Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.03.2020, Az. 1 StR 631/19

1. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1739

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Gegenstand

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern: Vernehmung von Auslandszeugen


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 19. Juli 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus einem Urteil des [X.]s Karlsruhe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt, eine Kompensationsentscheidung getroffen und Sicherungsverwahrung angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 [X.]).

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s führte der Angeklagte in der [X.] von Februar 2011 bis November 2012 auf den [X.] mit vier verschiedenen 12- bzw. 13-jährigen [X.] Kindern Vaginal- oder Analverkehr durch.

3

2. Das [X.] hat seine Überzeugung von der Täterschaft des die Taten bestreitenden Angeklagten maßgeblich auf Eintragungen im Kalender und in den Kontakten des Smartphones des Angeklagten und im Datenbestand seines Computers gestützt. Dort waren unter einem bestimmten Datum Name und Geburtsdatum der jeweiligen Geschädigten, deren Alter sowie stichwortartig sexuelle Handlungen (wie z.B. „im Alter von 13 Jahren gefickt“ oder „im Alter von 12 Jahren den Arsch entjungfert“) aufgeführt. Die [X.] hat weiter darauf abgestellt, dass dem Angeklagten stichwortartige Aufzeichnungen über seine Sexualkontakte nicht wesensfremd seien, wie eine [X.] mit sexuellen Kontakten zwischen 1979 und 1994 belege. Zudem hat es SMS-Nachrichten und Chatverkehr des Angeklagten mit den Geschädigten mit sexualbezogenen Inhalten berücksichtigt. Die auf den [X.] wohnhaften Geschädigten hat das [X.] nicht als Zeuginnen vernommen.

II.

4

Die Beweiswürdigung des [X.]s, mit der es sich von den Taten des Angeklagten überzeugt hat, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.

5

1. Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatgerichts, das sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden hat (§ 261 [X.]). Die tatsächlichen Schlussfolgerungen des Tatgerichts müssen nicht zwingend sein; es genügt, dass sie möglich sind und das Tatgericht von ihrer Richtigkeit überzeugt ist (vgl. [X.], Urteil vom 12. Januar 2017 - 1 [X.]/16 Rn. 10 mwN). Das Revisionsgericht ist auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatgerichts mit Rechtsfehlern behaftet ist, weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesicherten Erfahrungswissen nicht übereinstimmt oder sich so weit von einer Tatsachengrundlage entfernt, dass sich die gezogenen Schlussfolgerungen letztlich als reine Vermutung erweisen (vgl. [X.], Urteile vom 12. Januar 2017 - 1 [X.]/16 Rn. 10 und vom 21. März 2013 - 3 [X.], [X.]St 58, 212 Rn. 6 mwN).

6

2. Auch vor dem Hintergrund dieses eingeschränkten [X.] sind die Feststellungen zur Täterschaft des Angeklagten nicht tragfähig begründet. Das [X.] stützt seine Überzeugung von einem realen Hintergrund der Eintragungen über sexuelle Handlungen mit den Geschädigten im Kalender und in den Kontakten auf eine Übereinstimmung mit den Notizen in der [X.] aus der [X.] von 1979 bis 1994. Dieser Schluss ist jedoch nur dann möglich, wenn feststeht, dass die Eintragungen in der [X.] einen realen Bezug haben. Der Angeklagte hat insoweit angegeben, damals eine entsprechende Liste geführt zu haben, mittlerweile sei er über solche Aufzeichnungen zu seinen Sexualkontakten aber hinaus. Dass die in der Tabelle umschriebenen sexuellen Handlungen in der notierten Art und Weise tatsächlich stattgefunden haben, hat der Angeklagte damit nicht eingeräumt und wurde vom [X.] auch nicht überprüft. Insoweit ist auch von Bedeutung, dass die in den Urteilsgründen auszugsweise und beispielhaft wiedergegebenen Eintragungen in der [X.] ([X.] f.) - wie das [X.] zutreffend erkannt hat - Hinweise auf verschiedene strafbare Handlungen des Angeklagten enthalten, wie zum Beispiel die Eintragungen „(...) gegen ihren Willen in den Arsch gefickt, dass sie laut geschrien hat“ oder „(...) Gegen ihren Willen mehrmals gebumst, teilweise mit Gewalt. (...)“ ([X.]). Angesichts dieser Eintragungen kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass es sich bei den damaligen Notizen um Übertreibungen handeln könnte und diese daher insoweit keine realen Vorgänge dokumentieren. Bereits aus diesem Grund erweist sich die Beweiswürdigung des [X.]s als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

7

3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen. Auf die zugleich erhobene Verfahrensrüge im Hinblick auf die abgelehnte Einvernahme von [X.] kommt es mithin nicht mehr an. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat jedoch darauf hin, dass es naheliegen dürfte, die auf den [X.] wohnhaften, den Ermittlungsbehörden allesamt bekannten Geschädigten als Zeuginnen zu vernehmen, da der Angeklagte die ihm vorgeworfenen Taten dort begangen haben soll und die Angaben der Zeuginnen für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Juli 2018 - 3 [X.] Rn. 7; Urteil vom 13. März 2014 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 244 Abs. 5 Satz 2 [X.] 14 Rn. 12; [X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., § 244 Rn. 357).

Raum     

        

Jäger     

        

Fischer

        

Hohoff     

        

Leplow     

        

Meta

1 StR 631/19

17.03.2020

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Karlsruhe, 19. Juli 2019, Az: 270 Js 18173/14 - KLs

§ 244 Abs 2 StPO, § 244 Abs 5 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.03.2020, Az. 1 StR 631/19 (REWIS RS 2020, 1739)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1739

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