Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.11.2023, Az. 1 C 7/22

1. Senat | REWIS RS 2023, 9818

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Gegenstand

Kein abgeleiteter Flüchtlingsschutz für Familienangehörige eines erst in Deutschland geborenen und hier als Flüchtling anerkannten Kindes


Leitsatz

1. Die drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines in Deutschland geborenen Kindes, das hier als Flüchtling anerkannt worden ist, haben keinen Anspruch auf Zuerkennung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft nach § 26 Abs. 3 i. V. m. Abs. 5 AsylG.

2. Die in § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG i. V. m. Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU geregelte Voraussetzung des Bestehens der Familie bereits im Herkunftsland bezieht sich auf die familiäre Beziehung zwischen dem minderjährigen Schutzberechtigten und dem Familienangehörigen, der den abgeleiteten Schutzstatus begehrt. Sie ist daher nicht schon dann erfüllt, wenn der in Deutschland geborene Schutzberechtigte in eine Ehe hineingeboren worden ist, die bereits im Herkunftsland bestanden hat.

Tenor

Die Revision der Kläger gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des [X.] vom 15. Februar 2022 wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Die Kläger sind [X.] Staatsangehörige. Sie wenden sich gegen die Ablehnung ihrer [X.], die auf die Zuerkennung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft als Familienangehörige zielen, als unzulässig.

2

Die Kläger zu 1. und 2. haben 2006 in [X.] geheiratet. Nach ihrer Ausreise wurden 2010 und 2011 in [X.] ihre Söhne, die Kläger zu 3. und 4., geboren. 2012 reisten die Kläger gemeinsam nach [X.] ein. 2013 wurde hier eine Tochter geboren. Mit Bescheid vom 29. Januar 2014 lehnte das [X.] ([X.]) die Asylanträge aller Familienmitglieder ab. Auf die dagegen erhobene Klage verpflichtete das [X.] die Beklagte, der Tochter wegen drohender Genitalverstümmelung die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und hinsichtlich aller Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 [X.] festzustellen.

3

Nachdem das [X.] den rechtskräftigen gerichtlichen Verpflichtungen nachgekommen war, stellten die Kläger im Dezember 2017 [X.]. Zur Begründung beriefen sie sich auf die Wahrung der [X.] in der Bundesrepublik [X.].

4

Mit Bescheid vom 11. Dezember 2017 lehnte das [X.] die Folgeanträge nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 [X.] als unzulässig ab, weil Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Die dagegen erhobene Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht keinen Erfolg.

5

Mit Beschluss vom 15. Februar 2022 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig, weil die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nicht gegeben seien. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hinsichtlich der Tochter sei keine Änderung der Sach- oder Rechtslage, die sich zugunsten der Kläger auswirke. Sie begründe für die Kläger keinen Anspruch auf Zuerkennung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft als Familienangehörige, weil die Voraussetzung des § 26 Abs. 3 Satz 1 [X.] [X.] aufgrund der Geburt der Tochter in [X.] nicht erfüllt sei. Nach dieser Vorschrift in Verbindung mit § 26 Abs. 5 [X.] setze die Gewährung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft bei den Eltern eines anerkannten Flüchtlings voraus, dass die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. [X.] 2011/95/[X.] schon in dem Staat bestanden habe, in dem der Flüchtling verfolgt werde. Dies gelte nach § 26 Abs. 3 Satz 2 [X.] entsprechend auch für minderjährige ledige Geschwister. Das schutzberechtigte Kind müsse danach bereits im Verfolgerstaat (hier [X.]) geboren sein. Es sei nicht ausreichend, dass das in [X.] geborene stammberechtigte Kind in eine Familie hineingeboren werde, die bereits im Verfolgerstaat bestanden habe. Dies ergebe sich schon aus dem Wortlaut des § 26 Abs. 3 Satz 1 [X.] [X.], aber auch aus der dort in Bezug genommenen, für die Auslegung des Begriffs der Familie maßgeblichen Bestimmung des Art. 2 Buchst. [X.] 2011/95/[X.]. Der [X.] habe im Verfahren [X.]/20 zwar nicht ausdrücklich entschieden, ob es für den Bestand der Familie schon im Herkunftsland genüge, dass das im Aufnahmemitgliedstaat geborene schutzberechtigten Kind in eine bereits im Herkunftsland gegründete Familie hineingeboren worden sei. In den zugehörigen Schlussanträgen des Generalanwalts vom 12. Mai 2021 werde indes zu Art. 2 Buchst. [X.] 2011/95/[X.] dargelegt, dass der [X.] den Vorteil der Wahrung des Familienverbands auf familiäre Bindungen beschränke, die die stammberechtigte Person in ihrem Herkunftsland vor der Gewährung dieses Schutzes geknüpft habe. Diesen Ausführungen lasse sich entnehmen, dass zur Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. [X.] 2011/95/[X.] zwingend der international Schutzberechtigte zu zählen sein soll. Die systematische Auslegung bestätige dies. Auch die teleologische Auslegung streite für das engere Verständnis. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte der in § 26 Abs. 3 [X.] normierte Elternschutz durch die Aufnahme der [X.] davon abhängig gemacht werden, dass bei den Familienangehörigen aufgrund der Verfolgung des minderjährigen Stammberechtigten hinreichend wahrscheinlich ebenfalls eine Bedrohungslage vorliege, sodass aus Gründen der Verfahrensvereinfachung eine automatische Übertragung des Schutzstatus als sachgerecht erachtet worden sei. Auswirkungen einer Verfolgung des minderjährigen Stammberechtigten auf die übrigen Familienmitglieder seien bei einer Geburt des Stammberechtigten außerhalb des Verfolgerstaats nicht in gleicher Weise wahrscheinlich, als wenn die [X.] mit den übrigen Familienmitgliedern schon im Verfolgerstaat bestanden habe. Den Familienangehörigen eines in [X.] geborenen minderjährigen Schutzberechtigten bleibe es im Übrigen unbenommen, Schutzgründe aus eigenem Recht geltend zu machen; zudem seien sie über Art. 6 Abs. 1 GG in der Regel zumindest vor einer Abschiebung geschützt.

