Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.03.2004, Az. 4 StR 563/03

4. Strafsenat | REWIS RS 2004, 4189

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[X.] DES VOLKESUrteil4 StR 563/03vom10. März 2004in der Strafsachegegenwegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.- 2 -Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom [X.], an der teilgenommen haben:Vorsitzende [X.]in am [X.]. [X.],[X.] am [X.],[X.],[X.],[X.]in am [X.]als beisitzende [X.],Staatsanwalt als Vertreter der [X.],Rechtsanwalt als Verteidiger,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil [X.] vom 5. September 2003 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen auf-gehoben.2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird ver-worfen.3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten [X.], an eine andere als Jugendschutzkammerzuständige Strafkammer des [X.].Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Miß-brauchs von Kindern in drei Fällen und wegen sexuellen Mißbrauchs [X.] in drei weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahrenverurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus [X.]. Im übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Der [X.] sich, soweit er verurteilt worden ist, mit seiner auf die Sachrüge ge-stützten Revision gegen dieses Urteil. Er beanstandet in erster Linie die [X.] in einem psychiatrischen Krankenhaus.- 4 -Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinenden Angeklagten [X.] Rechtsfehler aufgedeckt. Die Revision führtjedoch zur Aufhebung des [X.].Nach den Feststellungen hielten sich im Tatzeitraum zwischen [X.]2001 und Juli 2002 die 13jährige [X.]([X.]), die 12jährige [X.](Fall II. 2.) und die 10jährige [X.]. (Fälle II. 3. a bis d) auf-grund verwandtschaftlicher Beziehungen oder freundschaftlicher Bindungender Familien häufiger im Haushalt des Angeklagten auf. [X.] , die Schwe-ster der Ehefrau des Angeklagten, begleitete ihn überdies im [X.] 2002 [X.] beruflich bedingten [X.] nach [X.]. Bei Aufenthalten der [X.] in der Wohnung des Angeklagten bzw. anläßlich der Fahrt nach [X.]nahm der damals 40jährige Angeklagte an den Kindern verschiedene sexuelleHandlungen vor. Mit [X.] , die sich in den Angeklagten verliebt hatte,führte er einvernehmlich den Geschlechtsverkehr durch.Das [X.] hat - dem Sachverständigen folgend - die Unterbrin-gung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63StGB angeordnet, weil dieser die Taten im Zustand erheblich verminderterSchuldfähigkeit infolge einer "dissozialen Persönlichkeitsstörung" in Verbin-dung mit einer "ausgesprägten Pädophilie" begangen habe. Aufgrund [X.], insbesondere der in einer "jahrelange(n) Entwicklung herausgebil-dete(n) Pädophilie" ([X.]) sei ohne eine entsprechende Behandlung die Ge-fahr weiterer gleichgelagerter sexueller Übergriffe zum Nachteil von [X.] 5 -Die Ausführungen des [X.]s zur - für eine Anordnung nach § 63StGB positiv festzustellenden - verminderten Schuldfähigkeit des [X.] einer schweren anderen seelischen Abartigkeit begegnen durchgreifen-den rechtlichen Bedenken.Wird ein so schwerwiegender Eingriff, wie ihn die zeitlich nicht befristeteUnterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus darstellt, auf die [X.] "schwere andere seelische Abartigkeit" gestützt, muß aufgrund einer [X.] von Täterpersönlichkeit und Taten feststehen, daß die Störung [X.] so nachhaltig in seiner Persönlichkeit geprägt hat, daß er im Zeitpunktder Begehung der Taten aus einem starken, mehr oder weniger unwiderstehli-chen Zwang heraus gehandelt hat. Steht, wie hier, für die Beurteilung derSchuldfähigkeit eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz im [X.], muß diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert ha-ben, daß er zur Bekämpfung seiner Triebe nicht die erforderlichen [X.] (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 33, 37 und § 63 Zustand23). Daher ist nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine [X.] in Form einer Pädophilie (zum Begriff: Internationale Klassifikation [X.] Störungen [X.]; Venzlaff/[X.], psychiatrische Begutach-tung 3. Aufl., S. 254 f.), die zwangsläufig nur unter Verletzung strafrechtlichgeschützter Rechtsgüter verwirklicht werden kann, ohne weiteres gleichzuset-zen mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21StGB. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen,die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder [X.] nicht den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abar-tigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Hingegen kann die [X.] etwa dann beeinträchtigt sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu [X.] 6 -eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abneh-mende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des [X.] durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnen (vgl. Ne-dopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl., [X.]).Den dargelegten Anforderungen an die Beurteilung der Schuldfähigkeitdes Angeklagten wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte - nicht ausschließbar auchwährend des Tatzeitraums - auch Sexualkontakte mit erwachsenen Frauen. Erlebte mindestens bis Mitte des Jahres 2001 mit seiner zweiten Ehefrau, die [X.] kennengelernt und im Mai 2000 geheiratet hatte, und dem im März 2001geborenen gemeinsamen [X.] zusammen. Der Angeklagte hat ferner mehrerenichteheliche Kinder von verschiedenen Partnerinnen. [X.] war [X.] Zeugin U. für kurze Zeit seine Lebensgefährtin. Dieses [X.] hätte zu einer Erörterung gedrängt, weshalb der Angeklagte im [X.] nur erheblich eingeschränkt in der Lage gewesen sein soll, seinenpädophilen Neigungen zu widerstehen und weshalb eine Einengung auf eindeviantes Sexualverhalten, mithin eine schuldrelevante süchtige Entwicklung(vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 37 und § 63 Zustand 23; NedopilaaO, [X.]) vorgelegen hat.Zwar deutet die Formulierung, die Sexualpartnerinnen des Angeklagten"seien immer jünger geworden, es habe sich schließlich um Mädchen im pu-bertären und vorpubertären Alter gehandelt" ([X.]) darauf hin, daß er sichauch schon vor dem Tatzeitraum Kindern sexuell zugewandt hatte. In [X.] seiner Sexualkontakte zu erwachsenen Frauen ist jedoch mit dieser Er-wägung allein die Annahme des [X.]s, beim Angeklagten habe eine "in- 7 -einer jahrelange(n) Entwicklung herausgebildete Pädophilie" ([X.]), mithineine stabile und deshalb schuldrelevante deviante Sexualentwicklung (vgl. Ne-dopil aaO [X.]) vorgelegen, nicht hinreichend dargetan.Die aufgezeigten [X.] führen zur Aufhebung des Maßre-gelausspruchs. Über diesen ist deshalb umfassend neu zu befinden. Der Senathebt auch die "zugehörigen" Feststellungen auf. Dazu zählen auch die [X.] zugrunde liegenden Feststellungen. Sollte derneue Tatrichter zum Schweregrad und zur Verfestigung der sexuellen Devianzdes Angeklagten weiter gehende Feststellungen treffen können, wird die [X.] des Angeklagten in einem psychiatrischen [X.] allerdings naheliegen; dies gilt insbesondere dann, wenn konkreteAnhaltspunkte für ein Zusammenwirken von Aggressivität und sexueller [X.] - gegebenenfalls auch außerhalb des hier anhängigen Verfahrens - gege-ben sein sollten.Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung läßtden Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils unberührt. [X.] -eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit scheidet hier von [X.]; durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB ist der Ange-klagte bei der Strafzumessung nicht beschwert.[X.] Maatz [X.] Ernemann Sost-Scheible

Meta

4 StR 563/03

10.03.2004

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.03.2004, Az. 4 StR 563/03 (REWIS RS 2004, 4189)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 4189

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