Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.01.2019, Az. 10 AZR 596/17

10. Senat | REWIS RS 2019, 10855

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Gegenstand

Jahressonderzuwendung nach § 3 Nr. 1 des Tarifvertrags über die Zahlung einer Weihnachtszuwendung - Jahressondervergütung im Maler- und Lackiererhandwerk vom 15. Juni 1994 idF des Änderungstarifvertrags vom 9. September 2007


Tenor

1. Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 19. Oktober 2017 - 15 [X.]/17 - unter Zurückweisung der Revision im Übrigen aufgehoben, soweit die Berufung des [X.] hinsichtlich der Klage auf Zahlung von 796,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Dezember 2016 zurückgewiesen worden ist.

2. Auf die Berufung des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 19. Mai 2017 - 4 [X.]/17 - teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 796,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Dezember 2016 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine tarifliche Sondervergütung für das Kalenderjahr 2016.

2

Der Kläger ist seit dem 1. Juli 2009 bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer in [X.] beschäftigt. [X.] beiderseitiger Tarifbindung findet der Tarifvertrag über die Zahlung einer Weihnachtszuwendung - Jahressondervergütung im Maler- und Lackiererhandwerk vom 15. Juni 1994 idF des [X.] vom 9. September 2007 ([X.]) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Darin heißt es auszugsweise:

        

§ 2   

        

Sondervergütung

        

1.    

Der Beschäftigte hat nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Anspruch auf Zahlung einer Sondervergütung.

        

2.    

Der Anspruch des Beschäftigten auf diese tarifliche Sondervergütung kann auf betriebliche Sonderzahlungen des Arbeitgebers wie [X.], Gratifikation, Jahresleistungsprämie, [X.]rgebnisbeteiligung oder Jahresabschlussvergütung voll angerechnet werden. ...

        

3.    

Die Sondervergütung wird fällig mit der Abrechnung für den Monat November.

                 
        

§ 3     

        

Leistungsvoraussetzungen

        

1.    

Den Anspruch auf die volle Sondervergütung erwirbt der Beschäftigte, der am 1. Dezember des Kalenderjahres (Stichtag) in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht, mindestens vierundzwanzig Monate ununterbrochen im Betrieb beschäftigt war und im Kalenderjahr mindestens sechs Monate tatsächlich gearbeitet hat.

        

2.    

Der Anspruch auf Sondervergütung beträgt bei einer Betriebszugehörigkeit am Stichtag

                 

-       

von mindestens zwölf Monaten

50 %   

                 

-       

von mindestens vierundzwanzig Monaten

100 % 

                 

der vollen Sondervergütung.

        

…       

        
        

§ 4     

        

Höhe der Sondervergütung

        

1.    

Die Sondervergütung beträgt für gewerbliche Arbeitnehmer:

                 

a)    

in den Bundesländern Baden-Württemberg, [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.], [X.] und im Westteil des [X.]

                          

-       

im Kalenderjahr 1994 40 [X.]cklöhne - das sind 876,-- DM -,

                          

-       

im Kalenderjahr 1995 50 [X.]cklöhne,

                 

…       

        
                                   
                 

unter Zugrundelegung des tariflichen [X.]cklohnes gem. § 2 Nr. 2, 3 und 4 des [X.] vom 15. Juni 1994, der am 1. Dezember des Kalenderjahres für den Arbeitnehmer maßgebend ist.

        

…       

        
        

3.    

Die Höhe der DM-Beträge für das Kalenderjahr 1995 wird von den Tarifvertragsparteien bekanntgegeben.“

3

Der Kläger konnte seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung im Kalenderjahr 2016 an 123 von insgesamt 252 Arbeitstagen krankheitsbedingt nicht erbringen. An 20 Arbeitstagen hatte er Urlaub. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2016 machte er vergeblich die Sondervergütung für das laufende Kalenderjahr in - rechnerisch unstreitiger - Höhe von 796,00 [X.]uro brutto geltend.