6

Mit ihrer Revision rügen die Kläger, das Oberverwaltungsgericht habe den Begriff der Familie in § 26 Abs. 3 Satz 1 [X.] [X.] zu eng ausgelegt. Ausreichend sei, dass im Herkunftsstaat bereits eine Kernfamilie in Form einer Ehe bestanden habe. Denn mit der Einschränkung, dass die familiären Beziehungen bereits im Verfolgerstaat bestanden haben müssen, solle lediglich verhindert werden, dass die Ableitung der Schutzberechtigung auf der (vorgeblichen) Gründung einer Familie beruhe. So sei auch Art. 2 Buchst. [X.] 2011/95/[X.] auszulegen, auf den das Asylgesetz verweise. Diese Norm regele die zusätzliche Voraussetzung des Bestehens der Familie bereits im Herkunftsland vor den [X.]. Für die Frage, ob zukünftig eine gemeinschaftliche Gefahrenlage bestehe, sei es unerheblich, ob das die Gefahrenlage auslösende Kind erst im Ausland nachgeboren worden sei. Die Zuerkennung des Familienasyls diene der Wahrung der familiären Einheit.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat die angefochtene [X.] im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 Vw[X.]O) als rechtmäßig erachtet, weil sich die Anerkennung der im [X.] geborenen Tochter bzw. [X.] der Kläger als Flüchtling nicht mit Blick auf § 26 Abs. 3 i. V. m. Abs. 5 [X.] zugunsten der Kläger auswirkt. Der Zuerkennung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft nach diesen Vorschriften steht entgegen, dass die Familie nicht bereits in dem Staat, in dem der Tochter Verfolgung droht, bestanden hat (vgl. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.]).

9

1. Die Anfechtungsklage gegen die auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 [X.] gestützte [X.] ist nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 Vw[X.]O statthaft und auch im Übrigen zulässig. Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats sind [X.]en nach § 29 [X.] mit der Anfechtungsklage anzugreifen (vgl. BVerw[X.], Urteile vom 14. Dezember 2016 - 1 [X.] 4.16 [E[X.]LI:​DE:​BVerw[X.]:​2016:​141216U1[X.]4.16.0] - BVerw[X.]E 157, 18 Rn. 14 ff. und vom 20. Mai 2020 - 1 [X.] 34.19 [E[X.]LI:​DE:​BVerw[X.]:​2020:​200520U1[X.]34.19.0] - [X.] 402.251 § 29 [X.] Nr. 11 Rn. 10 m. w. N.). Hieran ist ungeachtet des beim [X.] ([X.]erichtshof) unter dem Aktenzeichen [X.]-216/22 anhängigen Vorabentscheidungsersuchens des [X.] (Beschluss vom 22. Februar 2022 - [X.] K 855/21 [E[X.]LI:​DE:​V[X.]SI[X.]MA:​2022:​0222.A4K855.21.00] - [X.] 2022, 253, Vorlagefragen 3 a bis c) zur Auslegung von Art. 46 [X.] 2013/32/[X.] festzuhalten. Bereits in der Rechtssache [X.] hat der [X.]erichtshof ausgeführt, die dem [X.]ericht obliegende Ex-nunc-Prüfung habe nicht zwingend eine inhaltliche Prüfung des Bedürfnisses nach internationalem Schutz zum [X.]egenstand und könne somit die Zulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz betreffen, wenn das nationale Recht dies gemäß Art. 33 Abs. 2 [X.] 2013/32/[X.] erlaube ([X.], Urteil vom 25. Juli 2018 - [X.]-585/16 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2018:​584] - Rn. 115, 144 ff.). Die Schlussanträge des [X.]eneralanwalts vom 7. September 2023 in dem aktuell anhängigen Verfahren [X.]-216/22 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2023:​646] bestätigen dies auch für den Fall einer [X.] nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 [X.] (Rn. 88 ff.).

2. Die Klage ist aber nicht begründet, weil die angegriffene [X.] rechtmäßig ist. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 [X.] ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 [X.] ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. § 71 [X.] verpflichtet zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 Vw[X.][X.] für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vorliegen. Der allein in Betracht kommende [X.] des § 51 Abs. 1 Nr. 1 Vw[X.][X.] setzt voraus, dass sich die dem unanfechtbaren Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Diese Voraussetzungen hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hinsichtlich der im [X.] geborenen Tochter bzw. [X.] der Kläger ist keine Änderung der Sachlage, die sich zu deren [X.]unsten auswirkt. Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang allein die abgeleitete Flüchtlingseigenschaft nach § 26 [X.] in den Blick genommen. Denn die Kläger haben sich mit ihrem Folgeantrag lediglich auf die Anwesenheit aller Familienmitglieder in der [X.] berufen; eine mit der [X.]efährdung der Tochter bzw. [X.] verbundene eigene Verfolgungsgefahr haben sie nicht geltend gemacht.

