Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.08.2012, Az. 1 StR 88/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 4017

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1
StR
88/12
vom
8. August 2012
in der Strafsache
gegen

wegen
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.

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Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 8. August 2012, an der teilgenommen haben:
[X.] am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl

als Vorsitzender

und die [X.] am Bundesgerichtshof
Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],
Prof. Dr. Sander,
die [X.]in am Bundesgerichtshof
Cirener,

Staatsanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 22. September 2011 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) hinsichtlich der Tat Ziffer 4 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäu-bungsmitteln in nicht geringer Menge, sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und des Weiteren in
Höhe eines Betrages von 5.610 Euro den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die auf die Verurteilung bezüglich 1
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der Tat Ziffer 4 beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, welche vom Ge-neralbundesanwalt vertreten wird, führt aufgrund der zulässig erhobenen Sach-beschwerde zur Aufhebung des Schuld-
und Strafausspruchs hinsichtlich der Tat Ziffer 4 sowie des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe.

1. Das [X.] hat unter anderem folgende Feststellungen und [X.] getroffen:

Am 30. Mai 2011 gegen 13.00 Uhr begab sich der anderweitig verfolgte

[X.]

gemäß vorheriger Verabredung zur Wohnung des Angeklagten in [X.] und brachte 645,5 Gramm [X.] mit, dem bei einem Wirkstoff-gehalt von etwas über 20 Prozent [X.] mindestens 143,231
Gramm [X.] zugrunde lagen. Wie zuvor abgesprochen kaufte und über-nahm der Angeklagte 120 Gramm des [X.]s zum Grammpreis von 45
Euro auf [X.] von

[X.]

. 100 Gramm des [X.]s sah der Angeklagte zum gewinnbringenden Weiterverkauf an einen Verdeckten Ermittler vor, 20 Gramm des [X.]s waren für den Eigenbedarf be-stimmt.

Auf die überraschend geäußerte, nicht näher begründete Bitte des

[X.]

, der vom kurze Zeit später geplanten Weiterverkauf
von 100 Gramm [X.] durch den Angeklagten an einen Abnehmer wusste und nach diesem geplanten Geschäft sogleich das [X.] abholen wollte, bewahrte der
Angeklagte die restliche Menge des mitgebrachten [X.]s, also [X.], für
ihn in seiner Wohnung auf. Der Angeklagte wollte diese Menge nicht selbst handeln, sondern nach gewisser Zeit, für die er sie in [X.] genommen hatte, an

[X.]

zurückgeben, der diese Menge zu-2
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sammen mit dem [X.] für 100 Gramm später abholen wollte. Weitere Überlegungen des Angeklagten zur späteren Verwendung des Rauschgifts durch

[X.]

sind nicht bekannt.

Nach der Übergabe des Rauschgifts verließ

[X.]

die Wohnung des Angeklagten. Gegen 19.00 Uhr wurde der Angeklagte, nachdem er ent-sprechend seiner Absicht kurz zuvor 99,9 Gramm des [X.]s zum Preis von insgesamt 5.500 Euro an den Verdeckten Ermittler verkauft hatte, festgenommen. Das restliche [X.] wurde bei einer anschließenden Wohnungsdurchsuchung sichergestellt.

u-nächst und hauptsächlich die insoweit geständige Einlassung des Angeklagten nlassung des Angeklagten, er habe bei

[X.]

120 Gramm
Kokain bestellt, wovon 100 Gramm
zum Weiterverkauf und 20
Gramm
zum Eigenkonsum bestimmt gewesen seien, habe sich nicht mit der zu einer Verurteilung ausreichenden Sicherheit dahingehend widerlegen [X.], dass er die gesamte Menge von 645 Gramm
auf [X.] angekauft und übernommen habe, um dieses gewinnbringend weiterzuverkaufen.

Hinsichtlich des Umstandes, dass der Lieferant

[X.]

in dem ge-gen ihn selbst geführten Strafverfahren angegeben hatte, er habe die Gesamt-menge von 645 Gramm
Kokain an den Angeklagten verkauft, hat sich die nicht in der Lage gesehen, dies als richtig anzunehmen, weil es für [X.]

Hinblick auf den gegen ihn erhobenen Strafvorwurf des unerlaubten Handel-treibens in nicht geringer Menge zumindest nach seiner eigenen Einschätzung 5
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ohne ihm günstige Bedeutung gewesen sein mag, etwaige weitere Abnehmer

Beweis erhoben hatte die [X.] nicht, nachdem

[X.]

im Strafverfahren gegen den Angeklagten gemäß § 55 StPO von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte.

Nach Auffassung der [X.] sprachen auch die durch die [X.] dokumentierten Portionierungen des aufgefundenen [X.]s nicht gegen die Einlassung des Angeklagten, er habe auf Wunsch des

[X.]

die restliche (nicht für ihn bestimmte) Menge in verschiedene Portionen aufge-teilt, wobei das [X.] jedoch auch erkannt hat, dass sich ein Sinn dieses

Für die [X.] erschien zwar auch ein Handeltreiben des Ange-klagten mit einer großen Menge nicht ausgeschlossen; deutliche Hinweise hie-rauf sah sie aber nicht, auch nicht unter Berücksichtigung des Inhalts
der Aus-sage des Verdeckten Ermittlers, der vom Angebot des Angeklagten zum [X.] größerer Mengen berichtet hatte. Hierbei hat die [X.] zusätzlich berücksichtigt, dass der Angeklagte nach seinem Auftreten in der [X.] zu großspurigem Vorbringen neigt, weshalb ohne weiteres auch eine Übertreibung durch ihn zu bedenken ist, um sich wichtig zu machen.