4

Der Kläger hat gemeint, Voraussetzung für den Anspruch auf die Sondervergütung sei nach § 3 [X.] neben dem ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisses am 1. Dezember lediglich eine tatsächliche Arbeitsleistung „in“ sechs von insgesamt zwölf Kalendermonaten. Überdies müssten urlaubs- und krankheitsbedingte Fehltage zu seinen Gunsten mitgerechnet werden. Danach stehe ihm die Sondervergütung für das Kalenderjahr 2016 zu. Die Beklagte schulde ihm auch die Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB.

5

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 796,00 [X.]uro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem gesetzlichen Basiszinssatz seit dem 16. Dezember 2016 nebst weiteren 40,00 [X.]uro netto zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung setzt der Anspruch auf die Sondervergütung für das Kalenderjahr 2016 voraus, dass an mindestens 126 Tagen tatsächlich gearbeitet wurde. Der Kläger habe unstreitig nur an 107 Tagen gearbeitet.

7

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt er sein Klageziel weiter.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist überwiegend begründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] in Bezug auf die Sondervergütung zu Unrecht zurückgewiesen. Die Klage ist insoweit begründet. Hinsichtlich der geltend gemachten Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB ist die Revision unbegründet. Dem Kläger steht ein solcher Anspruch nicht zu.

9

I. Der Kläger hat nach § 3 Nr. 1 und Nr. 2 Spiegelstrich 2 iVm. § 4 Nr. 1 Buchst. a [X.] Anspruch auf die volle Sondervergütung für das Kalenderjahr 2016.

1. Der räumliche, betriebliche und persönliche Geltungsbereich des Tarifvertrags ist eröffnet (§ 1 Nr. I bis Nr. III [X.]). Die Lackiererei der Beklagten liegt in [X.]. Er unterfällt dem betrieblichen Geltungsbereich des Rahmentarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom 30. März 1992 in der im Streitzeitraum geltenden Fassung des letzten [X.] vom 21. Oktober 2011 ([X.]). Der Kläger übt in diesem Betrieb eine versicherungspflichtige Beschäftigung aus und ist kein Auszubildender.

2. Der Kläger erfüllt die nach § 3 Nr. 1, Nr. 2 Spiegelstrich 2 [X.] bestehende Voraussetzung für den Anspruch auf die „volle“ Sondervergütung. Er gehörte dem Betrieb der Beklagten am Stichtag des 1. Dezember 2016 seit mindestens 24 Monaten an.

3. Im Bundesland [X.] belief sich die „volle“ Sondervergütung für gewerbliche Arbeitnehmer nach § 4 Nr. 1 Buchst. a [X.] im Kalenderjahr 2016 auf 796,00 [X.]. Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus. Der Betrag entspricht dem 50-fachen [X.], der nach § 2 Nr. 2 Buchst. b des [X.] 2016 bis 2018 für das Maler- und Lackiererhandwerk vom 27. Juni 2016 am 1. Dezember 2016 für den Kläger maßgebend war. Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass § 4 Nr. 1 Buchst. a Spiegelstrich 2, Nr. 3 [X.] diese Berechnung ausdrücklich nur für das Kalenderjahr 1995 vorschreibt.

a) Dass der Anspruch auf die Sondervergütung nicht auf die Kalenderjahre 1994 und 1995 beschränkt sein soll, folgt bereits aus § 7 [X.]. Danach ist der Tarifvertrag nicht befristet.

b) Nach § 4 Nr. 1 Buchst. a Spiegelstrich 2 iVm. § 4 Nr. 3 [X.] ist die Sondervergütung bereits für das Kalenderjahr 1995 dynamisiert. Anders als für das Kalenderjahr 1994 wurde kein zahlenmäßiger Betrag festgelegt, sondern bestimmt, dass die Sondervergütung das 50-Fache des am 1. Dezember des Kalenderjahres maßgeblichen [X.]s beträgt.