2.1 Die Anerkennung der Tochter als Flüchtling begründet für die Kläger zu 1. und 2. keinen Anspruch auf Zuerkennung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft als Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlings. Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 5 Satz 1 und 2 [X.] wird den Eltern eines minderjährigen ledigen Flüchtlings auf Antrag unter bestimmten, dort näher aufgeführten Voraussetzungen ebenfalls die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Unter anderem setzt dies voraus, dass die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95/[X.] schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Flüchtling verfolgt wird. Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben, weil die schutzberechtigte Tochter erst in [X.] geboren worden ist. Der Begriff der Familie im Sinne von § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] und von Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] bezeichnet die familiäre Beziehung zwischen dem schutzberechtigten Kind und dem Elternteil oder sonstigen berechtigten Erwachsenen, der den abgeleiteten Schutzstatus begehrt. Diese muss bereits im Herkunftsstaat bestanden haben. Dass die Eltern des Schutzberechtigten im Herkunftsstaat bereits in ehelicher Lebensgemeinschaft zusammengelebt haben, ist in diesem Zusammenhang hingegen weder ausreichend noch erforderlich. Es genügt deshalb nicht, dass der minderjährige Schutzberechtigte im Aufnahmemitgliedstaat in eine Ehe hineingeboren worden ist, die bereits im Herkunftsstaat bestanden hat (wie hier neben dem Berufungsgericht u. a. [X.], Urteil vom 20. Februar 2019 - 16 A 146/18 [E[X.]LI:​DE:​V[X.]HH:​2019:​0220.16A146.18.00] - juris Rn. 26; [X.], Urteil vom 1. Juni 2021 - 2 K 922/18.A [E[X.]LI:​DE:​V[X.]A[X.]:​2021:​0601.2K922.18A.00] - juris Rn. 32 ff.; [X.], Urteil vom 26. November 2021 - 8 K 1508/18.[X.]I.A -, juris; [X.], Urteil vom 3. April 2023 - 23 K 8471/21.A -; [X.], in: [X.]K-[X.], Stand: August 2023, § 26 Rn. 63, 63.1; [X.], Ausländerrecht, Stand: Juni 2023, § 26 [X.] Rn. 98 ff.; [X.], [X.], 11. Aufl. 2022, § 26 Rn. 39; a. A. [X.], Beschluss vom 25. Juli 2022 - 13 A 11241/21.OV[X.] [E[X.]LI:​DE:​OV[X.][X.]P:​2022:​0725.13A11241.21.00] - juris; V[X.] Sigmaringen, Urteil vom 19. Mai 2017 - [X.] [E[X.]LI:​DE:​V[X.]SI[X.]MA:​2017:​0519.A3K3301.16.0A] - juris; V[X.] Freiburg, Urteile vom 9. Oktober 2018 - [X.] 3294/17 - juris und vom 27. August 2020 - [X.] K 8179/17 - juris; [X.], [X.] 2019, 174; [X.], in: [X.], Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, § 26 [X.] Rn. 44; [X.], in: [X.] Ausländerrecht, Stand: 01.10.2023, § 26 Rn. 23b; [X.], in: [X.] Migrations- und Integrationsrecht, Stand: 15.10.2023, § 26 [X.] Rn. 52a).

a) § 26 Abs. 3 und 5 [X.] sind mit dem [X.]esetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/[X.] vom 28. August 2013 in das Asylgesetz eingefügt worden und ergänzen die bestehende nationale Regelung zum sogenannten [X.]. Die mit diesem [X.]esetz vorgenommenen Änderungen des § 26 [X.] dienten der Umsetzung von Art. 23 Abs. 2 [X.] 2011/95/[X.] ([X.]. 17/13063 S. 21). Mit § 26 Abs. 3 Satz 1 [X.] wurde das [X.] und über § 26 Abs. 5 [X.] der internationale Familienschutz erstmalig auf Eltern minderjähriger lediger Asylberechtigter und andere sorgeberechtigte Erwachsene erstreckt, weil auch dieser Personenkreis dem Begriff des Familienangehörigen gemäß Art. 2 Buchst. j [X.]edankenstrich 3 [X.] 2011/95/[X.] unterfällt. Die darin liegende Umsetzung der unionsrechtlichen Verpflichtung aus Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] zur Wahrung des [X.] international Schutzberechtigter ist in der Rechtsfolge (zulässigerweise) überschießend, weil das Unionsrecht nur zur [X.]ewährung der in den Art. 24 bis 35 [X.] 2011/95/[X.] aufgeführten Leistungen verpflichtet, nicht aber zur Erstreckung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus auf die Familienangehörigen (stRspr des [X.], Urteile vom 4. Oktober 2018 - [X.]-652/16 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2018:​801], [X.] - Rn. 68 ff., vom 9. November 2021 - [X.]-91/20 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2021:​898] - Rn. 36 und vom 23. November 2023 - [X.]-374/22 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2023:​902] - Rn. 20 f. sowie - [X.]-614/22 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2023:​903] - Rn. 20 f.). Es entsprach aber der Intention des [X.]esetzgebers, hinsichtlich des [X.] der Begünstigten einer Erstreckung des internationalen Familienschutzes, aber auch hinsichtlich der schutzberechtigten Bezugsperson an die in Art. 2 Buchst. j [X.]edankenstrich 3 [X.] 2011/95/[X.] normierten Vorgaben anzuknüpfen. Dies folgt auch aus der Absicht, dadurch die [X.]ebote des Art. 23 Abs. 2 [X.] 2011/95/[X.] im nationalen Recht vollständig zu erfüllen (BVerw[X.], Urteile vom 17. November 2020 - 1 [X.] 8.19 [E[X.]LI:​DE:​BVerw[X.]:​2020:​171120U1[X.]8.19.0] - BVerw[X.]E 170, 326 Rn. 27 und vom 25. November 2021 - 1 [X.] 4.21 [E[X.]LI:​DE:​BVerw[X.]:​2021:​251121U1[X.]4.21.0] - BVerw[X.]E 174, 177 Rn. 26 f.; siehe auch [X.], Urteil vom 20. Juli 2021 - 2 [X.]/21 [E[X.]LI:​DE:​OV[X.]HB:​2021:​0720.2LB96.21.00] - juris Rn. 41). Entsprechendes liegt hinsichtlich § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] nahe, der den Kreis der Berechtigten durch die Voraussetzung einschränkt, dass die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] schon in dem Staat bestanden haben muss, in dem der Flüchtling verfolgt wird. Das [X.]esetz nimmt auch hier auf Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] Bezug, der eine entsprechende Einschränkung mit dem Halbsatz "sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat" enthält.

