Bundessozialgericht, Urteil vom 04.12.2014, Az. B 5 RE 12/14 R

5. Senat | REWIS RS 2014, 717

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Gegenstand

Berechnung der Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung - unterjährig aufgenommene selbstständige Tätigkeit - Hochrechnung - Arbeitseinkommen


Leitsatz

Wird eine rentenversicherungspflichtige selbstständige Tätigkeit unterjährig aufgenommen, darf der Beitragsbemessung durch "Hochrechnung" kein höheres Arbeitseinkommen zugrunde gelegt werden als dasjenige, das sich (fortgeschrieben nach dem Verhältnis der Durchschnittsentgelte) aus dem maßgeblichen letzten Einkommensteuerbescheid ergibt.

Tenor

Die Revision der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des Urteils des [X.] vom 26. September 2011 wie folgt gefasst wird: Der Bescheid der Beklagten vom 16. Januar 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2008 werden aufgehoben, soweit die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27. September 2004 für die [X.] vom 1. Februar 2006 bis 31. Dezember 2006 Beiträge auf der Grundlage von mehr als 474,20 [X.] monatlich festgesetzt hat.

Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Rentenversicherungsbeiträge vom 1.2. bis 31.12. 2006, insbesondere darüber, ob die Beklagte der Beitragsbemessung die im Kalenderjahr 2004 tatsächlich erzielten Einkünfte (5643 [X.]) oder ein hochgerechnetes (Jahres-)Arbeitseinkommen (14 206,15 [X.]) zugrunde legen muss.

2

Die Klägerin nahm am 9.8.2004 als Existenzgründerin eine selbständige Tätigkeit auf und bezog einen [X.] (§ 421l [X.]) iHv 600 [X.] monatlich. Die [X.]) [X.] stellte fest, dass die Klägerin ab dem 9.8.2004 nach § 2 S 1 [X.] in der bis zum [X.] geltenden (Alt-)Fassung als selbständig tätige Person für die Bezugsdauer des [X.]es in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig ist, und setzte den Beitrag ab dem 1.9.2004 auf Basis der monatlichen Mindestbeitragsbemessungsgrundlage iHv 400 [X.] auf 78 [X.] im Monat fest, weil "kein positives Arbeitseinkommen nachgewiesen" sei (Bescheid vom 27.9.2004).

3

Im Kalenderjahr 2004 erzielte die Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb iHv 5643 [X.] (Einkommensteuerbescheid des [X.] vom 15.11.2005). Nachdem die Beklagte dies bei der Finanzverwaltung ermittelt hatte, setzte sie den Beitrag rückwirkend ab dem [X.] auf 232,79 [X.] monatlich fest (Bescheid vom 16.1.2007 und Widerspruchsbescheid vom 24.1.2008). Diesen Monatsbeitrag errechnete sie, indem sie die Beitragsbemessungsgrundlage (14 325,48 [X.]) mit dem Beitragssatz für das [X.] in der allgemeinen Rentenversicherung (19,5 %) multiplizierte und das Ergebnis (2793,47 [X.]) durch die Anzahl der Kalendermonate eines Jahres (12) dividierte. Die Beitragsbemessungsgrundlage (14 325,48 [X.]) hatte sie "maschinell" ermittelt, indem sie die Einkünfte aus dem [X.] iHv 5643 [X.] durch die Anzahl der Tage, in denen sie erzielt worden waren (143 Tage vom 9.8. bis 31.12.2004), dividiert, den Wert des Quotienten (39,46 [X.]) mit 360 Tagen (Kalenderjahr iS von § 123 Abs 3 S 2 [X.]B VI) multipliziert und das derart hochgerechnete ([X.] von 14 206,15 [X.] mit dem Dynamisierungsfaktor 1,0084 (= 29 304 [X.] vorläufiges Durchschnittsentgelt 2006 ./. 29 060 [X.] Durchschnittsentgelt 2004) multipliziert hatte (vgl Hinweisschreiben der Beklagten vom 2.3.2007).

4

Das [X.] hat den "Bescheid der Beklagten vom 16.1.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] [richtig: 24.1.2008] teilweise aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, einen neuen Bescheid zu erlassen, bei welchem für die Berechnung der von der Klägerin zu zahlenden Beiträge für den Zeitraum vom [X.] bis 31.12.2006 das tatsächlich erzielte Einkommen laut Einkommensteuerbescheid vom 15.11.2005 für das [X.] iHv 5643 [X.] zu berücksichtigen ist" (Urteil vom 26.9.2011).

