Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.09.2011, Az. 2 StR 322/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 3098

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Gegenstand

Reihenfolge der Vollstreckung: Beschwer durch Nichtanordnung des teilweisen Vorwegvollzugs einer Maßregel


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. April 2011 aufgehoben, soweit das [X.] die Anordnung eines [X.] eines Teils der Freiheitsstrafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung, wegen Sachbeschädigung, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] hat zum Schuld- und Strafausspruch sowie zur Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler ergeben. Die [X.] hat jedoch rechtsfehlerhaft von der Anordnung des [X.] eines Teils der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe vor der Unterbringung abgesehen.

3

1. Gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB soll das Gericht bei der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist; dabei ist dieser Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach einer Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist. Diese Vorschrift hat der Gesetzgeber bewusst als "Soll-Vorschrift" ausgestaltet. Nur wenn aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolges erwarten lässt, namentlich bei aktuell dringender Therapiebedürftigkeit des Betreffenden (vgl. NStZ-RR 2007, 371, 372; BT-Drucks. 16/1110, [X.]), darf von der Anordnung abgesehen werden ([X.], [X.], 142 und 182). Liegen solche Gründe nicht vor, so hat der Tatrichter im Erkenntnisverfahren bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum mehr ([X.], NStZ-RR aaO).

4

2. Diesem Maßstab wird das [X.] nicht gerecht.

5

Die Nichtanordnung des [X.] hat das [X.] mit der Besonderheit begründet, es sei derzeit nicht sicher vorhersehbar, ob die zur Bewährung ausgesetzte Vollstreckung zweier früherer gegen den Angeklagten verhängter Freiheitsstrafen widerrufen werde und in welcher Reihenfolge die Vollstreckung der Freiheitsstrafen in diesem Fall erfolge. Gegebenenfalls seien die früheren Freiheitsstrafen erst nach der Maßregel zu vollstrecken, weshalb die Anordnung des [X.] vorliegend keinen Sinn mache. In jedem Fall aber habe es die Strafvollstreckungskammer in der Hand, gemäß § 67 Abs. 3 Satz 1 StGB die in diesem Urteil festgelegte Vollstreckungsreihenfolge zu ändern (UA S. 29).

6

Diese von der Kammer erwogenen, möglicherweise in der Zukunft eintretenden Umstände rechtfertigen indes keine Abweichung von der Regel des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB. Für die Beurteilung des Vorliegens wichtiger, eine Abweichung rechtfertigender Gründe ist allein der Zeitpunkt der Aburteilung maßgeblich. Das Erreichen des [X.] wird dadurch auch im Falle später eintretender neuer Umstände nicht gefährdet, denn diesen kann die Strafvollstreckungskammer durch eine Anordnung, Änderung oder Aufhebung des [X.] jederzeit gerecht werden.

7

Der Angeklagte ist schon durch die Nichtanwendung des § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB beschwert, weil die von § 67 Abs. 1 StGB abweichende Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des [X.] dient und bei dessen Eintritt die Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte unter Anrechnung der Unterbringungsdauer schon zum [X.] entlassen wird ([X.], Beschluss vom 21. August 2007 - 3 [X.]; Beschluss vom 13. August 2009 - 3 [X.]; [X.] StGB 58. Aufl. § 64 Rn. 10). Die Beschwer besteht ungeachtet einer der Strafvollstreckungskammer in § 67 Abs. 3 Satz 1 StGB eröffneten Möglichkeit der nachträglichen Anordnung, denn eine spätere Anordnung steht lediglich in deren Ermessen und darf überdies nur auf Umstände gestützt werden, die erst nach Rechtskraft der Unterbringungsanordnung (typischerweise: während des Vollzugs) in Erscheinung getreten sind; verwehrt ist es dem nachträglich entscheidenden Gericht, bei gleicher tatsächlicher Beurteilungsgrundlage die Urteilsfeststellungen des erkennenden Gerichts nach Art eines Rechtsmittelgerichts zu "berichtigen" ([X.] 12. Aufl. StGB § 67 Rn. 105).

8

3. Über die Frage des [X.] eines Teils der Strafe ist daher unter Heranziehung eines Sachverständigen neu zu befinden. Stehen der Anordnung keine gewichtigen Gründe entgegen, wird die Kammer auch die erforderliche Therapiedauer festzustellen haben.

Fischer                               Appl                              Berger

                    Krehl                               Ott

Meta

2 StR 322/11

22.09.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 8. April 2011, Az: 112 KLs 40/10

§ 64 StGB, § 67 Abs 1 StGB, § 67 Abs 2 S 2 StGB, § 67 Abs 3 S 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.09.2011, Az. 2 StR 322/11 (REWIS RS 2011, 3098)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3098

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Vorwegvollzug eines Teils der Strafe bei Unterbringung in einer Entzugsanstalt


Referenzen
Wird zitiert von

5 StR 582/17

5 StR 582/17

2 StR 322/11

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