Mit § 26 Abs. 3 [X.] hat der [X.]esetzgeber somit erkennbar Unionsrecht umgesetzt und dessen tatbestandlichen Anforderungen (vollständig) genügen wollen. Zugleich hat er diese Umsetzung aber im Rahmen und im System des bestehenden nationalen [X.]s vorgenommen und sich etwa bei der Formulierung des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] an der parallelen Einschränkung beim [X.] orientiert (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]). Der Systematik und Teleologie des nationalen [X.]s entspricht es, dass die "Familie", die gemäß § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] schon im Verfolgerstaat Bestand gehabt haben muss, zwingend den Schutzberechtigten einschließt (dazu b). Auch die in Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] enthaltene Einschränkung "sofern die Familie bereits im Herkunftsstaat bestanden hat" ist in diesem gleichen Sinne auszulegen (dazu c).

b) Das ursprünglich richterrechtlich begründete [X.] wurde mit der Schaffung von § 7a Abs. 3 Asyl[X.][X.] a. F. durch Art. 3 des [X.] vom 9. Juli 1990 ([X.] 1354) erstmals auf eine gesetzliche [X.]rundlage gestellt. Es beruht auf dem [X.]edanken des Familienschutzes und der Erfahrung, dass vielfach diejenigen, die von einem Flüchtling abhängig sind, im [X.] ebenfalls Verfolgungen oder sonstigen schweren Beeinträchtigungen ausgesetzt sind. Die Regelung zielte auf die "Entlastung des [X.] und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, da sie die Möglichkeit eröffnet[e], von einer u. U. schwierigen Prüfung eigener Verfolgungsgründe der Familienangehörigen eines Asylberechtigten abzusehen". Sie wurde zudem als "sozial gerechtfertigt", weil der "Integration der nahen Familienangehörigen der in der [X.] als Asylberechtigte aufgenommenen politisch Verfolgten" förderlich erachtet ([X.]. 11/6960 S. 29 f.). An dieser auf der gesetzlichen Vermutung einer Verfolgung basierenden Konzeption des [X.]s hat der [X.]esetzgeber bei der Schaffung des § 26 Asyl([X.])[X.] und bei den der Umsetzung von Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] dienenden Erweiterungen auf international Schutzberechtigte und Einbeziehung weiterer Familienangehöriger im [X.]rundsatz festgehalten (vgl. im Einzelnen BVerw[X.], Urteil vom 17. November 2020 - 1 [X.] 8.19 - BVerw[X.]E 170, 326 Rn. 25 f.).

aa) § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] knüpft das [X.] bzw. den internationalen Schutz für Eltern (§ 26 Abs. 5 [X.]) an die Voraussetzung, dass die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] bereits im Verfolgerstaat bestanden hat. Diese ist der vergleichbaren Einschränkung beim [X.] (und internationalen Schutz für Ehegatten) nachgebildet und dient dem gleichen Zweck. Die Schutzerstreckung für Ehegatten und Lebenspartner setzt gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.] voraus, dass die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem dieser politisch verfolgt wird. Eine derartige Einschränkung war bereits in der ersten gesetzlichen Regelung des [X.]s in § 7a Abs. 3 Asyl[X.][X.] i. d. F. von Art. 3 des [X.] vom 9. Juli 1990 ([X.] 1354) enthalten. Danach war dem Ehegatten eines Asylberechtigten die Rechtsstellung eines Asylberechtigten zu gewähren, wenn (unter anderem) "die Ehe schon in dem Staat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird (Herkunftsstaat), bestanden hat" (Nr. 2). Demgegenüber konnten Kinder eines anerkannten Asylberechtigten bereits mit dem [X.]esetz zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26. Juni 1992 ([X.] 1126) im Hinblick auf einen einheitlichen Rechtsstatus der Familie auch dann als Asylberechtigte anerkannt werden, wenn sie im [X.] nach der unanfechtbaren Anerkennung des Asylberechtigten geboren worden waren (vgl. [X.]. 12/2718 [X.]). Die beim [X.] geltende Voraussetzung, dass die Ehe bereits im Verfolgerstaat bestanden haben muss, wurde in diesem Zusammenhang nicht für entsprechend anwendbar erklärt. Die lediglich zu beachtende Einschränkung, dass der Antrag innerhalb eines Jahres nach der [X.]eburt zu stellen war, ist mit dem [X.]esetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der [X.] vom 19. August 2007 ([X.] 1970) ebenfalls entfallen.

Bei der durch Art. 1 des [X.]esetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/[X.] vom 28. August 2013 ([X.] 3474) geschaffenen Regelung zum [X.] (und abgeleitetem internationalen Schutz für Eltern) hat sich der [X.]esetzgeber nicht an dieser von Beginn an großzügigeren [X.]ewährung des Kinderasyls, sondern an der Regelung zum [X.] orientiert. So wie dieses davon abhängt, dass die eheliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgerstaat bestanden hat, ist auch der Elternschutz an die Voraussetzung geknüpft, dass die Familie schon im Verfolgerstaat bestanden hat. Bereits die Verwendung des Begriffs "Familie" deutet dabei darauf hin, dass diese den minderjährigen Schutzberechtigten einschließt und eine bloße eheliche Lebensgemeinschaft der Eltern in diesem Zusammenhang nicht genügt. Ob die Eltern bereits im Herkunftsland verheiratet waren, ist dagegen ohne Belang, weil der Anspruch auch einem einzelnen Elternteil oder einem anderen personensorgeberechtigten Erwachsenen zusteht (vgl. auch Art. 2 Buchst. j 3. Spiegelstrich [X.] 2011/95/[X.]). Entscheidend ist, dass die familiäre [X.]emeinschaft zwischen dem schutzberechtigten Kind und den Eltern oder dem Elternteil, der den abgeleiteten Schutz geltend macht, bereits im Herkunftsland bestanden hat.

