Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2010, Az. 4 StR 283/10

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 5156

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 283/10 vom 6. Juli 2010 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes - 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 6. Juli 2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. März 2010 im [X.] den zugehörigen Feststellungen aufge-hoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des [X.] zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs ei-nes Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verur-teilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus [X.]. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. 1 Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der [X.] hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Ange-klagten ergeben. Der [X.] hat hingegen keinen Bestand. 2 - 3 - Das [X.] hat - den Ausführungen des Sachverständigen folgend - angenommen, dass der Angeklagte die Tat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Bei dem Angeklagten bestehe eine Störung der [X.] mit einer homosexuellen Orientierung auf junge, pubertie-rende Geschlechtspartner. Diese spezielle Ausrichtung werde von der Diagnose Pädophilie zwar nicht explizit ausgenommen, betreffe jedoch eine besondere sexuelle Neigung, die in der Literatur auch als Hebephilie bzw. als Ephebophilie bezeichnet werde. Die Persönlichkeitsstörung erfülle die Kriterien der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Zwar unterläge die Alltagskompetenz des Angeklagten durch die Störung generell keiner Beein-trächtigung, im [X.] gäbe es aber erkennbare Defizite, die auch durch mehrjährige therapeutische Zuwendung nicht aufgelöst werden konnten und immer wieder in einförmiger Weise zu sexuellen Handlungen an unter 14-Jährigen geführt hätten. Insofern sei eine Einengung der Lebensbezüge des Angeklagten auf die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse unübersehbar. Deshalb sei im Sinne des § 21 StGB von ausgeprägten Steuerungsmängeln hinsichtlich der Triebbefriedigung des Angeklagten auszugehen. 3 Die Ausführungen des [X.] zur - für eine Anordnung nach § 63 StGB positiv festzustellenden - verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit halten rechtlicher Prü-fung nicht stand. Sie belegen nicht, dass die Störung den Angeklagten so nachhaltig in seiner Persönlichkeit geprägt hat, dass sie den für die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit erforderlichen Schweregrad erreicht hat. Steht, wie hier, für die Beurteilung der Schuldfähigkeit eine von der Norm ab-weichende sexuelle Präferenz im Vordergrund, muss diese den Täter im Wesen seiner Persönlichkeit so verändert haben, dass er zur Bekämpfung seiner Trie-be nicht die erforderlichen Hemmungen aufbringt (vgl. [X.], 4 - 4 - 337; [X.], 20; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 33, 37 und § 63 Zu-stand 23). Daher ist nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine Devianz in Form einer Pädophilie (zum Begriff: Internationale Klassifikation psy-chischer Störungen [X.]; Venzlaff/[X.], Psychiatrische Begutach-tung 5. Aufl. S. 343 f.), die zwangsläufig nur unter Verletzung strafrechtlich ge-schützter Rechtsgüter verwirklicht werden kann, ohne Weiteres gleichzusetzen mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Vielmehr kann auch nur eine gestörte sexuelle Entwicklung vorliegen, die als allgemeine Störung der Persönlichkeit, des Sexualverhaltens oder der An-passung nicht den Schweregrad einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erreicht. Hingegen kann die Steuerungsfähigkeit etwa dann beeinträchtigt sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu einer einge-schliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des [X.] und durch gedankliche Einengung auf diese Praktiken auszeichnen (vgl. [X.], Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 204 f.). Den dargelegten Anforderungen an die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Ausführungen des Sachverständigen belegen nicht, dass beim Angeklagten eine Einengung auf ein deviantes Sexualverhalten in Gestalt einer schuldrelevanten süchtigen Entwicklung vorliegt. Eine solche Annahme wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Das [X.] teilt die Anknüpfungstatsachen des Sachver-ständigen nicht mit. Nach den sonstigen Urteilsfeststellungen war der [X.] zuletzt im August 1997 einschlägig in Erscheinung getreten. Zum Zeitpunkt der letzten Vorverurteilung im Januar 2000 unterhielt er Sexualkontakte zu [X.] Anfang 20. Von 1998 bis 2002 ist er von dem Dipl.-Psychologen und Psychotherapeuten S. psychotherapeutisch behandelt 5 - 5 - worden. Der Therapeut hat ihm im Jahre 2002 eine positive Entwicklung be-scheinigt, die allerdings einen Rückfall nicht generell ausschließe. Seither ist der Angeklagte offenbar bis zu der hier abgeurteilten Tat am 31. Mai 2009 nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten. Diese Umstände, die eher zeigen, dass der Angeklagte sein Sexualverhalten über viele Jahre unter Kontrolle [X.], hätten zu der Erörterung gedrängt, weshalb der Angeklagte im Tatzeitraum nur erheblich eingeschränkt in der Lage gewesen sein soll, seinen pädophilen Neigungen zu widerstehen. Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung lässt den Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils unberührt, da eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit hier von vornherein ausscheidet. Durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB bei der Strafzumes-sung ist der Angeklagte nicht beschwert. 6 Ernemann [X.] Roggenbuck Mutzbauer Bender

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4 StR 283/10

06.07.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2010, Az. 4 StR 283/10 (REWIS RS 2010, 5156)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5156

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