Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.06.2023, Az. 4 BN 39/22

4. Senat | REWIS RS 2023, 4946

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Gegenstand

Fehlendes Rechtsschutzbedürfnis für Normenkontrollantrag bei räumlich vollständiger Verwirklichung des Bebauungsplans


Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 5. Mai 2022 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unbegründet.

2

1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.

3

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die in dem angestrebten Revisionsverfahren beantwortet werden kann, sofern dies über den Einzelfall hinaus zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts beiträgt (stRspr, vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - [X.]E 13, 90 <91> und vom 24. Mai 2022 - 4 [X.] 3.22 - juris Rn. 2).

4

a) [X.] möchte [X.] klären lassen,

ob ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag besteht, wenn die durch unanfechtbare Genehmigungen zugelassenen und tatsächlich verwirklichten Anlagen nur eine zeitlich beschränkte Nutzungsdauer besitzen und eine erneute Antragstellung wegen der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht zulässig ist, und

ob der Grundsatz, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag nicht mehr besteht, wenn die durch unanfechtbare Baugenehmigungen zugelassenen Anlagen tatsächlich verwirklicht wurden, auch dann gilt, wenn die Festsetzungen durch aufgrund immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen zugelassene Anlagen verwirklicht werden.

5

Die Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision. Sie lassen sich ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten, soweit sie allgemeiner Klärung zugänglich und ihre Entscheidungserheblichkeit ausreichend dargelegt ist. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei bestehender Antragsbefugnis regelmäßig das Rechtsschutzinteresse gegeben. Das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses soll nur verhindern, dass Gerichte in eine Normprüfung eintreten, deren Ergebnis für den Antragsteller wertlos ist, weil es seine Rechtsstellung nicht verbessern kann. Es ist aber nicht erforderlich, dass die begehrte Erklärung einer Norm als unwirksam unmittelbar zum eigentlichen Rechtsschutzziel führt. Ist ein Bebauungsplan durch genehmigte oder genehmigungsfreie Maßnahmen vollständig verwirklicht, so wird der Antragsteller allerdings in der Regel seine Rechtsstellung durch einen erfolgreichen Angriff auf den Bebauungsplan nicht mehr aktuell verbessern können. Insofern kommt eine das Rechtsschutzbedürfnis ausschließende Verwirklichung einer angegriffenen Festsetzung nach der Senatsrechtsprechung aber nur dann in Betracht, wenn die Festsetzung im Baugebiet auch räumlich vollständig verwirklicht ist (stRspr, vgl. [X.], Urteile vom 25. Juni 2020 - 4 [X.]N 5.18 - [X.]E 169, 29 Rn. 19, vom 27. August 2020 - 4 [X.]N 4.19 - [X.]E 169, 219 Rn. 11, jeweils m. w. N., und vom 24. Januar 2023 - 4 [X.]N 8.21 - [X.] 2023, 373 Rn. 12).

6

Allerdings ändert die Unwirksamkeit des Bebauungsplans oder der einzelnen Festsetzungen die materielle Rechtsgrundlage für die vorhandene Nutzung. Hieran anknüpfende Ansprüche können bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans auf anderer - für einen Antragsteller günstigerer - Rechtsgrundlage zu beurteilen sein. Das gilt unabhängig davon, ob solche Ansprüche im allgemeinen Verwaltungsrecht, im [X.] oder im Immissionsschutzrecht gründen. Ist die Möglichkeit eines Vorteils für einen solchen Anspruch hinreichend konkret, kann dies ein Rechtsschutzinteresse begründen (vgl. [X.], Beschluss vom 28. August 1987 - 4 N 3.86 - [X.]E 78, 85 <92 f.>). Die bloße Möglichkeit, vorhandene Nutzungen zu ändern oder zu erweitern, ist aber in der Regel nicht hinreichend konkret, um ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag gegen Festsetzungen zu bejahen, die auf der Grundlage unanfechtbarer Genehmigungen tatsächlich bereits verwirklicht sind.

