Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.02.2017, Az. VI ZR 254/16

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2017, 15686

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[X.]:[X.]:[X.]:2017:140217UVIZR254.16.0

BUN[X.]SG[X.]RICHTSHOF

IM NAM[X.]N [X.]S VOLK[X.]S

URT[X.]IL
VI [X.]/16

Verkündet am:

14. Februar 2017

Böhringer-Mangold

Justizamtsinspektorin

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 823 Abs. 1
und 2 Dc
a)
[X.]ine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht wegen Verstoßes gegen winterliche Räum-
und Streupflichten setzt entweder das Vorliegen einer allgemeinen Glätte voraus oder das Vorliegen von erkennbaren [X.] für eine ernsthaft drohende
Gefahr aufgrund vereinzelter Glätte-stellen.
b)
[X.]ine Gemeindesatzung über den Straßenreinigungs-
und Winterdienst muss nach dem Grundsatz gesetzeskonformer Auslegung regelmäßig so verstanden werden, dass keine Leistungspflichten begründet werden, die über die Grenze der [X.].
[X.], Urteil vom 14. Februar 2017 -
VI [X.]/16 -
LG [X.]

[X.]

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
24. Januar 2017 durch den Vorsitzenden [X.], den Richter Well-ner, die Richterinnen Dr. [X.] und Müller
sowie [X.] Klein
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 11.
Zivilkammer des [X.] vom 31. Mai 2016
im Kostenpunkt und
in-soweit
aufgehoben,
als zum Nachteil der Beklagten erkannt [X.] ist,
und wie folgt neu gefasst:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 31. März 2015 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittelzüge.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin nimmt als Arbeitgeberin aus übergegangenem Recht ihrer
verunglückten
Arbeitnehmerin
(künftig: der Geschädigten)
die Beklagten
als Gesamtschuldner
auf Schadensersatz wegen Verdienstausfalles
mit der Be-hauptung in Anspruch, die Geschädigte sei am 22. Januar 2013 gegen 7.20 Uhr auf dem Gehweg des innerstädtisch gelegenen Hausgrundstücks
der Beklagten
in [X.] auf einer weder geräumten noch
gestreuten Glatteisfläche gestürzt
und
habe
sich eine Fraktur des linken Handgelenks zugezogen. Während der [X.] 1
-

3

-

der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit der Geschädigten hat die Klägerin
der Geschädigten [X.]ntgeltfortzahlung in Höhe der Klageforderung geleistet.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Be-rufung der Klägerin hatte [X.]rfolg und führte -
mit Ausnahme eines Teils der Zins-forderung
-
zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten. Mit der vom Beru-fungsgericht
zugelassenen Revision erstreben
die Beklagten die [X.] des erstinstanzlichen Urteils.

[X.]ntscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts hat die Klägerin nach §
6 Abs.
1 [X.]ntgeltfortzahlungsgesetz ([X.]) aus übergegangenem Recht ihrer Arbeit-nehmerin, der Geschädigten, einen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §
823 Abs.
2 [X.] in Verbindung mit
§
3 Straßenreinigungs-
und Gebührensatzung der [X.] wegen Verletzung der Räum-
und Streupflicht. Danach seien die Gehwege werktags in der [X.] zwischen 7.00 bis 20.00 Uhr in einer für den Fußgängerverkehr erforderlichen Breite von Schnee freizuhalten und bei [X.]is-
und Schneeglätte zu streuen.
Die Vorschrift sei ein Schutzgesetz im Sinne des §
823 Abs.
2 Satz 1 [X.], da sie auch dem Schutz der Fußgänger zu dienen bestimmt sei.
Die Beklagten als Grundstückseigentümer seien ihren
Räum-
und Streupflichten
am Morgen des [X.] nicht nachgekommen. Nach dem [X.]rgebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass
sich am Morgen des 22. Januar 2013 gegen 7.20 Uhr auf dem Gehweg vor dem Hausgrundstück der Beklagten eine nicht gestreute Glatteisfläche von jedenfalls ca. 1 x 1 m Größe befunden habe. [X.]s
komme nicht darauf an, ob eine
"allgemeine
Glättebildung"
vorgele-2
3
-