bb) Sinn und Zweck des [X.]s und der gesetzlichen Beschränkung auf familiäre Beziehungen, die bereits im Verfolgerstaat bestanden haben, bestätigen dies. Beim [X.] hat der [X.]esetzgeber mit der Einschränkung zu erkennen gegeben, dass der Nähe des Ehegatten zum Verfolgungsgeschehen und damit der daraus auch für ihn herrührenden [X.]efahr Rechnung getragen werden soll. Eine Nähe des Ehegatten zum Verfolgungsgeschehen und eine eigene [X.]efährdung setzen aber voraus, dass die Ehegatten bereits im [X.] zusammengelebt haben (BVerw[X.], Urteile vom 25. Juni 1991 - 9 [X.] 48.91 - BVerw[X.]E 88, 326 <330> und vom 15. Dezember 1992 - 9 [X.] 61.91 - [X.] 402.25 § 1 Asyl[X.][X.] Nr. 159 S. 372 f.). Auf das Privileg des abgeleiteten Schutzes kann sich ein Ehegatte mithin aus sachlichem [X.]rund nur berufen, wenn er schon im Herkunftsstaat für den Verfolger wahrnehmbar in ehelicher Lebensgemeinschaft mit dem primär verfolgten Schutzberechtigten gelebt hat. Die gleiche Teleologie liegt der entsprechenden Einschränkung beim Elternschutz zugrunde. Nur derjenige Elternteil, der bereits im Herkunftsstaat mit seinem später schutzberechtigten Kind eine Familie gebildet hat, kann den abgeleiteten Schutz als Familienangehöriger eines Schutzberechtigten beanspruchen.

Die abweichende Auffassung, nach der es ausreicht, wenn im Herkunftsstaat eine eheliche Lebensgemeinschaft der Eltern mit oder ohne weitere Kinder, aber ohne den erst in [X.] geborenen Stammberechtigten ("Kern-" oder "Restfamilie") bestand, ist von der erwähnten Teleologie des [X.]s hingegen nicht gedeckt. Sie führt im [X.]egenteil zu einer anderweitigen Differenzierung, für die sich keine sachlichen [X.]ründe finden lassen: Dass ein Elternteil, der sich auf den Elternschutz beruft, im Verfolgerstaat des schutzberechtigten nachgeborenen Kindes mit dem anderen Elternteil und ggf. älteren [X.]eschwistern dieses Kindes bereits eine Familie gebildet hat, vermag eine Privilegierung nicht zu rechtfertigen. Die Beziehung des stammberechtigten Kindes zum jeweiligen Elternteil, die § 26 [X.] asylrechtlich zu schützen beabsichtigt, wird nicht dadurch schutzwürdiger, dass dieser Elternteil bereits mit anderen Personen im Herkunftsland eine Familie gebildet hat (vgl. [X.], in: [X.]K-[X.], Stand: 1. Dezember 2019, § 26 Rn. 63.1; [X.], Urteil vom 26. November 2021 - 8 K 1508/18.[X.]I.A - juris Rn. 32). Dies bewirkt zudem keine zusätzliche [X.]efährdung des Elternteils. Entgegen der Andeutung des [X.] bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschränkung des [X.] der Anspruchsberechtigten auf Eltern, die mit dem Stammberechtigten bereits im Herkunftsstaat eine Familie gebildet haben, auf den Ausschluss aufenthaltsrechtlich motivierter Zweckehen zielte. Anders als beim [X.] ist beim [X.] eine Ehe überhaupt nicht tatbestandsprägend, sondern kommt es auf die Eltern(teil)-Kind-Beziehung an.

cc) Etwas anderes kann auch nicht daraus hergeleitet werden, dass die Regelung der "umgekehrten" Fallkonstellation des von einem schutzberechtigten Elternteil gemäß § 26 Abs. 2 [X.] ableitbare Schutzstatus minderjähriger Kinder nicht an die Voraussetzung geknüpft ist, dass die Familie schon im Verfolgerstaat bestanden hat. Dies ist weder Ausdruck eines verallgemeinerungsfähigen Rechtsgedankens noch kann es sonst die Auslegung der beim [X.] vom [X.]esetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Einschränkung in § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] beeinflussen (a. A. [X.], [X.], 2019, 174 <177>; V[X.] Freiburg, Urteil vom 9. Oktober 2018 - [X.] 3294/17 - juris Rn. 17). Der nationale [X.]esetzgeber hat sich bewusst dafür entschieden, die Kinder eines anerkannten Schutzberechtigten unabhängig davon, ob die Familie bereits im Herkunftsstaat bestanden hat, in den einem Elternteil gewährten Schutzstatus einzubeziehen. Indem der [X.]esetzgeber in dieser Variante einen Bestand der Familie schon im Herkunftsstaat nicht verlangt, ist er über das unionsrechtlich [X.]ebotene auch tatbestandlich hinausgegangen und hat zunächst Art. 2 Buchst. h [X.] 2004/83/E[X.], sodann Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] in gemäß Art. 3 [X.] 2011/95/[X.] zulässiger Weise überschießend umgesetzt (vgl. [X.], Urteil vom 9. November 2021 - [X.]-91/20 - Rn. 37 ff.).