7

aa) [X.] zeigt keinen weitergehenden Klärungsbedarf auf. Die Frage, ob die hinreichend konkrete Möglichkeit eines Vorteils für die Anfechtung von Änderungs- oder Erweiterungsgenehmigungen oder für die Verfolgung von sonstigen Ansprüchen besteht, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und ist allgemeiner Klärung nicht zugänglich. Dies gilt auch, soweit die Beschwerde auf das voraussichtliche Ende der Nutzungsdauer der Windenergieanlagen zwischen den Jahren 2047 und 2057 hinweist.

8

Die Einführung einer Antragsfrist (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) durch das [X.] vom 1. November 1996 ([X.] 1626) führt nicht auf neuerlichen Klärungsbedarf. Sie hat an dem grundsätzlich fehlenden aktuellen Nutzen für die Rechtsstellung eines Antragstellers in Fällen der Verwirklichung des Bebauungsplans der Sache nach nichts geändert. Zwar hindert die Befristung der Normenkontrolle einen Antragsteller, einen Normenkontrollantrag zu einem späteren Zeitpunkt - erstmals oder erneut - einzuleiten, wenn eine Änderung, Erweiterung oder Wiedererrichtung auf der Grundlage des Bebauungsplans genehmigt wird. Das stellt den Antragsteller aber nicht [X.]. Er kann eine solche Genehmigung nach den allgemeinen Regeln anfechten und hierbei den Bebauungsplan inzidenter gerichtlicher Kontrolle zuführen. Das genügt in aller Regel. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt keine prinzipale Normenkontrolle (vgl. [X.], [X.] vom 19. Juni 2007 - 1 BvR 1290/05 - [X.]K 11, 337 <346> und [X.], Beschluss vom 21. Juli 2013 - 7 [X.] 1.13 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 187 Rn. 13).

9

bb) [X.] legt keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf mit ihrem Hinweis dar, dass die Festsetzungen des Bebauungsplans nicht durch baugenehmigungspflichtige, sondern durch immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtige und -genehmigte Vorhaben ausgenutzt worden sind.

Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung setzt nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG die Einhaltung anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften und damit die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens voraus. Sie stellt die Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem Bauplanungsrecht im Zeitpunkt der [X.] fest ([X.], Urteil vom 23. Oktober 2008 - 7 [X.] 48.07 - [X.]E 132, 224 Rn. 27). Ein für den Antragsteller erfolgreicher Ausgang des [X.] ließe Bestand und Wirksamkeit der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen unberührt; insoweit gilt nichts Anderes als für Baugenehmigungen auf der Grundlage der Landesbauordnungen.

Einen darüber hinaus gehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf legt die Beschwerde nicht in der von § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO geforderten Art dar. Ihr Hinweis auf die §§ 22 und 24 BImSchG geht fehl, weil Gegenstand dieser Vorschriften Anlagen sind, die - anders als die in Rede stehenden Windenergieanlagen ([X.]) - keiner Genehmigungspflicht nach dem [X.] unterliegen. Zu einer - vom Oberverwaltungsgericht erörterten ([X.]) - nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BImSchG äußert sich die Beschwerde dagegen nicht. Sie verweist vielmehr pauschal auf die dynamischen Betreiberpflichten nach dem [X.] (vgl. [X.], Urteile vom 23. Oktober 2008 - 7 [X.] 48.07 - [X.]E 132, 224 Rn. 28 f. und vom 29. April 2021 - 4 [X.] 2.19 - [X.]E 172, 271 Rn. 33). Deren Erfüllung ist nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG Voraussetzung für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung. [X.] legt aber nicht dar, ob und in welcher Weise eine Erklärung des Bebauungsplans als unwirksam und eine damit einhergehende veränderte bauplanungsrechtliche Beurteilung sich auf diese Pflichten auswirken könnte. [X.] äußert sich auch nicht zu der Frage, ob und in welcher Weise eine veränderte Einschätzung zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit einer - bereits bestandskräftig genehmigten - Windenergieanlage im Übrigen Anlass für behördliche Maßnahmen sein oder dem Antragsteller sonst zum Vorteil gereichen könnte.

b) [X.] hält für [X.] klärungsbedürftig,

ob ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag besteht, wenn nicht davon auszugehen ist, dass - über das in der Planbegründung dargestellte Standortkonzept hinaus - die planungsrechtliche Zulässigkeit eines (weiteren) [X.] der Windenergieanlagen an den im Bebauungsplan bezeichneten Standorten (sog. Repowering, vgl. § 16b Abs. 1 BImSchG) vom sachlichen Regelungsbereich des Bebauungsplans erfasst ist und damit einer Überprüfung im hiesigen Normenkontrollverfahren überhaupt zugänglich wäre.