c) Diese Dynamisierung gilt auch für die Folgejahre. Im Änderungstarifvertrag vom 9. September 2007 wurden weder die Jahreszahlen angepasst noch die [X.] auf [X.] umgestellt. Die über den Unterschriftszeilen befindliche Zeile mit Ort und Datum des ursprünglichen Tarifabschlusses wurde nicht gestrichen. Es wurden lediglich unter dieser Zeile Ort und Datum des [X.] eingefügt. Dadurch haben die Tarifvertragsparteien bekräftigt, dass sich die jährliche Sondervergütung weiterhin auf 50 jeweils am 1. Dezember aktuelle [X.] beläuft.

4. Der Kläger erfüllte im Kalenderjahr 2016 die ersten beiden in § 3 Nr. 1 [X.] normierten Anspruchsvoraussetzungen: Er stand unstreitig am „Stichtag“ (1. Dezember 2016) in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis und war zu diesem [X.]punkt mehr als 24 Monate ununterbrochen im Betrieb beschäftigt.

5. Indem der Kläger an 107 der in [X.] insgesamt auf das Kalenderjahr 2016 entfallenden 252 Arbeitstage arbeitete und ihm an 20 Tagen Urlaub gewährt wurde, hat er iSv. § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] „im Kalenderjahr mindestens sechs Monate tatsächlich gearbeitet“. Die Auslegung ergibt, dass ein Vollzeitbeschäftigter diese Voraussetzung jedenfalls dann erfüllt, wenn er an mindestens der Hälfte der auf das jeweilige Kalenderjahr entfallenden Arbeitstage seine Arbeitsleistung erbracht hat. Wegen gesetzlichen [X.] ausgefallene Arbeitstage sind dabei mitzuzählen.

a) Da § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] auf das „Kalenderjahr“ abstellt, muss die Anspruchsvoraussetzung im [X.]raum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember erfüllt werden. Der Wortlaut lässt keine andere Deutung zu. Die Auffassung des [X.]s, wonach die geforderte Arbeitsleistung bereits am 1. Dezember erbracht worden sein müsse, teilt der Senat nicht.

aa) Der in § 3 Nr. 1 [X.] genannte Stichtag des „1. Dezember“ bezieht sich unzweifelhaft nur auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses.

bb) Die in § 2 Nr. 3 [X.] geregelte Fälligkeit der Sondervergütung mit der Abrechnung für den Monat November spricht ebenfalls nicht für das Verständnis des [X.]s (wie hier [X.] 4. März 1996 - 11 (8) Sa 1418/95 - zu [X.] 2 der Gründe; [X.] 22. Januar 2015 - 15 Sa 1042/14 - zu I 2 c aa der Gründe; 29. September 2011 - 8 [X.]/11 - zu I 2 c (2) der Gründe; [X.] 7. August 2007 - 6 [X.]/07 - zu II 1 der Gründe).

(1) Zwar tritt die Fälligkeit eines Anspruchs regelmäßig nicht vor seiner Entstehung ein. Regelt ein Tarifvertrag die „Fälligkeit“ jedoch ausdrücklich, kann dieser Termin nicht ohne nähere Anhaltspunkte mit dem [X.]punkt der [X.] gleichgesetzt werden ([X.] 13. Dezember 1994 - 3 [X.] - zu [X.] 4 der Gründe).