Diese im nationalen Recht vorgesehene Privilegierung des Kinderasyls gegenüber dem [X.] verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 [X.][X.]. Ihr liegt die Erwägung zugrunde, dass minderjährige Kinder eines verfolgten Erwachsenen unabhängig davon, ob sie bereits vor der Ausreise geboren und Teil der Familie waren, regelmäßig mit "im Visier" der Verfolger stehen. Dies rechtfertigt die pauschale Zuerkennung des abgeleiteten Schutzes. Die Annahme, dass im umgekehrten Fall eines schutzberechtigten Kindes nicht in gleicher Weise pauschal eine [X.]efährdung auch der Eltern unterstellt werden kann, ist ohne Weiteres nachvollziehbar und vermag die Ungleichbehandlung hinreichend zu rechtfertigen. Dass ein erst nach Verlassen des Herkunftslandes geborenes Kind in der [X.] als Flüchtling anerkannt wird, seine Eltern aber nicht, betrifft von vornherein nur seltene Fallkonstellationen. Regelmäßig geht es dabei um Mädchen, denen im Herkunftsland [X.]enitalverstümmelung droht. Diese geschlechts- und altersspezifische Verfolgung hat einen - höchstpersönlichen - [X.]rund, der nicht pauschal und regelmäßig auch auf eine Verfolgung der Eltern schließen lässt (hierzu etwa V[X.]H [X.]en, Beschluss vom 12. April 2019 - 9 ZB 19.31228 [E[X.]LI:​DE:​BAYV[X.]H:​2019:​0412.9ZB19.31228.00] - juris; [X.] [X.]onseil d'État, [X.]utachten [avis] vom 20. November 2013, n° 368676). Es ist daher nicht sachwidrig, in derartigen Fällen den Eltern Flüchtlingsschutz nur dann zuzuerkennen, wenn eine auch ihnen in eigener Person drohende Verfolgung im Einzelfall festzustellen ist.

dd) Es verstößt schließlich nicht gegen den allgemeinen [X.]leichheitssatz, dem Elternteil eines kurz vor der Ausreise geborenen stammberechtigten Kindes den abgeleiteten Schutz zu gewähren, dem Elternteil eines kurz nach der Ausreise geborenen stammberechtigten Kindes aber nicht (a. A. [X.], [X.] 2019, 174 <177>). Der [X.]esetzgeber hat die sachgerechte Erwägung, dass die Mitgefährdung eines Familienangehörigen wahrscheinlicher ist, wenn dieser bereits vor der Ausreise als Familienangehöriger des Schutzberechtigten erkennbar war, willkürfrei auf den Fall des [X.]s übertragen. Diese Entscheidung ist von seiner Typisierungsbefugnis gedeckt. Im Übrigen übersieht die [X.]egenansicht, dass der von ihr erhobene Einwand - wäre er durchgreifend - durch das [X.]enügenlassen einer "Kern-" oder "Restfamilie" nicht vollständig entkräftet werden könnte. Denn auch dann bliebe es dabei, dass eine alleinstehende Mutter nur dann Elternschutz erhalten könnte, wenn ihr schutzberechtigtes Kind vor und nicht erst nach der Ausreise geboren worden ist.

c) In demselben Sinne ist die - für das Verständnis des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] maßgebliche - unionsrechtliche Regelung in Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] auszulegen. Sie verlangt ebenfalls, dass die Familie bestehend aus dem Stammberechtigten und dem Familienangehörigen, der sich auf den Anspruch aus Art. 23 Abs. 2 [X.] 2011/95/[X.] beruft, bereits im Herkunftsland bestanden haben muss.

Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] definiert die Familienangehörigen des international Schutzberechtigten, denen der in Art. 23 Abs. 2 [X.] 2011/95/[X.] gewährleistete Anspruch auf bestimmte Leistungen zur Wahrung des [X.] zusteht. Familienangehörige sind danach die in den nachfolgenden drei [X.] aufgezählten Mitglieder der Familie des Schutzberechtigten, "die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsstaat bestanden hat". Schon der Wortlaut und die innere Systematik der Norm legen nahe, dass der dort verwendete Begriff der Familie den Schutzberechtigten einschließt. Die für alle familiären Beziehungen vor den [X.] zusammenfassend geregelten Voraussetzungen beschreiben jeweils eine - als Familie bezeichnete - Verbindung zwischen dem Schutzberechtigten und dem Familienangehörigen. Der Schutzberechtigte und der Familienangehörige müssen sich nicht nur aktuell "im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat" aufhalten, sondern ihre familiäre Verbindung ("die Familie") muss auch bereits im Herkunftsland bestanden haben. Zum einen verlangt das [X.]esetz den aktuellen gemeinsamen Aufenthalt, zum anderen enthält es eine Anforderung, die sich auf den Zeitraum vor Verlassen des Herkunftslandes bezieht. Durch das "bereits" sind beide Voraussetzungen miteinander verknüpft. Dies bringt zum Ausdruck, dass sie sich auf dieselbe Personenverbindung beziehen. Auch alle drei nachfolgenden [X.], die die einbezogenen Mitglieder der Kernfamilie definieren, machen deutlich, dass es jeweils um eine Verbindung aus (insbesondere) zwei Personen, nämlich dem Schutzberechtigten einerseits und dem Ehegatten, Kind oder Elternteil bzw. verantwortlichen Erwachsenen andererseits geht. Die Annahme, dass der dritte Spiegelstrich das Bestehen einer "Kernfamilie" ohne den Stammberechtigten bereits im Herkunftsland zwingend voraussetzte, wäre bereits mit dem klaren Wortlaut der Regelung nicht vereinbar. Familienangehöriger ist danach ausdrücklich auch ein einzelner Elternteil oder ein anderweitig verantwortlicher Erwachsener. Eine Auslegung dahinstehend, dass alternativ eine derartige Kernfamilie zumindest ausreichend wäre, scheidet ebenfalls aus. Denn auch aus der unionsrechtlichen Perspektive ist ein flüchtlingsrechtlich einleuchtender [X.]rund, an das Bestehen einer solchen Kernfamilie im Herkunftsstaat für den Familienangehörigen Vorteile zu knüpfen, die gerade den Familienverband zwischen ihm und dem minderjährigen Schutzberechtigten schützen, nicht ersichtlich.

