Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.02.2010, Az. 2 AZR 959/08

2. Senat | REWIS RS 2010, 9112

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Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] - [X.] - vom 17. Juni 2008 - 14 [X.]/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die [X.]lägerin macht die Unwirksamkeit einer ordentlichen, von der [X.]eklagten zu 1. auf betriebliche Gründe gestützten [X.]ündigung geltend. Dabei streiten die Parteien vor allem über die Frage, ob bei [X.]ündigung eine hinreichend sichere Prognose für die von der [X.]eklagten zu 1. behauptete [X.]etriebsstilllegung bestand, sowie über die Auslegung von § 18 Abs. 4 [X.]SchG. Außerdem macht die [X.]lägerin hilfsweise einen Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegen die [X.]eklagte zu 2. geltend.

2

Die [X.]lägerin trat im Jahre 1990 in die Dienste der [X.]eklagten zu 1. Diese stellte in ihrem [X.]etrieb in [X.] mit angeschlossenem [X.]etriebsteil in [X.] Gummidichtungen für die Automobilindustrie her und beschäftigte zum Jahresende 2006 etwa 170 Arbeitnehmer.

3

Mit Schreiben vom 13. Juni 2006 unterrichtete die [X.]eklagte zu 1. den [X.]etriebsrat über ihre Absicht, den gesamten [X.]etrieb in [X.] und [X.] bis zum 30. Juni 2007 zu schließen und die Produktion teilweise nach [X.] und teilweise nach [X.] zu verlagern. [X.] ist Sitz der [X.]eklagten zu 2., einem weiteren Unternehmen, der weltweit agierenden [X.]onzernmutter der [X.]eklagten zu 1.

4

In der Folgezeit führte die [X.]eklagte zu 1. mit dem [X.]etriebsrat zunächst freie, dann in einer Einigungsstelle förmliche Verhandlungen, die am 18. Oktober 2006 zum Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans führten. Gem. Ziff. 2.1 des Interessenausgleichs sollte die gesamte Produktion einschließlich der „Mischerei“ und der „Oberflächenbeschichtung“ schrittweise bis zum 30. Juni 2007 stillgelegt werden.

5

Mit Schreiben vom 15. November 2006 informierte die [X.]eklagte zu 1. den [X.]etriebsrat über eine geplante [X.] gem. § 17 Abs. 2 [X.]SchG. Der [X.]etriebsrat nahm hierzu am 21. November 2006 Stellung.

6

Unter dem 27. November 2006 teilte die [X.]eklagte zu 1. der [X.] mit, sie beabsichtige am 29. und 30. November 2006 insgesamt 157 Arbeitnehmer zu entlassen, bat um Mitteilung des [X.]eginns und des Endes der Sperrfrist und beantragte die Zustimmung zu deren Abkürzung.

7

Mit Schreiben vom 29. November 2006 sprach sie gegenüber der [X.]lägerin und weiteren Arbeitnehmern die [X.]ündigung zum 30. Juni 2007 aus.

8

Am 11. Dezember 2006 erteilte die [X.] der [X.]eklagten zu 1. einen [X.]escheid mit folgendem Wortlaut:

        

„1.

Die [X.] gemäß § 18 Abs. 1 [X.]ündigungsschutzgesetz ([X.]SchG) beginnt für 157 Arbeitnehmer am [X.] und endet am 27.12.2006.

                 

Damit können die beabsichtigten Entlassungen gemäß Ihrer Anzeige vom 27.11.2006 erfolgen.

                 

Ihrem Antrag auf Verkürzung der [X.] wird nicht zugestimmt, da für diese Anzeige nach geltender Rechtslage eine Verkürzung der [X.] nicht erforderlich ist.

        

2.   

Unbeschadet der [X.] sind die gesetzlichen, tariflichen oder vertraglichen [X.]ündigungsfristen einzuhalten. Reichen sie über die [X.] hinaus, so sind die Entlassungen erst nach Ablauf der [X.]ündigungsfrist zulässig.

