Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2011, Az. V ZB 67/11

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4793

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V [X.]/11
vom
14. Juli 2011
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
ZPO §§ 85 Abs. 2, 233 D, [X.]; [X.] § 72 Abs. 2
Wird die Klage einer Wohnungseigentümergemeinschaft gegen einen [X.] in dem erstinstanzlichen Urteil fälschlich als "Wohnungseigentumssache" [X.], darf sich der Rechtsanwalt bei Einlegung der Berufung nicht darauf verlassen, dass die besondere [X.] gemäß § 72 Abs. 2 [X.] eingreift.
[X.], Beschluss vom 14. Juli 2011 -
V [X.]/11 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Juli 2011 durch [X.]
Dr.
Krüger, die Richterin Dr.
Stresemann, [X.]
[X.] und die Richterinnen Dr.
[X.] und Weinland

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des [X.] vom 22. Februar 2011 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Das Amtsgericht [X.] hat die Beklagten als Mieter einer Eigentums-wohnung verurteilt, die Nutzung von Flächen zu unterlassen, die im Gemein-schaftseigentum der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft stehen. Im Rubrum des Urteils ist die Sache als "Wohnungseigentumssache"
bezeichnet. Dagegen haben die Beklagten "wegen Wohnungseigentumsrecht" Berufung bei dem [X.] eingelegt. Anlässlich eines Antrags der
[X.] auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hat der Vorsitzende auf Bedenken gegen die Zuständigkeit hingewiesen. Daraufhin haben die [X.] bei dem [X.] Berufung eingelegt, diese zugleich begründet und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der [X.]
-
3
-
rufungsfrist beantragt. Das [X.] hat den Antrag auf Wiederein-setzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
Sie ist zwar gemäß §
574 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, §
522 Abs.
1 Satz
4 ZPO ohne Zulassung statthaft. Zulässig ist sie aber gemäß § 574 Abs. 2 ZPO nur, wenn auch die dort bestimmten weiteren Voraussetzungen gegeben sind. Das ist nicht der Fall. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung (§
574 Abs.
2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des [X.] zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtspre-chung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Insbesondere hat das Berufungs-gericht keine überzogenen Anforderungen gestellt, die den Beklagten den Zu-gang zu der an sich gegebenen Berufung unzumutbar erschweren (vgl. dazu nur [X.], Beschluss vom 12. April 2010 -
V
ZB 224/09, NJW-RR 2010, 1096 Rn.
4 mwN).
1. Die Beklagten haben sowohl die Berufungs-
als auch die Berufungs-begründungsfrist versäumt, weil nicht das zunächst angerufene [X.], sondern das [X.] gemäß §
72 Abs.
1 [X.] zuständiges Berufungsgericht ist. Auch die Rechtsbeschwerde geht davon aus, dass es sich nicht um eine der in §
43 [X.] aufgeführten [X.] handelt, sondern um eine allgemeine [X.]. Die besondere Zuständigkeit des [X.] als gemeinsames Berufungsge-richt in [X.] für den Bezirk des Oberlandesgerichts 2
3
4
-
4
-
Brandenburg (§ 72 Abs. 2 Satz
2 [X.] i.V.m. §
3a der [X.] (GVBl. II/07 S. 113)) ist damit nicht begründet. Die Zulässigkeit der Berufung hängt deshalb entscheidend davon ab, ob den Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
2. Das Berufungsgericht hat die Zurückweisung des [X.] gestützt, die Versäumung der Berufungsfrist beruhe auf einem den Beklagten gemäß §
85 Abs.
2 ZPO zuzurechnenden [X.] ihres Prozessbevollmächtigten im Sinne von § 233 ZPO. Dieser habe den Streitgegenstand ungeachtet der Bezeichnung als Wohnungseigentumssache eigenständig