Das führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision. Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere jeweils selbständig tragende Gründe gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn ein Zulassungsgrund für jeden der Urteilsgründe vorgetragen und gegeben ist (stRspr, vgl. [X.], Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 3 B 38.16 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 3). Daran fehlt es. Das Oberverwaltungsgericht hat die Annahme, die Möglichkeit einer künftigen Ausschöpfung der zulässigen Höhe durch die vorhandenen Anlagen begründe kein Rechtsschutzinteresse, selbständig tragend auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Möglichkeit einer Erweiterung oder des [X.] der Anlagen gestützt ([X.] f.). In Bezug auf diese Begründung besteht kein Zulassungsgrund (siehe 1. a) und 2. b)).

2. Mit den Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) dringt die Beschwerde nicht durch.

a) [X.] rügt eine Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes und des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Bewertung der Unterausnutzung des Bebauungsplans bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung (200 m Höhe) als unerheblich sei auf unzureichende Sachverhaltsfeststellungen gestützt.

Ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegt vor, wenn das Gericht bei seiner Überzeugungsbildung von einer Sachverhaltsunterstellung ausgeht, die nicht durch ausreichende tatsächliche Feststellungen getragen wird, und seine Überzeugung nicht auf eine hinreichende Tatsachengrundlage stützt (stRspr, vgl. [X.], Beschluss vom 7. Juni 2022 - 4 [X.] 14.22 - juris Rn. 7 m. w. N.). Das Oberverwaltungsgericht konnte seine Würdigung der Unterausnutzung auf die in den Beiakten enthaltene Begründung des Bebauungsplans - aus der die Gesamthöhe von 11 bereits errichteten Windenergieanlagen zwischen 150 m und 170 m hervorgeht (S. 12) - sowie auf die von der Beigeladenen eingereichte Aufstellung der [X.] aller 35 Anlagen (Schriftsatz vom 25. April 2022, [X.]. 120 GA) stützen. Von einer Feststellung "ins [X.]aue hinein" kann daher keine Rede sein.

Eine ausdrückliche Feststellung und Wiedergabe der Höhen der verwirklichten Anlagen im Urteil war nicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO geboten. Danach sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Im Allgemeinen genügt es, wenn der Begründung entnommen werden kann, dass das Gericht eine vernünftige und der jeweiligen Sache angemessene Gesamtwürdigung und Beurteilung vorgenommen hat. Nicht erforderlich ist, dass sich das Gericht mit allen Einzelheiten in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich auseinandersetzt (vgl. [X.], Beschluss vom 29. Januar 2019 - 4 B 73.17 - juris Rn. 6 m. w. N.). Hieran gemessen ist das Urteil nicht zu beanstanden.

b) Das Oberverwaltungsgericht hat den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt.

Der Antragsteller rügt, das Oberverwaltungsgericht habe seinen Vortrag übergangen, wonach nachträgliche Betriebseinschränkungen gegen die immissionsschutzrechtlich genehmigten Anlagen für ihn leichter durchsetzbar seien, wenn die planungsrechtliche Zulässigkeit nicht nach § 30 BauGB, sondern nach § 35 BauGB zu beurteilen sei. Das Oberverwaltungsgericht hat dieses Vorbringen zur Kenntnis genommen ([X.]), es ist ihm aber in der Sache nicht gefolgt. Das genügt den Anforderungen des rechtlichen Gehörs (vgl. [X.], Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 678/81 u. a. - [X.]E 64, 1 <12>; [X.], Beschluss vom 14. Juni 2016 - 4 [X.] - juris Rn. 86).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

Meta

4 BN 39/22

28.06.2023

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 5. Mai 2022, Az: OVG 10 A 20.17, Urteil

§ 6 Abs 1 Nr 2 BImSchG, § 17 Abs 1 S 2 BImSchG, § 22 BImSchG, § 24 BImSchG, § 47 Abs 2 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.06.2023, Az. 4 BN 39/22 (REWIS RS 2023, 4946)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4946

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