        

...“

        

9

Zum 1. Mai 2007 übertrug die [X.]eklagte zu 1. den [X.]etriebsteil in [X.], in welchem die „Oberflächenbeschichtung“ durchgeführt wurde, auf ein Drittunternehmen. Zum 1. Juni 2007 wurde die Abteilung „Mischerei“ einschließlich der dazugehörigen Instandhaltung und Qualitätssicherung auf die [X.]eklagte zu 2. übertragen, die vorübergehend in der bisherigen [X.]etriebsstätte in [X.] weiterarbeiten ließ.

Die [X.]lägerin hält die [X.]ündigung für sozial ungerechtfertigt. Die [X.]eklagte zu 1. sei im Zeitpunkt des Ausspruchs der [X.]ündigung noch nicht fest entschlossen gewesen, den gesamten [X.]etrieb zum 30. Juni 2007 zu schließen. Die schon anfänglich vorgesehene Verlagerung von Maschinen auf die [X.]eklagte zu 2. und nach [X.] stelle einen [X.]etriebsübergang dar. Außerdem sei die [X.]ündigung nach § 18 Abs. 4 [X.]SchG unwirksam. Die [X.]eklagte zu 1. habe eine weitere Anzeige gegenüber der [X.] erstatten müssen, weil die [X.]ündigungen zu einem weit nach Ende der Freifrist liegenden Termin hätten wirken sollen. Jedenfalls müsse die [X.]eklagte zu 2. das Arbeitsverhältnis mit ihr fortsetzen.

Die [X.]lägerin hat zuletzt beantragt

        

festzustellen, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht durch die [X.]ündigung der [X.]eklagten zu 1. vom 29. November 2006 aufgelöst wurde, sondern fortbesteht

        

hilfsweise,

        

die [X.]eklagte zu 2. zu verurteilen, das Arbeitsverhältnis ab dem 1. Juli 2007 mit ihr fortzusetzen.

Die [X.]eklagten haben beantragt, die [X.]lage abzuweisen. Sie haben behauptet, der Arbeitsdirektor und rechtsgeschäftliche Vertreter der Alleingesellschafterin der [X.]eklagten zu 1. habe gemeinsam mit deren Geschäftsführer und dem Chef der [X.] in Absprache mit dem Mutterkonzern die Entscheidung getroffen, den gesamten Produktionsbetrieb in [X.] einschließlich der Verwaltung bis spätestens zum 30. Juni 2007 einzustellen. Diese unternehmerische Entscheidung habe sich sowohl im Informationsschreiben vom 13. Juni 2006, als auch in den beiden [X.]etriebsvereinbarungen vom 18. Oktober 2006 widergespiegelt. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der [X.]ündigung habe die [X.]eklagte zu 1. noch nicht erwogen und auch noch nicht erkennen können, dass zu [X.]eginn des Folgejahres zwei [X.]etriebsteile, nämlich die „Mischerei“ und die „Oberflächenbeschichtung“ im Wege der [X.] weiter fortbestehen würden. Erstmals im Februar/März 2007 habe die [X.]eklagte zu 1. Verhandlungen mit dem Drittunternehmen aufgenommen. Die Entscheidung, die „Mischerei“ mit Wirkung vom 1. Juni 2007 durch die zum [X.]onzern gehörende [X.]eklagte zu 2. weiterführen zu lassen, sei erst in der zweiten [X.] 2007 getroffen worden. Die übrige Produktion sei, wie ursprünglich geplant, pünktlich zum 30. Juni 2007 stillgelegt worden. Die [X.] sei ordnungsgemäß erstattet worden und habe auch nicht nach § 18 Abs. 4 [X.]SchG wiederholt werden müssen. Ein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der [X.]eklagten zu 2. stehe der [X.]lägerin nicht zu.