überprüfen müssen. Das zunächst angerufene [X.] Frank-furt/Oder habe seine Unzuständigkeit bei Eingang der [X.] nicht ohne weiteres erkennen können.
3. Dies entspricht in der Sache der Rechtsprechung des [X.], die weder fortzubilden noch zu ergänzen ist. Auch werden die [X.] an die Einlegung von Rechtsmitteln nicht überspannt.
a) Anerkannt ist, dass der Rechtsanwalt die Berufungsschrift auf ihre Richtigkeit einschließlich der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts überprü-fen muss (vgl. nur [X.], Beschluss vom 12. April 2010 -
V
ZB 224/09, NJW-RR 2010, 1096 Rn.
12 mwN). Diese Prüfung haben die Prozessbevollmächtig-ten der Beklagten nicht mit der gebotenen Sorgfalt vorgenommen.
[X.]) Aus der Bezeichnung in dem angefochtenen Urteil des Amtsgerichts als "Wohnungseigentumssache" allein konnten sie nicht schließen, dass die in §
72 Abs.
2 [X.] angeordnete Zuständigkeitskonzentration in [X.] bei dem nach Landesrecht zuständigen [X.] eingriff. Die besondere Zuständigkeit gemäß §
72 Abs.
2 [X.] gilt nämlich nicht für jede Wohnungseigentumssache, sondern nur bei den in §
43 Nr.
1 bis 4 5
6
7
8
-
5
-
[X.] aufgeführten Binnenstreitigkeiten der Wohnungseigentümer sowie gemäß §
43 Nr.
6 [X.] für das Mahnverfahren. Wegen der Beteiligung eines [X.] konnte hier allenfalls die auf Klagen eines [X.] gegen die [X.] bezogene Vorschrift des §
43 Nr. 5 [X.] als einschlägig angesehen werden. Gerade in den dort genannten Verfahren richtet sich die [X.] gemäß §
72 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 [X.] aber nach den allgemeinen Vorschriften und nicht nach der besonderen Zuständig-keit in [X.]. Für diese Klagen ist auch nicht das [X.] ausschließlich zuständig (§
23 Nr.
2
Buchst. c [X.]). Mit dieser Diffe-renzierung verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, für die in §
43 Nr. 5 [X.] [X.] Klagen Dritter gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft sowohl die sachliche Zuständigkeit als auch die [X.] wertabhängig auszugestalten (BT-Drucks. 16/3843 S.
29). Die Zuständigkeit für eine Berufung in [X.] erfordert auch aus diesem Grund eine beson-ders sorgfältige und einzelfallbezogene Prüfung des Rechtsanwalts (vgl. [X.]/
Lückemann, ZPO, 28.
Aufl., §
72 [X.] Rn.
4; [X.]/[X.], 3.
Aufl., §
72 [X.] Rn.
14).
bb) Aus dem von der Rechtsbeschwerde herangezogenen Grundsatz der Meistbegünstigung ergibt sich nichts anderes. Danach kann ein an sich [X.] Rechtsmittel als zulässig anzusehen sein, wenn für den Rechtsmittel-führer aufgrund einer Unklarheit der angefochtenen Entscheidung Unsicherheit darüber entsteht, welches Rechtsmittel er bei welchem Gericht einlegen soll ([X.], Urteil vom 4. Oktober 1978 -
IV
ZB 84/77, [X.]Z 72, 182, 187 ff.; [X.], Beschluss vom 21. Oktober 1993 -
V
ZB 45/93, WM
1994, 180, 181; [X.]/
[X.], ZPO, 28.
Aufl., Vor §
511 Rn.
31). An einer solchen durch einen Fehler des Gerichts verursachten Unklarheit fehlt es hier, weil allein die Bezeichnung als Wohnungseigentumssache -
wie ausgeführt
-
keinen sicheren Rückschluss auf das zuständige Berufungsgericht erlaubt.
9
-
6
-
b) Rechtsfehlerfrei ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Ur-sächlichkeit der schuldhaften Fristversäumnis sei nicht im Hinblick auf das [X.] des Vorsitzenden der Zivilkammer des zunächst angerufenen [X.] entfallen.
