Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.02.2018, Az. B 14 AS 220/17 B

14. Senat | REWIS RS 2018, 13988

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme - Normalfall der Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung - hier Übertragung der Zeugenvernehmung auf den Berichterstatter - Ablehnung einer wiederholten Zeugenvernehmung in der mündlichen Verhandlung


Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 11. Mai 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um eine Auskunftspflicht der Klägerin nach § 60 Abs 4 Satz 1 [X.], wobei bereits das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft der Klägerin mit [X.] streitig ist. Die Klage blieb erfolglos (Urteil des [X.]). Im Berufungsverfahren fand zunächst ein Erörterungstermin am 7.9.2016 statt, in dem der Berichterstatter des [X.] die Klägerin persönlich anhörte und [X.] als Zeugen vernahm. Am 11.5.2017 fand sodann eine mündliche Verhandlung statt, zu welcher der Zeuge nicht geladen war. Eingangs der mündlichen Verhandlung beantragte die anwaltlich vertretene Klägerin, "den Zeugen [X.] erneut, nunmehr vor dem [X.] in ordnungsgemäßer Gesamtbesetzung, zu vernehmen". Diesem Antrag kam das [X.] nicht nach, ohne hierüber gesondert zu entscheiden. Es hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 11.5.2017), weil es zur Überzeugung gelangt war, dass die Klägerin und [X.] gewesen seien und in einer Bedarfsgemeinschaft gelebt hätten. Im Urteil hat es zur Ablehnung des Antrags auf Vernehmung des Zeugen vor dem [X.] [X.] ausgeführt:

"Der [X.] war nicht gehalten, über diesen Antrag gesondert durch Beschluss zu entscheiden (vgl. [X.], Urteil vom 23. August 1967, 5 [X.] 114/65). Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 [X.]G in Verbindung mit § 398 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) liegt die wiederholte Vernehmung eines Zeugen im Ermessen des [X.] und muss nur unter besonderen Umständen erfolgen. (…) Gründe der Beweisunmittelbarkeit können eine wiederholte Zeugenvernehmung gebieten, insbesondere wenn es für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines vernommenen Zeugen auf dessen persönlichen Eindruck ankommt (vgl. [X.], in: [X.], ZPO, 31. Auflage 2016, § 398 Rn. 5, 7).

Vorliegend sind keine Umstände ersichtlich, die eine erneute Vernehmung des Zeugen [X.] geboten hätten. Der [X.] hat seine Entscheidung nicht auf den persönlichen Eindruck des Zeugen gestützt. Der Zeuge ist am 7. September 2016 vom Berichterstatter des [X.]s verfahrensfehlerfrei vernommen worden. Die Aussage des Zeugen ist vollständig protokolliert worden. Alle Fragen, die die Beteiligten dem Zeugen gestellt haben, sind zugelassen worden. Dass der Zeuge allein vom Berichterstatter des [X.]s vernommen wurde, verletzt nicht den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Denn nach § 155 Abs. 1 [X.]G kann der Vorsitzende seine Aufgaben nach den §§ 104, 106 bis 108 und 120 [X.]G einem Berufsrichter des [X.]s übertragen; dies gilt insbesondere für alle Beweisaufnahmen (vgl. [X.], Beschluss vom 8. Dezember 1988, 2 [X.]). Eine solche Übertragung ist im vorliegenden Fall erfolgt."

2

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] macht die Klägerin einen Verfahrensmangel geltend und rügt die unterbliebene Vernehmung des Zeugen durch den [X.]. Hierin liege ein Verstoß gegen § 155 Abs 1 iVm § 106 Abs 3 [X.], § 117 [X.]G, der entscheidungserheblich sei, denn es sei nicht auszuschließen, dass bei einer Vernehmung durch den [X.] eine andere Beurteilung seiner Aussage erfolgt wäre.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet. Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist [X.] begründet, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des [X.] unter Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ergangen ist und hierauf beruhen kann.

4

Nach § 155 Abs 1 [X.]G kann im Berufungsverfahren der Vorsitzende seine Aufgaben [X.] nach § 106 [X.]G einem Berichterstatter des [X.]s übertragen. Dieser kann nach § 106 Abs 3 [X.] [X.]G [X.] Zeugen in geeigneten Fällen vernehmen. Die Zeugenvernehmung nur durch den Berichterstatter weicht ab vom Normalfall des § 117 [X.]G, nach dem das Gericht Beweis erhebt in der mündlichen Verhandlung, soweit die Beweiserhebung nicht einen besonderen Termin erfordert (Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme).