Das Arbeitsgericht hat die [X.]lage abgewiesen. Das [X.] hat die [X.]erufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die [X.]lägerin ihr [X.]lagebegehren im Rahmen der zuletzt gestellten Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Feststellungsklage ist unbegründet. Die Kündigung ist nicht sozialwidrig iSd. § 1 [X.]([X.]) und verstößt auch nicht gegen § 18 Abs. 4 [X.] (I[X.]). Die hilfsweise gegen die Beklagte zu 2. erhobene Klage auf „Fortsetzung“ des Arbeitsverhältnisses ist unzulässig (II[X.]).

[X.] Die Kündigung ist sozial gerechtfertigt, weil sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen(§ 1 Abs. 2 [X.]).

1. Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist der des [X.]([X.] 21. April 2005 - 2 [X.] [X.]E 114, 258; 12. April 2002 - 2 [X.] - [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118; [X.]/Griebeling 9. Aufl. § 1 [X.] Rn. 550). Grundsätzlich muss zu diesem Zeitpunkt der Kündigungsgrund - hier der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit - vorliegen. Das Gestaltungsrecht Kündigung kann nur bei Vorliegen eines im Zeitpunkt der Kündigungserklärung vorhandenen Kündigungsgrundes rechtswirksam ausgeübt werden.

a) Dies hätte grundsätzlich zur Folge, dass betriebsbedingte Kündigungen erst möglich wären, wenn der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers nicht mehr zur Verfügung stünde. Wegen der Zukunftsbezogenheit der Kündigung und aus Gründen der Praktikabilität hat das [X.] schon eine Absicht zur Betriebs- oder Abteilungsstilllegung ausnahmsweise als ein dringendes betriebliches Erfordernis iSv. § 1 Abs. 2 [X.] anerkannt, wenn die für den künftigen Wegfall der Beschäftigung des Arbeitnehmers maßgeblichen Entwicklungen bereits zum Kündigungszeitpunkt feststehen, insbesondere die unternehmerische Organisationsentscheidung bereits getroffen war und sie sich zum Ablauf der Kündigungsfrist realisiert. Danach kommt es in den Fällen, in denen zwar bei Zugang der Kündigung noch eine Möglichkeit der Beschäftigung besteht, aber die für den künftigen Wegfall des [X.] maßgeblichen Entscheidungen bereits gefallen sind, darauf an, ob der Arbeitnehmer bis zum Kündigungstermin voraussichtlich entbehrt werden kann(vgl. [X.] 12. April 2002 - 2 [X.] - [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118).

b) Davon ist auszugehen, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die auf Tatsachen gestützte, vernünftige betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt ist, dass zum Kündigungstermin mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes vorliegen wird(st. Rspr. des Senats, vgl. zuletzt 13. Februar 2008 - 2 [X.] - [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 175; für den Entschluss zur Betriebsstilllegung: [X.] 28. Mai 2009 - 8 [X.] - EzA [X.] § 17 Nr. 20). Dabei muss die der entsprechenden Prognose zugrunde liegende Entscheidung bereits zum Kündigungszeitpunkt endgültig getroffen worden sein und die Maßnahme, zB die Schließung des Betriebs oder der Betriebsabteilung, aus Sicht der Arbeitsvertragsparteien zum Kündigungszeitpunkt bereits feststehen und greifbare Formen angenommen haben (v. [X.]. zu [X.] 15. März 2001 - 2 [X.] - in [X.] § 620 Bedingung Nr. 26). Ist dies nicht der Fall, kann eine zum Wegfall des Arbeitsplatzes und zur fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit führende Prognose vor Ablauf der Kündigungsfrist nicht erfolgreich gestellt werden. Vielmehr entfällt die Grundlage für die Kündigung.