4

-

gen habe. Das [X.]rfordernis einer allgemeinen Glättebildung sei nämlich in §
3 der Straßenreinigungs-
und Gebührensatzung der [X.]
nicht vorgesehen. Soweit die Vorschrift die Verpflichtung des
Grundstückseigentümers regele, Gehwege an Werktagen bis 7.00 Uhr auf Schnee und entstandene Glätte zu überprüfen und diese zu beseitigen, begründe dies jedenfalls im Monat Januar bei -
hier
vorliegenden
-
nächtlichen
Minustemperaturen
bei [X.]isflächen der fest-gestellten Größe
keine unzumutbaren
Leistungspflichten. Die Beklagten hätten auch schuldhaft
gehandelt, da der Beklagte zu 2 bei dem
allmorgendlichen
Aus-führen seines Hundes gehalten gewesen sei, den sich über eine Strecke von ca. 10 Meter erstreckenden Gehweg vor seinem Haus eingehender zu prüfen als ein Passant. Gemäß §
840 Abs. 1 [X.] hafte der nicht in dem Haus [X.] Beklagte zu 1 gesamtschuldnerisch mit dem Beklagten zu 2.

II.
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung
nicht
stand.
1. Allerdings sind die Beklagten entgegen der Auffassung der Revision passivlegitimiert. Durch die Rechtsprechung des III. Zivilsenats des [X.] ist geklärt, dass im Falle der
Übertragung der
Pflicht zur
Reinigung der Gehwege auf die [X.]igentümer der [X.] (hier:
aufgrund der [X.]rmächtigung nach §
4 Abs.
1 des Straßenreinigungsgesetzes des [X.]) ungeachtet hoheitlich ausgestalteter Straßenverkehrssi-cherungspflichten (hier: § 9a Abs. 1 des Straßen-
und Wegegesetzes des [X.])
bei Verstößen gegen die Verkehrssicherungspflicht durch
Anlieger eine Haftung nach allgemeinem Deliktsrecht begründet wird
(vgl. [X.], Urteile vom 30.
Oktober 1961 -
III
ZR 137/60, [X.], 70 und vom 4
5
-

5

-

5.
Dezember 1991 -
III
ZR 31/90, [X.], 444). Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch rechtsfehlerhaft
einen -
auf die Klä-gerin nach
§ 6 Abs. 1 [X.] übergegangenen -
Schadensersatzanspruch der Geschädigten wegen Verletzung der Räum-
und Streupflicht bejaht.
a) Die winterliche Räum-
und Streupflicht beruht auf der Verantwortlich-keit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, d.h. eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. [X.] voraus. Grundvorausset-zung für die Räum-
und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen einer "allgemeinen Glätte"
und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glätte-stellen (vgl. Senatsurteil
vom 12. Juni 2012 -
VI [X.], [X.], 1050 Rn. 10; [X.], Beschlüsse vom 21. Januar 1982 -
III ZR 80/81, [X.], 299, 300; vom 26. Februar 2009 -
III ZR 225/08, [X.], 3302 Rn. 4 mwN; Thüringer OLG
NZV 2009, 599, 600 mwN; [X.], [X.], 414, 415; [X.]/
[X.], [X.], 27. Aufl., [X.]. 14 Rn. 147; [X.]/[X.], [X.] [2009], § 823 Rn. [X.] 128).
b) Nach
den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen
Feststellun-gen des Amtsgerichts lag eine allgemeine Glätte im Bereich des Grundstücks der Beklagten nicht vor. Vielmehr
war auf dem Bürgersteig vor dem Haus der Beklagten lediglich eine einzige Glatteisfläche von ca. 1 x 1 m Größe [X.], die sich
allerdings
fast über die gesamte Breite des [X.]. Ansonsten war der Bürgersteig
vor dem Haus der Beklagten -
wie auch
im Übrigen sowie die Straße -
trocken und geräumt.
Die Vorinstanzen vermochten weder Feststellungen hinsichtlich der [X.]ntstehung der vereinzelten Glatteisflä-che auf dem Bürgersteig vor dem Haus der Beklagten
zu treffen
noch dazu, dass die Beklagten
mit
ihrer [X.]ntstehung
rechnen mussten. Bestanden
mithin 6
7
8
-

