021, Az: 25 U 9/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 26.10.2023, Az. VII ZR 306/21 (REWIS RS 2023, 8093)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 8093

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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