3. Die vom [X.] vorgenommene Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten von einem Tatvorwurf freispricht oder vorliegend wegen Teilen einer Tat nicht verurteilt, weil es insoweit Zweifel an dessen Tat-8
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handlungen und subjektivem Täterwillen hat bzw. diese nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Die revisionsgerichtli-che Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlau-fen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Be-weiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkge-setze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. [X.] ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die [X.] sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt auch, ob überspannte Anforderungen an die für die [X.] erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; [X.], Urteile vom 1. Juli 2008 -
1 [X.], Rn. 18; vom 27. April 2010 -
1 [X.], [X.], 108, 109 und vom 1.
Februar 2011 -
1
StR 408/10,
Rn.
15).

b) Zwar hat das [X.] vorliegend die den Angeklagten belasten-den Indizien dargestellt und im Einzelnen gewürdigt. Deren Bewertung genügt den vorstehenden Grundsätzen jedoch nicht.

So hat die [X.] keinen nachvollziehbaren Grund dafür gesehen, weshalb der Angeklagte das ihm nach seiner Einlassung nur zur kurzfristigen Aufbewahrung übergebene [X.] in völlig unterschiedliche Portionen von 132 Gramm, 148,5 Gramm,
241 Gramm
und 24,1 Gramm
aufteilte und
ab-packte, zumal keine dieser Portionen derjenigen von 20 Gramm
entsprach, welche er neben der an den Verdeckten Ermittler verkauften Teilmenge von 100
Gramm
für sich erworben hatte. Das [X.] hat dabei verkannt, dass dieses Indiz auf eine eigene Weiterverwendung des Rauschgifts hindeutet.

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c) Das [X.] beschränkt sich im Übrigen rechtsfehlerhaft darauf, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen. Es setzt sich hingegen nicht damit auseinander, ob die Belastungsindizien, die für sich genommen zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, in ihrer Gesamtheit die für eine Verurteilung notwendige Überzeu-gung hätten begründen können (vgl. [X.], Urteil vom 24. Juni 2004 -
4 [X.], [X.], 432 mwN).

Hinsichtlich der Auskunftsverweigerung [X.]

s wäre die als unwider-legbar hingenommene Einlassung des Angeklagten bezüglich der behaupteten Bitte [X.]

s um kurzfristige Aufbewahrung des [X.]s nicht ohne weiteres
als
unwiderlegbar hinzunehmen, sondern den Angaben [X.]

s in seinem eigenen Strafverfahren gegenüber zu stellen gewesen. Die bloßen Vermutungen der [X.], ob und welche Bedeutung entsprechende An-gaben für [X.]

in seinem eigenen Strafverfahren
gehabt haben könnten, können jedenfalls nicht ausschließen, dass dessen Angaben, mit denen er sich auch eines größeren [X.] belastete, zutreffend waren. Die neu zur Entscheidung berufene Kammer wird auch der Frage nachzugehen haben, ob [X.]

noch immer ein Auskunftsverweigerungsrecht zusteht.

Schließlich wäre in diesem Gesamtzusammenhang auch noch zu [X.] gewesen, dass der Angeklagte nach der Durchsuchung und Beschlag-nahme des Kokains gegenüber dem Polizeibeamten P.

äußerte, 20 Minuten später sei nichts mehr in der Wohnung gewesen, was er aber eigentlich nicht wissen konnte; denn nach seiner Einlassung war mit [X.]

nichts Genaues ausgemacht, wann dieser das Kokain wieder abholen sollte.

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4. Hinsichtlich der Tat Ziffer 4 war daher der Schuldspruch mit den Fest-stellungen aufzuheben. Der neue Tatrichter wird insoweit die Feststellungen neu zu treffen haben. Falls die Hauptverhandlung erneut ergeben sollte, dass hinsichtlich der beim Angeklagten sichergestellten Menge ein Handeltreiben nicht in Betracht kommt, wird sich die [X.] damit auseinandersetzen müssen, ob der Angeklagte neben dem unerlaubten Besitz sich nicht doch auch tateinheitlich wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben strafbar ge-macht hat; denn es liegt nicht nahe und wäre daher zu erörtern gewesen, wes-halb
der Lieferant [X.]

eine solch große Menge zum Eigenverbrauch [X.] wollte, zumal dann auch das vom Angeklagten vorgenommene Aufteilen dieser Menge keinerlei Sinn gemacht hätte.
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Die Einzelstrafe im Fall Ziffer 4 sowie die Gesamtfreiheitstrafe können keinen Bestand haben und sind entsprechend dem Ergebnis der neuen [X.] neu zu bemessen.

Wahl [X.] Ri[X.] Prof. Dr. [X.] ist

wegen Urlaubs an der Unter-

schrift gehindert.

Wahl

Sander Cirener
18

Meta

1 StR 88/12

08.08.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.08.2012, Az. 1 StR 88/12 (REWIS RS 2012, 4017)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 4017

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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