(2) Der von § 2 Nr. 3 [X.] verfolgte Zweck rechtfertigt nicht den Schluss, dass bei Auszahlung der Sondervergütung auch die Anspruchsvoraussetzung in § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] bereits erfüllt sein muss. Die Fälligkeitsregelung soll ganz offensichtlich den Arbeitnehmern entgegenkommen, die mit der Sondervergütung ihre Weihnachtseinkäufe bestreiten wollen (vgl. [X.] 18. Mai 2016 - 10 [X.] - Rn. 18; 12. Januar 1989 - 6 [X.] - zu I 1 d der Gründe). Dieser Zweck wird auch erreicht, wenn der Anspruch vor seiner Fälligkeit noch nicht entstanden ist.

cc) Gegen die Auffassung des [X.]s spricht auch die Tarifsystematik: Die im Dezember erbrachte Arbeitsleistung kann nach dem eindeutigen Wortlaut des § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] im Folgejahr nicht berücksichtigt werden (in diesem Sinn [X.] 29. September 2011 - 8 [X.]/11 - zu I 2 c (2) der Gründe; [X.] 7. August 2007 - 6 [X.]/07 - zu II 1 der Gründe). Für das Herausfallen eines ganzen Monats aus der Berechnung lässt sich vor dem Hintergrund, dass der Tarifvertrag eine „[X.]“ regelt und in der für den Bezugszeitraum maßgeblichen Norm auf das „Kalenderjahr“ abstellt, keine in das Tarifsystem passende Erklärung finden.

b) Mit der [X.]spanne „mindestens sechs Monate“ in § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] ist ein nicht zwingend zusammenhängender [X.]raum von 180 Kalendertagen gemeint.

aa) Die Tarifvertragsparteien haben den Begriff „Monat“ nicht definiert. Somit ist davon auszugehen, dass sie ihn in seiner gesetzlich definierten Bedeutung verstanden wissen wollen (vgl. [X.] 19. September 2018 - 10 [X.] - Rn. 28). Nach § 191 BGB braucht ein [X.]raum, der nach Monaten bestimmt ist, nicht zusammenhängend zu verlaufen und wird mit 30 Tagen gerechnet. „Sechs Monate“ meint mithin einen [X.]raum von 180 Kalendertagen. Dieses Begriffsverständnis wird durch § 18 Nr. 4 Satz 1 [X.] bestätigt. Danach gilt die Gewerbezugehörigkeit für ein Kalenderjahr für die Berechnung des Jahresurlaubs als erreicht, wenn der Arbeitnehmer insgesamt „mindestens 6 Monate (180 Kalendertage)“ eine Beschäftigung in Betrieben des Maler- und Lackiererhandwerks nachweist.

bb) § 3 Nr. 1 [X.] enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich um einen zusammenhängenden [X.]raum von 180 Kalendertagen handeln muss. Für die Auffassung der Revision, wonach lediglich „in“ sechs Monaten des Kalenderjahres gearbeitet worden sein müsse, lässt der Wortlaut keinen Raum (vgl. [X.] 22. Januar 2015 - 15 Sa 1042/14 - zu I 2 c bb der Gründe; [X.] 7. August 2007 - 6 [X.]/07 - zu II 2 der Gründe; [X.] 29. September 2011 - 8 [X.]/11 - zu I 2 c (2) der Gründe).

c) Von den 180 Kalendertagen sind die Wochenenden und die Feiertage abzuziehen, die im jeweiligen Kalenderjahr auf einen Arbeitstag fielen. In Anspruch genommener gesetzlicher Mindesturlaub ist als „tatsächlich gearbeitet“ anzusehen.

aa) Die Formulierung „tatsächlich gearbeitet hat“ in § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] verlangt bei wörtlichem Verständnis, dass die Arbeitsleistung tatsächlich erbracht wird. Aus dem tariflichen Zusammenhang mit den im [X.] getroffenen Regelungen zur Lage der Arbeitszeit und zur Feiertagsbezahlung folgt jedoch, dass Wochenenden und auf Arbeitstage fallende Feiertage von den 180 Kalendertagen in Abzug zu bringen sind.

(1) An Wochenenden kann grundsätzlich nicht „tatsächlich gearbeitet“ werden. Dies folgt aus § 7 Nr. 1 [X.], wonach „die regelmäßige werktägliche Arbeitszeit … montags bis freitags“ zu leisten ist. Die Parteien haben die Verteilung der Arbeitszeit „- soweit möglich -“ auf fünf Tage in der Woche auch vertraglich vereinbart (§ 3 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags).