c) Deswegen ist eine Kündigung wegen Betriebsschließung nicht sozial gerechtfertigt, solange der Arbeitgeber den [X.] lediglich erwogen, aber noch nicht endgültig gefasst hat([X.] 12. April 2002 - 2 [X.] - [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 120 = EzA [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 118; 10. Oktober 1996 - 2 [X.] - [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 81 = EzA [X.] § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 87). Gleiches gilt, wenn der Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt noch in ernsthaften Verhandlungen über die Veräußerung des Betriebs oder der Betriebsabteilung steht oder sich um neue Aufträge bemüht. Dann liegt keine unbedingte und endgültige Stilllegungsabsicht vor ([X.] 13. Februar 2008 - 2 [X.] - [X.] 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 175). Ebenso verhält es sich, wenn die vom Arbeitgeber im Kündigungszeitpunkt beabsichtigte Maßnahme in Wahrheit keine Stilllegung, sondern ein Betriebsübergang ist ([X.] 28. Mai 2009 - 8 [X.] - EzA [X.] § 17 Nr. 20).

2. Von diesen Grundsätzen ist - ohne sie allerdings ausdrücklich zu benennen - auch das [X.] ausgegangen und hat sie in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf den Fall angewandt.

a) Das Arbeitsgericht hat in der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme, auf die sich das [X.] bezogen hat, festgestellt, dass der [X.] im Juni 2006 getroffen und von da an umgesetzt wurde. Irgendwelche Vorbehalte seitens der Beklagten zu 1. waren dabei nicht erkennbar. Im Gegenteil hat die Beklagte zu 1. in Gesprächen mit dem Betriebsrat, später in Verhandlungen vor der Einigungsstelle, die personelle Umsetzung des getroffenen Beschlusses systematisch vorangetrieben bis zur Massenentlassungsanzeige und den sich anschließenden Kündigungen. Hätte die Beklagte zu 1. sich insoweit andere Möglichkeiten offenhalten wollen, so wären die genannten Gespräche mit dem Betriebsrat und die mit ihm vereinbarten Regelungen zum Teil überflüssig gewesen. Dass der Beschluss, wie die Klägerin meint, angesichts der Lieferverpflichtungen unrealistisch und von vorneherein undurchführbar war, ist durch die festgestellten Tatsachen nicht belegt. Abgesehen von zwei kleineren Einheiten und einigen Nacharbeiten ist der Betrieb tatsächlich zum 30. Juni 2007 stillgelegt worden. Dass es sich bei den [X.] einzelner Maschinen nicht um [X.] gehandelt hat, hat das [X.] mit gut nachvollziehbaren Gründen angenommen. Die später erfolgten Übertragungen von - zwei kleineren - Abteilungen waren bei Zugang der Kündigung noch nicht absehbar und wurden erst ab Februar 2007 erörtert und im Mai und Juni besiegelt.

b) Auch die Beweiswürdigung des [X.]s und des Arbeitsgerichts ist entgegen der Auffassung der Revision nicht zu beanstanden. Sie ist weder widersprüchlich noch verstößt sie gegen Denkgesetze; sie lässt auch keine wesentlichen Gesichtspunkte außer [X.]. Die Erklärungen der von der Beklagten zum Beweis ihrer Behauptungen zum Geschehensablauf benannten Zeugen waren eindeutig. Danach kamen Zweifel an der Zweckmäßigkeit der vollständigen Stilllegung zum 30. Juni 2007 erstmals etwa zwei Monate nach Ausspruch der Kündigung auf. Diese Zweifel ergaben sich nicht daraus, dass die Beklagte zu 1. von ihren ursprünglichen betriebswirtschaftlichen Überlegungen abgerückt wäre. Vielmehr handelte es sich um neu aufgetretene Gesichtspunkte der Qualitätssicherung, also um technische Aspekte. Bis zur Kündigung und noch zwei Monate danach kreisten alle Gespräche und Maßnahmen - einschließlich des Interessenausgleichs, Sozialplans und [X.] - um die endgültige Stilllegung des Betriebs. Die Aussagen der von der Klägerin gegenbeweislich benannten und vom Arbeitsgericht vernommenen Zeugen durften von den Vorinstanzen in dem Sinne gewürdigt werden, dass sie deren Überzeugung von einer ernsthaften und endgültigen Stilllegungsabsicht der Beklagten bei Kündigung nicht entgegenstanden. Die von den Zeugen bekundeten Tatsachen betrafen entweder Vorgänge vor dem [X.] oder solche nach Ausspruch der Kündigung oder standen nur in sehr indirektem Zusammenhang mit dem Beweisthema.

c) Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, das [X.] habe den [X.] hören müssen. Ihre Verfahrensrüge ist nicht zulässig erhoben. Sie hat nicht mitgeteilt, was der Zeuge I voraussichtlich ausgesagt hätte, wäre er vernommen worden. Schon das Arbeitsgericht hatte darauf hingewiesen, dass Herr I für Vorgänge Anfang 2006 benannt worden war, aus denen nicht auf das Fehlen eines Stilllegungswillens im Juni 2006 geschlossen werden könne. Auch die Rüge der Revision, das [X.] habe den [X.] hören müssen, kann nicht durchgreifen. Die Revision trägt vor, [X.] könne bestätigen, dass die Beklagte zu 1. im Januar 2007 von einer Fortführung der Gummimischerei bis Ende 2007 ausgegangen sei. Indes kam es für das [X.] nicht auf die Erwartungen der Beklagten zu 1. im Januar 2007, sondern im November 2006 an.

I[X.] Die Kündigung verstößt nicht gegen die Vorschriften über das Verfahren bei Massenentlassungen(§§ 17 ff. [X.]).

1. Der Bescheid der [X.] vom 11. Dezember 2006 steht der Kündigung nicht entgegen. Die Revision beanstandet nicht die Auslegung, die das [X.] dem Bescheid gegeben hat. Der Bescheid wollte der Beklagten zu 1. offenkundig den Ausspruch der Kündigungen unmittelbar nach Erstattung der Anzeige(27. November 2006) und nicht etwa erst „nach Ablauf der Kündigungsfrist“ gestatten. Die Arbeitsverhältnisse durften nach dem - wohlverstandenen - Inhalt des Bescheids nach Erstattung der Anzeige gekündigt werden und frühestens mit Ablauf der verhängten Sperrfrist enden. Außerdem mussten - selbstverständlich - die jeweils anwendbaren Kündigungsfristen gewahrt bleiben.

2. Die Kündigung verstößt nicht gegen § 18 Abs. 4 [X.].

a) Nach dieser Vorschrift bedarf es „unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1“ einer erneuten Anzeige, soweit die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie nach den Absätzen 1 und 2 zulässig sind, durchgeführt werden. Gemäß der in Bezug genommenen Vorschrift des § 17 Abs. 1 [X.] ist der Arbeitgeber verpflichtet, der [X.] zu erstatten, bevor er in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer, in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer und in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt.

Der Begriff „Entlassung“ in § 17 Abs. 1 [X.] bedeutet „Kündigung“ oder „Ausspruch der Kündigung“(Senat 23. März 2006 - 2 [X.] - Rn. 18, [X.]E 117, 281). Die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende einseitige Willenserklärung - die Kündigung - darf demnach erst ausgesprochen werden, nachdem der Arbeitgeber die Anzeige nach § 17 Abs. 1 [X.] bei der [X.] erstattet hat.

b) Welchen rechtlichen Gehalt § 18 Abs. 4 [X.] vor diesem Hintergrund hat, ist umstritten.

