Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.08.2012, Az. 4 StR 205/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 3576

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Voraussetzungen der Anordnung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. Dezember 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung in drei Fällen, wobei es in zwei Fällen beim Versuch blieb, und wegen Sachbeschädigung in weiteren drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der [X.] Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Nach den Feststellungen beging der nicht vorbestrafte Angeklagte in der [X.] von Juli 2010 bis zum 12. Februar 2011 folgende Straftaten: Am 28. Juli 2010 legte er in seiner Wohnung Feuer, das sich auf die gesamte Wohnung und den Dachboden des Mehrfamilienhauses ausbreitete. Am 7. November 2010 und am 17. Dezember 2010 entfachte er jeweils im [X.] des von ihm neu bezogenen Wohnhauses ein Feuer, das auf angrenzende [X.]räume übergriff und im gesamten Haus zu erheblicher Rauchentwicklung führte. Außerdem zündete er in drei weiteren Fällen den Inhalt von Papier- bzw. Müllcontainern an.

3

Das [X.] hat angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auf Grund einer dis[X.] Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer Lernbehinderung – und damit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB – erheblich vermindert gewesen sei. Der Angeklagte sei infolge seines Zustands für die Allgemeinheit gefährlich (§ 63 StGB). Aufgrund der bestehenden Störung habe er [X.] gehabt, bei denen er geglaubt habe, seinen leiblichen Vater zu sehen. Er habe sich von ihm bedroht gefühlt. Diese Bilder hätten erhebliche [X.] verursacht, die der Angeklagte nicht adäquat habe steuern können. Als Ventil habe er dann zu den Brandstiftungen gegriffen. Der psychische Zustand des Angeklagten sei medikamentös nicht zu behandeln, da es sich um keinen psychotischen Zustand handele, auch wenn die Auswirkungen mit Verfolgungsgefühlen ähnlich hervortreten würden. Besonders problematisch sei, dass es sich um einen Dauerzustand handeln könne.

4

2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Sie setzt zunächst die positive Feststellung eines Defektes voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet ([X.], Beschluss vom 11. November 2003 – 4 [X.], [X.], 197 mwN). Dieser Zustand muss, da er anders als die Schuldfähigkeit nicht an den Tatzeitpunkt, sondern an die Prognose anknüpft, ein länger andauernder, nicht nur vorübergehender sein (st. Rspr.; vgl. [X.]St 34, 22, 27; [X.], StGB, 59. Aufl., § 63 Rn. 6 mwN). Die [X.] bedarf einer sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwer wiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Angeklagten eingreifende Maßnahme darstellt.

5

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Das [X.] hat nicht ausreichend dargelegt, dass die dissoziale Persönlichkeitsstörung bei dem Angeklagten in Verbindung mit der Lernbehinderung einen dauerhaften Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begründet. Dies folgt bereits daraus, dass sich die Strafkammer zur Begründung der [X.] auf das Gutachten der Sachverständigen bezieht, die hierzu lediglich ausgeführt hat, "dass es sich um einen Dauerzustand handeln könne" ([X.]). Dass es sich um eine länger bestehende und nicht vorübergehende Störung handelt, ergibt sich auch nicht sonst aus den Gründen des Urteils. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte nach den Feststellungen bis zu Beginn der [X.] sozial unauffällig gelebt hatte und strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war.

6

Darüber hinaus fehlt es bislang an ausreichenden Darlegungen zu der von der Sachverständigen diagnostizierten Störung. Schließt sich wie hier das [X.] dem Gutachten ohne weitere eigene Erwägungen an, muss es die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und die Ausführungen der Sachverständigen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. [X.], Beschluss vom 21. September 2004 – 3 [X.], [X.], 326). Hierzu reichen die sehr knappen tatsächlichen Angaben in den Urteilsgründen nicht aus. So wird nicht deutlich, aus welchen Umständen die Strafkammer folgert, dass der die Schuldfähigkeit überdauernd beeinträchtigende Zustand das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen – auch [X.] – Folgen stört, belastet oder einengt wie bei einer krankhaften seelischen Störung (siehe dazu [X.], Beschluss vom 21. September 2006 – 4 [X.], [X.], 6; Beschluss vom 30. Januar 2007 – 1 [X.]). Dem Revisionsgericht ist es damit nicht möglich, nachzuprüfen, ob die Voraussetzungen des § 63 StGB rechtsfehlerfrei angenommen wurden.

7

3. Die Sache bedarf daher im Hinblick auf die [X.] erneuter Verhandlung und Entscheidung.

[X.]Franke

                     Schmitt                                  [X.]

Meta

4 StR 205/12

29.08.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Dortmund, 8. Dezember 2011, Az: 35 KLs - 190 Js 568/10 - 29/11

§ 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.08.2012, Az. 4 StR 205/12 (REWIS RS 2012, 3576)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3576

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 205/12 (Bundesgerichtshof)


4 StR 257/12 (Bundesgerichtshof)


3 StR 154/20 (Bundesgerichtshof)

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Voraussetzungen der Anordnung; Beurteilung der Schuldfähigkeit


4 StR 495/20 (Bundesgerichtshof)

Verminderte Schuldfähigkeit: Anforderungen bei Diagnose einer "Borderline-Persönlichkeitsstörung"; Zusammenwirken einer Persönlichkeitsstörung und dem Konsum psychotroper Substanzen; …


2 StR 349/06 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.