(2) Feiertage müssen bei der Berechnung ebenfalls außer Betracht bleiben. Nach § 6 Satz 2 [X.] werden „Feiertage … mit so vielen Stunden angerechnet, wie an diesem Tag im Betrieb gearbeitet worden wären“. Dies korrespondiert mit § 9 Abs. 1 [X.], wonach Arbeitnehmer - abgesehen von den in § 10 [X.] geregelten Ausnahmen - nicht an gesetzlichen Feiertagen beschäftigt werden dürfen.

bb) Im Zweifel sind Tarifverträge im Einklang mit höherrangigem Recht auszulegen ([X.] 20. September 2016 - 9 [X.] - Rn. 17). Deshalb ist der im jeweiligen Kalenderjahr in Anspruch genommene gesetzliche Mindesturlaub als „tatsächlich gearbeitet“ iSv. § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] anzusehen. Die Tarifnorm verstieße sonst gegen § 1 [X.].

(1) Nach § 1 [X.] hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Zur Erfüllung dieses Anspruchs reicht die Entbindung von der [X.] allein nicht aus. Vielmehr muss die [X.] der Freistellung von der Arbeit „bezahlt“ sein. Insoweit entspricht § 1 [X.] der Regelung in Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/[X.] ([X.] 10. Februar 2015 - 9 [X.] - Rn. 21 [X.], [X.]E 150, 355; 5. August 2014 - 9 [X.] - Rn. 23). Danach soll der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es dem Arbeitnehmer ermöglichen, sich zu erholen und über einen [X.]raum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Deswegen darf er während seines Jahresurlaubs nicht mit Umständen konfrontiert sein, die Unsicherheit in Bezug auf das ihm geschuldete Entgelt auslösen könnten ([X.] 29. November 2017 - [X.]/16 - [King] Rn. 37 ff. [X.]; s. auch 6. November 2018 - [X.]/16 - [[X.]] Rn. 41 f.).

(2) Bei der Sondervergütung nach § 2 Nr. 1 [X.] handelt es sich - zumindest auch - um Entgelt für die vom Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung.

(a) Nach § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] ist die erbrachte Arbeitsleistung - eigenständige - Voraussetzung für den Sondervergütungsanspruch (vgl. [X.] 25. September 2013 - 10 [X.] - Rn. 10). Der Entgeltcharakter der Sondervergütung kommt darüber hinaus in der Anrechnungsregelung des § 2 Nr. 2 Satz 1 [X.] und in § 5 Nr. 1 [X.] zum Ausdruck, wonach Teilzeitbeschäftigten der Anspruch nur pro rata temporis zusteht (vgl. [X.] 18. Mai 2016 - 10 [X.] - Rn. 19 zu § 20 TVöD-AT [[X.]]). Dass daneben auch die erwiesene Betriebstreue honoriert werden soll, zeigen die Stichtagsregelung des § 3 Nr. 1 [X.] und die in § 6 [X.] enthaltene Rückzahlungsklausel (vgl. [X.] 11. November 2015 - 10 [X.] - Rn. 17 zu § 20 TV-L).

(b) Nur wenn die Urlaubstage als „tatsächliche“ Arbeitstage im Tarifsinn mitzählen, muss ein Arbeitnehmer keine Nachteile in Bezug auf sein Entgelt in Form der Sondervergütung befürchten, wenn er die nach § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] vorausgesetzte Beschäftigungszeit vor Antritt des Urlaubs noch nicht erreicht hat. Dass die Sondervergütung lediglich einen Bruchteil seiner Vergütung ausmacht, steht dem nicht entgegen. Selbst wenn das Urlaubsentgelt auch ohne die Sondervergütung gerade noch so bemessen wäre, dass keine ernsthafte Gefahr für den Urlaubsantritt bestünde, genügte es nicht den Vorgaben des § 1 [X.] (vgl. [X.] 15. September 2011 - [X.]/10 - [[X.] ua.] Rn. 21, Slg. 2011, [X.]).