aa) Teilweise wird angenommen, § 18 Abs. 4 [X.] sei obsolet geworden. Die Vorschrift sei mit ihrem Verweis auf § 17 Abs. 1 [X.] nur verständlich, wenn man, wie vor der Entscheidung des [X.] vom 27. Januar 2005(- [X.]/03 - [[X.]], [X.] 2005, 885), unter „Entlassung“ iSd. § 17 Abs. 1 [X.] nicht die Kündigung, sondern die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses verstehe. Ansonsten schreibe sie - ohne erkennbaren Sinn - die erneute Anzeige einer bereits angezeigten Kündigung vor. Die frühere Lesart wiederum sei ausgeschlossen (vgl. [X.]/[X.] 10. Aufl. § 18 [X.] Rn. 12; [X.]/[X.] 9. Aufl. § 18 [X.] Rn. 34; [X.]/[X.]/Zwanziger-[X.]/[X.] 7. Aufl. § 18 [X.] Rn. 17; [X.]/[X.] 5. Aufl. § 18 [X.] Rn. 17; [X.]/Krieger/Powietzka DB 2005, 445; [X.]/[X.] BB 2005, 887; ebenso: [X.] Merkblatt 5 Anzeigepflichtige Entlassungen für Arbeitgeber Stand Juli 2005 unter 6.4).

bb) Einige Stimmen meinen, die Vorschrift müsse wie bisher angewandt werden; „Entlassung“ iSd. § 18 Abs. 4 [X.] bedeute nach wie vor die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses([X.]/Molkenbur 4. Aufl. § 18 [X.] Rn. 13). Das Gesetz wolle im Interesse der besseren Unterrichtung der [X.] den Arbeitgeber bei Kündigungen, die erst zu einem außerhalb der [X.] liegenden Zeitpunkt wirksam werden, zu einer erneuten Anzeige verpflichten ([X.] 2007, 374). Das sei durchaus sinnvoll, weil es bei langfristig geplanten und frühzeitig angezeigten Massenentlassungen neue Entwicklungen geben könne, die für die Arbeitsagentur von Interesse sein könnten (ähnlich v. [X.]/[X.] [X.] 14. Aufl. § 18 [X.] Rn. 23, 24).

cc) Das [X.] hat die Auffassung vertreten, der sich nach dem Wortlaut des § 18 Abs. 4 [X.] ergebende Anwendungsbereich müsse teleologisch reduziert werden. Eine erneute Anzeige sei deshalb immer dann überflüssig, wenn der [X.] lediglich die ihr schon bekannten Tatsachen mitgeteilt werden könnten. Im Streitfall hätten sich zwar nach Erstattung der ersten Anzeige zwei Teilbetriebsübergänge ergeben. Dadurch habe sich aber die Zahl der Entlassungen nicht erhöht.

dd) Indes führt bereits der Wortlaut von § 18 Abs. 4 [X.] zu dem Ergebnis, dass im Streitfall keine erneute Anzeige zu erfolgen hatte. Dabei kann offenbleiben, ob die dort gebrauchten Ausdrücke „Entlassung“ und „Durchführung der Entlassung“ die Kündigungserklärung meinten oder - wie früher selbstverständlich - die tatsächliche Beendigung. Freilich weist die Wendung „Durchführung der Entlassung“ eher darauf hin, es müsse die Kündigungserklärung gemeint sein(vgl. [X.] 6. November 2008 - 2 [X.] - Rn. 29, [X.] 1969 § 18 Nr. 4 = EzA [X.] § 18 Nr. 1). Einer erneuten Anzeige bedarf es nach § 18 Abs. 4 [X.] schon deshalb nicht, weil die Tatbestandsvoraussetzungen der Norm nicht gegeben sind. Die erneute Anzeige ist nach dem Gesetz nur „unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 [X.]“ notwendig. Die „Voraussetzungen des § 17 Abs. 1 [X.]“ wiederum liegen hier offensichtlich nicht vor. Zu diesen gehört, dass der Arbeitgeber den Ausspruch einer Massenkündigung beabsichtigt. Nur wenn er entsprechende Willenserklärungen abgeben will, bedarf es der Anzeige nach § 17 Abs. 1 [X.]. Daran fehlt es hier. Die Beklagte zu 1. beabsichtigte nach Ablauf der [X.] nicht mehr den Ausspruch von Kündigungen. Dafür bestand kein Anlass, da sie bereits gekündigt hatte. Ein anderes Verständnis der gesetzlichen Anordnung in § 18 Abs. 4 [X.] würde den Arbeitgeber zum erneuten Ausspruch einer Kündigung zwingen, was die Bestimmung erkennbar nicht beabsichtigt. Es käme ansonsten bei Kündigungsfristen, die länger als die [X.] sind, zu einer unendlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.

