Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.07.2011, Az. XII ZB 80/11

12. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 5081

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Gegenstand

Betreuerbestellung: Tatrichterliche Feststellungen zum objektiven Betreuungsbedarf


Leitsatz

1. Der in § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB enthaltene Grundsatz der Erforderlichkeit verlangt für die Bestellung eines Betreuers tatrichterliche Feststellungen dazu, ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht .

2. Der objektive Betreuungsbedarf ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des [X.] vom 19. Januar 2011 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

I.

1

Der Betroffene wendet sich gegen die Anordnung der Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge und eines [X.].

2

Der Betroffene leidet u.a. an einer paranoiden Schizophrenie mit chronisch-progredientem Verlauf. Seit Dezember 2000 befindet er sich im Maßregelvollzug nach § 63 StGB. Er verfügt über eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von rund 900 € sowie über ein Sparguthaben von etwa 8.400 €. Auf Anregung der Einrichtung ordnete das Amtsgericht im April 2010 für den Betroffenen eine Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge sowie einen Einwilligungsvorbehalt an und bestellte den Beteiligten zu 1. zum Betreuer.

3

Die Beschwerde des Betroffenen gegen diese Entscheidung blieb ohne Erfolg. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Betroffene die Aufhebung der Betreuung, hilfsweise die Bestellung des Beteiligten zu 2., seines [X.], zum Betreuer erreichen.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde ist ohne Zulassung statthaft (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig.

5

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das [X.].

6

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Betroffene sei aufgrund seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage, seine Angelegenheiten eigenverantwortlich und zuverlässig selbst zu regeln. Der Betroffene zeige ein selbstschädigendes Verhalten, weil er unter anderem Mitpatienten Geld leihe bzw. die Rechtsanwaltskosten für einen Mitpatienten übernommen habe, ohne hierbei eine realistische Aussicht darauf zu haben, diese Geldbeträge zurückzuerhalten. Außerdem gebe er erhebliche Geldmengen für leicht verderbliche Lebensmittel aus, um diese zu horten. Schließlich habe er im Rahmen der von ihm für erforderlich gehaltenen Bemühungen, eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug zu erreichen, eine Vielzahl von Rechtsanwälten kontaktiert und mandatiert, wodurch ebenfalls erhebliche finanzielle Belastungen entstanden seien. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sei der Betroffene in Bezug auf die Vermögenssorge nicht in der Lage, einen freien Willen zu bilden. Dies führe dazu, dass der Betroffene das Für und Wider seiner Entscheidungen im vermögensrechtlichen Bereich nicht frei von krankheitsbedingten Einflüssen bestimmen könne. Vielmehr gehe er in krankheitsbedingter Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse davon aus, durch die Mandatierung verschiedener Rechtsanwälte früher aus dem Maßregelvollzug entlassen werden zu können. Aufgrund der fehlenden Fähigkeit des Betroffenen zur freien Willensbestimmung bestehe eine erhebliche Gefahr für das Vermögen des Betroffenen, die die Anordnung eines [X.] erforderlich mache. Die Bestellung des Beteiligten zu 2. zum Betreuer sei wegen der Gefahr einer Belastung des Vater/Sohn-Verhältnisses untunlich und laufe dem Wohl des Betreuten zuwider. Sonstige Familienmitglieder kämen als Betreuer nicht in Betracht.

7

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8

a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB).

9

Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur für [X.] bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen (vgl. [X.] BtPrax 2006, 30, 31; BayObLG FamRZ 1995, 1085; 1999, 1612). Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst regeln zu können. Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers (BayObLG FamRZ 1997, 388; [X.], 64, 65; [X.] FamRZ 2005, 748, 749; [X.]/[X.] 5. Aufl. § 1896 Rn. 39; [X.]/[X.] BGB 70. Aufl. § 1896 Rn. 9). Ob und für welche Aufgabenbereiche ein Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen ([X.], 452; 453; [X.]/[X.] 5. Aufl. § 1896 Rn. 39 mwN). Der Grundsatz der Erforderlichkeit gilt auch im Bereich der Vermögenssorge ([X.]/[X.] 5. Aufl. § 1896 Rn. 104; [X.] FamRZ 1993, 477, 478).

b) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das [X.] hat keine ausreichenden Feststellungen dazu getroffen, dass in der gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen ein Bedarf für die Bestellung eines Vermögensbetreuers besteht. Zudem hat es entscheidungserhebliches Vorbringen des Betroffenen hierzu übergangen und dadurch dessen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