cc) [X.], demzufolge [X.]en in Anspruch genommenen [X.] im Rahmen des § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] unberücksichtigt blieben, wäre nicht durch die allgemeine Öffnungsklausel für Tarifverträge in § 13 Abs. 1 Satz 1 [X.] getragen. Soweit Tarifverträge für den gesetzlichen Mindesturlaub [X.] treffen, ist zumindest die Vergütung sicherzustellen, die der Arbeitnehmer ohne die Freistellung beanspruchen könnte ([X.] 27. Februar 2018 - 9 [X.] - Rn. 16). Danach durften die Tarifvertragsparteien [X.]en in Anspruch genommenen [X.] im Rahmen des § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] nicht anspruchshindernd berücksichtigen.

d) Dem so gewonnenen Verständnis des § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] stehen [X.] nicht entgegen. Die Erfüllung der dort formulierten Voraussetzung, wonach der Arbeitnehmer „im Kalenderjahr mindestens sechs Monate tatsächlich gearbeitet“ haben muss, kann spätestens am Ende des Kalenderjahres ohne Weiteres geklärt werden. Die Anzahl der Arbeitstage, die nach Abzug der Wochenenden und der auf Arbeitstage entfallenden gesetzlichen Feiertage verbleiben, steht für jedes Bundesland und jedes Kalenderjahr im Voraus fest. Aus den monatlichen Entgeltabrechnungen ergibt sich, ob der Arbeitnehmer an mindestens der Hälfte der ermittelten Arbeitstage gearbeitet und in welchem Umfang er den gesetzlichen Mindesturlaub in Anspruch genommen hat.

6. Ob auch auf krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit beruhende Fehlzeiten als Tage mitzählen, an denen der Arbeitnehmer im Tarifsinn „tatsächlich gearbeitet“ hat, kann offenbleiben. Der Senat musste die Tarifnorm insbesondere nicht auf ihre Vereinbarkeit mit § 4a [X.] hin überprüfen. Der Kläger hat die nach § 3 Nr. 1 letzter Halbs. [X.] im Kalenderjahr erforderliche Mindestanzahl von 126 Arbeitstagen bereits unter Berücksichtigung des ihm gewährten [X.] um einen Tag überschritten.

7. Der in Bezug auf die Hauptforderung geltend gemachte Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB. Die Sondervergütung ist nach § 2 Nr. 3 [X.] mit der Abrechnung für den Monat November fällig. Die Vergütung für November 2016 war nach § 34 Nr. 2 Satz 2 und Nr. 3 Satz 1 [X.] spätestens fällig am Donnerstag, den 15. Dezember 2016. Dementsprechend schuldet die Beklagte Zinsen ab dem 16. Dezember 2016.

8. Auf die Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB in Höhe von 40,00 [X.] hat der Kläger keinen Anspruch (vgl. [X.] 25. September 2018 - 8 [X.] - Rn. 8 ff., 23 ff.).

II. [X.] beruht auf § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Hinsichtlich der geltend gemachten Pauschale handelt es sich um eine verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung, die keine höheren Kosten veranlasst hat.

        

    Gallner    

        

    Pessinger    

        

    Brune    

        

        

        

    Schurkus    

        

    Uhamou    

                 

Meta

10 AZR 596/17

30.01.2019

Bundesarbeitsgericht 10. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Münster, 19. Mai 2017, Az: 4 Ca 63/17, Urteil

§ 1 TVG, § 1 BUrlG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 30.01.2019, Az. 10 AZR 596/17 (REWIS RS 2019, 10855)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 10855


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 10 AZR 596/17

Bundesarbeitsgericht, 10 AZR 596/17, 30.01.2019.


Az. 4 Ca 63/17

Arbeitsgericht Münster, 4 Ca 63/17, 19.05.2017.


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