6

-

nach den
getroffenen Feststellungen aufgrund der Witterungsverhältnisse we-der eine allgemeine Glätte
noch sonst erkennbare Anhaltspunkte für eine [X.] drohende Gefahr durch Glättebildung auf dem Bürgersteig vor ihrem Grundstück, war der Beklagte zu 2
aus Gründen der sich aus § 823 Abs. 1 [X.] ergebenden allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nicht gehalten, den [X.] -
wie vom
Berufungsgericht angenommen
-
beim morgendlichen Aus-führen seines Hundes eingehender zu überprüfen als ein Passant
(vgl. zur Un-tersuchungspflicht: [X.], [X.], 316, 317; [X.], r+s 1999, 415, nachgehend Senatsbeschluss vom 19. Januar 1999 -
VI [X.]; OLG
Karlsruhe, [X.], 346; [X.]/J. [X.], 2009, [X.], § 823 Rn.
[X.] 128).
c) [X.]twas anderes ergibt sich
-
entgegen der Auffassung des Berufungs-gerichts -
auch nicht aus § 823 Abs. 2 [X.] in Verbindung mit § 3 Straßenreini-gungs-
und Gebührensatzung der
[X.] Zwar ist das
[X.]rfordernis einer "all-gemeinen Glätte"
in der entsprechenden Vorschrift
nicht ausdrücklich genannt. Daraus lässt sich jedoch nicht
der Schluss ziehen, dass die Satzung der [X.] die Verkehrssicherungspflichten der Anlieger über die Voraussetzungen
des § 823 Abs. 1 [X.]
hinaus erweitern wollte. [X.]ine Gemeindesatzung über den Straßenreinigungs-
und Winterdienst muss nach dem Grundsatz gesetzeskon-former Auslegung regelmäßig so verstanden werden, dass keine Leistungs-pflichten begründet werden, die über die Grenze der Zumutbarkeit und Verhält-nismäßigkeit hinausgehen (vgl. [X.] in [X.], [X.], 27.
Aufl., [X.].
14 Rn.
154; [X.] NJW 1975, 1787). In diesem [X.] kann die Gemeinde
auch
keine Räum-
und Streupflichten für An-lieger begründen, die über die Anforderungen der sie selbst treffenden (allge-meinen) Verkehrssicherungspflicht hinausgehen (vgl. [X.], [X.] vom 31.
März 2014 -
9
U 143/13, juris). [X.]s
ist deshalb davon auszuge-hen, dass die [X.] in §
3 ihrer Satzung die Anforderungen an die [X.]
-

7

-

sicherungspflichten der Anlieger bei Schnee-
und [X.]isglätte auf Grundlage der bestehenden Gesetzes-
und Rechtslage lediglich konkretisieren, jedoch nicht erweitern wollte.
3. Da nach den getroffenen
Feststellungen weder eine allgemeine Glätte
vorlag noch Umstände ersichtlich sind, dass
für
die Beklagten
erkennbare An-haltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr aufgrund einer einzelnen [X.] bestanden, ist die auf eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht gestützte Klage unbegründet. Da keine weiteren Feststellungen mehr zu erwar-ten
sind, kann der Senat selbst entscheiden und das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts wiederherstellen.
Galke
[X.]
[X.]

Müller
Klein

Vorinstanzen:
[X.], [X.]ntscheidung vom 31.03.2015 -
9 [X.] -

LG [X.], [X.]ntscheidung vom 31.05.2016 -
11 [X.]/15 -

10

Meta

VI ZR 254/16

14.02.2017

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.02.2017, Az. VI ZR 254/16 (REWIS RS 2017, 15686)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15686

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VI ZR 254/16

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