5

Das L[X.] [X.] hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 13.2.2013): Zu Recht habe das [X.] entschieden, dass bei der Veranlagung für den Zeitraum vom 1.2. bis 31.12.2006 das Jahreseinkommen aus 2004 iHv 5643 [X.] (multipliziert mit dem Anpassungsfaktor von 1,0084), mithin 5690,40 [X.], "einzustellen" sei. Für eine dynamisierte Hochrechnung auf 14 325,48 [X.] fehle eine Ermächtigungsgrundlage. Aus dem Wortlaut des § 165 Abs 1 S 3 bis 10 [X.]B VI und auch der Gesetzesbegründung folge eindeutig, dass die im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte bei Selbständigen grundsätzlich eine "sichere" Grundlage der Beitragsberechnung seien, zumal der Gesetzgeber mit der "Dynamisierung des Arbeitseinkommens" die Problematik einer verzögerten Vorlage des Einkommensteuerbescheides offensichtlich erkannt und einer "pauschalen" Lösung zugeführt habe. Auch § 123 Abs 3 iVm § 189 [X.]B VI ermächtige die Beklagte nicht zur Hochrechnung von Arbeitseinkommen, das im Teilzeitraum eines Jahres erzielt worden sei. Nichts anderes ergebe sich aus § 15 [X.]B IV, wonach Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte (tatsächliche) Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit sei. Denn eine Hochrechnung sehe das Steuerrecht nicht vor. Keinesfalls stellten die Gesichtspunkte der "Verwaltungsvereinfachung" bzw der "Beschleunigung des [X.] innerhalb der Verwaltung", auf die sich die Beklagte berufe, eine ausreichende "Ermächtigung" dar.

6

Mit der Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 165 Abs 1 S 3 [X.]B VI, § 123 Abs 3 [X.]B VI, § 15 [X.]B IV und § 18b [X.]B IV): Die Hochrechnung sei aus Gründen der Praktikabilität vorzunehmen, erfolge trägerübergreifend und sei in diversen Arbeitsanweisungen, Konventionen und zahlreichen übergreifenden Besprechungen bestätigt worden. Ermächtigungsgrundlage sei § 165 Abs 1 S 3 [X.]B VI. Soweit das L[X.] dies anders sehe, setze es sich nicht mit der Frage auseinander, ob der Gesetzgeber die alleinige Zugrundelegung des Einkommensteuerbescheids auch für den Fall vorgesehen habe, dass ein Selbständiger nur einige Monate entsprechendes Einkommen erzielt habe. Hätte er die Hochrechnung in diesen Fällen generell ausschließen wollen, hätte er andere Vorschriften (zB § 18b [X.]B IV) ändern müssen. Die Kongruenz zwischen Steuer- und Sozialversicherungsrecht sei nicht allumfassend und könne den Ausschluss der Hochrechnung nicht rechtfertigen. Ferner könne die Hochrechnung auch auf § 123 Abs 3 [X.]B VI, § 15 [X.]B IV und § 18b [X.]B IV gestützt werden.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts [X.] vom 13. Februar 2013 sowie des [X.] vom 26. September 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Die Klägerin, die den vorinstanzlichen Entscheidungen beipflichtet, beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet, wobei der Tenor des erstinstanzlichen Urteils vom [X.] klarzustellen war.