Damit hat sich der [X.] dazu entschieden, die spezifisch mit dem internationalen Schutz verbundene Verpflichtung zur Wahrung des [X.] auf familiäre Beziehungen zu beschränken, die bereits im Herkunftsstaat bestanden haben (ebenso Art. 2 Buchst. g VO ([X.]) 604/2013, Art. 2 Buchst. c [X.] 2013/33/[X.]). Dass sich die durch Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] vermittelten Rechte auf familiäre Beziehungen beschränkt, die bereits im Herkunftsland bestanden haben, lässt sich mittelbar Art. 23 Abs. 5 [X.] 2011/95/[X.] entnehmen. Danach können die Mitgliedstaaten entscheiden, dass dieser Artikel auch für andere enge Verwandte gilt, die zum Zeitpunkt des Verlassens des Herkunftslandes innerhalb des [X.] lebten und zu diesem Zeitpunkt vollständig oder größtenteils von der Person, der internationaler Schutz gewährt worden ist, abhängig waren. Mit dieser Formulierung lässt der [X.] erkennen, dass er auch bei den von Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] erfassten Familienangehörigen vom Bestehen eines [X.] zwischen der schutzberechtigten Person und dem Familienangehörigen bereits im Herkunftsstaat ausgeht (ebenso [X.]eneralanwalt [X.], Schlussanträge vom 12. Mai 2021 - [X.]-91/20 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2021:​384] - juris Rn. 32). In diese Richtung kann der Erwägungsgrund 16 der Richtlinie gedeutet werden, in dem es heißt, dass der [X.] die uneingeschränkte Wahrung der Rechte der "Asylsuchenden und d[er] sie begleitenden Familienangehörigen" sicherstellen muss (siehe auch [X.]eneralanwalt [X.], Schlussanträge vom 30. September 2021 - [X.]-483/20 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2021:​780] - Rn. 39).

Dass im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 7 [X.]R[X.] ein darüber hinausgehendes Bedürfnis bestehen kann, erst im Aufnahmemitgliedstaat entstandene familiäre Beziehungen aufenthaltsrechtlich zu schützen, konnte bei alledem nicht übersehen worden sein. Diesem Bedürfnis ist in [X.] durch eine grundrechtskonforme [X.]estaltung und Anwendung des nationalen Aufenthaltsrechts und ggf. der Richtlinie 2003/86/E[X.] über die Familienzusammenführung Rechnung zu tragen. Ob die nach Art. 23 Abs. 1 [X.] 2011/95/[X.] bestehende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Aufrechterhaltung des [X.] zu ermöglichen, einen weiteren persönlichen Anwendungsbereich als Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j 2011/95/[X.] hat (vgl. [X.]eneralanwalt [X.]. Pitruzzella, Schlussanträge vom 20. April 2023 - [X.]-374/22 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2023:​318] - Rn. 78 ff.), kann hier offenbleiben. Denn eine daraus etwa folgende Verpflichtung wollte der nationale [X.]esetzgeber jedenfalls nicht mit der in § 26 [X.] vorgesehenen Zuerkennung eines Schutzstatus umsetzen. Nur diese ist hier aber [X.]egenstand des Verfahrens.

Kann und will Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] somit nicht in allen Fällen, in denen ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Beteiligten besteht oder dies sonst grundrechtlich geboten ist, den gemeinsamen Aufenthalt der Kernfamilie sichern, können auch das Wohl des Kindes und die weiteren in Art. 20 Abs. 3 und 5 sowie den Erwägungsgründen 18, 19 und 38 der Richtlinie 2011/95/[X.] genannten Erwägungen nicht dazu führen, Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] in einer Weise erweiternd auszulegen, die sich sachlich nicht rechtfertigen lässt (vgl. näher [X.]eneralanwalt [X.]. Pitruzzella, Schlussanträge vom 20. April 2023 - [X.]-374/22 - Rn. 34 ff.).

Die Schlussanträge mehrerer [X.]eneralanwälte beim [X.]erichtshof bestätigen dieses Auslegungsergebnis. In seinen Schlussanträgen zum Verfahren [X.]-91/20 führte [X.]eneralanwalt [X.] unmissverständlich aus, der [X.] beschränke den Vorteil der Wahrung des [X.] auf familiäre Bindungen, die die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in ihrem Herkunftsland vor der [X.]ewährung dieses Schutzes geknüpft habe. Die Wahrung des [X.] nach Art. 23 Abs. 2 [X.] 2011/95/[X.] richte sich demzufolge an Familienangehörige, die mit der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in deren Herkunftsland zusammengelebt haben (Schlussanträge vom 12. Mai 2021 - [X.]-91/20 - juris Rn. 52 bis 54). Daran anknüpfend hat [X.]eneralanwalt [X.] hervorgehoben, die Richtlinie 2011/95 schütze nur diejenigen familiären Bindungen, die bereits vor der Einreise in den Aufnahmemitgliedstaat bestanden haben (Schlussanträge vom 30. September 2021 - [X.]-483/20 - Rn. 39). [X.]eneralanwalt [X.]. Pitruzzella teilt diese Sichtweise, wenn er in seinen Schlussanträgen vom 20. April 2023 - [X.]-374/22 - Rn. 35 ausführt: "Das Verhältnis jedes Kindes zu seinen Eltern ist grundsätzlich stark durch eine Abhängigkeit gekennzeichnet, und dennoch hat das den [X.] nicht daran gehindert, dieses Verhältnis gemäß Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95 nur dann zu schützen, wenn es bereits vor der Ankunft im Hoheitsgebiet des [X.] begründet war." Die gemeinsame Aufenthaltsverlagerung aus dem Herkunftsstaat in den Aufnahmemitgliedstaat ist nach Auffassung des [X.]eneralanwalts eine entscheidende Voraussetzung für den Schutz des familiären Verhältnisses durch Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] (a. a. [X.] Rn. 60).