5

Nachdem das [X.] die Klage abgewiesen hatte, weil die Klägerin Partnerin des [X.] sei und mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebe, hätte sich das [X.] von vornherein gedrängt sehen müssen, die Beweiserhebung, wie für den Normalfall durch § 117 [X.]G vorgesehen, in der mündlichen Verhandlung durchzuführen. Die Zeugenvernehmung allein in einem Erörterungstermin, die nur für "geeignete Fälle" in Betracht zu ziehen ist (§ 106 Abs 3 [X.] [X.]G; vgl auch § 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 375 ZPO), verbot sich hier schon deshalb, weil es in besonderem Maße auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen ankam (zu diesen Maßstäben und ihrer Anwendung vgl [X.] vom [X.] - juris Rd[X.]5 ff; [X.] vom 24.2.2004 - B 2 U 316/03 B - [X.] 4-1500 § 117 [X.] RdNr 6 f; vgl aber auch [X.] vom 8.12.1988 - 2 [X.] - juris RdNr 5, wo indes weder auf die Einschränkung des § 106 Abs 3 [X.] [X.]G noch auf § 117 [X.]G eingegangen wird). Denn seine "Beziehung zur Klägerin in den Jahren 2011 - 2014", zu der der Zeuge ausweislich der Ladung zum Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten und zur Beweisaufnahme vernommen werden sollte, wird sich nicht sachgemäß würdigen lassen, ohne dass der Spruchkörper in seiner Gesamtheit einen unmittelbaren eigenen persönlichen Eindruck vom Zeugen und vom Verlauf der Zeugenvernehmung erhalten hat (zur richterlichen Gesamtwürdigung über das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft nach dem [X.]B II in Form einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, für die neben objektiven auch subjektive Voraussetzungen festgestellt werden müssen, vgl [X.] vom [X.] AS 34/12 R - [X.]E 111, 250 = [X.] 4-4200 § 7 [X.], Rd[X.]3 ff; [X.] vom 12.10.2016 - B 4 [X.]/15 R - [X.] 4-4200 § 7 [X.] RdNr 25 ff). Nicht entscheidend ist dagegen, dass das [X.] sich in seinem Urteil nicht ausdrücklich auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen bezogen hat, denn es hat dessen Behauptungen in Teilen für nicht plausibel gehalten.

6

Zudem widerspräche es dem Sinn und Zweck des § 106 [X.]G und würde die als Kernstück des gerichtlichen Verfahrens konzipierte mündliche Verhandlung entwerten, wenn der Vorsitzende oder Berichterstatter die eigentliche Beweisaufnahme regelhaft auf [X.] verlagern würde. Zur Wahrung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist diese ggf in der mündlichen Verhandlung vor dem gesamten Spruchkörper zu wiederholen (zum Verhältnis von § 106 und § 117 [X.]G vgl - jeweils mwN - B. [X.] in [X.]/[X.]/ [X.]/[X.], [X.]G, 12. Aufl 2017, § 106 Rd[X.]2 sowie [X.], aaO, § 117 Rd[X.]a; [X.] in jurisPK-[X.]G, 2017, § 106 RdNr 57, 60, 79 sowie [X.], aaO, § 117 Rd[X.]0 ff, 20). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es - wie vorliegend - nach dem Beweisthema in besonderem Maße auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen ankommt und zudem von einem Beteiligten auf die Wiederholung der Beweisaufnahme gedrungen wird.

7

Die Klägerin hat auch schlüssig dargelegt, dass das angefochtene Urteil auf dem gerügten Verfahrensmangel beruhen kann, weil das [X.] den Aussagen des Zeugen in Teilen nicht gefolgt sei. Insbesondere hat sie darauf hingewiesen, dass es für die Beurteilung einer Aussage einen erheblichen Unterschied mache, ob das Fragerecht lediglich durch den Berichterstatter oder durch [X.] des [X.]s ausgeübt werde. Auf die Einhaltung des Grundsatzes der Beweisunmittelbarkeit, wie er durch § 106 Abs 3 [X.], § 117 [X.]G ausgeformt ist, hat sie auch nicht verzichtet, sondern vielmehr durch ihren Antrag eingangs der mündlichen Verhandlung auf erneute Vernehmung des Zeugen deutlich gemacht, seine Einhaltung einzufordern (wiederholte Zeugenvernehmung nach § 118 Abs 1 Satz 1 [X.]G iVm § 398 Abs 1 ZPO).

8

Aufgrund dessen ist das angefochtene Urteil gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.]G aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen.

9

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 14 AS 220/17 B

14.02.2018

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Cottbus, 2. Dezember 2013, Az: S 27 AS 5337/11, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 117 SGG, § 155 Abs 1 SGG, § 106 Abs 3 Nr 4 SGG, § 375 ZPO, § 398 Abs 1 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 14.02.2018, Az. B 14 AS 220/17 B (REWIS RS 2018, 13988)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 13988

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