1. Das [X.] hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen und die ([X.] durch das [X.] bestätigt. Allerdings haben die Vorinstanzen das Klageziel verkannt, als sie die Beklagte (antragsgemäß) unter Teilaufhebung der angefochtenen Bescheide zur Neufestsetzung der Beitragshöhe verpflichteten. Denn das Begehren (§ 123 [X.]G) der Klägerin war von Anfang an lediglich darauf gerichtet, die Beseitigung der Beitragserstfestsetzung und die Beitragsneufestsetzung im Bescheid vom 16.1.2007 für die [X.] vom 1.2. bis 31.12.2006 teilweise aufzuheben ([X.] in zeitlicher Hinsicht) und betraf die Beitragshöhe nur insoweit, als die Beklagte der Beitrags(neu)bemessung Einkünfte von mehr als monatlich 474,20 [X.] (= 5643 [X.] x 1,0084 Dynamisierungsfaktor ./. 12 Monate) zugrunde gelegt hatte ([X.] in sachlicher Hinsicht). Derartige [X.]en sind schon nach dem Wortlaut von § 54 Abs 1 [X.] [X.]G, der ausdrücklich auch die Abänderung eines Verwaltungsakts als mit der Gestaltungsklage verfolgbares Begehren benennt, statthaft und erlauben es dem Kläger als Ausdruck der Dispositionsmaxime, den Prüfungsumfang des Gerichts von sich aus zu begrenzen (Senatsurteil vom 27.5.2014 - B 5 R 6/13 R - zur Veröffentlichung in B[X.]E und [X.]-2600 § 97 [X.] vorgesehen). Ob Teilbarkeit im Einzelfall gegeben ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Teilweise anfechtbar sind in der Regel zahlenmäßig, zeitlich, örtlich, gegenständlich oder personell abgrenzbare Teile einer Entscheidung (Senatsurteil aaO; B[X.] Urteile vom [X.] - B 6 KA 77/03 R - [X.]-1500 § 92 [X.] und vom 13.11.1985 - 6 [X.] 15/84 - B[X.]E 59, 137 = [X.] 2200 § 368a [X.]). In diesem Sinne zeitlich und zahlenmäßig abgrenzbar ist auch die Frage, ob der Beitragsbemessung nur Einkünfte von 474,20 [X.] monatlich oder ein höheres ([X.] zugrunde zu legen ist. Keine zusätzliche Bedeutung kommt dem im ersten Rechtszug vordergründig als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungs(bescheidungs)klage formulierten Antrag zu, die Beklagte unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide "zu verpflichten, einen neuen Bescheid unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts zur Beitragszahlung für den [X.]raum 01.02.2006 bis 31.12.2006 zu erlassen". Insofern handelt es sich lediglich um einen irrigen äußeren Ausdruck der in Wahrheit erhobenen (isolierten) [X.]sklage (§ 54 Abs 1 [X.] Regelung 1 [X.]G), die im Erfolgsfall dazu führen würde, dass allenfalls noch der Betrag berücksichtigt werden könnte, der sich auf Basis einer Beitragsbemessungsgrundlage von 474,20 [X.] monatlich ergibt.

2. Die Beklagte hat mit den angegriffenen Bescheiden zu Unrecht die frühere Festsetzung des [X.] der monatlichen Beiträge für den streitigen [X.]raum vom 1.2. bis 31.12.2006 schlüssig aufgehoben und Beiträge auf der Basis einer Bemessungsgrundlage von mehr als 474,20 [X.] monatlich festgesetzt. Dabei steht der Umstand, dass sich die Beklagte insofern auf maschinell ermittelte Vorgaben stützt, der Annahme eines Verwaltungsakts nicht entgegen (vgl bereits zur Rentenanpassungsmitteilung B[X.] Urteil vom 23.3.1999 - B 4 RA 41/98 R - [X.] 3-1300 § 31 [X.]). Für eine rückwirkende Änderung der bestandskräftigen Festsetzung des monatlichen Beitrags auf 78 [X.] und ihre Ersetzung durch einen neuen Höchstbetrag (232,79 [X.]) fehlt es - jedenfalls im mit der Klage geltend gemachten Umfang - an einer speziellen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundlage. Diese kann sich in Ermangelung einschlägiger Regelungen im Beitragsrecht der gesetzlichen Rentenversicherung nur aus § 48 Abs 1 [X.]B X ergeben, dessen Voraussetzungen vorliegend allerdings nicht erfüllt sind. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Unter weiteren Voraussetzungen soll der Verwaltungsakt auch mit Wirkung vom [X.]punkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden (S 2).