Ungeachtet dessen, dass die Frage, ob das Bestehen einer "Kernfamilie" ohne den Stammberechtigten im Herkunftsland ausreicht, in den bisher entschiedenen Verfahren nicht entscheidungserheblich war, spiegeln diese Äußerungen der [X.]eneralanwälte doch die dargelegte Interpretation des Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] wider. Der [X.]erichtshof selbst hat sich zu dieser Frage zwar bisher mangels Entscheidungserheblichkeit nicht verhalten (vgl. [X.], Urteil vom 9. November 2021 - [X.]-91/20 - sowie die nach der Verkündung des vorliegenden Urteils ergangenen Urteile vom 23. November 2023 - [X.]-374/22 - und - [X.]-614/22 -). Die bisherigen Entscheidungen enthalten aber auch nichts, was gegen die obige Auslegung spräche. Ausdrücklich geklärt ist, dass Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] - wie aus dem klaren Wortlaut folgt - die Aufrechterhaltung der Kernfamilie im Aufnahmemitgliedstaat nicht umfassend gewährleistet. Denn die Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus diesen Regelungen erstreckt sich nicht auf Kinder einer international schutzberechtigten Person, die im Aufnahmemitgliedstaat einer Familie geboren wurde, die dort gegründet worden ist (vgl. [X.], Urteil vom 9. November 2021 - [X.]-91/20 - Rn. 37). Aus der aktuellen Rechtsprechung ergibt sich zudem, dass das Bestehen der Familie bereits im Herkunftsland im Fall eines als Flüchtling anerkannten Kindes jedenfalls keine eheliche (oder sonstige) Lebensgemeinschaft der Eltern voraussetzt. Vielmehr stellt auch der [X.]erichtshof auf die familiäre Beziehung zwischen dem schutzberechtigten Kind und dem Elternteil ab (vgl. das nach Verkündung der vorliegenden Entscheidung ergangene Urteil des [X.]erichtshofs vom 23. November 2023 - [X.]-614/22 - Rn. 8 f. und 25).

d) Eines Vorabentscheidungsersuchens an den [X.]erichtshof nach Art. 267 Abs. 3 A[X.]V bedurfte es nicht. Zwar hat der [X.]erichtshof noch nicht ausdrücklich entschieden, dass der Elternteil eines schutzberechtigten Kindes mangels Bestehens der Familie schon im Herkunftsland von vornherein nicht Familienangehöriger im Sinne des Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] sein kann, wenn das Kind erst im Aufnahmemitgliedstaat geboren ist. Diese Auslegung des Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] ist aber - unter Berücksichtigung bereits vorliegender Rechtsprechung des [X.]erichtshofs und der erwähnten Schlussanträge sowie unter Heranziehung der allgemein anerkannten Auslegungsregeln - derart offenkundig, dass an ihrer Richtigkeit kein vernünftiger Zweifel besteht (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 2021 - [X.]-561/19 [E[X.]LI:​[X.]:​[X.]:​2021:​799] - NJW 2021, 3303 Rn. 39 ff., 49). Dass es in [X.] auch einzelne [X.]erichte gibt, die bisher eine abweichende Auslegung des Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] vertreten haben, steht der Annahme eines "acte clair" hier nicht entgegen. Der Senat hat sich mit der abweichenden Argumentation umfassend auseinandergesetzt und sieht diese als entkräftet an. Die [X.]efahr einer uneinheitlichen Auslegung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten ist nicht zu erkennen. Abweichende Rechtsprechung aus anderen Mitgliedstaaten ist nicht bekannt. Die vom [X.] [X.]onseil [X.] vom 18. Mai 2022 gestellten Vorlagefragen 1 und 2 (die der [X.]erichtshof in seinem nach Verkündung der vorliegenden Entscheidung ergangenen Urteil vom 23. November 2023 - [X.]-374/22 - Rn. 24 mangels Entscheidungserheblichkeit als unzulässig erachtet hat) sind nicht Ausdruck einer abweichenden Rechtsüberzeugung, sondern eines sehr weiten Verständnisses der Vorlagepflicht.

2.2 Für die Kläger zu 3. und 4. begründet die Anerkennung ihrer minderjährigen [X.] als Flüchtling keinen Anspruch auf Zuerkennung der abgeleiteten Flüchtlingseigenschaft, weil ihre familiäre Verbindung zu der [X.] nicht bereits im Herkunftsland bestanden hat.

Nach § 26 Abs. 3 Satz 2 [X.] gilt § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 4 [X.] für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige [X.]eschwister des minderjährigen Asylberechtigten entsprechend. [X.]emäß § 26 Abs. 5 Satz 1 [X.] ist diese Regelung auf [X.]eschwister von international Schutzberechtigten entsprechend anzuwenden. Zur Schaffung einer solchen Regelung war der [X.]esetzgeber unionsrechtlich nicht nur mit Blick auf die überschießende Rechtsfolge, sondern auch tatbestandlich nicht verpflichtet, da Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] [X.]eschwister nicht begünstigt. Mit der Bezugnahme auf § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 4 [X.] hat der [X.]esetzgeber den [X.]eschwisterschutz gleichwohl den gleichen Regelungen unterstellt wie den der Umsetzung von Art. 23 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Buchst. j [X.] 2011/95/[X.] dienenden Elternschutz. Insbesondere findet § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 [X.] entsprechende Anwendung, wonach die Familie bereits im Verfolgerstaat bestanden haben muss. Mit "Familie" ist im Rahmen dieser entsprechenden Anwendung die geschwisterliche Verbindung zu dem schutzberechtigten minderjährigen Kind gemeint. Alle oben zum Elternschutz nach § 26 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 5 [X.] gemachten Ausführungen gelten in diesem Zusammenhang entsprechend; auf sie wird zur weiteren Begründung Bezug genommen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 Vw[X.][X.] [X.]erichtskosten werden gemäß § [X.] [X.] nicht erhoben. Der [X.]egenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 RV[X.]. [X.]ründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RV[X.] liegen nicht vor.

Meta

1 C 7/22

15.11.2023

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 15. Februar 2022, Az: 4 L 85/21, Beschluss

§ 26 Abs 3 AsylVfG 1992, § 26 Abs 5 AsylVfG 1992, Art 2 Buchst j EURL 95/2011, Art 23 EURL 95/2011

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15.11.2023, Az. 1 C 7/22 (REWIS RS 2023, 9818)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9818

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