(1) Das [X.] hat die Erforderlichkeit eines Vermögensbetreuers zunächst damit begründet, dass der Betroffene Mitpatienten Geld geliehen bzw. die Rechtsanwaltskosten für einen Mitpatienten übernommen habe, ohne eine realistische Aussicht darauf zu haben, diese Geldbeträge zurückzuerhalten. Hierzu hat der Betroffene bei seiner Anhörung angegeben, dass diese Ereignisse ca. 5 - 6 Jahre zurücklägen und er derzeit nur zwei Mitpatienten Geldbeträge in Höhe von 96,00 € und 10,40 € geliehen habe. Diesem entscheidungserheblichen Vorbringen des Betroffenen ist das [X.] unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG und § 26 FamFG nicht nachgegangen. Vielmehr hat es ohne weitere Feststellungen zu dem gegenwärtigen Verhalten des Betroffenen aus diesen in der Vergangenheit liegenden Vorfällen den Schluss gezogen, der Betroffene zeige in Vermögensangelegenheiten ein selbstschädigendes Verhalten. Die früheren Vorfälle sagen jedoch über den aktuellen Betreuungsbedarf des Betroffenen nichts aus. Dass der Betroffene derzeit noch größere Geldbeträge an Mitpatienten verleiht, hat das [X.] weder festgestellt noch sind sonst Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.

(2) Gleiches gilt für die Annahme des [X.]s, der Betroffene gebe erhebliche Geldmengen für leicht verderbliche Lebensmittel aus, um diese zu horten. Insoweit hat das [X.] ebenfalls keine Feststellungen zu der gegenwärtigen Situation getroffen. In dem eingeholten Sachverständigengutachten wird nur aus einer früheren Krankenakte berichtet, dass der Betroffene im Jahr 2008 verderbliche Lebensmittel in seinem Schrank aufbewahrt hatte. Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene derzeit eine solche Verhaltensweise zeigt, ergeben sich weder aus der Akte noch aus den Ausführungen des Sachverständigen. Zudem hat der Betroffene in seiner Beschwerdebegründung vorgetragen, dass sich seit 2 ½ Jahren vergleichbare Vorfälle nicht mehr ereignet haben. Diesem entscheidungserheblichen Vorbringen ist das [X.] ebenfalls nicht nachgegangen und hat hierdurch den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

(3) Schließlich liegen auch der Annahme des [X.]s, der Betroffene habe im Rahmen der von ihm für erforderlich gehaltenen Bemühungen, eine Entlassung aus dem Maßregelvollzug zu erreichen, eine Vielzahl von Rechtsanwälten kontaktiert und mandatiert, wodurch ebenfalls erhebliche finanzielle Belastungen des Betroffenen entstanden seien, keine tragfähigen Feststellungen zu Grunde. Auch diese Vorfälle liegen bereits mehrere Jahre zurück. Inwieweit der Betroffene derzeit noch Rechtsanwälte beauftragt und ob bzw. in welchem Umfang finanzielle Belastungen des Betroffenen derzeit bestehen, hat das [X.] nicht festgestellt. Zudem ist das [X.] unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG auch diesem Vorbringen des Betroffenen nicht weiter nachgegangen.

(4) Das [X.] hat bei seiner Entscheidung auch nicht berücksichtigt, dass sich der Betroffene derzeit im Maßregelvollzug nach § 63 StGB befindet und dadurch nur über stark eingeschränkte Möglichkeiten verfügt, finanzielle Verpflichtungen einzugehen. Seine derzeitigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse lassen ebenfalls keinen Schluss auf eine konkrete Selbstgefährdung des Betroffenen in Vermögensangelegenheiten zu. Der Betroffene hat keine Schulden. Feststellungen, dass der Betroffene seine Erwerbsunfähigkeitsrente oder sein Sparguthaben verschleudert oder er sich verschuldet, hat das [X.] nicht getroffen. Soweit vom Sachverständigen ausgeführt wurde, die im Vergleich zu Mitpatienten günstigere finanzielle Situation des Betroffenen und die damit verbundenen Möglichkeiten würden die Sicherheit und Ordnung der Station erheblich gefährden, kann damit ein konkreter Bedarf für die Errichtung einer Betreuung nicht begründet werden. Dieser Problematik ist gegebenenfalls mit den Mitteln des [X.] zu begegnen (vgl. [X.]/[X.] BGB 70. Aufl. § 1896 Rn. 12).

c) Hat das [X.] somit die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers mit dem Aufgabenkreis Vermögensangelegenheiten nicht ausreichend festgestellt, kann auch die Anordnung des [X.] nicht bestehen bleiben. Ein Einwilligungsvorbehalt darf nach § 1903 Abs. 1 Satz 1 BGB nur angeordnet werden, um eine erhebliche Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten abzuwenden und setzt voraus, dass eine Betreuung wirksam angeordnet wurde ([X.]/[X.] BGB 70. Aufl. § 1903 Rn. 7).

3. Die Entscheidung ist daher insgesamt aufzuheben und, weil die Sache in tatsächlicher Hinsicht noch nicht ausreichend aufgeklärt ist, an das [X.] zurückzuverweisen.

[X.]                                           Weber-Monecke                                Dose

                        Schilling                                                   [X.]

Meta

XII ZB 80/11

06.07.2011

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Landau (Pfalz), 19. Januar 2011, Az: 3 T 64/10, Beschluss

§ 1896 Abs 2 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 06.07.2011, Az. XII ZB 80/11 (REWIS RS 2011, 5081)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5081

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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