a) Als Rechtsgrundlage für die Beseitigung der Erstfestsetzung kommt allein die Aufhebung wegen nachträglicher Änderung der Verhältnisse nach § 48 Abs 1 [X.]B X, nicht jedoch eine Rücknahme wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit iS von §§ 44, 45 [X.]B X in Betracht. Denn die [X.] hat den Monatsbeitrag im Bescheid vom 27.9.2004 ursprünglich zu Recht auf 78 [X.] festgesetzt. Als sie diesen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung erließ (§§ 37 Abs 2 [X.], 39 Abs 1 [X.]B X), waren beitragspflichtige Einnahmen bei selbständig Tätigen ein Arbeitseinkommen in Höhe der Bezugsgröße, bei Nachweis eines niedrigeren oder höheren Arbeitseinkommens jedoch dieses Arbeitseinkommen, mindestens jedoch monatlich 400 [X.] (§ 165 Abs 1 [X.] [X.] [X.]B VI idF vom [X.]). Für den Nachweis des von der Bezugsgröße abweichenden Arbeitseinkommens waren und sind die sich aus dem letzten Einkommensteuerbescheid für das zeitnaheste Kalenderjahr ergebenden Einkünfte aus der versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit so lange maßgebend, bis ein neuer Einkommensteuerbescheid vorgelegt wird ([X.]). Ist eine Veranlagung zur Einkommensteuer aufgrund der versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit noch nicht erfolgt, sind für das Jahr des Beginns der Versicherungspflicht die Einkünfte zugrunde zu legen, die sich aus den vom Versicherten vorzulegenden Unterlagen ergeben ([X.]). Da sich aus den Unterlagen der Klägerin "kein positives Arbeitseinkommen" ergab, war das (gesetzliche) Mindesteinkommen von monatlich 400 [X.] maßgebend ([X.] [X.] aE), so dass sich durch Multiplikation mit dem Beitragssatz für 2004 in der allgemeinen Rentenversicherung iHv 19,5% ein Monatsbeitrag von 78 [X.] errechnete.

b) Diese ([X.] änderten sich rechtlich erst wesentlich, nachdem das Finanzamt [X.] den Einkommensteuerbescheid vom 15.11.2005 für das Kalenderjahr 2004 erlassen hatte. Damit wurde das sich hieraus ergebende Arbeitseinkommen aus der versicherungspflichtigen selbständigen Tätigkeit für die Beitragsbemessung ipso iure maßgebend (§ 165 Abs 1 [X.] [X.]B VI), und zwar ab dem [X.], der auf die Vorlage des Einkommensteuerbescheids folgte, spätestens aber ab Beginn des dritten Kalendermonats nach dessen "Ausfertigung" (§ 165 Abs 1 S 8 [X.]B VI). [X.] war der Einkommensteuerbescheid dem Träger der Rentenversicherung spätestens zwei Kalendermonate nach seiner "Ausfertigung" (§ 165 Abs 1 S 6 [X.]B VI). Da die Klägerin den Einkommensteuerbescheid vom 15.11.2005 nicht selbst vorgelegt hat, waren die Änderungen des Arbeitseinkommens vom Beginn des dritten Kalendermonats nach dessen "Ausfertigung", also frühestens ab dem [X.], zu berücksichtigen. Die Änderungen waren auch wesentlich, weil sich auf der Basis des nach § 165 Abs 1 S 4 [X.]B VI durch Vervielfältigung mit dem Faktor 1,0084 fortgeschriebenen nachgewiesenen Arbeitseinkommens aus 2004 (5643 [X.]) für das Kalenderjahr 2006 ein Arbeitseinkommen in Höhe von 5690,40 [X.] und damit eine Beitragsbemessungsgrundlage von 474,20 [X.] monatlich ergab, die die alte Bemessungsgrundlage von 400 [X.] überstieg und deshalb zu einem höheren Monatsbeitrag als 78 [X.] führte.

c) Die (konkludente) Aufhebung dieser Beitragserstfestsetzung im Beitragsneubescheid vom 16.1.2007 ist jedoch - jedenfalls im Rahmen der [X.] - rechtswidrig, weil sie für einen zurückliegenden [X.]raum (1.2. bis 31.12.2006) erfolgte, obwohl keine der in § 48 Abs 1 S 2 [X.]B X abschließend aufgeführten Fallkonstellationen vorliegt. Nach dieser Vorschrift soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom [X.]punkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.    

die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,

2.    

der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,

3.    

nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder

4.    

der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.

