Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2020, Az. 5 StR 601/19

5. Strafsenat | REWIS RS 2020, 1886

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Gegenstand

Versuchter Mord: Rücktritt vom unbeendeten Versuch; Korrektur des Rücktrittshorizontes


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. Juli 2019 aufgehoben

a) mit den zugehörigen Feststellungen in den Fällen [X.] der Urteilsgründe sowie

b) im Gesamtstrafenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in zwei Fällen, wegen versuchten Totschlags und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die die Verurteilung wegen Körperverletzung (Taten II.2 der Urteilsgründe) von ihrem Angriff ausgenommen hat, führt mit der Sachrüge zum Erfolg.

2

1. Der [X.] weist in seiner Zuschrift zu Recht darauf hin, dass es im Fall [X.] an einer Auseinandersetzung mit einer möglichen „Korrektur des Rücktrittshorizonts“ (vgl. dazu [X.], Urteile vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, [X.], 569 f.; vom 8. Mai 2012 - 5 [X.], [X.], 688 f.; Beschluss vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, [X.], 106 f., jeweils mwN) fehlt, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren [X.] zu einer Auseinandersetzung mit dieser Frage drängten.

3

a) Ein unbeendeter Versuch kommt auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seiner letzten Tathandlung den Eintritt des [X.] zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, [X.] könne diesen doch nicht herbeiführen, und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Verwirklichung des [X.] absieht (st. Rspr.; vgl. dazu [X.], Urteile vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, aaO; vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, [X.]St 36, 224, 225; Beschlüsse vom 7. November 2001 - 2 [X.], [X.], 73; vom 8. Juli 2008 - 3 [X.], [X.], 335; und vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, aaO). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf bei versuchten Tötungsdelikten insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch zu von dem Täter wahrgenommenen körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt ([X.], Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, aaO; Beschlüsse vom 17. Dezember 2014 - 2 StR 78/14, aaO; vom 12. Januar 2017 - 1 [X.], [X.], 672, jeweils mwN). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des [X.] zu erschüttern, bereits alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben. Dabei ist die Feststellung der tatsächlichen Vorstellungen des [X.] entscheidend.

4

b) Nach diesen Maßstäben leidet das Urteil an einem durchgreifenden Erörterungsmangel. Denn die getroffenen Feststellungen verhalten sich nicht zu einer möglichen Korrektur des Vorstellungsbildes des Angeklagten während der von ihm registrierten Rückwärtsfahrt S.     s. Zur eingehenden Erörterung hätte indes Anlass bestanden, weil - anders als möglicherweise zunächst vom Vorstellungsbild des Angeklagten erfasst - der Zeuge noch zu der Flucht in der Lage war und sich unverletzt in Sicherheit bringen konnte. Daher erscheint es jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte in einem engen Zeitraum nach der letzten Ausführungshandlung nicht mehr davon ausgegangen sein könnte, den Nebenkläger tödlich verletzt zu haben. Das [X.] hat in diesem Zusammenhang auch weder erörtert, wie weit der Zeuge rückwärts fuhr und über welche Distanz der Angeklagte diese Fahrt räumlich überblicken konnte, noch wie sich die Fahrt der hinter dem [X.] parkenden und ebenfalls flüchtenden Besatzung des Krankenwagens dazu verhielt. Zudem wird nicht hinreichend deutlich, inwieweit die Frontscheibe des [X.] durch die Schüsse beschädigt oder zerstört wurde und wie sich dies auf die Sicht des Angeklagten auf S.      ausgewirkt hat.

5

2. Im Fall II.4 der Urteilsgründe ist - wie der [X.] zu Recht bemängelt - auch eingedenk des eingeschränkten revisionsgerichtlichen [X.] (vgl. nur [X.], Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, [X.]St 57, 183, 186 mwN) der Tötungsvorsatz nicht tragfähig belegt.

6

a) Das [X.] ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass bei äußerst gefährlichen Handlungen naheliegt, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. [X.] aaO). Das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes können zwar auch dann im Einzelfall fehlen, etwa wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des [X.]) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut. Das Vertrauen auf einen glimpflichen Ausgang lebensgefährdenden Tuns darf dabei aber nicht auf bloßen Hoffnungen beruhen, sondern muss [X.] sein ([X.], Urteil vom 12. Dezember 2018 - 5 [X.], [X.], 208). Voraussetzung der Anwendung dieser Grundsätze ist aber stets der tragfähige Beleg der Gefährlichkeit der Tathandlung.

7

b) Daran fehlt es hier. Die diesen Schluss begründende Beweiswürdigung ist lückenhaft. Insbesondere fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der exakten Schussrichtung und dem genauen Bereich des Auftreffens des Projektils auf das bei [X.] ca. 16 Meter entfernte Fahrzeug. Dessen bedurfte es jedoch, weil die Schwurgerichtskammer hervorhebt, dass der Angeklagte als [X.] und geübter Schütze in der Lage gewesen sei, „mit dem mit einem Zielfernrohr ausgerüsteten Repetiergewehr auf über 100 m Entfernung zielgenau tödlich zu treffen“, und es insbesondere gewohnt sei, auf sich bewegende Objekte zu schießen.

8

3. [X.] der Urteilsgründe kann ebenfalls nicht bestehen bleiben. Zu Recht weist der [X.] in seiner Zuschrift darauf hin, dass auch insoweit die Beweiswürdigung hinsichtlich der Annahme bedingten Tötungsvorsatzes den Besonderheiten des Falls nicht gerecht wird, sondern insbesondere die Schussrichtung sowie die äußere Beschaffenheit des Haushaltsraums dabei näher in den Blick hätten genommen werden müssen.

9

Auf die angesichts des Fehlens jeglicher Reaktion der vier Personen aus dem Hauswirtschaftsraum ebenfalls nicht rechtsfehlerfreie Annahme des beendeten Versuchs kommt es daher nicht mehr an.

4. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen II.3 bis II.5 der Urteilsgründe, was den Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe zur Folge hat. Der Senat hebt die Feststellungen in diesen Fällen insgesamt auf, um dem neu zur Entscheidung berufenen Schwurgericht auf umfassend neuer Grundlage eine in sich widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. Januar 2017 - 1 [X.]; [X.], 8. Aufl., § 353 Rn. 2).

[X.]     

        

Mosbacher     

        

Köhler

        

Resch     

        

von Häfen     

        

Meta

5 StR 601/19

23.06.2020

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Cottbus, 1. Juli 2019, Az: 21 Ks 3/19

§ 22 StGB, § 24 StGB, § 211 StGB, §§ 211ff StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 23.06.2020, Az. 5 StR 601/19 (REWIS RS 2020, 1886)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1886

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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