[X.]) Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des [X.], dass keine generelle Fürsorgepflicht des unzuständigen Rechtsmittelge-richts besteht, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Frist-versäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern muss auch berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss. [X.] und ihrem Prozessbevollmächtigten muss die Verantwortung für die Ermittlung des richtigen Adressaten fristgebundener [X.] nicht allgemein abgenommen und auf unzuständige Gerichte verlagert werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Unzuständigkeit des angerufenen [X.] "ohne weiteres" bzw. "leicht und einwandfrei" zu erkennen war und die nicht rechtzeitige Aufdeckung der nicht gegebenen Zuständigkeit auf einem of-fenkundig nachlässigen Fehlverhalten des angerufenen Gerichts beruht. In die-sen Fällen stellt es für die Funktionsfähigkeit des angerufenen Gerichts keine nennenswerte Belastung dar, einen fehlgeleiteten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht weiterzuleiten (vgl. zum [X.]nzen [X.], Beschluss vom 24. Juni 2010 -
V
ZB 170/09, [X.], 592 Rn.
7
f. mit zahlreichen Nachweisen).
10
11
-
7
-
bb) Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das angefochtene Urteil war der [X.] nicht beifügt. Diese enthielt den Zusatz "wegen Wohnungs-eigentumsrecht". Anders als bei der Einreichung einer Berufungsschrift bei ei-nem örtlich offensichtlich unzuständigen Gericht (dazu [X.], Beschluss vom 20.
April 2011 -
VII
ZB 78/09, NJW 2011, 2053 Rn.
11
ff.) war die Unzuständig-keit zu diesem Zeitpunkt nicht ersichtlich. Nach Eingang der Akten wäre die irr-tümliche Annahme der Zuständigkeit zwar bei einer genaueren Prüfung durch den Berichterstatter erkennbar gewesen. Nachdem aber sowohl das Rubrum des angefochtenen Urteils als
auch die [X.] auf eine Wohnungs-eigentumssache hinwiesen und der Berichterstatter keine Veranlassung hatte, sich vor Eingang der Rechtsmittelbegründung in die Sache einzulesen, war die Unzuständigkeit jedenfalls nicht leicht und einwandfrei erkennbar. Andernfalls würde eine richterliche Einarbeitung in einem Verfahrensstadium verlangt, in dem noch nicht sicher ist, ob das Rechtsmittel durchgeführt werden wird und worin die [X.] bestehen sollen. Eine Hinweispflicht des unzu-ständigen Berufungsgerichts setzt voraus, dass das Gericht seine Unzuständig-keit im Rahmen der üblichen Arbeitsabläufe ohne weiteres erkennen kann. Da-gegen dürfen den Gerichten nicht zusätzliche Prüfungspflichten auferlegt wer-den, die für den eigenen Arbeitsablauf nicht erforderlich sind.
c) Dass §
72 Abs.
2 [X.] in Verbindung mit den jeweiligen Landesgeset-zen mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit vereinbar ist, hat der [X.] bereits entschieden (Beschluss vom 10. Dezember 2009 -
V
[X.]/09, NJW 2010, 1818 Rn.
9).

12
13
-
8
-
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
97 Abs.
1 ZPO.
Krüger
Stresemann
[X.]

[X.]
Weinland
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 08.09.2010 -
31 [X.]/10 -

LG [X.], Entscheidung vom 22.02.2011 -
4 S 189/10 -

14

Meta

V ZB 67/11

14.07.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.07.2011, Az. V ZB 67/11 (REWIS RS 2011, 4793)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4793

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 67/11 (Bundesgerichtshof)

(Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Pflicht des Rechtsanwalts zur Prüfung der Rechtsmittelzuständigkeit bei fälschlicher Behandlung …


V ZB 36/15 (Bundesgerichtshof)


V ZB 36/15 (Bundesgerichtshof)

Berufung in Wohnungseigentumssachen: Voraussetzungen der Zuständigkeitskonzentration


V ZB 198/11 (Bundesgerichtshof)


V ZB 199/11 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

V ZB 67/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.