Zugunsten der Klägerin ist keine Änderung eingetreten (aaO [X.]). Überdies ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt, dass [X.] 3 und 4 aaO nach Wortlaut und Sinnzusammenhang allein auf das Leistungsrecht bezogen und als abschließende Ausnahmeregelungen nicht analogiefähig sind (vgl B[X.] Urteile vom 21.9.2005 - B 12 KR 12/04 R - Juris Rd[X.]7, vom 16.10.2002 - [X.] LW 5/01 R - [X.] 3-5868 § 3 [X.] mwN und vom 26.9.1991 - 4 RK 5/91 - B[X.]E 69, 255, 258 f = [X.] 3-1300 § 48 [X.] S 20 f). Die Klägerin hat schließlich auch keine Mitteilungspflicht verletzt, wie dies [X.] aaO voraussetzt. Dass sie den Einkommensteuerbescheid vom 15.11.2005 möglicherweise nicht "spätestens zwei Kalendermonate nach seiner Ausfertigung" vorgelegt und damit die gesetzliche Mitteilungspflicht nach § 165 Abs 1 S 6 [X.]B VI missachtet hat, wirkte sich nicht zu Lasten der Beklagten aus. Hätte die Klägerin den Einkommensteuerbescheid vom 15.11.2005 Mitte Januar 2006 vorgelegt, hätte die Beklagte die Änderung des Arbeitseinkommens gemäß § 165 Abs 1 S 8 [X.] 1 [X.]B VI vom Ersten des auf die Vorlage des Bescheides folgenden Kalendermonats, also ab dem [X.] berücksichtigen müssen. Nichts anderes sah [X.] 2 aaO bei Nichtvorlage oder verspäteter Vorlage des Einkommensteuerbescheids vor. Folglich hätte es in beiden Fällen zu einer identischen Beitragserhöhung frühestens ab dem [X.] kommen müssen, so dass der etwaige Verstoß der Klägerin gegen gesetzliche Mitteilungspflichten keine Beitragseinbuße zu Lasten der Beklagten bewirkte.

3. Darüber hinaus fehlt es aber auch materiell-rechtlich an einer Rechtsgrundlage dafür, der Beitragsbemessung nach "Hochrechnung" ein höheres Arbeitseinkommen zugrunde zu legen, als dasjenige, das sich (fortgeschrieben nach Maßgabe des Verhältnisses der [X.]) aus dem maßgeblichen letzten Einkommensteuerbescheid ergibt. Die von der Revision ins Feld geführten Vorschriften der § 165 Abs 1 [X.] [X.]B VI, § 123 Abs 3 [X.]B VI, § 15 [X.]B IV und § 18b [X.]B IV geben dafür ersichtlich nichts her. Keinesfalls können "Besprechungsergebnisse der Beitrags- und Rentendezernenten" zu Lasten der Beitragsverpflichteten vermeintliche Defizite des geltenden Rechts kompensieren, die aus der Sicht der Beklagten bestehen mögen. Zutreffend hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung auf den verfassungsrechtlichen Vorbehalt des Gesetzes (Art 20 Abs 3 GG) hingewiesen.

4. Da die Klage bereits aus anderen Gründen Erfolg hat, kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsakte gemäß § 42 S 2 iVm [X.] [X.]B X auch deshalb beanspruchen kann, weil die nach § 24 Abs 1 [X.]B X erforderliche Anhörung unterblieben und nicht wirksam nachgeholt (§ 41 Abs 1 [X.] und Abs 2 [X.]B X) worden ist (vgl zur Anhörungspflicht vor Beitragsregelungen B[X.]E 69, 247, 248 = [X.] 3-1300 § 24 [X.]). Insbesondere braucht der Senat nicht auf die potentiell heilende Wirkung des Hinweisschreibens einzugehen, das die Beklagte der Klägerin während des Vorverfahrens übersandt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 [X.]G.

Meta

B 5 RE 12/14 R

04.12.2014

Bundessozialgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: RE

vorgehend SG Rostock, 26. September 2011, Az: S 16 R 101/08, Urteil

§ 421l SGB 3 vom 23.04.2004, § 15 SGB 4, § 18b SGB 4, § 2 S 1 Nr 10 SGB 6 vom 20.04.2007, § 123 Abs 3 SGB 6, § 165 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 6 vom 23.12.2002, § 165 Abs 1 S 3 SGB 6, § 165 Abs 1 S 4 SGB 6, § 165 Abs 1 S 6 SGB 6, § 165 Abs 1 S 8 SGB 6, § 165 Abs 1 S 9 SGB 6, § 189 SGB 6, § 24 Abs 1 SGB 10, § 37 Abs 2 S 1 SGB 10, § 39 Abs 1 SGB 10, § 41 Abs 1 Nr 3 SGB 10, § 41 Abs 2 SGB 10, § 42 S 1 SGB 10, § 42 S 2 SGB 10, § 48 Abs 1 S 1 SGB 10, § 48 Abs 1 S 2 SGB 10, § 54 Abs 1 S 1 SGG, Art 20 Abs 3 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 04.12.2014, Az. B 5 RE 12/14 R (REWIS RS 2014, 717)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 717

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