ee) Bei diesem Normverständnis bleibt für § 18 Abs. 4 [X.] ein zum System der §§ 17 ff. [X.] gut passender Anwendungsbereich. Der Arbeitgeber muss nämlich - nach Ablauf der [X.] - dann eine erneute Anzeige erstatten, wenn er von der Möglichkeit des Ausspruchs der Kündigung - bis dahin - keinen Gebrauch gemacht hat(im Ergebnis ebenso: APS/Moll 3. Aufl. § 18 [X.] Rn. 38; [X.]/[X.] 3. Aufl. § 18 [X.] Rn. 19; wohl auch [X.]/[X.] Stand September 2009 [X.] § 18 Rn. 16; in diese Richtung weist auch [X.] 6. November 2008 - 2 [X.] - Rn. 29, [X.] 1969 § 18 Nr. 4 = EzA [X.] § 18 Nr. 1). Auf diese Weise werden „Vorratsanzeigen“ verhindert, die dem Zweck des Gesetzes zuwiderliefen, die [X.] über das tatsächliche Ausmaß der Beendigungen von Arbeitsverhältnissen ins Bild zu setzen.

II[X.] Mit dem hilfsweise gegen die Beklagte zu 2. gerichteten „Fortsetzungs“- Antrag ist die Klage unzulässig. Die Klägerin will mit diesem Antrag erreichen, dass ihr, falls sie mit dem gegen die Beklagte zu 1. gerichteten Feststellungsantrag unterliegt, ein Anspruch auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten zu 2. zuerkannt wird. Sie will die Beklagte zu 2. also nicht unbedingt in Anspruch nehmen, sondern nur unter der Voraussetzung der Erfolglosigkeit ihrer gegen die Beklagte zu 1. gerichteten Klage. Eine solche eventuelle subjektive Klagehäufung ist unzulässig. [X.] sind nur zulässig, wenn sie unter einer innerprozessualen Bedingung stehen. Das ist bei einer eventuellen subjektiven Klagehäufung nicht der Fall. Es darf nicht bis zum Ende des Rechtsstreits in der Schwebe bleiben, ob gegen einen von mehreren Beklagten überhaupt Klage erhoben wird(st. Rspr., vgl. schon [X.] - VI 456/03 - [X.], 248; [X.] 14. November 1957 - 10 [X.] - NJW 1958, 833 mit [X.]. [X.]; [X.] 25. September 1972 - II ZR 28/69 - [X.] § 1914 Nr. 1 zur eventuellen subjektiven Klagehäufung auf Klägerseite; [X.] 31. März 1993 - 2 [X.] - [X.]E 73, 30; 11. Dezember 1997 - 8 [X.] - [X.]E 87, 303; 24. Juni 2004 - 2 [X.]/03 - [X.] § 613a Nr. 278 = EzA BGB 2002 § 626 Unkündbarkeit Nr. 5; 13. Juni 2007 - 7 [X.] - Rn. 30; [X.] 1999, 449). Darauf, ob der auf Leistung gerichtete Antrag auch mangels Bestimmtheit iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig ist, kommt es nicht mehr an.

IV. Die Kosten der Revision fallen der Klägerin nach § 97 ZPO zur Last.

        

    Kreft    

        

    Berger    

        

    Schmitz-Scholemann    

        

        

        

    Dr. Roeckl    

        

    [X.]    

                 

Meta

2 AZR 959/08

23.02.2010

Bundesarbeitsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Karlsruhe, 23. November 2007, Az: 1 Ca 531/06, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.02.2010, Az. 2 AZR 959/08 (REWIS RS 2010, 9112)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9112

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Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen - Verwirkung


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12 Sa 1320/10

12 Sa 1835/10

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